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BVerfG 09.07.2010 - 2 BvR 2258/09
BVerfG 09.07.2010 - 2 BvR 2258/09 - Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts - Erforderlichkeit der PKH-Bewilligung bei krankheitsbedingt mangelnder Fähigkeit, eigene Rechte angemessen selbst wahrzunehmen - Anrechnung der Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Freiheitsstrafen gem § 67 Abs 4 StGB
Normen
Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 22 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 67 Abs 1 StGB, § 67 Abs 4 StGB, § 114 S 1 ZPO, § 121 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Frankfurt, 25. August 2009, Az: 3 Ws 689/09, Beschluss
vorgehend LG Darmstadt, 24. Juni 2009, Az: 2a StVK 717/09, Beschluss
nachgehend BVerfG, 27. März 2012, Az: 2 BvR 2258/09, Beschluss
Tenor
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Dem Beschwerdeführer wird auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt A. zur Wahrung seiner Rechte beigeordnet.
Gründe
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1. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren betrifft die Nichtanrechnung der Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Freiheitsstrafen aus anderen Strafurteilen (§ 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB).
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Der Beschwerdeführer leidet seit seiner Jugend an einer psychischen Erkrankung (chronische schizophrene Psychose). Er wurde in den Jahren 1992 bis 2000 mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt, die wegen Haftunfähigkeit nicht vollstreckt wurden. Durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5. April 2004 wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. In einem psychiatrischen Gutachten war zuvor die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers bejaht worden. Die Maßregel wurde ab 27. Juli 2004 vollstreckt. Im Januar 2009 wurde die Unterbringung unterbrochen und der Beschwerdeführer zur Strafvollstreckung in die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt überführt. Der Zwei-Drittel-Zeitpunkt ist auf den 16. März 2012, der Endstrafentermin auf den 27. Dezember 2013 notiert. In diese Berechnung ist eine weitere Freiheitsstrafe von einem Jahr noch nicht einbezogen. Ein Gnadengesuch zur Vermeidung der Vollstreckung der Freiheitsstrafen wurde im Februar 2009 vom Hessischen Minister der Justiz abgelehnt.
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Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Hanau eine korrigierte Strafzeitberechnung unter Anwendung des § 67 Abs. 4 StGB. Diese wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 26. Mai 2009 unter Verweis auf die Rechtslage abgelehnt. Dagegen legte der Beschwerdeführer am 5. Juni 2009 Beschwerde ein. Das Landgericht Darmstadt wies die Einwendungen des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 24. Juni 2009 zurück. Der Wortlaut des § 67 Abs. 4 StGB erlaube eine Anrechnung eindeutig nur auf die Strafe aus demselben Strafurteil. Die Rechtsprechung halte einhellig an dieser Auslegung fest. Das Bundesverfassungsgericht habe § 67 Abs. 4 StGB als mit dem Grundgesetz vereinbar erachtet. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wies die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 25. August 2009 zurück. Die Auffassung des Beschwerdeführers sei zwar Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens gewesen, habe aber keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Nur im Falle einer Gesamtstrafenbildung wäre eine Anrechnung denkbar, hier könne eine solche aber nicht erfolgen.
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2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. § 67 Abs. 4 StGB hätte verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden müssen, dass die Dauer der Unterbringung im Maßregelvollzug auf alle Freiheitsstrafen angerechnet werde. Wenn die Norm nicht in diesem Sinne ausgelegt werden könne, sei die Regelung verfassungswidrig, da sie dann zu einer unverhältnismäßigen Kumulierung der Freiheitsentziehungen führen würde.
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3. Der Beschwerdeführer beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung des Rechtsanwalts A. aus M. Diesem Antrag ist - ohne dass dies für die Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG vorgreiflich wäre - zu entsprechen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Beschwerdeführer entsprechend §§ 114 ff. ZPO zulässig (vgl. BVerfGE 1, 109 110 ff.>; 1, 415 416>; 79, 252 253>; 92, 122 123>), allerdings nur dann, wenn dies unbedingt erforderlich erscheint (vgl. BVerfGE 27, 57; 78, 7 19>; 92, 122 123>). Von einer solchen Erforderlichkeit ist im vorliegenden Fall auszugehen. Der Beschwerdeführer ist ersichtlich nicht selbst in der Lage, seine Rechte angemessen wahrzunehmen. Der zuletzt in der Sache tätige Sachverständige diagnostizierte eine schizophrene Psychoseerkrankung (derzeit weitgehend remittiert) und einen niedrigen Intelligenzquotienten.
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b) Der Antrag ist auch im Übrigen begründet. Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, erhält gemäß § 114 Satz 1 ZPO auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Beschwerdeführer ist nicht zur Aufbringung der Kosten der Prozessführung durch Beauftragung eines Rechtsanwalts in der Lage. Er verfügt ausweislich seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse über kein Einkommen und Vermögen. Die Justizvollzugsanstalt hat bestätigt, dass der Beschwerdeführer in der Haft derzeit unverschuldet ohne Arbeit ist. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls derzeit nicht auszuschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar bereits zu der Frage geäußert, ob die Anrechnungsregel des § 67 Abs. 4 StGB mit dem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar ist, und diese Frage bejaht (vgl. BVerfGE 91, 1 für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Dezember 1994 - 2 BvR 1914/92, 2105/93 -, NJW 1995, S. 2405 für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 2134/04 -, juris Rn. 2). Allerdings wurde dabei nur der Fall geprüft, bei dem es um die Anrechnung der Dauer der Maßregel auf die mit demselben Urteil ausgesprochene Freiheitsstrafe ging. Wenn es aber um die Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen geht, stellt sich die Frage, ob hier die Freiheitsentziehung nicht insgesamt übermäßig wird (vgl. BVerfGE 91, 1 32 f.>; 109, 133 178>). Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erscheint insoweit auch nicht mutwillig.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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