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BFH 15.05.2019 - XI R 14/17
BFH 15.05.2019 - XI R 14/17 - Zum Beweiswert eines "Freistempler"-Aufdrucks mit Datumsanzeige
Normen
§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 FGO, § 120 Abs 1 S 1 FGO, § 126 FGO, § 155 S 1 FGO, § 85 ZPO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 12. Januar 2017, Az: 5 K 23/15 U, Urteil
Leitsatz
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NV: Dem "Freistempler"-Aufdruck kommt eine geringere Beweiskraft zu als dem Poststempel. Die Freistempelung des Briefes besagt lediglich, dass die Sendung versandfertig gemacht worden, nicht aber, dass es auch tatsächlich zur rechtzeitigen Versendung gekommen ist .
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12. Januar 2017 5 K 23/15 U wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GbR, wegen Umsatzsteuer 2013 war erfolglos (Urteil des Finanzgerichts --FG-- Münster 12. Januar 2017 5 K 23/15 U, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2017, 703).
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Das Urteil des FG ist den Beteiligten am 20. Februar 2017 durch Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die Revisionsbegründungsschrift ist am Freitag, den 21. April 2017, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Der Freistempel auf dem Briefumschlag der Revisionsbegründungsschrift weist als Datum den 18. April 2017 aus. Nachdem die Geschäftsstelle des XI. Senats des BFH den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 24. April 2017 auf die verspätet eingegangene Begründung der Revision hingewiesen hat (zugestellt mit Zustellungsurkunde am 27. April 2017), beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 28. April 2017 (beim BFH eingegangen am 4. Mai 2017) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist unzulässig. Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
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1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.
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Im Streitfall ist die Begründung der Revision verspätet beim BFH eingegangen. Das Urteil des FG vom 12. Januar 2017 ist am 20. Februar 2017 per Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Erst am 21. April 2017 reichte die Klägerin die Begründung der Revision beim BFH ein.
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2. Die mit Schriftsatz vom 28. April 2017 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen sind nicht glaubhaft gemacht worden.
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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Mai 2002 X B 156/01, BFH/NV 2002, 1461, unter II.1.; vom 22. Mai 2018 XI R 22/17, BFH/NV 2018, 961, Rz 15). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).
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Wiedereinsetzung erfordert in formeller Hinsicht, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig (alle entscheidungserheblichen Umstände), substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, unter 2.a; vom 15. Dezember 2011 II R 16/11, BFH/NV 2012, 593, unter II.1., m.w.N.; vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13; BFH-Urteil vom 31. Januar 2017 IX R 19/16, BFH/NV 2017, 885, Rz 21).
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b) Dem Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lässt sich eine vollständige und substantiierte Darlegung der Tatsachen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung der Fristeinhaltung ergibt, nicht entnehmen.
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aa) Die Klägerin stützt sich mit ihrem Vortrag darauf, dass sie als Postkunde darauf vertrauen konnte, dass zur Fristeinhaltung gegenüber Behörden und Gerichten eine Zustellung am nächsten Werktag erfolge. Da sie die Revisionsbegründungsschrift am 18. April 2017 zur Post aufgegeben habe --dies belege der Stempel mit Datum auf dem Briefumschlag der Sendung--, hätte sie daher auf eine rechtzeitige Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift vertrauen können.
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bb) Der Steuerpflichtige darf zwar darauf vertrauen, dass die von der Post nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden. Werden sie überschritten, darf dem Steuerpflichtigen dieser Umstand, da er darauf keinen Einfluss hat, im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht als Verschulden zur Last gelegt werden (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juni 1988 III R 177/85, BFH/NV 1989, 351; vom 24. Januar 2002 III R 5/01, BFH/NV 2002, 778; vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96, jeweils m.w.N.; vom 28. Oktober 2008 VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, unter B.I.2., Rz 31). Zwar kann man daher darauf vertrauen, dass werktags im Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen unabhängig davon, ob sie bei der Deutschen Post AG oder bei privaten lizenzierten Postdienstleistungsunternehmen aufgegeben werden, am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, unter B.I.2., Rz 31, m.w.N.). Dies setzt aber voraus, dass der streitige Schriftsatz rechtzeitig zur Post aufgegeben worden ist. Dies hat die Klägerin nicht substantiiert und vollständig dargelegt.
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cc) Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass die rechtzeitige Aufgabe zur Post durch den Stempel auf dem Briefumschlag der Revisionsbegründungsschrift nachgewiesen wurde, kann dem nicht gefolgt werden. Dem "Freistempler"-Aufdruck (mit Datum "18.04.17" und Werbeteil des Prozessbevollmächtigten) kommt eine geringere Beweiskraft zu als dem Poststempel (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Februar 1985 VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30, unter 2.; vom 4. August 1997 I B 22/97, juris, Rz 3; vom 27. Februar 2002 III B 134/01, juris, Rz 5; BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 66/99, BFH/NV 2002, 358, unter II.2.b aa). Die Freistempelung des Briefes besagt lediglich, dass die Sendung versandfertig gemacht worden ist, nicht aber, dass es auch tatsächlich zur rechtzeitigen Versendung gekommen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. August 2004 I B 40/04, juris, Rz 8; vom 27. Februar 2002 III B 134/01, juris, Rz 5).
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dd) Im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 56 Abs. 2 FGO bedarf es daher einer weiteren Darlegung und Glaubhaftmachung, wann ein Schriftstück zur Post gegeben worden ist. Insbesondere sind Angaben dazu erforderlich, wann (Tag, Uhrzeit) und von wem die Sendung in welcher Weise (Einwurf in einem bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale) zur Post gegeben wurde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 645; vom 4. August 1997 I B 22/97, juris, Rz 3; vom 10. August 2004 I B 40/04, juris, Rz 7; BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 358, unter II.2.b aa; in BFH/NV 2017, 885, Rz 22). Solche Angaben sind anhand geeigneter (präsenter) Beweismittel, wie z.B. einer eidesstattlichen Versicherung, einem Postausgangsbuch und einem Fristenkontrollbuch glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1986, 30, unter 2.; BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 885, Rz 22, m.w.N.). Dies hat die Klägerin unterlassen.
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Nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können wesentliche Lücken in der Darstellung nicht mehr geschlossen, Widersprüche nicht mehr beseitigt, nachträglich vielmehr allenfalls Erläuterungen gegeben werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 358; BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, m.w.N.; vom 23. Februar 2011 VIII B 146/09, BFH/NV 2011, 1366, Rz 6; vom 2. Dezember 2014 III B 36/14, BFH/NV 2015, 505, Rz 13; s.a. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Rz 18, m.w.N.). Dieser Begründungspflicht sind die Prozessbevollmächtigten hier in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen; dies muss sich die Klägerin gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (s. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 1999 VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; vom 18. Februar 2000 I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108; vom 4. September 2017 XI B 107/16, BFH/NV 2017, 1412, Rz 36). Die Prozessbevollmächtigten haben in diesem Sinne weder vorgetragen wer zu welcher Zeit und in welcher Weise das fristgebundene Revisionsbegründungsschreiben zur Post gegeben hat noch wurden präsente Beweismittel hierzu beigebracht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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