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BVerfG 06.12.2013 - 2 BvQ 55/13
BVerfG 06.12.2013 - 2 BvQ 55/13 - Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Abstimmung der SPD-Mitglieder über Koalitionsvertrag - Unzulässigkeit eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens in der Hauptsache mangels statthaften Beschwerdegegenstandes
Normen
Art 21 Abs 1 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 38 Abs 1 S 2 GG, Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Der Antragsteller beantragt bei verständiger Würdigung seines Begehrens, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine Abstimmung ihrer Mitglieder über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchzuführen.
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Zur Begründung seines Antrags trägt er vor, die geplante Abstimmung verstoße gegen Art. 38 Abs. 1 GG, indem sie das Recht der freien Entscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in unzulässiger Weise einschränke. Sie verstoße außerdem gegen Art. 21 Abs. 1 GG. Da die Abgeordneten der SPD überwiegend von Nichtmitgliedern gewählt worden seien, verfälsche die geplante Abstimmung das Ergebnis der Bundestagswahl, indem sie letztlich die Abgeordneten von einer Entscheidung ausschließe und damit der Partei einen zu weitgehenden Einfluss zuweise.
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II.
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Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. BVerfGE 11, 339 442>; 27, 152 156>; 92, 130 133>) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedoch keinen Erfolg, wenn der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 161>; 111, 147 152 f.>; stRspr).
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Nach diesen Grundsätzen kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier nicht in Betracht. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Hier fehlt es bereits an einem im Verfahren der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Beschwerdegegenstand, denn der Antrag richtet sich nicht gegen einen Akt öffentlicher Gewalt im Sinne dieser Vorschriften.
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Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sie erfüllen damit eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Parteiengesetz). Mit der Durchführung einer Abstimmung über einen Koalitionsvertrag unter ihren Mitgliedern in Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe übt die SPD jedoch nicht zugleich auch öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG aus. Öffentliche Gewalt ist vornehmlich der Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ (vgl. BVerfGE 4, 27 30>; s. auch BVerfGE 22, 293 295>; 58, 1 27>).
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Parteien sind nicht Teil des Staates (vgl. BVerfGE 85, 264 287 f.>; 107, 339 361>; 121, 30 53>). Zwar kommt ihnen aufgrund ihrer spezifischen verfassungsrechtlich abgesicherten Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft eine besondere Stellung zu; sie wirken in den Bereich der Staatlichkeit aber lediglich hinein, ohne ihm anzugehören (vgl. BVerfGE 20, 56 100 f.>; 73, 40 85>; 85, 264 287>; 121, 30 53>).
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Jedenfalls der Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen - im Übrigen grundrechtsberechtigten (vgl. BVerfGE 84, 290 299>) - politischen Parteien und die dem vorangehende oder nachfolgende parteiinterne Willensbildung wirken nicht unmittelbar und dergestalt in die staatliche Sphäre hinein, dass sie als - auch in einem weit verstandenen Sinn - staatliches Handeln qualifiziert werden könnten. Koalitionsvereinbarungen bedürfen vielmehr weiterer und fortlaufender Umsetzung durch die regelmäßig in Fraktionen zusammengeschlossenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die als Vertreter des ganzen Volkes jedoch an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).
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Diese Vorschrift gewährleistet für jeden der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewählten Abgeordneten sowohl die Freiheit in der Ausübung seines Mandats als auch die Gleichheit im Status der Vertreter des ganzen Volkes (vgl. BVerfGE 102, 224 237 f.>; 112, 118 134>). So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort und hält damit auch in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse die demokratische Quelle offen, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt (vgl. BVerfGE 112, 118 134>).
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Die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei und Fraktion in Bund und Ländern ist zwar verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt: Das Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann (vgl. BVerfGE 112, 118 135>; 118, 277 328 f.>). Die von Abgeordneten - in Ausübung des freien Mandats - gebildeten Fraktionen (vgl. BVerfGE 80, 188 219 f.>) sind im Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung (vgl. BVerfGE 80, 188 219 f.>; 112, 118 135>).
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Im organisatorischen Zusammenschluss geht die Freiheit und Gleichheit des Abgeordneten jedoch nicht verloren. Sie bleibt innerhalb der Fraktion bei Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten und setzt sich zudem im außengerichteten Anspruch der Fraktion auf proportionale Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung fort (vgl. BVerfGE 112, 118 135>). Wie die politischen Parteien diesen parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliegt unter Beachtung der - jedenfalls hier - nicht verletzten Vorgaben aus Art. 21 und 38 GG sowie des Parteiengesetzes grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung.
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Es ist nicht erkennbar, dass die vom Antragsteller beanstandete Abstimmung für die betroffenen Abgeordneten Verpflichtungen begründen könnte, die über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen hinausginge. Wie diese kann sie nicht von jedermann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (§ 90 Abs. 1 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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