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BVerfG 06.09.2016 - 1 BvR 173/15
BVerfG 06.09.2016 - 1 BvR 173/15 - Nichtannahmebeschluss: Außerordentliche Rechtsbehelfe (hier: "außerordentliche Beschwerde" zum OLG gegen Entscheidung des LG über Anhörungsrüge und Gegenvorstellung) gehören nicht zum Rechtsweg und sind nicht aus Subsidiaritätsgründen vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde geboten - keine Wiedereinsetzung bei Fristversäumung aufgrund Abwartens der fachgerichtlichen Entscheidung über außerordentliche Beschwerde - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Verwerfung einer außerordentlichen Beschwerde als unstatthaft
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 93 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 99 ZPO, § 107 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Braunschweig, 7. November 2014, Az: 3 W 46/14, Beschluss
vorgehend LG Braunschweig, 11. Juni 2014, Az: 5 O 527/12, Beschluss
vorgehend LG Braunschweig, 16. Januar 2013, Az: 5 O 527/12, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer wandte sich im Ausgangsverfahren gegen die Änderung einer Streitwertfestsetzung ohne seine Beteiligung. Seine gegen den geänderten Streitwertbeschluss des Landgerichts eingelegte Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 27. März 2014 als unzulässig. Eine zugleich erhobene Anhörungsrüge und eine Gegenvorstellung wurden vom Landgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2014 zurückgewiesen.
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Daraufhin legte der Beschwerdeführer eine "außerordentliche Beschwerde" ein, deren Begründung er in der Folge mit mehreren an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsätzen ergänzte. Er rügte die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und des Gebots des fairen Verfahrens. Nachdem das Landgericht dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen hatte, verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 7. November 2014 die außerordentliche Beschwerde als unzulässig. Es führte aus, nach inzwischen allgemeiner und zutreffender Rechtsauffassung sei nach Einführung des geschriebenen Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge für eine gesetzlich nicht vorgesehene außerordentliche Beschwerde kein Raum mehr.
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II.
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Mit seiner am 4. Dezember 2014 zur Post gegebenen und am 15. Dezember 2014 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG), des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), des Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch den Streitwertbeschluss des Landgerichts und dessen die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung zurückweisenden Beschluss sowie den die außerordentliche Beschwerde als unzulässig verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts.
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Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde führt er aus, für die Einhaltung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG komme es allein auf die letzte Entscheidung des Oberlandesgerichts über die außerordentliche Beschwerde vom 7. November 2014 an. Denn zur Einlegung dieses Rechtsbehelfs sei er aus Gründen der materiellen Subsidiarität verpflichtet gewesen. Der Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde sei auch nicht offensichtlich unzulässig. Jedenfalls sei eine Auslegung als Anhörungsrüge möglich.
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Hilfsweise beantragt der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Monatsfrist. Er habe nur deshalb zunächst von der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde abgesehen, da im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die außerordentliche Beschwerde abgewartet werden sollte.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt.
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Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Landgerichts richtet, ist sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben worden und damit unzulässig (1). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht (2). Hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 7. November 2014 ist eine Verletzung von Verfassungsrecht nicht ersichtlich (3).
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1. Die einmonatige Frist zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde beginnt gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BVerfGG mit der Bekanntgabe der Entscheidung, die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wird. Ist der Beschwerdeführer - wie im Regelfall nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG - gehalten, vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg zu erschöpfen, so wird der Lauf der Monatsfrist mit der Bekanntgabe der nach der jeweiligen Verfahrensordnung letztinstanzlichen Entscheidung in Gang gesetzt. Muss der Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde über die Erschöpfung des Rechtswegs hinaus von einer Möglichkeit zur Beseitigung der von ihm gerügten Grundrechtsverletzung Gebrauch machen, dann ist erst die Entscheidung über diesen Rechtsbehelf für den Beginn der Monatsfrist maßgebend (BVerfGE 122, 190 197>).
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Im vorliegenden Fall gehörte die Einlegung des ungeschriebenen Rechtsbehelfs der außerordentlichen Beschwerde jedoch weder zum Rechtsweg (a) noch war dessen Einlegung zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität erforderlich (b). Eine Auslegung als weitere - statthafte - Anhörungsrüge kommt ebenfalls nicht in Betracht (c).
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a) Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 27. März 2014 letztinstanzlich über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts entschieden. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11. Juni 2014 unter anderem die noch offene Anhörungsrüge zurückgewiesen. Spätestens damit war der Rechtsweg im Streitwertfestsetzungsverfahren erschöpft.
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Der Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde gehörte nicht zum Rechtsweg. Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist jede gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts (vgl. BVerfGE 67, 157 170>; 122, 190 203>). Die außerordentliche Beschwerde ist aber kein gesetzlich geregelter Rechtsbehelf. Sie wurde als außerordentlicher Rechtsbehelf von den Fachgerichten - in mehr oder weniger engen Grenzen - gegen Entscheidungen für zulässig erachtet, die nach dem Gesetz unanfechtbar sind, um Rechtsschutzlücken zu schließen (vgl. BVerfGE 107, 395 396, 416>). Mit Plenarbeschluss vom 30. April 2003 (vgl. BVerfGE 107, 395 416 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht daher entschieden, dass außerordentliche Rechtsbehelfe den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsmittelklarheit nicht genügen und daher nicht zum Rechtsweg gehören, dessen Erschöpfung § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG fordert (vgl. auch BVerfGE 122, 190 202 f.>).
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b) Der Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde ist auch nicht zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität erforderlich. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde darf auch über den Rechtsweg im engeren Sinne hinaus nicht von der vorherigen erfolglosen Einlegung außerordentlicher Rechtsbehelfe abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 107, 395 417>; 122, 190 204>).
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c) Eine Auslegung des eingelegten Rechtsbehelfs als weitere - statthafte - Anhörungsrüge ist nicht möglich. Eine solche Auslegung wäre bereits mit dem erkennbaren Willen des für den Beschwerdeführer handelnden rechtskundigen Bevollmächtigten unvereinbar (vgl. BVerfGE 122, 190 198>). Der Bevollmächtigte hat seine Eingabe ausdrücklich als außerordentliche Beschwerde bezeichnet und zudem darauf hingewiesen, dass die Verfahrenssituation mit einer Anhörungsrüge nicht lösbar sei, da auch die Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens zu rügen sei. Überdies wollte er mit dem Rechtsbehelf eine Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung durch das Oberlandesgericht erreichen. Die Anhörungsrüge hingegen ist auf eine Korrektur durch den iudex a quo gerichtet. Schließlich betraf der angegriffene Beschluss des Landgerichts unter anderem bereits die Zurückweisung einer Anhörungsrüge, sodass für eine weitere Anhörungsrüge auch kein Raum wäre (vgl. BVerfGE 107, 395 411>).
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2. Dem Beschwerdeführer war Wiedereinsetzung in den Stand der verstrichenen Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) nicht zu gewähren. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG) durfte nicht ohne Verschulden davon ausgehen, von der Einlegung der Verfassungsbeschwerde deshalb absehen zu können, weil zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die außerordentliche Beschwerde abzuwarten wäre. Denn außerordentliche Rechtsbehelfe unterliegen nicht dem Grundsatz der Subsidiarität (BVerfGE 107, 395 417>). Die Einlegung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs schiebt auch den Lauf der Monatsfrist nicht auf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann aus diesem Grund nicht erlangt werden (vgl. BVerfGE 122, 190 205>).
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3. Soweit sich der Beschwerdeführer demnach fristgemäß allein noch gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 7. November 2014 wenden kann, begegnet dieser keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn ein Gericht den Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde als unstatthaft verwirft, ist dies weder unvertretbar noch verletzt es den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2007 - 1 BvR 2803/06 -, NJW 2007, S. 2538 2539>).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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