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BFH 21.09.2015 - I R 72/14
BFH 21.09.2015 - I R 72/14 - Steuerfreiheit für "technische Fachkräfte" der NATO-Truppen
Normen
§ 1 Abs 1 EStG 2002, Art 10 Abs 1 S 1 NATOTrStat, Art 73 NATOTrStatZAbk, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 28. Oktober 2014, Az: 3 K 1765/12, Urteil
Leitsatz
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1. NV: "Technische Fachkräfte" i.S. des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut sind, auch wenn sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, soweit sie sich nur in dieser Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhalten. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn nach ihren gesamten Lebensumständen erkennbar ist, dass sie nach Beendigung ihres Dienstes in den Ausgangsstaat oder in ihren Heimatstaat zurückkehren werden .
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2. NV: Für die Beurteilung des hiernach maßgeblichen Rückkehrwillens können die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht angewendet werden, weil es an dem erforderlichen typischen Geschehensablauf fehlt .
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 2014 3 K 1765/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Streitjahr 2010 der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlag.
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Der Kläger besitzt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und ist seit 2009 mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verheiratet. Sie leben seit mindestens 2003 gemeinsam mit dem Sohn der Klägerin in deren Einfamilienhaus in X. Für die Finanzierung der Anschaffung/Errichtung dieses Objektes gab der Kläger seinerzeit eine Bürgschaftserklärung gegenüber der finanzierenden Bank ab. Die Klägerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus einer gewerblichen Tätigkeit als …; der Kläger bezog eine Rente als ehemaliges Mitglied der US Air Force.
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Als deren Angehöriger war er in den Jahren 1981 bis 1998 in den USA, Japan und Italien stationiert. 1998 kam er als Electronic Intelligence Artist nach Deutschland (A.-Air Base). Im Jahr 2001 schied er aus dem aktiven Dienst aus, blieb aber in Deutschland und zog mit der Klägerin zusammen. Er war sodann auf der nahe gelegenen Air Base C für die Firma Y --eine Güterversorgungskette des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums-- tätig. Anschließend war er auf dem Flughafen B für diverse, die amerikanischen Streitkräfte unterstützende Firmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten als sog. "technische Fachkraft" beschäftigt. Im Streitjahr waren dies die Firmen L. und P., die als private Arbeitgeber ihren Sitz in den USA hatten. Der Vertrag bei der Firma P. war bis 12. März 2013 befristet. Bereits im September 2011 gab der Kläger diese Tätigkeit auf und ist seither unmittelbar bei den US-amerikanischen Streitkräften auf der Air Base B als "DoD-Employee" beschäftigt, wobei DoD als Abkürzung für das Department of Defence steht. Die Tätigkeit ist bis zum 28. August 2016 befristet, jedoch besteht die Möglichkeit der Verlängerung der Beschäftigung bis Ende August 2018, von der der Kläger Gebrauch machen möchte.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), behandelte den Kläger als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und veranlagte ihn zusammen mit der Klägerin zur Einkommensteuer. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 2014 3 K 1765/12 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 190 veröffentlicht.
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Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision wenden sich die Kläger gegen die von der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Besteuerung technischer Fachkräfte, auf denen die angegriffene Entscheidung beruht.
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Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 21. November 2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 2012 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Kläger im Streitjahr der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlag.
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1. Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter solchen Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 der Abgabenordnung). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Wohnung der Kläger in X diese Voraussetzungen erfüllt.
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2. Gemäß Art. X Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 --NATOTrStat-- (BGBl II 1961, 1190), umgesetzt durch das Gesetz zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen und zu den Zusatzvereinbarungen vom 3. August 1959 zu diesem Abkommen vom 18. August 1961 --Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen-- (BGBl II 1961, 1183) gelten die Zeitabschnitte, in denen sich ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges des Entsendestaates nur in dieser Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhält, jedoch nicht als Zeiten des Aufenthalts oder Wohnsitzes i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Entsprechend dem Wortlaut der Bestimmung greift diese Fiktion dann nicht ein, wenn sich eine Person auch aus anderen Gründen im Inland aufhält. Ein solcher Grund kann beispielsweise die Eheschließung mit einem in der Bundesrepublik wohnhaften und berufstätigen Ehepartner sein; zwingend ist dies allerdings nicht (vgl. dazu Senatsurteil vom 9. November 2005 I R 47/04, BFHE 211, 500, BStBl II 2006, 374, m.w.N.). Für sog. technische Fachkräfte, deren Dienste eine Truppe benötigt und die im Bundesgebiet ausschließlich für diese Truppe als Berater in technischen Fragen oder zwecks Aufstellung, Bedienung oder Wartung von Ausrüstungsgegenständen arbeiten, ist in Art. 73 Satz 1 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 --NATOTrStatZAbk-- (BGBl II 1961, 1218) geregelt, dass sie wie Mitglieder des zivilen Gefolges angesehen und behandelt werden sollen. Zwischen den Beteiligten ist wiederum zu Recht nicht streitig, dass der Kläger als technische Fachkraft in diesem Sinne zu qualifizieren ist.
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3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Senatsurteile in BFHE 211, 500, BStBl II 2006, 374, und vom 22. Februar 2006 I R 17/05, nicht veröffentlicht; BFH-Beschlüsse vom 2. Oktober 2008 VI B 132/07, BFH/NV 2009, 21; vom 26. Mai 2010 VIII B 272/09, BFH/NV 2010, 1819; Senatsbeschluss vom 18. September 2012 I B 10/12, BFH/NV 2013, 27), von der abzugehen kein Anlass besteht, kommt die Fiktion des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat bei einer technischen Fachkraft i.S. des Art. 73 NATOTrStatZAbk allerdings nur unter der Voraussetzung zur Anwendung, dass sich die betreffende Person nur in ihrer Eigenschaft als technische Fachkraft im Inland aufhält bzw. aufgehalten hat.
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Wie der Senat wiederholt geurteilt hat, hält sich eine technische Fachkraft immer dann "nur in dieser Eigenschaft" i.S. von Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat im Inland auf, wenn nach den gesamten Lebensumständen erkennbar ist, dass die betreffende Person in dem maßgeblichen Zeitraum fest entschlossen ist, nach Beendigung ihres Dienstes in den Ausgangsstaat oder in ihren Heimatstaat zurückzukehren (sog. Rückkehrwille). Dass sie dies nach Ablauf ihrer Dienstzeit tatsächlich tut, schließt nicht aus, dass sie zunächst einen weiteren Verbleib im Inland in Betracht gezogen hat; denn die Rückkehr kann auf einem nachträglich gefassten Entschluss beruhen. In einem solchen Fall ist indessen der Inlandsaufenthalt nicht ausschließlich durch das Dienstverhältnis veranlasst. Maßgeblich sind die Lebensumstände aus der Sicht des jeweiligen Besteuerungszeitraums, nicht das spätere Verhalten des Betreffenden, das allenfalls als Indiz herangezogen werden kann. Die Beweislast trifft in diesem Punkt den Steuerpflichtigen. Die Beurteilung, ob im konkreten Einzelfall die technische Fachkraft in diesem Sinne einen Rückkehrwillen hatte, obliegt dem FG als Tatgericht.
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4. Das FG ist in Anwendung dieser Grundsätze nach Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht erwiesen sei, dass der Kläger aus der maßgeblichen Perspektive des Streitjahres den notwendigen Rückkehrwillen besaß. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung ist aus revisionsrichterlicher Sicht nicht zu beanstanden.
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5. a) Sollte das Revisionsvorbringen dahin zu verstehen sein, dass diese Beurteilung rechtlich fehlerhaft war, weil das FG die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugunsten der Kläger nicht angewandt habe (BFH-Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534 zur Reichweite revisionsrechtlicher Überprüfung), muss dieser Rüge der Erfolg versagt bleiben. Denn ein Tatsachennachweis mittels Anscheinsbeweises setzt das Vorliegen eines "typischen Geschehensablaufs" voraus (ausführlich dazu BFH-Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534). Daran fehlt es. Es mag zwar im Ausgangspunkt nach allgemeiner Lebenserfahrung (zur Relevanz dieses Gesichtspunkts BFH-Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534) noch davon ausgegangen werden können, dass der Angehörige eines fremden Staates, der dort geboren und sozialisiert wurde und sich --nicht von vornherein auf Dauer angelegt-- zur Erbringung von Diensten ins Ausland begibt, typischerweise von dort wieder in seine Heimat zurückkehren wird. Doch wäre diese Vermutung schon dann erschüttert, wenn er etwa während seines Inlandsaufenthalts soziale Bindungen aufbaut (z.B. Verheiratung mit einer Inländerin), die ein Verbleiben im Inland --als der Heimat des Ehepartners-- als ebenso wahrscheinlich erscheinen lassen wie die Rückkehr in seine Heimat.
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Bereits dieses einfache Beispiel zeigt: Die tatsächliche Beurteilung der Rückkehrabsicht berührt Fragen der individuellen Lebensplanung und -gestaltung, die von einer Vielzahl subjektiver und objektiver, beeinflussbarer und nicht beeinflussbarer Faktoren bestimmt zu werden pflegen, die ständigem Wechsel im Zeitlauf unterworfen sind und die sich damit jeglicher typisierender Beantwortung von vornherein entziehen. Es gibt auch keine anerkannten Erfahrungssätze, wie die im Einzelfall zu treffende, multikausal beeinflusste individuelle Lebensentscheidung jeweils ausfällt.
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b) Der Senat sieht im Übrigen abweichend von der Revision keinen "Beweisnotstand" in dem Sinne, dass der Nachweis des Rückkehrwillens in der Praxis kaum zu führen sei. Es lassen sich ohne Weiteres Fallkonstellationen denken, in denen die Rückkehrabsicht nachweisbar vorliegt. Dass der Kläger nach Auffassung des FG in seinem speziellen Fall den Beweis nicht zu führen vermochte, mag schlicht daran liegen, dass der Rückkehrwille im Hinblick auf die zahlreich vorliegenden Indizien (Verheiratung mit einer Deutschen, Stiefvatereigenschaft, Hauserwerb der Ehefrau usw.) tatsächlich nicht gegeben war. Das Vorliegen einer (inneren) Tatsache, die objektiv nicht gegeben ist, kann --sieht man von prozessbetrügerischen Verhaltensweisen ab-- auch nicht bewiesen werden. Mit einem Beweisnotstand hat das allerdings nichts zu tun.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, 5 FGO.
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