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BVerfG 18.04.2020 - 1 BvR 829/20
BVerfG 18.04.2020 - 1 BvR 829/20 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Ausgangsbeschränkungen in Bayerischer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (§ 4 Abs 2, Abs 3, § 5 Nr 9 BayIfSMV <juris: CoronaVV BY 2>) - Unzulässigkeit wegen Subsidiarität gegenüber prinzipaler fachgerichtlicher Normenkontrolle (§ 47 Abs 1, Abs 6 VwGO, Art 5 BayAGVwGO <juris: VwGOAG BY 1992>)
Normen
Art 103 Abs 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 4 Abs 2 CoronaVV BY 2, § 4 Abs 3 CoronaVV BY 2, § 5 Nr 9 CoronaVV BY 2, § 47 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 47 Abs 6 VwGO, Art 5 S 1 VwGOAG BY 1992
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner - mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen - Verfassungsbeschwerde gegen § 4 Abs. 2 und 3, § 5 Nr. 9 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie vom 27. März 2020 (BayMBl Nr. 158), zuletzt geändert durch die Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayGVBl S. 194, BayMBl Nr. 162 - im Folgenden: Verordnung). Nach § 4 Abs. 2 der Verordnung ist das Verlassen der Wohnung nur bei Vorliegen "triftiger Gründe" erlaubt. In § 4 Abs. 3 der Verordnung werden acht Konstellationen aufgeführt, die "insbesondere" als triftige Gründe anzusehen sind. Gemäß § 5 Nr. 9 der Verordnung handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig die Wohnung ohne triftigen Grund verlässt.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft nicht § 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung, sondern beschränkt sich auf eine einstweilige Außerkraft-setzung des § 5 Nr. 9 der Verordnung.
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Gegen die angegriffenen Regelungen der Verordnung hat der Beschwerdeführer keinen fachgerichtlichen Rechtschutz gesucht.
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II.
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Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und aus Art. 103 Abs. 2 GG.
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Er könne nicht auf die Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden, weil er dann wegen der Bußgeldbewehrung des Verbots, die Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen, zu einem sanktionierten Verhalten gezwungen wäre. Im Übrigen sei vorläufiger Rechtschutz gegen die angegriffenen Regelungen der Verordnung wegen des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2020 (20 NE 20.632) derzeit nicht zu erlangen.
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Das bußgeldbewehrte Ausgangsverbot werde den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG an die Bestimmtheit von Straftatbeständen nicht gerecht. Daher sei der damit verbundene staatliche Zwang "ungesetzlich" und verstoße gegen seine Grundrechte nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Nach dem Wortlaut des Ausgangsverbots gemäß § 4 Abs. 2 der Verordnung sei Tathandlung allein das Verlassen der eigenen Wohnung in der Absicht, sich aus anderen als triftigen Gründen außerhalb derselben aufzuhalten. Es werde jedoch stattdessen als Verbot des Aufenthalts außerhalb der eigenen Wohnung verstanden und praktiziert, für den objektiv keine triftigen Gründe sprächen. Außerdem lasse sich die bußgeldrechtliche Bewehrung des bürgerlichen Lebens außerhalb der eigenen Wohnung nicht voraussehen, weil der Katalog der "triftigen Gründe" nach § 4 Abs. 3 der Verordnung offen sei ("insbesondere"). Daher hätten letztlich die Polizeibehörden die Deutungshoheit über das Vorliegen bußgeldbewehrter Handlungen. Dem bußgeldbewehrten Ausgangsverbot liege auch keine den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügende gesetzliche Ermächtigung zugrunde.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beschränke sich auf eine einstweilige Außerkraftsetzung des Ordnungswidrigkeitentatbestands nach § 5 Nr. 9 der Verordnung. Denn durch die Straf- und Bußgeldbewehrung des unbestimmten Ausgangsverbots sei jedermann einem unkalkulierbaren Sanktionsrisiko hinsichtlich der alltäglichen Verrichtungen des bürgerlichen Lebens ausgesetzt. Dieser rechtsstaatlich unerträgliche Zustand könne auch nicht für eine nur befristete Zeit hingenommen werden. Daher müsse die gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung zu seinen Gunsten ausgehen.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht gerecht wird und daher unzulässig ist.
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1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität muss der Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Zwar verlangt der Grundsatz der Subsidiarität nicht, dass Betroffene vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm verstoßen und sich dem Risiko einer entsprechenden Ahndung aussetzen müssen, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (vgl. BVerfGE 81, 70 82 f.>; 97, 157 165>; 138, 261 272 Rn. 23>). Doch genügt eine Verfassungsbeschwerde auch dann nicht dem Grundsatz der Subsidiarität, wenn die Möglichkeit besteht, fachgerichtlichen Rechtsschutz außerhalb eines Straf- oder Bußgeldverfahrens zu erlangen (vgl. BVerfGE 145, 20 54 Rn. 85>). So liegt es hier. Der Beschwerdeführer ist gehalten, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gemäß § 47 Abs. 1 und 6 VwGO in Verbindung mit Art. 5 AGVwGO Bayern einen mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbundenen Antrag auf prinzipale Kontrolle der angegriffenen Regelungen der Verordnung zu stellen. Wegen dieser auch mit Eilrechtsschutz verbundenen Möglichkeit droht ihm entgegen seinem Vorbringen durch den Verweis auf fachgerichtlichen Rechtsschutz kein schwerer und unzumutbarer Nachteil mit Blick auf die Bußgeldbewehrung der Ausgangsbeschränkung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 15).
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2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wäre ein solcher Antrag nach § 47 Abs. 1 und 6 VwGO auch nicht mit Blick auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2020 (20 NE 20.632), mit dem dieser eine vorläufige Außervollzugsetzung des präventiven Ausgangsverbots nach § 1 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 der der streitgegenständlichen Verordnung vorausgegangenen Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24. März 2020 (BayMBl Nr. 130) abgelehnt hat, offensichtlich aussichtlos. Zwar war auch nach dieser Verordnung das Verlassen der Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Diese Verordnung enthielt jedoch, worauf der Beschwerdeführer selbst unter Berufung auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verweist, noch keine Regelung, wonach vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das präventive Ausgangsverbot den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht geprüft, ob das Verbot, die Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen, deshalb gegen Grundrechte verstößt, weil es selbst sowie die gesetzliche Ermächtigung nicht den für Straftatbestände geltenden Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30. März 2020 - 20 NE 20.632 -, Rn. 54 ff.). Gerade hierin sieht der Beschwerdeführer jedoch die maßgebliche grundrechtliche Beschwer, wie auch sein auf eine einstweilige Außerkraftsetzung der Bußgeldbewehrung des präventiven Ausgangsverbots nach § 5 Nr. 9 Verordnung beschränkter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zeigt.
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3. Die Verfassungsbeschwerde ist schließlich auch nicht ausnahmsweise deshalb vor Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes zulässig, weil sie allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwürfe, die das Bundesverfassungsgericht auch ohne vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen beantworten könnte (vgl. BVerfGE 150, 309 327 Rn. 44>). Diese Ausnahme ist grundsätzlich auf Fälle beschränkt, in denen sich ein Beschwerdeführer unmittelbar gegen ein förmliches Gesetz wendet und das fachgerichtliche Verfahren für ihn bestenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. In diesen Fällen wird einem Beschwerdeführer nicht zugemutet, zunächst ein fachgerichtliches Verfahren anzustrengen, wenn dessen Durchführung keine verbesserten Grundlagen für die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erwarten lässt. Anders liegt es hingegen, wenn - wie hier - Beschwerdegegenstand eine untergesetzliche Norm ist. Insoweit steht auch Fachgerichten die Kompetenz zur Normverwerfung zu, so dass selbst dann, wenn allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen sind, auch ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Rechtsschutz erlangt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 16).
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Im Übrigen hängt die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Bestimmungen auch nicht allein von spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen ab. Für sie sind vielmehr auch die tatsächliche Entwicklung und die Rahmenbedingungen der aktuellen Coronavirus-Pandemie sowie fachwissenschaftliche - virologische, epidemiologische, medizinische und psychologische - Bewertungen und Risikoeinschätzungen von wesentlicher Bedeutung. Daher besteht jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht Bedarf an einer fachgerichtlichen Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 17). Vorliegend kommt hinzu, dass die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge möglicherweise Anlass für eine den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügende Auslegung der angegriffenen landesrechtlichen Regelungen geben könnte.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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