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BVerfG 20.12.2017 - 1 BvR 2233/17
BVerfG 20.12.2017 - 1 BvR 2233/17 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen Regelungen bzgl des anwaltlichen elektronischen Rechtsverkehrs, insb der Einführung des besonderen elektronischen Postfachs (beA) - Möglichkeit einer Verletzung der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) nicht hinreichend dargelegt
Normen
Art 12 Abs 1 S 1 GG, Art 12 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 46g ArbGG vom 10.10.2013, § 31a BRAO vom 10.10.2013, § 31a BRAO vom 12.05.2017, ERVGerFöG vom 12.05.2017, § 14b FamFG vom 10.10.2013, § 52d FGO vom 10.10.2013, § 19 RAVPV vom 23.09.2016, § 19 RAVPV vom 12.05.2017, § 20 RAVPV vom 23.09.2016, § 20 RAVPV vom 12.05.2017, § 21 RAVPV vom 23.09.2016, § 21 RAVPV vom 12.05.2017, § 22 RAVPV vom 23.09.2016, § 22 RAVPV vom 12.05.2017, § 23 RAVPV vom 23.09.2016, § 23 RAVPV vom 12.05.2017, § 24 RAVPV vom 23.09.2016, § 24 RAVPV vom 12.05.2017, § 25 RAVPV vom 23.09.2016, § 25 RAVPV vom 12.05.2017, § 26 RAVPV vom 23.09.2016, § 26 RAVPV vom 12.05.2017, § 27 RAVPV vom 23.09.2016, § 27 RAVPV vom 12.05.2017, § 28 RAVPV vom 23.09.2016, § 28 RAVPV vom 12.05.2017, § 29 RAVPV vom 23.09.2016, § 29 RAVPV vom 12.05.2017, § 65d SGG vom 10.10.2013, § 55d VwGO vom 10.10.2013, § 130d ZPO vom 10.10.2013, § 174 Abs 3 S 3 ZPO vom 10.10.2013, § 174 Abs 3 S 4 ZPO vom 10.10.2013
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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Gegenstand der Rechtssatzverfassungsbeschwerde, die zum Teil mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, sind die im Rubrum aufgeführten, zum 1. Januar 2018 beziehungsweise 1. Januar 2022 in Kraft tretenden Regelungen, welche den anwaltlichen elektronischen Rechtsverkehr betreffen.
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I.
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1. Die im Zentrum der Verfassungsbeschwerde stehende Norm des § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verpflichtet in seinem Absatz 6 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab dem 1. Januar 2018, die für die Nutzung des von der Bundesrechtsanwaltskammer für jedes Mitglied empfangsbereit eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (beA) erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis zu nehmen (sog. passive Nutzungspflicht des beA). Die Norm konkretisiert damit die nach § 174 Abs. 3 Satz 3 und 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) ab dem 1. Januar 2018 bestehende Pflicht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, einen sicheren Übermittlungsweg für die Zustellung elektronischer Dokumente zu eröffnen.
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Die §§ 19 bis 29 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) enthalten darüber hinaus unter anderem detaillierte Regelungen zur Führung, Einrichtung, Erstanmeldung, weiteren Zugangsberechtigungen, Datensicherheit und Löschung des beA.
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Zudem verpflichten § 130d ZPO, § 14b des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), § 46g des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG), § 65d des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 55d der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die jeweilige Verfahrensordnung Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab dem 1. Januar 2022, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie Anträge und Erklärungen, die bei einem Gericht durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln.
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2. Das beA ähnelt in seinem Aufbau einem üblichen E-Mail-Postfach und dient der elektronischen Kommunikation der in das Gesamtverzeichnis eingetragenen Mitglieder der Rechtsanwaltskammern, der Rechtsanwaltskammern und der Bundesrechtsanwaltskammer mit den Gerichten und untereinander auf einem sicheren Übermittlungsweg (vgl. § 19 Abs. 1 RAVPV). Im Adressverzeichnis des beA sind alle Personen und Stellen auffindbar, die über das Postfach erreichbar sind (vgl. § 19 Abs. 3 RAVPV). Für die authentifizierte Nutzung des beA benötigt man einen Computer mit einer Internetverbindung, ein bei der Bundesnotarkammer zu bestellendes und an diesen Computer anzuschließendes Kartenlesegerät und eine beA-Karte sowie eine persönliche PIN. Vor der Erstregistrierung muss eine so genannte Client-Security heruntergeladen werden. Dabei handelt es sich um ein Programm, das direkt auf dem Rechner des jeweiligen Nutzers installiert wird und mit dem später die Funktionen des beA ausgeführt werden, die aus Sicherheitsgründen nicht im Internet stattfinden. Das beA verwendet zur sicheren Übermittlung eine so genannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (vgl. § 20 Abs. 1 RAVPV).
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II.
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Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und Mitglied einer Rechtsanwaltskammer. Mit seiner gegen die angegriffenen Normen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt er insbesondere eine Verletzung seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, die er im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die gesetzliche Verpflichtung zur Eröffnung eines elektronischen Kommunikationsweges für die Gerichte sowie zur Nutzung des beA stelle eine organisatorische, wirtschaftliche und haftungsrechtliche Belastung dar. Überdies berge sie ein hohes Sicherheitsrisiko. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Es seien keine tragfähigen spezifisch berufsbezogenen Gemeinwohlgründe ersichtlich. Solche lägen nur dann vor, wenn die gesetzliche Maßnahme die Qualität der anwaltlichen Tätigkeit verbessere, was nicht der Fall sei. Die Nutzung speziell des beA sei auch nicht erforderlich. Es bestünden mildere Mittel zur Zweckerreichung. Schließlich sei dem Beschwerdeführer die vorgesehene gesetzliche Pflicht zur Eröffnung eines elektronischen Kommunikationsweges für die Gerichte sowie zur Nutzung des beA auch unzumutbar. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die angegriffenen Regelungen subjektive Berufszugangsregelungen darstellten, aber zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter nicht zwingend erforderlich seien und zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung der Berufstätigkeit außer Verhältnis stünden.
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III.
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Gründe für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungsanforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, weil sie nicht die konkrete Möglichkeit aufzeigt, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Regelungen in einem der von ihm bezeichneten Grundrechte verletzt wird (vgl. BVerfGE 105, 252 264>).
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1. Der Beschwerdeführer hat insbesondere eine mögliche Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausreichend dargelegt.
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a) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die angegriffenen Normen regelten subjektiv bereits den Berufszugang, weil besondere persönliche Kenntnisse und technische Fähigkeiten im Umgang mit der digitalen Informationstechnologie verlangt würden, zeigt er im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufswahl bereits keinen möglichen Eingriff auf. Subjektive Berufszugangsregelungen sind solche, die eine Berufsaufnahme an das Vorliegen persönlicher Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungsnachweise knüpfen (vgl. BVerfGE 9, 338 345>; 19, 330 337>; 34, 71 77>). Der Beschwerdeführer ist bereits zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die angegriffenen Regelungen enthalten auch keine Vorschriften über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, es handelt sich bei ihnen vielmehr um bloße Berufsausübungsregelungen.
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b) Regelungen, die lediglich die Berufsausübung betreffen, sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen und das Grundrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 404 ff.>; 97, 228 255>; stRspr). Gemessen an diesem Maßstab zeigt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit nicht auf (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
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aa) Die Beschwerdeschrift lässt nicht erkennen, dass es an vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls zur Rechtfertigung der angegriffenen Regelungen fehlen könnte. Die angegriffenen Regelungen bezwecken die Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, die Schaffung einer rechtssicheren und schnellen Kommunikation mit den Gerichten sowie eine Kostenreduktion bezüglich Porto- und Druckkosten (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 6. März 2013, BTDrucks 17/12634, S. 1 bis 6). Anhaltspunkte dafür, dass es sich insoweit nicht um spezifische berufsbezogene Gemeinwohlgründe handeln könnte, werden nicht aufgezeigt.
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bb) Auch die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Regelungen stellt der Beschwerdeführer nicht substantiiert in Frage. Die Behauptung, mit der Einführung des beA gehe nicht wie beabsichtigt eine Kostenreduktion, sondern eine Kostensteigerung einher, weshalb die Regelungen insoweit nicht geeignet seien, kann mangels einer vergleichenden Kostenaufstellung schon nicht nachvollzogen werden.
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Im Hinblick auf die Behauptung, dass über das beA eine sichere Kommunikation nicht möglich, sondern vielmehr zu befürchten sei, dass Unbefugte Daten ausspähen könnten, fehlt es bereits an der Berücksichtigung des Umstands, dass entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht jeder beliebige Dritte ohne Weiteres an dem elektronischen Rechtsverkehr über das beA teilnehmen kann; jedenfalls aber fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den konkret getroffenen Sicherheitsvorkehrungen wie etwa der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Negative Erfahrungen mit gänzlich anderen IT-Systemen, die in der Vergangenheit von Hackern angegriffen wurden, können insoweit nicht pauschal herangezogen werden. Letztlich fehlt auch eine hinreichende Erörterung dahin, ob und inwieweit ein etwaiges - trotz Anwendung der zur Verfügung stehenden technischen Sicherungsmöglichkeiten - (stets) verbleibendes Risiko eines Angriffs auf übermittelte Daten im überwiegenden Interesse des Gemeinwohls nicht hinzunehmen wäre (vgl. insoweit BFH, Urteil vom 18. Januar 2012 - II R 49/10 -, juris, Rn. 102; Urteil vom 14. März 2012 - XI R 33/09 -, juris, Rn. 70).
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Die Beschwerdeschrift lässt auch eine übermäßige Belastung des Beschwerdeführers durch die angegriffenen Regelungen nicht möglich erscheinen. Ob und inwieweit andere Verfahren der elektronischen Kommunikation mit Gerichten insgesamt weniger eingriffsintensiv sein könnten, zeigt der allgemein gehaltene Vortrag nicht konkret auf.
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Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers verlangen die angegriffenen Regelungen auch keine jederzeitige unmittelbare und sofortige persönliche Kenntnisnahme der über das beA eingehenden Mitteilungen. Eine unverhältnismäßige Belastung können sie daher insoweit nicht begründen. Gleiches gilt im Ergebnis für die vom Beschwerdeführer dargestellten besonderen haftungs- und berufsrechtlichen Konsequenzen. Denn diese werden letztlich nur bezogen auf eine Nichtnutzung des beA, nicht jedoch auf die durch die angegriffenen Regelungen verlangte Nutzung aufgezeigt.
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2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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