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BVerfG 22.07.2019 - 1 BvR 1955/17
BVerfG 22.07.2019 - 1 BvR 1955/17 - Nichtannahmebeschluss: Versagung einer Pauschgebühr gem § 51 Abs 1 S 1 RVG für eine dreitägige Tätigkeit als Zeugenbeistand verletzt vorliegend nicht die Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) des betroffenen Rechtsanwalts - Überschreitung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle weder dargetan noch ersichtlich
Normen
Art 12 Abs 1 GG, § 51 Abs 1 S 1 RVG, Anl 1 Nr 4301 Ziff 4 RVG, § 68b Abs 2 StPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Düsseldorf, 26. Juli 2017, Az: III-3 AR 113/17, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine gebührenrechtliche Entscheidung in einem Strafverfahren.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er wurde in einem Staatsschutzverfahren dem Hauptbelastungszeugen, dem er zuvor in dessen Strafverfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet gewesen war, nunmehr gemäß § 68b Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) als Beistand für die Dauer seiner Vernehmung beigeordnet. Der Zeuge wurde anschließend im Beisein des Beschwerdeführers an drei Hauptverhandlungsterminen über etwa 9,5 Stunden vernommen.
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2. a) Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Beschwerdeführer Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit als Beistand in Höhe von insgesamt 1.106,59 Euro festzusetzen, darunter 200 Euro gemäß Nr. 4301 Ziffer 4 der Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis - VV) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG), 639,91 Euro Fahrtkosten und 70 Euro Abwesenheitsgeld jeweils zuzüglich Umsatzsteuer. Der Betrag wurde antragsgemäß festgesetzt und ausgezahlt.
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b) Sodann beantragte der Beschwerdeführer für die Wahrnehmung der drei Hauptverhandlungstermine die Festsetzung einer Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG in Höhe von 600 Euro. Die Antragsbegründung stützte er darauf, dass die gesetzliche Gebühr in Höhe von nur 200 Euro für die anwaltliche Tätigkeit nicht als angemessen für die Wahrnehmung von drei Terminen angesehen werden könne. Er habe zur Vorbereitung große Teile des 248 Seiten umfassenden Urteils gegen seinen Mandanten, dessen Vernehmungsniederschriften und seine eigenen Notizen zu dessen Strafverfahren lesen müssen. Die Tätigkeit als Zeugenbeistand habe seine Arbeitskraft an den drei Hauptverhandlungstagen zudem vollständig in Anspruch genommen. Während der Zugfahrten zwischen seinem Kanzleisitz in Stuttgart und dem Gerichtsort in Düsseldorf sei wegen der Gesprächsgeräusche im Zug keine konzentrierte und sinnvolle berufliche Tätigkeit möglich gewesen.
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3. Das Oberlandesgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung vom 26. Juli 2017 den Antrag als unbegründet abgelehnt, weil die - niedrige - gesetzliche Gebühr nicht im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG unzumutbar sei. Die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren sei nach dem klaren Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers neben einem besonders schwierigen oder - hier zweifelsfrei zu bejahenden - besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich vorauszusetzen. Dass die Inanspruchnahme des Beschwerdeführers an drei Hauptverhandlungstagen keine längere Zeit darstelle, die seine wirtschaftliche Existenz wegen (fast) ausschließlicher Bindung seiner Arbeitskraft im Sinne der verfassungsgericht-lichen Rechtsprechung denkbarerweise hätte gefährden können, liege auf der Hand.
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II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich eine Verletzung seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.
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Die gesetzliche Vergütung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeugenbeistand an drei Hauptverhandlungstagen mit nur einer Gebühr in Höhe von 200 Euro stelle ein grundrechtsverletzendes wirtschaftliches Sonderopfer dar. Das Oberlandesgericht berufe sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bewilligung einer Pauschgebühr bei einer Existenzgefährdung, weil diese bloß für einen Pflichtverteidiger gelten könne. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG hätten vorgelegen. Die Versagung im vorliegenden Fall stelle einen nicht mehr gerechtfertigten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG dar, da sie dem Beschwerdeführer die verfassungsrechtlich gebotene finanzielle Kompensation für den staatlichen Eingriff vorenthalte. Die Vergütung seiner Arbeitskraft an drei Verhandlungstagen mit 200 Euro netto sei existenzgefährdend.
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2. Zu der Verfassungsbeschwerde und den durch sie aufgeworfenen Fragen haben das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf für die Landeskasse, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Deutsche Strafverteidiger e.V. und der Weisse Ring e.V. Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt sein könnte.
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1. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
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a) Die Bestellung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ist - wie die Bestellung als Pflichtverteidiger (vgl. BVerfGE 68, 237 253 f.> - eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung und der sich daraus ableitenden kostenrechtlichen Folge ausreichenden Gründen des Gemeinwohls, nämlich der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, dient (zur Bestellung eines Pflichtverteidigers vgl. BVerfGE 39, 238 241 f.>). Daher ist die Begrenzung des Vergütungsanspruchs eines Rechtsanwalts durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 237 255>). In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass sie sich dieser Belastung entziehen könnten, gewinnt die Höhe der Vergütung existentielle Bedeutung (zum Pflichtverteidiger vgl. BVerfGE 68, 237 255>). Eine Indienstnahme zu den gesetzlichen Gebühren könnte dann dem Rechtsanwalt ein unzumutbares Opfer abverlangen. Das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie heute § 51 RVG, ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 321 f.>; 68, 237 255>), um ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität sicherzustellen (vgl. BVerfGE 101, 331 347>).
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b) Gemessen hieran ist ein unzumutbarer Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht hat bei seiner Auslegung des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG nicht verkannt. Obgleich die Heranziehung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals "nicht zumutbar" im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG einfach-rechtlich nicht zwingend ist, ist die Annahme des Oberlandesgerichts, die niedrige gesetzliche Gebühr sei nicht unzumutbar, da die Indienstnahme des Beschwerdeführers an drei Hauptverhandlungstagen keine längere Zeit darstelle, die seine wirtschaftliche Existenz hätte gefährden können, jedenfalls vorliegend verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Zwar sind neben der Fallgruppe der wirtschaftlichen Existenzbedrohung - gerade hinsichtlich des Zeugenbeistands - grundsätzlich auch weitere Härtefälle denkbar, in denen von einem verfassungsrechtlich unzumutbaren Sonderopfer wegen zu geringer Vergütung auszugehen sein könnte. Auch kann schon eine im Vergleich zu einem Pflichtverteidiger deutlich geringere zeitliche Inanspruchnahme eines Zeugenbeistands dessen wirtschaftliche Existenz bedrohen, da der Zeugenbeistand - anders als der Pflichtverteidiger - nicht für jeden Hauptverhandlungstag mit einer Terminsgebühr vergütet wird.
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bb) Vorliegend ist aber weder dargetan noch ersichtlich, dass die Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit nicht gewahrt und dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer aufgebürdet worden wäre. Das Oberlandesgericht hat zwar insoweit lediglich auf den vom Beschwerdeführer erbrachten Gesamtaufwand von drei Verhandlungstagen in einem besonders umfangreichen Verfahren abgestellt und insbesondere weder die notwendige Vorbereitung noch den für die Anreise zum Gerichtsort erforderlichen Zeitaufwand ausdrücklich berücksichtigt. Doch auch unter Einbeziehung dessen ist nicht erkennbar, dass dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden wäre, insbesondere, weil er durch seine Tätigkeit als Beistand so belastet gewesen sei, dass dies seine Existenz gefährdet hätte oder zumindest erhebliche finanzielle Aus-wirkungen auf seinen Kanzleibetrieb gehabt haben könnte. Der Vortrag, die gesetzliche Vergütung sei offensichtlich existenzgefährdend, genügt insoweit nicht.
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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