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BFH 20.01.2016 - VI R 62/13
BFH 20.01.2016 - VI R 62/13 - Aufwendungen für ein Schlichtungsverfahren wegen Bergschäden als außergewöhnliche Belastungen
Normen
§ 33 EStG 2009, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 8. August 2013, Az: 11 K 3540/12 E, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Kosten eines Schlichtungsverfahrens vor der Schlichtungsstelle Bergschaden NRW können außergewöhnliche Belastungen sein, wenn der Steuerpflichtige aufgrund des Bergschadens Gefahr läuft, sein Wohnhaus nicht mehr zu Wohnzwecken nutzen zu können.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 8. August 2013 11 K 3540/12 E aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist die Berücksichtigung von Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr (2010) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Seit Dezember 2010 ist der Kläger Eigentümer des Objekts A-Weg in A-Stadt, das sich in einem ehemaligen Bergbaugebiet befindet. Er übernahm das Zweifamilienhaus aufgrund notariellen Übergabevertrags vom 4. März 2010 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern. Besitz, Nutzungen und Lasten gingen am 1. April 2010 auf ihn über.
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In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Bergbauschaden an dem Objekt in Höhe von 5.388 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Hierbei handelte es sich um Rechtsanwaltsgebühren für die Vertretung in einem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle Bergschaden in Nordrhein-Westfalen (NRW) in Höhe von 3.111,85 € sowie um Gutachterkosten im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren in Höhe von 2.275,28 €.
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Hintergrund dieser Aufwendungen war, dass die Eltern des Klägers im Jahr 2009 einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem zuständigen Bergbauunternehmen X geltend gemacht hatten. Dieses hatte zunächst weitere --über eine im Jahr 2007 erfolgte Schadensregulierung hinausgehende-- Entschädigungszahlungen abgelehnt. Daraufhin hatten die Eltern des Klägers ein Schlichtungsverfahren bei der Schlichtungsstelle Bergschaden NRW beim Regionalverband Ruhr eingeleitet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2011 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach X 22.000 € zu zahlen hatte. Die Zahlung erfolgte auf das Konto des Klägers.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Einkommensteuerbescheid vom 10. August 2011 ab, weil es sich nicht um zwangsläufige Aufwendungen handele. Die Klage hatte nach erfolglosem Einspruchsverfahren aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 199 veröffentlichten Gründen Erfolg.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat kann auf Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418; Senatsurteil vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
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a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553).
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b) Demgegenüber nahm der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.
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c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.
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2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Ein Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen kommt demnach nur insoweit in Betracht, als existenziell wichtige Bereiche oder der Kernbereich menschlichen Lebens betroffen ist. Liefe der Steuerpflichtige Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, eine rechtliche Auseinandersetzung zu führen, sodass die hieraus entstandenen Aufwendungen als zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG anzusehen sind.
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a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben.
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b) Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat allerdings nicht in der Sache selbst entscheiden. Denn auf Grundlage der bisherigen Feststellungen kann insbesondere nicht entschieden werden, ob der Kläger ohne die Verfolgung der geltend gemachten Ansprüche wegen Bergschadens Gefahr gelaufen wäre, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Das wäre insbesondere der Fall, wenn der Kläger aufgrund eines Bergschadens Gefahr liefe, sein selbstgenutztes Wohnhaus nicht mehr weiter zu Wohnzwecken nutzen zu können (vgl. auch Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 40/13, BFH/NV 2016, 908).
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Das Wohnen betrifft grundsätzlich einen existenziell wichtigen Lebensbereich und gehört zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum (BFH-Urteil vom 6. Mai 1994 III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 1992 2 BvL 5/91 u.a., BStBl II 1993, 413, 418). Auch wenn der Erwerb eines Eigenheims typischerweise nicht das Existenzminimum berührt (BFH-Urteile vom 19. Mai 1995 III R 12/92, BFHE 178, 207, BStBl II 1995, 774, und vom 21. April 2010 VI R 62/08, BFHE 230, 1, BStBl II 2010, 965; vom 20. Januar 2016 VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909) und das elementare private Wohnbedürfnis nicht durch das Wohnen im eigenen Haus befriedigt werden muss, sind Aufwendungen zur Sicherung oder Wiederherstellung der Bewohnbarkeit eines selbstgenutzten Wohnhauses nach Eintritt eines außergewöhnlichen Schadensereignisses nicht grundsätzlich von der Anwendung des § 33 EStG ausgeschlossen (BFH-Urteile in BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104, und vom 9. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240). Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des privaten Wohnens und eine damit einhergehende existenzielle Betroffenheit ist allerdings nicht schon bei jedem Schaden an dem zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus des Steuerpflichtigen gegeben. Eine solche existenzielle Betroffenheit liegt vielmehr nur dann vor, wenn die Nutzung des Wohnhauses zu eigenen Wohnzwecken ernsthaft in Frage gestellt ist.
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Das FG hat bisher keine ausreichenden Feststellungen zum Umfang der eingetretenen oder drohenden Beeinträchtigung durch den Bergschaden getroffen, für den der Kläger in dem Schlichtungsverfahren, auf das die im Streitfall als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Kosten entfielen, Schadensersatz verlangte. Auch aus dem in der Vorentscheidung in Bezug genommenen Schreiben der X vom 9. Oktober 2009 ergibt sich nicht, ob diese Beeinträchtigungen eine derartige Intensität aufweisen, dass sie das Wohnen des Klägers im Haus ernsthaft gefährdeten.
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Sollten die im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen eine solche das Wohnen ernsthaft gefährdende Beeinträchtigung ergeben, ist ein existenziell wichtiger Bereich i.S. der angeführten Rechtsprechungsgrundsätze berührt, sodass der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gezwungen sein kann, sich auf eine rechtliche Auseinandersetzung einzulassen.
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c) Dem Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen stünde dann auch nicht entgegen, dass der Kläger die Schlichtungsstelle Bergschaden NRW angerufen hat, um den Streit beizulegen. Mit der Schlichtungsstelle Bergschaden wird Bergschadensbetroffenen eine sachgerechte Hilfe in Bergschadensfällen angeboten, mit der u.U. eine gerichtliche Auseinandersetzung zur Klärung etwaiger Ersatzansprüche vermieden werden kann. Da es sich um ein anerkanntes Verfahren zur Schlichtung von Bergschäden handelt, stand es bei Vorliegen der angeführten weiteren Voraussetzungen der Zwangsläufigkeit der angefallenen Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht entgegen.
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d) Schließlich ist weitere Voraussetzung für die Abziehbarkeit der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen, dass der Kläger diese auch getragen hat. Dies ist insbesondere nicht der Fall, wenn sie ihm ersetzt wurden (vgl. auch Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 14/13). Ausweislich des in der Vorentscheidung in Bezug genommenen Vergleichs vom 15. Februar 2011 wurden die Aufwendungen für die Beauftragung von Sachverständigen in die Vergleichssumme einbezogen. Eine Berücksichtigung der von dieser Vereinbarung umfassten Gutachterkosten kommt damit nicht in Betracht.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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