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BVerfG 08.01.2015 - 2 BvR 2419/13
BVerfG 08.01.2015 - 2 BvR 2419/13 - Nichtannahmebeschluss: Durchsuchung der Wohn- und Praxisräume eines Zahnarztes bei hinreichendem Tatverdacht einer Straftat gem § 278 StGB verfassungsrechtlich unbedenklich, insb noch verhältnismäßig
Normen
Art 13 Abs 1 GG, § 278 StGB, § 102 StPO
Vorinstanz
vorgehend LG Kiel, 30. September 2013, Az: 7 Qs 73/13, Beschluss
vorgehend AG Kiel, 16. Juli 2013, Az: 43 Gs 2066/13, Beschluss
vorgehend BVerfG, 2. Dezember 2013, Az: 2 BvR 2419/13, Einstweilige Anordnung
Gründe
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I.
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1. Der Beschwerdeführer erstattete für private Krankenkassen Gutachten zur medizinischen Notwendigkeit zahnärztlicher Behandlungen. In einem Gutachten vom 28. Juli 2008 verneinte er die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung, die Gegenstand eines Behandlungsplans des Zahnarztes Dr. M. war. Im nachfolgenden von der Patientin mit dem Ziel der Kostenerstattung geführten Gerichtsverfahren hielt der gerichtlich bestellte Gutachter die gewünschte Behandlung für medizinisch erforderlich. Das Gericht schloss sich dieser Bewertung an.
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Im Juli 2012 erstellte der Beschwerdeführer ein Gutachten für einen anderen Patienten des Zahnarztes Dr. M. und verneinte auch in diesem Fall die medizinische Notwendigkeit der Behandlung. Daraufhin beauftragten Dr. M. und sein Patient einen (Gegen-)Gutachter, der in seinem Gutachten die Ausführungen des Beschwerdeführers als "erschreckend" und "falsch" bezeichnete und dem Beschwerdeführer vorwarf, der Textinhalt seiner Gutachten sei stets nahezu identisch.
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Dr. M. erstattete Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Betrugs (§ 263 StGB) und des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB). Er behauptete, der Beschwerdeführer fertige in großem Umfang im Auftrag diverser privater Krankenkassen Gutachten, bei denen er wider besseres Wissen zugunsten der Krankenkassen die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen verneine. In einschlägigen Fachkreisen sei allgemein bekannt, dass der Beschwerdeführer in großem Umfang für zahlreiche private Krankenversicherer als Gutachter, sozusagen als "Sparkommissar", zu Fragen der medizinischen Notwendigkeit tätig sei. Der Anzeige legte er das Gutachten des Beschwerdeführers vom 28. Juli 2008, seinen diesbezüglichen Behandlungsplan, das gerichtlich in Auftrag gegebene Gutachten und das Urteil des Landgerichts sowie das sich auf einen anderen Patienten beziehende Gutachten des Gegengutachters bei.
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2. Ohne weitere Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft Kiel daraufhin den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. Juli 2013 ordnete das Amtsgericht Kiel die Durchsuchung der Zahnarztpraxis und Wohnräume des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer sei hinsichtlich des zivilgerichtlich ausgeurteilten Falls des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse verdächtig; die Durchsuchung diene der Auffindung von Beweismitteln, insbesondere Unterlagen, die Aufschluss über Art und Umfang der vom Beschwerdeführer im Auftrag von privaten Krankenversicherungen erstellten Gutachten sowie die dafür empfangene Vergütung gäben.
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3. Die Durchsuchung wurde am 4. September 2013 vollzogen. Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Beschwerdeführers half das Amtsgericht Kiel mit Beschluss vom 9. September 2013 nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Kiel zur Entscheidung vor. Dieses verwarf die Beschwerde mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 30. September 2013 unter ergänzenden Ausführungen zum Anfangsverdacht und zur Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung als unbegründet.
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II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Bedeutung und Tragweite der Grundrechte, in die der Durchsuchungsbeschluss eingreife, geböten es, dass vor dessen Erlass nur in Ausnahmefällen wie einem drohenden Beweismittelverlust auf verdachtsabklärende Ermittlungsmaßnahmen verzichtet werden könne. Allein die Strafanzeige stelle keine ausreichende Grundlage für die Anordnung einer Durchsuchung dar. Die Durchsuchung sei im konkreten Fall unverhältnismäßig gewesen, da den Strafverfolgungsbehörden mildere Mittel zur Abklärung der erhobenen Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer zur Verfügung gestanden hätten. Die Zivilakte des ausgeurteilten Falls hätte beigezogen und der Anzeigeerstatter und der Gegengutachter zu ihren Behauptungen befragt sowie das von dem Gegengutachter als vermeintlich vollkommen unzutreffend bezeichnete Gutachten des Beschwerdeführers und andere Gutachten bei den Krankenkassen angefordert werden müssen.
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2. Auf einen entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers hat die Kammer am 2. Dezember 2013 eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt erlassen, die Sichtung und Auswertung sämtlicher bei der Durchsuchung in behördlichen Gewahrsam gelangten und dort noch befindlichen Daten und Beweisgegenstände bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zu unterlassen. Die einstweilige Anordnung wurde um insgesamt acht Monate verlängert.
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III.
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1. Das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein hat von einer Stellungnahme abgesehen.
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Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Insbesondere sei es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass vor Anordnung der Durchsuchung keine anderen Ermittlungen durchgeführt worden seien; offene Ermittlungen hätten möglicherweise den Ermittlungserfolg gefährdet.
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2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 591 Js 21254/13 der Staatsanwaltschaft Kiel vorgelegen.
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IV.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insbesondere nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>).
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1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.
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a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 42, 212 219 f.>; 96, 27 40>; 103, 142 150 f.>). Dieser Schutz erstreckt sich auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 219>; 96, 44 51>; BVerfGK 15, 225 240>).
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Notwendiger, aber grundsätzlich auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt jedoch auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 371 f.>; 115, 166 197 f.>).
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Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 224>; 42, 212 220>; 103, 142 151>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist; zudem müssen die erwarteten Beweismittel wenigstens annäherungsweise - gegebenenfalls in Form beispielhafter Angaben - beschrieben werden (vgl. BVerfGE 42, 212 221>).
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Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht schließlich ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 186 f.>; 96, 44 51>; 115, 166 197>); dieses wird bei Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern sogar noch erhöht. Die Durchsuchung muss vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 20, 162 187>; 59, 95 97>; 96, 44 51>; 115, 166 197>). Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGK 4, 227 233>).
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Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 92 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 u.a. -, juris, Rn. 5).
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b) Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse noch gerecht.
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Gegen den Beschwerdeführer bestand ein Anfangsverdacht der Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses, § 278 StGB.
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aa) Zugunsten des Beschwerdeführers ist für die verfassungsrechtliche Prüfung davon auszugehen, dass der dem Durchsuchungsbeschluss zugrunde liegende Tatvorwurf - der nach Vollzug der Durchsuchung im Beschwerdeverfahren nicht mehr geändert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 u.a. -, juris, Rn. 4) - nur auf das Erstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses im Jahr 2008 lautete. Denn die vage gehaltenen Formulierungen in der Strafanzeige, wonach der Beschwerdeführer "in großem Umfang ... sozusagen als 'Sparkommissar' tätig" sei, wurden weder in der Anzeige selbst noch durch die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen näher belegt.
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bb) Hinsichtlich des Gutachtens vom 28. Juli 2008 lagen indes zureichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vor, auf die allein der Durchsuchungsbeschluss gestützt ist. Auch wenn der vom Beschwerdeführer zu beurteilende Heil- und Kostenplan des Anzeigeerstatters Dr. M. unzureichend gewesen sein mag, sind in dem sich an die Erstattung des Gutachtens anschließenden Zivilprozess Unstimmigkeiten und Fehler des Gutachtens festgestellt worden, die nicht nur über denkbare wissenschaftliche Meinungsunterschiede hinausgehen, sondern auch einen Anfangsverdacht für ein Handeln wider besseres Wissen zu begründen vermögen. Diese Indizien werden durch das in das Ermittlungsverfahren als Indiz eingeführte Gegengutachten zu einer vom Beschwerdeführer im Jahre 2012 vorgenommenen Begutachtung nachhaltig unterstützt. Dass die Ermittlungen sorgfältiger hätten geführt werden können - beispielsweise im Hinblick auf das Vorliegen eigener Interessen des Anzeigeerstatters -, ändert nichts daran, dass insbesondere auf der Grundlage der von der Staatsanwaltschaft herangezogenen Gutachten der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Denn diese Gutachten stützten den Verdacht, der Beschwerdeführer habe das Gutachten vom 28. Juli 2008 mit Hilfe von Textbausteinen und auf der Grundlage einer unzutreffenden Bestandsaufnahme der medizinischen Situation des Patienten erstellt.
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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