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BVerfG 10.04.2020 - 1 BvR 762/20
BVerfG 10.04.2020 - 1 BvR 762/20 - Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gegen bayerische Verordnungen über Ausgangsbeschränkungen bzw Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (juris: CoronaVV BY; CoronaVV BY 2) - Folgenabwägung (Anschluss an BVerfG, 07.04.2020, 1 BvR 755/20)
Normen
§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, CoronaVV BY, CoronaVV BY 2, § 28 IfSG, § 32 IfSG
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde gegen die Regelungen zu vorläufigen Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie, die das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege - inhaltsgleich - in der Allgemeinverfügung vom 20. März 2020, in der Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24. März 2020 sowie in der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 erlassen hat. Demnach wird jeder angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Beschwerdeführer begehrt, die Regelungen zu den vorläufigen Ausgangsbeschränkungen vorläufig außer Vollzug zu setzen, hat keinen Erfolg.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) ist gewahrt. Demnach kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Erstens Senats vom 13. August 2019 - 1 BvQ 66/19 -, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvQ 91/19 -, Rn. 2; stRspr). Der Beschwerdeführer hat vorliegend zwar nicht in eigener Sache um fachgerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht. Dies ist ihm gegenwärtig jedoch unzumutbar (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Denn neben dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVfGH, Entscheidung vom 26. März 2020 - Vf. 6-VII-20 -) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, Beschluss vom 30. März 2020 - 20 NE 20.632 -) zu der Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. März 2020 entschieden, dass die auch vom Beschwerdeführer angegriffenen Regelungen zur vorläufigen Aufenthaltsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt werden. Danach erscheint die erneute Anrufung der Fachgerichte zu den identischen Rechtsfragen gegenwärtig offensichtlich aussichtslos (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, Rn. 4) und damit unzumutbar (vgl. BVerfGE 55, 154 157>; 70, 180 186>; 145, 20 54 Rn. 85>; stRspr). Der Beschwerdeführer rügt auch nicht, dass sich die Sachlage, insbesondere die Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts zu COVID-19, auf die die oben genannten Entscheidungen des Bayerischen Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofs abstellen, wesentlich geändert hat und die verordnungsbedingten Grundrechtseingriffe deshalb unverhältnismäßig geworden seien. Bei einer solchen Grundrechtsrüge müsste vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde im Wege des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes eine Änderung der fachgerichtlichen Rechtsprechung versucht werden.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.
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a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 291>; 121, 1 14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 55>; 132, 195 232>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2020 - 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).
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b) Die Verfassungsbeschwerde ist, jedenfalls soweit die angegriffenen Maßnahmen den Beschwerdeführer selbst betreffen, zumindest nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Sie bedarf eingehenderer Prüfung, was im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich ist.
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Daher ist über den Antrag auf einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfGE 91, 70 74 f.>; 92, 126 129 f.>; 93, 181 186 f.>; 94, 334 347>; stRspr). Dabei sind die Auswirkungen auf alle von den angegriffenen Regelungen Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für den Beschwerdeführer (vgl. für förmliche Gesetze BVerfGE 122, 342 362>; 131, 47 61>).
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Hierbei schließt sich die Kammer dem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, Rn. 9-11 an:
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"Danach ist die begehrte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Der Beschwerdeführer legt zwar nachvollziehbar dar, dass die angegriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seine grundrechtlich geschützten Freiheiten weitgehend verkürzen […]. Auch ist nicht zu verkennen, dass die angegriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Grundrechte der Menschen, die sich in Bayern aufhalten, erheblich beschränken. Sie geben vor, den unmittelbaren körperlichen Kontakt und weithin auch die reale Begegnung zu beschränken oder ganz zu unterlassen, sie untersagen Einrichtungen, an denen sich Menschen treffen, den Betrieb und sie verbieten es, die eigene Wohnung ohne bestimmte Gründe zu verlassen. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, wären all diese Einschränkungen mit ihren erheblichen und voraussichtlich teilweise auch irreversiblen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen zu Unrecht verfügt und etwaige Verstöße gegen sie auch zu Unrecht geahndet worden.
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Erginge demgegenüber die beantragte einstweilige Anordnung und hätte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen so verhalten, wie es mit den angegriffenen Regelungen unterbunden werden soll, obwohl diese Verhaltensbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar wären. So dürften dann insbesondere Einrichtungen, deren wirtschaftliche Existenz durch die Schließungen beeinträchtigt wird, wieder öffnen, viele Menschen ihre Wohnung häufiger verlassen und auch der unmittelbare Kontakt zwischen Menschen häufiger stattfinden. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach derzeitigen Erkenntnissen (ausführlich dazu BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2020 - 6-VII-20 -, Rn. 16 f.) erheblich erhöhen.
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Aus der Verfassungsbeschwerde ist damit insgesamt nicht ersichtlich oder sonst erkennbar, dass die Folgen einer Fortgeltung der angegriffenen Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie in einem Maße untragbar wären, dass ausnahmsweise eine geltende Regelung im Eilrechtsschutz außer Vollzug gesetzt werden müsste. Die hier geltend gemachten Interessen sind gewichtig, erscheinen aber nach dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es unzumutbar erschiene, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 77, 170 214>; 85, 191 212>; 115, 25 44 f.>). Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist."
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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