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BVerfG 10.08.2017 - 1 BvR 1582/15
BVerfG 10.08.2017 - 1 BvR 1582/15 - Nichtannahme eine unmittelbar gegen § 4a TVG (Tarifeinheit) gerichteten Verfassungsbeschwerde - Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses infolge des Senatsurteils vom 11.07.2017, 1 BvR 1571/15 ua - Anordnung der Auslagenerstattung iH eines Drittels - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 9 Abs 3 GG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 90 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, Art 1 TarifEinhG, § 4a TVG
Tenor
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1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen aus dem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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3. Der Gegenstandswert der Verfassungsbeschwerde wird auf 500.000 € (in Worten: fünfhunderttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer ist eine Gewerkschaft, die sich wie mehrere andere Gewerkschaften auch gegen das Gesetz zur Tarifeinheit vom 3. Juli 2015 (Tarifeinheitsgesetz, BGBl I S. 1130) wendet.
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1. Der Beschwerdeführer ist mit etwa 35.000 Mitgliedern die größte Berufsgruppengewerkschaft für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland. Seit ihrer Gründung schließt die Gewerkschaft eigenständige Tarifverträge. Sie vertritt ausschließlich die redaktionell Arbeitenden in den Medien. Rund 60 % der Mitglieder sind tatsächlich tarifgebunden; alle anderen sind sogenannte freie Journalistinnen und Journalisten. Die tarifgebundenen Mitglieder sind zu etwa 50 % im Bereich Presse und Agenturen beschäftigt, zu etwa 30 % im Rundfunk und zu etwa 20 % in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
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Die beschwerdeführende Gewerkschaft ist auch in Betrieben tarifpolitisch aktiv, in denen sie mit anderen Gewerkschaften konkurriert. Dies ist im journalistischen Bereich die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), die der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di angehört. Im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkurriert die beschwerdeführende Gewerkschaft mit der Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden (VRFF), die Mitglied im dbb beamtenbund und tarifunion (dbb) ist. Die Tarifverträge für das journalistische Personal in den Medien wurden in den zurückliegenden Jahren vom Beschwerdeführer, von ver.di und von der VRFF zumeist einzeln, jedoch mit identischem Inhalt oder als mehrgliedrige Tarifverträge abgeschlossen.
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2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die beschwerdeführende Gewerkschaft gegen § 4a Abs. 1 und Abs. 2 TVG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Tarifeinheit vom 3. Juli 2015 (BGBl I S. 1130) und macht eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG geltend. Hierzu hat sie schriftsätzlich umfangreich vorgetragen. Sie teilt im Wesentlichen die verfassungsrechtlichen Bedenken, die auch in den mit Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u.a. -, www.bverfg.de, entschiedenen Verfassungsbeschwerden vorgebracht worden sind.
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a) Die beschwerdeführende Gewerkschaft verweist insbesondere darauf, in den Medienunternehmen und im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stets eine Minderheitsgewerkschaft zu sein, also im jeweiligen Betrieb weniger Beschäftigte als Mitglieder zu organisieren als die konkurrierende Gewerkschaft. Sie verliere unter der Geltung des Tarifeinheitsgesetzes daher an Verhandlungsmacht und gerate in die Position eines Bittstellers. Dadurch werde zugleich die Fähigkeit eingeschränkt, Arbeitskämpfe zu führen. Ein Mitgliederverlust sei die Folge.
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b) Die angegriffenen Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes seien ein intensiver Eingriff in die Koalitionsfreiheit und nicht bloße Ausgestaltung derselben. Die Kollisionsregelung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG berühre den Kern gewerkschaftlicher Tätigkeit. Der Grundrechtseingriff liege in der Nähe der Wesensgehaltsgarantie, weil die Folgen der Gesetzesregelung für Minderheitsgewerkschaften in einer Existenzgefährdung gipfeln könnten.
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c) Die Koalitionsfreiheit stehe nicht unter dem generellen Vorbehalt einer funktionierenden Tarifautonomie. Aufgabe des Gesetzgebers sei es lediglich, die Spielregeln für das Aushandeln von Tarifverträgen festzulegen. Eine funktionsfähige Tarifautonomie setze dabei gerade einen Wettbewerb tariffähiger Koalitionen voraus. Für Einschränkungen gebe es keinen ausreichenden Grund. Weder sei eine Entsolidarisierung der Beschäftigten erfolgt noch erkennbar. Aus den für möglich gehaltenen Auseinandersetzungen zwischen Berufsgruppen- und Branchengewerkschaften könne sich keine Gefährdung der Tarifautonomie ergeben. Eine Zunahme der Neugründungen von Berufsgruppengewerkschaften sei ebenso wenig feststellbar wie eine Ausweitung der Arbeitskämpfe. Es sei nicht belegt, dass Berufsgruppengewerkschaften besonders hohe Lohnabschlüsse auf Kosten anderer Beschäftigter erzielt hätten. Es mangele an Beispielen dafür, dass die Tarifpluralität zu Störungen im Betriebsablauf führe. Der Gesetzgeber verweise insoweit allein auf Zweckmäßigkeit und Praktikabilität, die einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit nicht rechtfertigen könnten. Es fehle ein im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG legitimes Regelungsziel.
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d) Das Tarifeinheitsgesetz sei zur Erreichung der vom Gesetzgeber proklamierten Zwecke ungeeignet, weil es den Gewerkschaftswettbewerb befördere und gerade keinen Anreiz zu gewerkschaftlicher Kooperation setze. Die Funktion von Flächentarifverträgen werde gefährdet, weil es allein auf die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb ankomme. Es fehle die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der angegriffenen Regelungen. Weder Anhörungs- noch Nachzeichnungsrechte könnten den schwerwiegenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit kompensieren.
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3. Zu der Verfassungsbeschwerde gegen das Tarifeinheitsgesetz haben - im Rahmen einer gemeinsamen Zustellung mit den mit Urteil vom 11. Juli 2017 auf die mündliche Verhandlung vom 24. und 25. Januar 2017 entschiedenen Verfahren 1 BvR 1571/15 u.a., www.bverfg.de, Stellung genommen die Bundesregierung, die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA), die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und die Bundesnotarkammer, von Arbeitnehmerseite der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA), aus Sicht der Arbeitgeberseite die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Luftverkehr (AGVL), die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK), der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (Agv MoVe) für die Deutsche Bahn AG und der Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen (AGVDE), und aus Sicht der Forschung das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI).
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4. Die Verfassungsbeschwerde war mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden. Diesen hat der Erste Senat mit Beschluss vom 6. Oktober 2015 abgelehnt (BVerfGE 140, 211).
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist unzulässig, weil kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht.
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Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (BVerfGE 33, 247 253>; 50, 244 247>; stRspr). Daran fehlt es hier, weil das Bundesverfassungsgericht die mit der Verfassungsbeschwerde angestrebte verfassungsrechtliche Überprüfung des Tarifeinheitsgesetzes im Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u.a. -, www.bverfg.de, mittlerweile vorgenommen hat. Der Senat hat die Unvereinbarkeit von § 4a des Tarifvertragsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Tarifeinheit vom 3. Juli 2015 (BGBl I S. 1130) mit Art. 9 Abs. 3 GG insoweit festgestellt, als es an Vorkehrungen fehlt, die sicherstellen, dass die Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag nach § 4a Abs. 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes verdrängt wird, im verdrängenden Tarifvertrag hinreichend berücksichtigt werden. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht die angegriffenen Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes mit konkreten Maßgaben für die Auslegung und Handhabung der einfachgesetzlichen Regelungen als verfassungsgemäß erachtet. Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
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Für eine auf denselben Gegenstand zielende verfassungsgerichtliche Entscheidung über die im Wesentlichen inhaltsgleichen Grundrechtsrügen besteht daher kein Bedürfnis mehr. Die beschwerdeführende Gewerkschaft hat keine verfassungsrechtlichen Fragen aufgeworfen, die in ihrem materiellen Gehalt über die im Urteil geprüften Einwände gegen das Gesetz hinausgehen.
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III.
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Mit Blick auf die erhebliche subjektive und objektive Bedeutung der Verfassungsbeschwerde (BVerfGE 79, 365 366 ff.>) wird unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen (§ 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 RVG) ein Gegenstandswert von 500.000 € festgesetzt (ebenso BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u.a. -, www.bverfg.de, Rn. 219).
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Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die teilweise Erstattung der Auslagen an den Beschwerdeführer entspricht der Billigkeit, da die maßgeblichen Rechtsfragen im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht geklärt waren und diese, wie aus dem Urteil vom 11. Juli 2017 ersichtlich, teilweise Aussicht auf Erfolg hatte.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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