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BVerfG 19.11.2014 - 1 BvR 2843/14
BVerfG 19.11.2014 - 1 BvR 2843/14 - Nichtannahmebeschluss: Zu Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung des § 1686a BGB - insb zur Reihenfolge, in der die Anspruchsvoraussetzungen des § 1686a Abs 1 BGB zu klären sind - hier: keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen fachgerichtliche Anordnung einer Abstammungsuntersuchung gem §§ 1686a Abs 1 Nr 2 BGB, 167a FamFG vor abschließender Klärung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen
Normen
Art 6 Abs 1 GG, § 1686a Abs 1 Nr 2 BGB, § 167a Abs 3 FamFG, § 178 Abs 2 FamFG, § 387 Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Dresden, 15. Oktober 2013, Az: 22 UF 416/13, Beschluss
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Einholung eines Abstammungsgutachtens im Rahmen eines Umgangs- und Auskunftsverfahrens nach § 1686a BGB.
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1. Die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) sind seit 2009 miteinander verheiratet. Sie sind die rechtlichen Eltern der im Februar 2011 geborenen Beschwerdeführerin zu 3), mit der sie in einem Haushalt leben.
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a) Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens begehrt Umgang mit und Auskunft über die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin zu 3). Er behauptet, der leibliche Vater der Beschwerdeführerin zu 3) zu sein, was von den Beschwerdeführern zu 1) und 2) bestritten wird. Unstreitig ist hingegen, dass der Antragsteller und die Beschwerdeführerin zu 1) während der gesetzlichen Empfängniszeit miteinander Geschlechtsverkehr hatten und dem Antragsteller in den ersten Monaten nach der Geburt begleitete Umgangskontakte mit der Beschwerdeführerin zu 3) eingeräumt wurden.
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b) Nachdem das Amtsgericht den Antrag des Antragstellers insgesamt zurückgewiesen hatte, ordnete das Oberlandesgericht nach § 167a FamFG die Einholung eines schriftlichen humangenetischen Abstammungsgutachtens zur Klärung der Frage an, ob der Antragsteller der leibliche Vater der Beschwerdeführerin zu 3) ist. Die Beschwerdeführer erklärten daraufhin, die Mitwirkung an der angeordneten Begutachtung zu verweigern. Sie beantragten zudem im Wege eines "Anerkenntnisses", "dem Antrag auf Auskunft des Antragstellers ohne Inzidentfeststellung der Vaterschaft stattzugeben".
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c) Das Oberlandesgericht entschied durch Zwischenbeschluss gemäß § 167a Abs. 3 in Verbindung mit § 178 Abs. 2 FamFG und § 387 Abs. 1 ZPO, dass die Weigerung, an der Abstammungsbegutachtung mitzuwirken, rechtswidrig sei. Die Einholung eines Abstammungsgutachtens sei erforderlich, da dies geeignet sei, die zwischen den Beteiligten streitige Frage zu klären, ob der Antragsteller der leibliche Vater der Beschwerdeführerin zu 3) ist. Diese Feststellung sei notwendige Voraussetzung für einen Umgangs- und Auskunftsanspruch des Antragstellers gemäß § 1686a Abs. 1 BGB. Dem stehe das von den Beschwerdeführern im Laufe des Verfahrens abgegebene "Anerkenntnis" nicht entgegen, da eine Anerkenntnisentscheidung dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit fremd sei. Eine Abstammungsbegutachtung sei allerdings entbehrlich, wenn bereits feststehe, dass der Antragsteller weder einen Umgangs- noch einen Auskunftsanspruch habe. Das sei aber derzeit nicht der Fall. Im Gegenteil sehe der Senat die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB derzeit - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Das bisherige schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten und das Ergebnis der Anhörung rechtfertigten insbesondere nicht die Einschätzung, dass die Verpflichtung der Beschwerdeführer zu 1) und 2) zur Auskunft dem Wohl der Beschwerdeführerin zu 3) widersprechen würde. Die Untersuchung sei auch zumutbar. Insbesondere die psychischen Auswirkungen der Untersuchung selbst seien zu vernachlässigen. Dass das mögliche Ergebnis der Untersuchung - die Feststellung der Vaterschaft des Antragstellers - mit unzumutbaren psychischen Auswirkungen verbunden wäre, sei nicht ersichtlich. Den Beschwerdeführern zu 1) und 2) sei bewusst, dass der Antragsteller als leiblicher Vater der Beschwerdeführerin zu 3) in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund sei unwahrscheinlich, dass durch die mögliche Bestätigung ihrer Befürchtung zusätzliche psychische Belastungen entstünden.
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2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer Verfassungsbeschwerde, die Anordnung der Einholung eines Abstammungsgutachtens verletze sie in ihren Grundrechten. Das Oberlandesgericht habe vor allem die Frage der Kindeswohldienlichkeit nicht ausreichend geprüft und beantwortet. Weil eine Abstammungsuntersuchung in die Grundrechte der Beschwerdeführer eingreife, sei zunächst sicher festzustellen, ob die weiteren Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs bestehen, bevor die Frage der Abstammung geklärt werde.
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II.
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Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten. Die Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung greift zwar in Grundrechte der Beschwerdeführer ein. Der Grundrechtseingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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1. Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung, durch die nach § 1686a BGB in Verbindung mit § 167a FamFG die leibliche Vaterschaft geklärt wird, greifen insbesondere in das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der bestehenden Familie ein. Die Familie ist durch die Anordnung der Abstammungsklärung mit dem Verdacht und einer Möglichkeit der Aufdeckung fehlender leiblicher Abstammung des Kindes vom rechtlichen Vater konfrontiert. Das nimmt den Beteiligten Gewissheit und Vertrauen in ihre familiären Beziehungen und hemmt das gemeinsame Familienleben; die Belastung des Familienlebens ist besonders groß, wenn sich bei der Abstammungsklärung herausstellt, dass der rechtliche Vater nicht leiblicher Vater des Kindes ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 105 f.).
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2. Der Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Er beruht auf gesetzlicher Grundlage (a) und ist verhältnismäßig (b).
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a) Der Eingriff beruht auf den die Grundrechte der Mitglieder der bestehenden Familie beschränkenden § 1686a BGB, § 167a FamFG. Zwar ist das Familiengrundrecht vorbehaltlos gewährleistet. Es ist jedoch ausgestaltungsbedürftig und aufgrund verfassungsimmanenter Schranken beschränkbar. Eine verfassungsimmanente Schranke findet der Schutz der bestehenden Familie hier im verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang und nach Auskunft über das Kind. In gesetzlicher Konkretisierung dieser verfassungsimmanenten Schranke ermächtigt § 167a FamFG die Gerichte zur Anordnung einer Abstammungsuntersuchung, sofern dies in Verfahren, die das Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen Vaters nach § 1686a BGB betreffen, zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit in Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, Urteil vom 22. März 2012 - 23338/09 -, juris; Urteil vom 22. März 2012 - 45071/09 -, juris) dem mutmaßlichen leiblichen Vater zur Durchsetzung des neu geschaffenen Umgangs- oder Auskunftsanspruchs eine Abstammungsklärung auch dann ermöglicht, wenn wie hier eine Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BGB wegen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind nicht in Betracht kommt. Damit hat der Gesetzgeber die Gerichte ermächtigt, unter den in § 1686a BGB, § 167a FamFG geregelten Voraussetzungen den Schutz der bestehenden sozialen Familie hinter dem Interesse an Umgang und Auskunftserteilung zurücktreten zu lassen.
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b) Die aufgrund der genannten Regelungen ergangene Anordnung einer Abstammungsuntersuchung genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach dürfen die Betroffenen keiner Abstammungsuntersuchung unterzogen werden, die zur Entscheidung über den Umgangs- oder Auskunftsanspruch nach § 1686a BGB nicht erforderlich ist und damit das Familienleben unnötig belastete. Die bestehende Rechtslage erlaubt es, dem Rechnung zu tragen (aa), was das Oberlandesgericht vorliegend getan hat (bb).
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aa) Der Anspruch auf Umgang sowie Auskunft gemäß § 1686a Abs. 1 BGB setzt neben der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers voraus, dass dieser ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und dass der Umgang dem Kindeswohl dient (§ 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB), beziehungsweise dass die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse dem Wohl des Kindes nicht widerspricht und der Antragsteller an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat (§ 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt das Begehren des mutmaßlichen leiblichen Vaters unabhängig davon erfolglos, ob leibliche Vaterschaft besteht oder nicht. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Reihenfolge die Anspruchsvoraussetzungen durch das Gericht zu klären sind. Insbesondere ist nicht ausdrücklich geregelt, dass die Abstammungsklärung erst dann erfolgen dürfte, wenn sichergestellt ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
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Von Verfassungs wegen darf die Reihenfolge der Klärung der Tatbestands-voraussetzungen des § 1686a BGB indessen nicht im Belieben des Gerichts stehen, weil die Betroffenen nicht mit Grundrechtseingriffen belastet werden dürfen, die nicht erforderlich sind. Insbesondere dürfen die Gerichte die Reihenfolge nicht allein aus das Gerichtsverfahren betreffenden Praktikabilitätserwägungen wählen. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Familiengrundrecht vielmehr geboten sein, die Abstammungsklärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen; ist hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für die Betroffenen ungleich belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstammungsklärung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 106). Wenn sich die Frage der Kindeswohldienlichkeit oder -verträglichkeit ohne großen Aufwand klären lässt, wird das Gericht danach in der Regel vorab keine Abstammungsuntersuchung anordnen dürfen. Die Anordnung einer Abstammungsuntersuchung vor Klärung der sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 1686a BGB scheidet regelmäßig auch dann aus, wenn nach dem Stand der Ermittlungen unwahrscheinlich ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Je wahrscheinlicher hingegen ist, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und je geringer die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Familienlebens wären, desto eher darf eine Abstammungsuntersuchung vor der abschließenden Klärung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen angeordnet werden. Bei der Beurteilung der Beeinträchtigungen des Familienlebens kann insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers zwischen den Beteiligten streitig ist oder nicht. Der Wortlaut von § 1686a BGB und § 167a FamFG lässt die Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu.
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bb) Dies zugrunde gelegt, begegnet die Anordnung der Abstammungsuntersuchung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl die weiteren Anspruchsvoraussetzungen noch nicht abschließend geklärt sind. Das Oberlandesgericht nimmt in nicht zu beanstandender Weise an, dass erhebliche psychische Auswirkungen der Abstammungsklärung auf die Beteiligten nicht zu befürchten sind, weil hier unstreitig ist, dass eine leibliche Vaterschaft des Antragstellers in Betracht kommt. Das Gericht hat zudem festgestellt, derzeit sehe es die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Insbesondere die vorläufige Annahme, dass die Auskunft dem Wohl des Kindes nicht widerspreche, erscheint hier angesichts des Umstandes nicht unplausibel, dass die Beschwerdeführer zu 1) und 2) selbst einen solchen Anspruch "anerkannt" haben und damit zu erkennen gegeben haben, dass aus ihrer Sicht der Auskunft über das Kind keine unüberwindbaren Kindeswohlbelange entgegenstehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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