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BFH 12.12.2012 - VI B 50/12
BFH 12.12.2012 - VI B 50/12 - Schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels wegen Nichtaussetzung bzw. Ruhen des Verfahrens - Berücksichtigung nachträglich eingereichter Schriftsätze - Unzulässigkeit eines Befangenheitsantrags - Divergenz - Doppelte Haushaltsführung: Wohnen am Beschäftigungsort und Wegverlegung des Hauptwohnsitzes
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 116 Abs 5 S 2 FGO, § 74 FGO, § 155 FGO, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 S 6 EStG 2002, § 251 ZPO, EStG VZ 2008
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 22. Februar 2012, Az: 2 K 1771/11, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels in der Form der ermessensfehlerhaften Nichtaussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO gebietet Ausführungen dazu, aufgrund welcher konkreten Umstände des Falles das dem FG hierbei eingeräumte Ermessen ausnahmsweise "auf Null reduziert" und die Aussetzung des Verfahrens deshalb aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzig richtige Entscheidung gewesen sein soll. Entsprechendes gilt für das Ruhen des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO .
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2. NV: Werden im Anschluss an die Verkündung des Urteils eingereichte Schriftsätze nicht berücksichtigt, begründet dies keinen Verfahrensmangel .
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3. NV: Ein nach der Verkündung des Urteils gestellter Befangenheitsantrag ist unzulässig .
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4. NV: Für die Annahme einer Divergenz reichen weder eine (behauptete) unzutreffende Tatsachenwürdigung noch bloße Subsumtionsfehler des FG aus .
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5. NV: Die Rechtsfrage, wann eine Wohnung dem Wohnen "am Beschäftigungsort" dient, ist geklärt (Hinweis auf BFH-Urteil vom 19. April 2012 VI R 59/11, BFHE 237, 449, BStBl II 2012, 833) .
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6. NV: Die Rechtsfrage, ob eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung auch in den Fällen der Wegverlegung des Hauptwohnsitzes oder des Unterlassens der Hinverlegung des Haupthausstands an den Beschäftigungsort gegeben ist, ist geklärt (Hinweis auf BFH-Urteil vom 5. März 2009 VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; VI R 58/06, BFHE 224, 413, BStBl II 2009, 1012) .
Gründe
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Es kann dahinstehen, ob die Beschwerde den Erfordernissen, die § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe stellt, genügt. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), der Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Divergenz, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), der Erforderlichkeit der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) liegen nicht vor.
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1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Nichtaussetzen des Verfahrens gemäß § 74 FGO im Streitfall einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet. Zutreffend führt der Kläger selbst aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei einem als Verfahrensmangel gerügten Verstoß gegen § 74 FGO zu berücksichtigen ist, dass die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Finanzgerichts (FG) steht. Dementsprechend gebietet eine schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels in der Form der ermessensfehlerhaften Nichtaussetzung des Verfahrens Ausführungen dazu, aufgrund welcher konkreten Umstände des Falles das dem FG hierbei eingeräumte Ermessen ausnahmsweise "auf Null reduziert" und die Aussetzung des Verfahrens deshalb aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzig richtige Entscheidung gewesen sein soll (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 2003 VII B 381/02, BFH/NV 2003, 931). Zutreffend ist das FG insoweit davon ausgegangen, dass die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1008/11 gegen den Beschluss des Senats vom 15. März 2011 VI B 145/10 (BFH/NV 2011, 983) sein Ermessen nicht dahingehend einengt, dass das Verfahren auszusetzen ist. Denn allein die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht Ausführungen zu Fahrtkosten und deren pauschaler Berücksichtigung machen könnte, engt das Ermessen nicht in der erforderlichen Art und Weise ein. Entsprechendes gilt für die Einwendung des Klägers, das FG habe verfahrensfehlerhaft nicht das Ruhen des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung angeordnet.
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Auch das mittlerweile mit Urteil vom 19. April 2012 durch den Senat entschiedene Verfahren VI R 59/11 (BFHE 237, 447, BStBl II 2012, 835) führte nicht dazu, dass das FG das Klageverfahren aussetzen oder zum Ruhen bringen musste. Denn das FG hat den konkreten Fall des Klägers dahin gewürdigt, dass --anders als in dem vom BFH entschiedenen Verfahren-- die Arbeitsstätte nicht verkehrsgünstig zu erreichen sei.
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Nachdem das FG das streitgegenständliche Urteil am Schluss der Sitzung vom 22. Februar 2012 verkündet hatte, hat es verfahrensfehlerfrei den vom Kläger nachträglich eingereichten Schriftsatz vom 22. Februar 2012 nicht mehr berücksichtigt. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, dass zu diesem Zeitpunkt das Urteil bereits verkündet gewesen sei. Entgegen dem Vorbringen des Klägers ergibt sich zweifelsfrei aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung des FG, dass das Urteil noch in der Sitzung vom 22. Februar 2012 verkündet worden war.
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Auch aus dem Vorbringen des Klägers hinsichtlich seiner Befangenheitsanträge ergibt sich kein Verfahrensmangel. Zutreffend hat das FG insoweit darauf hingewiesen, dass ein Befangenheitsantrag nach Urteilsverkündung unzulässig ist.
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Der Kläger kann sich auch nicht auf den Verstoß gegen richterliche Amtsermittlungspflichten und die Verletzung von Sachaufklärungspflichten berufen. Denn hinsichtlich der beruflichen Veranlassung eines Umzugs konnte das FG sich zunächst auf die Befragung des Klägers beschränken. Er hatte insoweit Gelegenheit, den entscheidungserheblichen Vortrag zu liefern. Aus welchen Gründen das FG ohne Antrag des Klägers dessen Personalakte hätte beiziehen müssen, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus der Beschwerdebegründung.
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2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. In diesem Sinne ist eine Entscheidung des BFH u.a. dann erforderlich, wenn im Falle der sog. Divergenz das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen oder bloße Subsumtionsfehler genügen dagegen nicht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. November 2007 VI B 70/07, BFH/NV 2008, 216; vom 12. Oktober 2006 VI B 154/05, BFH/NV 2007, 51; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 53; jeweils m.w.N.).
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Solche entscheidungserheblichen divergierenden Rechtssätze liegen im Streitfall nicht vor oder sind nicht hinreichend dargelegt.
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a) Der erkennende Senat hat in dem Revisionsverfahren zur Frage des Wohnens am Beschäftigungsort mittlerweile mit Urteil in BFHE 237, 449, BStBl II 2012, 835 entschieden. Eine Wohnung dient danach dem Wohnen am Beschäftigungsort, wenn sie dem Arbeitnehmer ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen ermöglicht, seine Arbeitsstätte täglich aufzusuchen. Die Entscheidung darüber, ob eine solche Wohnung so gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG. Im Streitfall führte das FG dazu aus, dass die Arbeitsstätte des Klägers im Streitfall nicht verkehrsgünstig zu erreichen sei. An diese tatsächliche Würdigung ist der BFH insoweit gebunden; diese wäre auch Grundlage in einem möglichen Revisionsverfahren.
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b) Entgegen der Auffassung des Klägers enthält das Urteil des FG auch keine Rechtssätze, die von denen der Senatsentscheidungen vom 16. November 2011 VI R 46/10 (BFHE 236, 57, BStBl II 2012, 470) und VI R 19/11 (BFHE 236, 65, BStBl II 2012, 520) zur Frage des Vorliegens einer offensichtlich verkehrsgünstigeren Straßenverbindung abweichen würden. Soweit der Kläger insoweit rügt, dass die kürzeste Strecke 157,8 km betrage und das FG in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt habe, dass die vom Kläger tatsächlich benutzte Strecke 241 km betrage und nicht offensichtlich verkehrsgünstiger sei als die kürzeste Strecke von 163 km, ist damit keine Abweichung dargetan. Denn der Kläger wendet sich insoweit lediglich gegen die Würdigung von Tatsachen und rügt im Ergebnis, dass nicht die des FG, sondern seine eigene Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltswürdigung zutreffend seien.
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c) Soweit der Kläger eine Divergenz gegenüber dem Urteil des Hessischen FG vom 19. Mai 2010 12 K 2497/09 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 529) hinsichtlich der Rundung von Entfernungskilometern rügt, gilt Entsprechendes. Insoweit hat das FG in der hier mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung keine Rechtsgrundsätze aufgestellt, sondern den Sachverhalt entsprechend gewürdigt und zurückgelegte Strecken geschätzt.
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d) Wenn schließlich der Kläger rügt, dass das FG das BFH-Urteil vom 20. Dezember 1991 VI R 42/89 (BFHE 166, 288, BStBl II 1992, 306) insoweit zu Unrecht nicht angewandt habe, als auch ohne doppelte Haushaltsführung jedenfalls die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes hätten geprüft werden müssen, wird damit auch keine Abweichung im Rechtsgrundsätzlichen dargetan, sondern allenfalls ein Subsumtionsfehler gerügt, der aber die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
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3. Eine Revisionszulassung kommt im Streitfall auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
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Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 27. Mai 2009 VI B 123/08, BFH/NV 2009, 1434, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der erkennende Senat hat --wie oben schon ausgeführt-- in dem Revisionsverfahren zur Frage des Wohnens am Beschäftigungsort mittlerweile mit Urteil in BFHE 239, 449, BStBl II 2012, 835 entschieden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist daher das Tatbestandsmerkmal "am Beschäftigungsort" insoweit geklärt und auch nicht erkennbar, inwieweit der Streitfall eine weitere Entscheidung erforderlich machte.
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Entsprechendes gilt für die als vermeintlich ungeklärt angesehene Frage der Behandlung von Wegverlegungsfällen.
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Zur Frage der Wegverlegung des Hauptwohnsitzes in Fällen der doppelten Haushaltsführung hat der BFH entschieden (BFH-Urteile vom 5. März 2009 VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; VI R 58/06, BFHE 224, 413, BStBl II 2009, 1012). Danach nimmt die private Wegverlegung des Haupthausstands vom Beschäftigungsort ebenso wie das private Unterlassen der Hinverlegung des Haupthausstands an den Beschäftigungsort der Begründung des Zweithaushalts am Beschäftigungsort nicht ihre berufliche Veranlassung. Soweit der Kläger die Rechtsfrage als vermeintlich bedeutsam aufwirft, ob die Wegverlegung der Wohnung vom Beschäftigungsort an einen dritten Ort, ohne die Arbeitsstätte zu wechseln, den Haupthausstand aufzugeben oder den Lebensmittelpunkt zu verlegen, zur Beendigung der doppelten Haushaltsführung führt, ist diese Frage nicht grundsätzlich bedeutsam. Denn auch für die an dem dritten Ort genommene Wohnung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, ob sie als Wohnung am Beschäftigungsort beruflichen Zwecken dient.
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Aus den nämlichen Gründen kommt auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nicht in Betracht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Denn auch dieser Revisionszulassungsgrund fordert, dass über bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden ist; solche liegen indessen --wie ausgeführt-- nicht vor.
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