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BFH 15.11.2017 - I B 27/17
BFH 15.11.2017 - I B 27/17 - Unsubstantiierter Beweisantrag - Prüfung einer Steuerhinterziehung als Voraussetzung einer verlängerten Festsetzungsfrist
Normen
§ 169 Abs 2 S 2 AO, § 370 Abs 1 AO, § 74 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 81 Abs 1 S 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 7. Februar 2017, Az: 2 K 3154/15, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Unsubstantiierten Beweisanträgen eines Beteiligten muss das FG nicht nachgehen .
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2. NV: Die Finanzgerichte haben den Tatbestand der Steuerhinterziehung als Voraussetzung einer auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist in eigener Zuständigkeit nach den Verfahrensvorschriften der AO und der FGO zu prüfen. Eine Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung im Strafverfahren besteht nicht .
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 7. Februar 2017 2 K 3154/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis 31. Juli 2007 bei der A GmbH angestellt. Für den Verlust seines Arbeitsplatzes erhielt der Kläger im August 2007 von der vormaligen Arbeitgeberin eine Abfindungszahlung von ... €.
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Gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) gab der Kläger in seiner im Juli 2009 eigereichten Steuererklärung für das Streitjahr (2007) an, er sei ab Juni 2007 in X (Vereinigte Arabische Emirate --VAE--) wohnhaft gewesen und daher im Hinblick auf die Abfindungszahlung beschränkt steuerpflichtig. In der Lohnsteuerbescheinigung war die Abfindung als nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfreier Arbeitslohn eingetragen. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 setzte das FA die Einkommensteuer des Klägers in der Weise fest, dass es die Abfindungszahlung nicht in die Bemessungsgrundlage einbezog.
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Nachdem im Juni 2014 ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden war, kam das FA zu der Auffassung, dass der Kläger seinen inländischen Wohnsitz nach dem 31. Mai 2007 nicht vollständig aufgegeben habe und daher auch im Zeitpunkt der Abfindungszahlung noch unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Das FA nahm des Weiteren an, der Kläger habe den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht. Es erließ am 5. Oktober 2015 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) einen geänderten Steuerbescheid für das Streitjahr, in dem es die Abfindungszahlung zur Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer hinzurechnete.
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Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) München hat sie mit Urteil vom 7. Februar 2017 2 K 3154/15 als unbegründet abgewiesen.
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Der Kläger beantragt mit seiner Beschwerde, die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.
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Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
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1. Der Kläger rügt, das FG habe unter Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) vom Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2017 gestellte Beweisanträge auf Vernehmung von insgesamt 15 Zeugen übergangen. Das FG war jedoch auf der Grundlage seiner --für die Prüfung auf Verfahrensmängel maßgeblichen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Mai 2017 II R 35/15, BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966)-- materiell-rechtlichen Sichtweise nicht gehalten, den Beweisangeboten nachzugehen.
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a) Den Beweisangeboten des Klägers war ein richterlicher Hinweis mit Aufklärungsanordnung des FG vom 15. November 2016 vorausgegangen. Darin hat die Berichterstatterin die später auch im angefochtenen Urteil zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des FG dargelegt, der zufolge der inländische Besteuerungszugriff auf die Abfindung --auch unter Beachtung des mit den VAE seinerzeit bestehenden DBA-- dann gegeben wäre, wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung entweder einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hätte und dass aus Sicht des FG nach gegenwärtiger Aktenlage beides zu bejahen sei. Der Kläger wurde auch darauf hingewiesen, welche tatsächlichen Anforderungen an einen inländischen Wohnsitz zu stellen sind und dass es dafür nicht erforderlich sei, dass die inländische Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen bilde. Der Kläger wurde vom FG aufgefordert, seinen Sachvortrag u.a. zur Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und zum gewöhnlichen Aufenthalt durch Unterlagen oder andere Beweismittel nachzuweisen.
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b) Darauf hat der Kläger in der Weise reagiert, dass er mit dem erwähnten Schreiben vom 15. Januar 2017 eine Liste von 15 Zeugen eingereicht hat, die --so der Kläger-- "befragt werden können, wo im Streitjahr 2H/2007 mein Lebensmittelpunkt gewesen ist". Das FG hat diesen Beweisanträgen nicht entsprochen, weil zum einen die Frage des Lebensmittelpunkts unerheblich für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes sei und zum anderen den Beweisanträgen eine substantiierte Behauptung von Tatsachen, die der jeweilige Zeuge bekunden solle, fehle; es handele sich um Beweisanträge "ins Blaue hinein" bzw. unzulässige Ausforschungsbeweise.
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c) Das FG hat dadurch weder die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht noch die Grundsätze zur Beweiserhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt. Die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juli 2016 V B 4/16, BFH/NV 2016, 1740). Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2016 VI B 50/16, BFH/NV 2017, 598). Demgegenüber muss das FG unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachgehen; eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist in der Zurückweisung von unsubstantiierten Beweisanträgen nicht zu sehen. Ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (BFH-Urteil in BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966).
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Nach diesen Grundsätzen musste das FG den Beweisanträgen des Klägers nicht entsprechen. Denn auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Beurteilung des FG war die Frage, ob der Kläger in der zweiten Jahreshälfte 2007 seinen Lebensmittelpunkt im Inland oder in den VAE hatte, nicht entscheidungserheblich. Vor dem Hintergrund des richterlichen Hinweisschreibens vom 15. November 2016, in dem das FG explizit darauf hingewiesen hatte, dass ein Wohnsitz im Inland nicht voraussetze, dass auch der Lebensmittelpunkt im Inland liege, bieten die Ausführungen im Schreiben des Klägers vom 15. Januar 2017 --entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung-- keinen Anhalt dafür, die Beweisangebote "bei verständiger Würdigung" dahin auszulegen, dass sie auch zum Nachweis dafür dienen sollten, dass der Kläger den bisherigen Familienwohnsitz im Inland Ende Mai 2007 vollständig aufgegeben habe. Dass der Kläger bei der Abfassung des Schreibens vom 15. Januar 2017 nicht mehr durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertreten war, ändert daran nichts, weil die Hinweise der Berichterstatterin auch für einen juristischen Laien gut verständlich gewesen sind.
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Zudem hat das FG die Beweisanträge zu Recht als unsubstantiiert angesehen. Denn der Kläger hat sich auf die pauschale Benennung der Zeugen zum Problemkreis des Lebensmittelpunkts beschränkt, ohne dass anhand seiner Angaben ersichtlich wäre, aufgrund welcher Wahrnehmungen die angebotenen Zeugen über welche konkreten Sachverhalte Auskünfte hätten geben können (vgl. zu diesem Erfordernis BFH-Beschluss vom 24. September 2013 XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164).
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2. Soweit der Kläger rügt, das FG habe sich nicht mit dem Schreiben von Rechtsanwältin B zum Scheidungsverfahren des Klägers vom ... 2016 befasst, räumt er selbst ein, dass dieses Schreiben dem FG nicht zur Kenntnis gebracht worden ist; ein Verfahrensmangel scheidet daher aus. Neuer Sachvortrag kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden. Darüber hinaus lassen die Ausführungen in dem Schreiben, denen zufolge sich der Kläger im Jahr 2007 von seiner Ehefrau getrennt und nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses "mit der erhaltenen Abfindung ins Ausland gegangen" sei, um sich dort eine neue berufliche Existenz aufzubauen, keinen Schluss darauf zu, inwiefern im August 2007 die Voraussetzungen eines inländischen Wohnsitzes auf Seiten des Klägers noch gegeben waren oder nicht.
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3. Entgegen der Ausführungen in der Beschwerdebegründung war das FG nicht verpflichtet, den Rechtsstreit gemäß § 74 FGO bis zum Abschluss des gegen den Kläger laufenden Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung auszusetzen. Vielmehr war das FG gehalten, den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO als Voraussetzung einer nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist in eigener Zuständigkeit nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013 VIII R 27/10, BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295). Ein verfahrensrechtlicher Vorrang eines Strafverfahrens gegenüber dem Verfahren der Steuerfestsetzung besteht nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der strafrechtlichen Unschuldsvermutung.
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4. Die weiteren Einwendungen des Klägers zur Beweis- und Sachverhaltswürdigung sowie zur materiell-rechtlichen Beurteilung des Streitfalls durch das FG weisen keine hinreichenden Bezüge zu einem der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO auf und entsprechen daher nicht den Darlegungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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