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BFH 14.07.2020 - VIII R 6/17
BFH 14.07.2020 - VIII R 6/17 - Erstmaliger Eintritt der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Günstigerprüfung nach Eintritt der Bestandskraft
Normen
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 351 Abs 1 AO, § 32d Abs 6 EStG 2009, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 30. März 2017, Az: 15 K 2258/14, Urteil
Leitsatz
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Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.03.2017 - 15 K 2258/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden für das Streitjahr 2010 zusammenveranlagt.
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Der Kläger erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus der Beteiligung als Mitunternehmer an einer KG. In der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr wurden ihm (zunächst) Einkünfte als Mitunternehmer der KG in Höhe von 305.814,15 € zugerechnet.
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In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger in ihren Anlagen KAP jeweils eine Überprüfung des Steuereinbehalts für sämtliche Kapitaleinkünfte gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG). Die Kapitalerträge hatten durchweg dem inländischen Steuerabzug unterlegen. Bei beiden Klägern war im Rahmen des Kapitalertragsteuereinbehalts kein Sparerpauschbetrag berücksichtigt worden.
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Die Kläger stellten in der Einkommensteuererklärung keinen Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG. Hierzu bestand aufgrund der Höhe der Einkünfte des Klägers kein Anlass, da eine Hinzurechnung der Kapitalerträge der Kläger zu den übrigen Einkünften nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung geführt hätte.
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In dem für das Streitjahr 2010 ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 03.01.2012 und einem geänderten Bescheid vom 01.02.2012 wurden die Kapitalerträge der Kläger als Einkünfte aus Kapitalvermögen veranlagt, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterlagen. Nach Abzug der Sparerpauschbeträge entfielen auf den Kläger Kapitaleinkünfte in Höhe von 31.629 € und auf die Klägerin in Höhe von 0 €. Der dem ersten Bescheid für das Streitjahr beigefügte Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--) wurde im geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 01.02.2012 aufgehoben. Dieser Einkommensteuerbescheid wurde nicht angefochten und daher bestandskräftig.
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In einer späteren gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr wurden für den Kläger Einkünfte aus der KG in Höhe von Null € festgestellt.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ daraufhin unter dem 04.04.2014 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Der Ansatz der Kapitalerträge der Kläger blieb unverändert. Die festgesetzte Einkommensteuer minderte sich aufgrund der geänderten Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb von zuvor 118.311 € auf 7.733 €. Auf Grundlage der im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 04.04.2014 berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen konnte ein Antrag der Kläger auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG erstmals zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führen.
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Die Kläger erhoben Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 04.04.2014. Sie beantragten, die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG durchzuführen, die Kapitaleinkünfte den übrigen tariflich besteuerten Einkünften hinzuzurechnen und die festzusetzende Steuer herabzusetzen.
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Das FA folgte dem nicht. Es verwarf den Einspruch der Kläger als unzulässig. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 01.02.2012 sei bestandskräftig gewesen und gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zugunsten der Kläger geändert worden. Damit unterliege der Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 04.04.2014 der Anfechtungsbeschränkung gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 1 AO. Entgegen der Auffassung der Kläger sei der Einspruch auch nicht gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO zulässig, da die nunmehr begehrte weitere Herabsetzung der Steuer sich nicht auf eine die Bestandskraft der Steuerfestsetzung durchbrechende Korrekturvorschrift stützen lasse.
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Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt. Es änderte den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.04.2014 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zugunsten der Kläger. Die Begründung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1592 mitgeteilt.
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Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Bundesrechts. Das FG habe § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO fehlerhaft angewendet. Der geänderte Ansatz der gewerblichen Einkünfte des Klägers im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.04.2014 sei kein Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das auf den Steueranspruch zurückwirke. Auch wenn die Besteuerung der Kapitalerträge der Kläger auf Grundlage der Günstigerprüfung nach den im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.04.2014 erfassten Besteuerungsgrundlagen steuerlich vorteilhafter sei, bestehe für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht das erforderliche materiell-rechtliche Bedürfnis. Denn die Einkommensteuerfestsetzung sei sowohl rechtmäßig, wenn die Kapitaleinkünfte den tariflich besteuerten Einkünften hinzugerechnet würden, als auch in dem Fall, dass die Hinzurechnung unterbleibe.
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Das FA beantragt,
das Urteil des FG Köln vom 30.03.2017 - 15 K 2258/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Das FG hat zu Recht über eine zulässige Anfechtungsklage der Kläger entschieden (s. unter II.1.) und die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr vom 04.04.2014 zugunsten der Kläger gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO in Verbindung mit dem im Einspruchsverfahren erstmals gestellten Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG als erfüllt angesehen (s. unter II.2.). Die Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu den tariflich besteuerten Einkünften führt zu einer Herabsetzung der Steuer in der begehrten Höhe. Das FG hat die Höhe der den übrigen Einkünften hinzuzurechnenden Kapitalerträge zutreffend ermittelt (s. unter II.3.).
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1. Die Klage ist vom FG zutreffend als Anfechtungsklage in der Variante der Abänderungsklage (§ 40 Abs. 1 Alternative 2 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO) behandelt worden. Das Begehren der Kläger, aufgrund des Antrags auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG die Einkommensteuer herabzusetzen, war Gegenstand des Einspruchs, den die Kläger gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.04.2014 eingelegt haben. Der Einspruch war entgegen der Auffassung des FA gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO zulässig, da die Kläger sich für die begehrte Herabsetzung der Steuer auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (s. dazu unter II.2.) als die Bestandskraft der Steuerfestsetzung durchbrechende Korrekturvorschrift stützen können. Die Kläger haben somit zu Recht den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.04.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2014 (vgl. § 44 Abs. 2 FGO) beim FG angefochten und dessen Änderung beantragt. Die Sachentscheidungsvoraussetzung eines erfolglos gebliebenen Einspruchsverfahrens ist ebenfalls erfüllt. Das Einspruchsverfahren, welches eine Entscheidung über das Änderungsbegehren der Kläger umfasste, wurde durch die Einspruchsentscheidung vom 31.07.2014 erfolglos abgeschlossen.
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2. Das FG hat zutreffend bejaht, dass die Kläger im Einspruchsverfahren einen Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG erstmals erfolgreich stellen konnten und die Voraussetzungen für eine Änderung des geänderten Einkommensteuerbescheids vom 04.04.2014 zugunsten der Kläger gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO erfüllt waren.
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Beim Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG handelt es sich zwar um ein unbefristetes Wahlrecht, die von den Klägern begehrte Herabsetzung der festzusetzenden Steuer setzt neben der Antragstellung aber gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO zusätzlich voraus, dass sich die Kläger auf eine verfahrensrechtliche Korrekturvorschrift stützen können, die die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu ihren Gunsten durchbricht (s. unter II.2.a). Die Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheids zugunsten der Kläger gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen vor (s. unter II.2.b).
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a) Der Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG kann zeitlich unbefristet gestellt werden. Die Möglichkeit, aufgrund der Antragstellung eine Herabsetzung der festzusetzenden Einkommensteuer zu erreichen, wird aber durch das allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft und die Regelung des § 351 Abs. 1 AO begrenzt (vgl. Senatsurteil vom 12.05.2015 - VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 10, 11; FG Münster, Urteil vom 22.03.2013 - 4 K 3386/12 E, EFG 2013, 940, Rz 31, sowie Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 18.01.2016 - IV C 1-S 2252/08/10004:017, BStBl I 2016, 85, Rz 149; s. zu § 32d Abs. 4 EStG Senatsurteil vom 09.08.2016 - VIII R 27/14, BFHE 255, 51, BStBl II 2017, 821, und Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.08.2019 - X R 16/17, BFHE 266, 163, BStBl II 2020, 99). Wird --wie im Streitfall-- ein Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG vom Steuerpflichtigen erstmals nach Ergehen eines Änderungsbescheids gestellt und lässt sich hierdurch eine Steuerminderung erzielen, kann diese gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO nur berücksichtigt werden, soweit die Bestandskraft der Steuerfestsetzung aufgrund einer verfahrensrechtlichen Änderungsvorschrift (etwa §§ 172 ff. AO) zugunsten des Antragstellers durchbrochen werden kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 11; s.a. BFH-Urteile vom 09.12.2015 - X R 56/13, BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967, Rz 26; vom 26.04.2018 - III R 12/17, BFH/NV 2018, 948, Rz 27; zu § 32d Abs. 4 EStG BFH-Urteil in BFHE 266, 163, BStBl II 2020, 99, Rz 39; ebenso BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 149). § 32d Abs. 6 EStG enthält selbst keine Rechtsgrundlage für die Änderung einer bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen (Senatsurteil in BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 12).
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Das FG hat § 32d Abs. 6 EStG danach zutreffend als zeitlich unbefristetes Wahlrecht eingeordnet. Die Änderung des formell bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids der Kläger für das Streitjahr vom 01.02.2012 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eröffnete gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 1 AO --wie vom FG angenommen-- keinen Änderungsrahmen für eine noch weiter gehende Herabsetzung der bestandskräftig festgesetzten Steuer zugunsten der Kläger. Hierzu bedurfte es gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO --neben der Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG-- einer weiteren verfahrensrechtlichen Korrekturvorschrift, die das FG im Streitfall zu Recht in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (s. unter II.2.b) gesehen hat.
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b) Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr vom 04.04.2014 ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist, das einen korrekturbedürftigen Zustand im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Steuer ausgelöst hat.
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aa) Ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfordert, dass sich eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts in die Vergangenheit auswirkt, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 - GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.a bis c, m.w.N.). Es muss aufgrund des Ereignisses ein korrekturbedürftiger Zustand geschaffen werden und das Bedürfnis bestehen, die schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12.07.1989 - X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, unter 1.a und b; vom 20.08.2014 - X R 33/12, BFHE 247, 105, BStBl II 2015, 138, Rz 13, 17).
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bb) Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid, die aufgrund darin berücksichtigter veränderter Besteuerungsgrundlagen dem Steuerpflichtigen nach Eintritt der Bestandskraft erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
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aaa) Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Antragstellung selbst kein rückwirkendes Ereignis (Senatsurteil in BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 24, mit Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 247, 105, BStBl II 2015, 138, Rz 20; ebenso zum Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG BFH-Urteil in BFHE 266, 163, BStBl II 2020, 99, Rz 45). Gemeint ist hiermit der Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorliegen, also die Hinzurechnung der Kapitalerträge zu den übrigen Einkünften aufgrund der der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt, und es allein an der notwendigen Antragstellung fehlt. Wird der Antrag in diesem Fall nach Eintritt der Bestandskraft erstmals gestellt, ist die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
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bbb) Hiervon abzugrenzen ist jedoch die im Streitfall vorliegende Konstellation. Tatbestandliche Voraussetzung eines Antrags auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ist --wie dargelegt--, dass eine Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu den übrigen Einkünften zu einer niedrigeren Festsetzung der Einkommensteuer samt der Zuschlagsteuern führt (s. Senatsurteil vom 30.11.2016 - VIII R 11/14, BFHE 256, 455, BStBl II 2017, 443). Ob die Steuer aufgrund einer Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte niedriger festzusetzen ist, richtet sich nach den Besteuerungsgrundlagen, die in demjenigen Bescheid enthalten sind, für den die Günstigerprüfung durchgeführt werden soll. Werden nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt, dass ein Antrag gemäß § 32d Abs. 6 EStG --erstmals erfolgreich-- gestellt werden kann, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Denn durch den Erlass des Änderungsbescheids verändert sich nach Eintritt der Bestandskraft der maßgebliche Sachverhalt für die Beurteilung der Frage, ob die Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt.
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cc) Durch die nach Eintritt der Bestandskraft aufgrund des Änderungsbescheids entstehende Möglichkeit, einen Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG erstmals erfolgreich stellen zu können, entsteht entgegen der Auffassung des FA ein Zustand, der das Bedürfnis auslöst, die bestandskräftige Steuerfestsetzung an die geänderte Situation anzupassen.
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Zwar ist dem FA zuzugeben, dass der Steuerpflichtige es nach Ergehen des Änderungsbescheids auch unterlassen kann, einen Antrag auf Günstigerprüfung zu stellen und er die höhere Belastung seiner Kapitaleinkünfte hinnehmen kann, ohne dass die Steuerfestsetzung für das Streitjahr hierdurch rechtswidrig würde. Dieser Umstand spricht aber nicht gegen die Korrekturbedürftigkeit der bestandskräftigen Steuerfestsetzung in der im Streitfall vorliegenden Konstellation. Verneinte man eine Korrekturmöglichkeit gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wäre für einen Steuerpflichtigen, der nach Eintritt der Bestandskraft aufgrund eines Änderungsbescheids erstmals einen erfolgreichen Antrag auf Günstigerprüfung stellen kann, die effektive Ausübung des Wahlrechts gänzlich ausgeschlossen. Eine Antragstellung (z.B. im Rahmen der Einkommensteuererklärung "ins Blaue hinein") wäre vor dem Ergehen des Änderungsbescheids objektiv sinnlos. Nach Ergehen des Änderungsbescheids könnte sie gemäß § 351 AO aber mangels einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingreifenden Korrekturvorschrift nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führen. Denn eine andere verfahrensrechtliche Korrekturvorschrift als § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, die zugunsten des Steuerpflichtigen in dieser Situation eingreifen könnte, ist nicht ersichtlich. Das Wahlrecht gemäß § 32d Abs. 6 EStG ginge ins Leere, obwohl der Gesetzgeber es als unbefristetes Wahlrecht ausgestaltet hat, das nicht im Rahmen der Einkommensteuererklärung auszuüben ist. Für diese Sichtweise spricht auch, dass das Wahlrecht gemäß § 32d Abs. 6 EStG Sozialzwecknormcharakter hat und die Härten der abgeltenden Besteuerung der Kapitaleinkünfte abfedern und insbesondere Steuerpflichtigen, deren Belastung mit der tariflichen Einkommensteuer auf Kapitaleinkünfte niedriger als der gesonderte Steuertarif in Höhe von 25 % ist --hier: den Klägern--, die Möglichkeit eröffnen soll, ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen gemeinsam mit den übrigen Einkünften der niedrigeren tariflichen Belastung zu unterwerfen (Senatsurteile vom 28.01.2015 - VIII R 13/13, BFHE 249, 125, BStBl II 2015, 393, Rz 13; in BFHE 256, 455, BStBl II 2017, 443, Rz 41; BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 149).
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3. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass bei Durchführung der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG die Kapitaleinkünfte der Kläger in der bislang veranlagten Höhe den übrigen Einkünften hinzuzurechnen sind (s. zur Hinzurechnung Senatsurteil in BFHE 249, 125, BStBl II 2015, 393; BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 149, 150). Die Vorentscheidung ist danach auch zur Höhe der vom FG festgesetzten Steuer nicht zu beanstanden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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