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BFH 13.05.2015 - X S 9/15
BFH 13.05.2015 - X S 9/15 - (Aussetzung der Vollziehung beim BFH - Anwendbarkeit von § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO - Keine "Änderung der Rechtslage" durch bloße Revisionszulassung oder durch geänderte Beurteilung der Rechtslage)
Normen
§ 69 Abs 3 FGO, § 69 Abs 6 S 1 FGO, § 128 Abs 3 FGO, § 69 Abs 6 S 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO
Leitsatz
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1. NV: Hatte das FG während des erstinstanzlichen Verfahrens bereits über einen Aussetzungsantrag entschieden, so ist ein Aussetzungsantrag beim BFH, wenn dieser das Gericht der Hauptsache geworden ist, nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO statthaft .
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2. NV: Umstände i.S.d. § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind auch Veränderungen der Rechtslage .
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3. NV: Die Zulassung der Revision stellt keine Änderung der Rechtslage dar. Das gilt unabhängig davon, ob das FG oder der BFH die Revision zugelassen hat .
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4. NV: Die Änderung der Aussetzungsentscheidung von Amts wegen nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO ist zwar nicht an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO geknüpft, bedarf aber erheblicher Gründe .
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5. NV: Die Entscheidung über einen Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ist kostenrechtlich unselbständiger Bestandteil des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO .
Tenor
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Der Antrag wird abgelehnt.
Tatbestand
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I. Die Antragstellerin und ihr im Streitjahr verstorbener Ehemann betrieben in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Hotel. Sie erwirtschafteten von Beginn an Verluste. Im Wege einer tatsächlichen Verständigung kamen sie mit dem Antragsgegner überein, dass der Hotelbetrieb vom Veranlagungszeitraum 1994 an als Liebhaberei zu qualifizieren sei. Mit Bescheid vom 12. November 2001 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der in einem Betrieb beim Übergang zur Liebhaberei ruhenden stillen Reserven stellte das Finanzamt (FA) --der Verständigung entsprechend-- die stillen Reserven für die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens insgesamt auf 2.933.815 DM fest. … 2008 veräußerte die Antragstellerin das Hotel für 1.850.000 €. Laut notariellem Vertrag entfielen davon auf das Grundstück 350.000 €, auf die Gebäude 1.500.000 €. Nach dem Vortrag der Antragstellerin handelte es sich um einen Notverkauf wegen Überschuldung auf Veranlassung der Hausbank. Während die Antragstellerin in der Einkommensteuererklärung 2008 einen Veräußerungsverlust von 911.311 € geltend machte, berücksichtigte das FA auch die festgestellten stillen Reserven für das Hotelgrundstück in Höhe von 1.492.497 € und kam so zu einem Veräußerungsgewinn in Höhe von 581.186 €, den es nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes der Steuer unterwarf.
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Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 die Auffassung --der sich der Antragsgegner mittlerweile anschließt--, dass richtigerweise ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.500.036 € (2.933.815 DM) zu versteuern gewesen wäre, der den zum 31. Dezember 1993 festgestellten stillen Reserven entspreche. Das gelte unabhängig davon, wie hoch der Veräußerungspreis tatsächlich gewesen sei. Aufgrund des Verböserungsverbots bleibe es bei der vorliegenden Festsetzung.
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Mit Beschluss vom 28. Juli 2014 11 V 1573/14 A(E) hatte das FG einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) mit einer Begründung, die der späteren Urteilsbegründung entspricht, abgelehnt und die Beschwerde nicht zugelassen.
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Auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen das Urteil des FG wegen Nichtzulassung der Revision, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung u.a. einer Rechtsfrage zur Gewinnrealisierung gestützt hat, hat der Senat die Revision durch Beschluss vom 21. April 2015 X B 150/14 zugelassen.
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Mit einem am 5. Mai 2015 eingegangenen Schriftsatz beantragt die Antragstellerin unter Hinweis auf § 69 Abs. 6 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids ohne Sicherheitsleistung. Der Antragsgegner habe bereits Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen, die die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdeten und zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einer Grundschuldgläubigerin in Grundstücke geführt hätten. Nachdem der Senat die Revision zugelassen habe, seien Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils zu vermuten.
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Eine Stellungnahme des Antragsgegners ist bisher nicht eingegangen.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Der Antrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht vorliegen.
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a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Das ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium der Bundesfinanzhof (BFH). Nachdem allerdings bereits das FG über einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin entschieden hat, wäre ein erneuter Antrag auf AdV nur unter denjenigen Voraussetzungen statthaft, unter denen nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eine Änderung jener Entscheidung verlangt werden könnte. Die Einschränkungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gelten nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht nur dann, wenn das FG erneut angerufen wird, sondern auch dann, wenn das FG die ursprüngliche Entscheidung erlassen hat, inzwischen aber der BFH Gericht der Hauptsache geworden ist, da andernfalls die Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit durch § 128 Abs. 3 FGO umgangen würden (vgl. i.E. BFH-Beschlüsse vom 8. März 2013 III S 2/12, BFH/NV 2013, 960, sowie vom 21. Oktober 2013 V B 68/13, BFH/NV 2014, 173, jeweils m.w.N.).
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Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse betreffend die AdV jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kann jedoch der Beteiligte die Änderung oder Aufhebung lediglich wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
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b) Solche Umstände liegen nach Aktenlage nicht vor. Es kann sich dabei zum einen um Tatsachen oder Beweismittel handeln (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 173). Dafür hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Auch von Amts wegen ist nichts ersichtlich, da die streitige Frage der Gewinnrealisierung eine reine Rechtsfrage ist. Als Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gelten zwar auch Veränderungen der Rechtslage. Solche Veränderungen können beispielsweise vorliegen, wenn das Gesetz mit Wirkung auch für den Streitzeitraum geändert wurde, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden ist, wenn ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss oder ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union ergangen ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2014, 173, sowie vom 25. November 2014 VII B 65/14, BFHE 247, 182, BStBl II 2015, 207). Eine solche Änderung der Rechtslage ist im Streitfall jedoch nicht zu verzeichnen.
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aa) Wird nach einem Beschluss, der die AdV mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts abgelehnt hat, die Revision zugelassen, so stellt dies noch keine Änderung der Rechtslage dar. Insbesondere bewirkt sie keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern ermöglicht diese höchstens. Es handelt sich lediglich um eine Entscheidung über die Existenz eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 FGO und damit um die Öffnung einer weiteren Instanz. Das gilt auch, wenn, wie hier, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen wurde. Diese Zulassung ist weder Entscheidung noch Präjudiz für den Ausgang des Revisionsverfahrens.
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bb) Zwar ist zutreffend, dass die Zulassung der Revision insbesondere wegen grundsätzlicher Bedeutung Zweifel an der Beurteilung der Rechtslage dokumentiert, die im Allgemeinen auch ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO begründen dürften. Wäre die Beurteilung des Streitfalles zweifelsfrei, so kommt zwar die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, nicht aber die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Betracht. Hätte das Gericht von Beginn an die Rechtslage im Streitfall für zweifelhaft gehalten, so hätte es wohl vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die AdV ausgesprochen.
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Der Wandel in der rechtlichen Beurteilung in der Weise, dass das Gericht die Rechtslage zunächst als zweifelsfrei, anschließend als zweifelhaft beurteilt, ist aber keine Änderung der Rechtslage in dem eingangs genannten Sinne. Zum einen stellt selbst eine Änderung in der Beurteilung der Rechtslage noch keine Änderung der Rechtslage dar (ausdrücklich im Falle einer Revisionszulassung durch das FG BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 173, m.w.N.). Zum anderen bringt das Gericht mit einer Revisionszulassung schon nicht die Änderung seiner rechtlichen Beurteilung in der Hauptsache zum Ausdruck. Es bekundet im Falle der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nur, dass es eine vormals für unzweifelhaft erachtete Rechtslage insoweit für zweifelhaft hält, als es die Klärung im Revisionsverfahren für geboten hält. Das ist keine Änderung der Rechtslage.
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Wäre ein derartiger inhaltlicher Meinungswandel, der sich noch nicht einmal auf die eigentliche Beurteilung der Rechtslage in der Hauptsache bezieht, sondern allenfalls auf das Ausmaß der diesbezüglichen Gewissheit, bereits eine Änderung der Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO, so liefen die Einschränkungen dieser Vorschrift leer. Mit dieser Maßgabe könnte der Beteiligte die Aufhebung oder Änderung einer AdV-Entscheidung stets bereits dann beantragen, wenn er ahnt oder darauf hofft, dass das Gericht seine Einschätzung, die zum Erlass der bisherigen AdV-Entscheidung geführt hat, geändert hat oder ändern will.
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cc) Es stellt keinen rechtserheblichen Unterschied dar, ob das FG oder der BFH die Revision zugelassen hat. Die in § 115 Abs. 2 FGO aufgestellten Maßstäbe für die Revisionszulassung sind für beide Instanzen dieselben. Der Revisionszulassung durch den BFH liegt ebenso wenig eine Änderung der Rechtslage zugrunde wie der Zulassung durch das FG. Eine Differenz besteht lediglich in dem Ausmaß der rechtlichen Gewissheit.
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Der Sprung im Instanzenzug ändert hieran nichts. Die Anwendbarkeit des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO in denjenigen Fällen, in denen nach einer Entscheidung des FG über die AdV der BFH mittlerweile Gericht der Hauptsache geworden ist, zeigt, dass der BFH nicht im Rahmen eines neuen Verfahrens über die AdV entscheidet. Vielmehr handelt es sich um eine Fortsetzung des bisherigen AdV-Verfahrens und damit um einen Teil eines einheitlichen Verfahrens. Dann aber ist es gleichgültig, welches Gericht die Revisionszulassung ausgesprochen hat. Mit einer anderen Beurteilung dieser Frage würde dem BFH aufgegeben, auf einen äußerlich auf § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gestützten Antrag wie auf eine Beschwerde über die AdV zu entscheiden. Dies umginge an dieser Stelle wiederum die Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit in § 128 Abs. 3 FGO, aus der sich ergibt, dass im Rahmen der Entscheidung über die AdV der BFH seine eigene Auffassung nur dann an die Stelle der Auffassung des FG setzen kann, wenn das FG die Beschwerde zugelassen hat.
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2. Der Senat wird gesondert prüfen, ob von Amts wegen eine Änderung der AdV-Entscheidung gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO und die Gewährung von AdV mit oder ohne Sicherheitsleistung veranlasst ist. Er weist vorsorglich darauf hin, dass auch dann, wenn die Entscheidung von Amts wegen nicht an die Einschränkungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO geknüpft ist, die Änderung nicht im Belieben des Gerichts steht, sondern erhebliche Gründe für eine derartige Änderung vorliegen müssen (vgl. dazu Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1219; Seer in Tipke/Kruse, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rz 162). Andernfalls würden sowohl § 128 Abs. 3 FGO als auch § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO umgangen.
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3. Soweit der Antragsgegner aufgrund der Kürze der Zeit bisher kaum Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ist er nicht beschwert.
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4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Entscheidung über den Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ist unselbständiger Bestandteil des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO. Das Gerichtskostengesetz enthält keinen besonderen Gebührentatbestand für diesen Antrag.
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