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BFH 11.12.2012 - IX R 23/11
BFH 11.12.2012 - IX R 23/11 - Nebeneinander von Progressionsvorbehalt und Tarifermäßigung
Normen
§ 32a Abs 1 S 1 EStG 2002, § 32a Abs 1 S 2 EStG 2002, § 32b Abs 1 S 1 EStG 2002, § 32b Abs 2 S 1 EStG 2002, § 34 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 34 Abs 1 S 3 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 14. Dezember 2010, Az: 2 K 1589/10, Urteil
Leitsatz
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Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind mit der Folge nebeneinander anwendbar (sog. integrierte Steuerberechnung), dass sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG wegen des niedrigeren Steuersatzes notwendig steuermindernd auswirkt.
Tatbestand
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I. Streitig ist die Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer bei Zusammentreffen eines negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommens mit Einkünften, die dem negativen Progressionsvorbehalt unterliegen.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für 2008 (Streitjahr) antragsgemäß getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung hatte er einen Betrag von 3.374 € als im Streitjahr an die Arbeitsverwaltung zurückgezahltes Arbeitslosengeld angegeben. Seine frühere Arbeitgeberin hatte in der Lohnsteuerbescheinigung als Dauer des Arbeitsverhältnisses den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Juli des Streitjahres sowie einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn von 260.000 € angegeben. Diese Lohnzahlung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) als nach § 24 Nr. 1a, § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) tarifbegünstigte Abfindungsleistung.
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Mit geändertem Einkommensteuerbescheid vom Februar 2010 und später vom November 2010 ermittelte das FA Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 256.751 €, ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) von 248.879 € und ein nach § 34 Abs. 1 EStG "verbleibendes zu versteuerndes Einkommen" von -7.872 € und setzte entsprechend H 34.2 Beispiel 4 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 2008 (EStH) die tarifliche Einkommensteuer (Grundtarif) auf 62.480 € --unter Abzug der Steuerermäßigung nach § 35a EStG in Höhe von 300 €-- die Einkommensteuer auf 62.180 € fest.
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Einspruch und Klage, mit denen der Kläger aufgrund einer anderweitigen Berechnung die Festsetzung der tariflichen Einkommensteuer letztlich auf 41.565 € begehrte, hatten keinen Erfolg (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1788). Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Steuerberechnung des FA nicht zu beanstanden sei. Träfen nämlich Tarifermäßigung mit negativem Progressionsvorbehalt zusammen, kämen beide Vergünstigungen zur Anwendung und es sei eine sog. integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Die Belastungsvergleichsrechnung des FA zeige, dass die finanzamtliche Ermittlung unter Berücksichtigung von Tarifermäßigung und negativem Progressionsvorbehalt zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führe.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 32b, § 34 Abs. 1 EStG). Er führt zur Begründung aus: Treffe die Tarifermäßigung mit einem negativen Progressions-vorbehalt zusammen, habe eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip zu erfolgen, wobei die ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünfte bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 2 EStG einzubeziehen sei. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. November 2007 VI R 66/03 (BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375) sei die Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts anzuwenden "und nicht umgekehrt". Dabei sei nicht nur das zvE mit einem Fünftel, sondern vielmehr auch "die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte" wie auch die ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünfte nur mit einem Fünftel zu berücksichtigen, so dass sich ein wesentlich geringerer (besonderer) Steuersatz ergebe und dies zu einem günstigeren Ergebnis für den Kläger führe.
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Der bei Gegenüberstellung des um das zurückgezahlte Arbeitslosengeld von 3.774 € verminderte zvE von 245.105 € zu den außerordentlichen Einkünften von 260.000 € resultierende Negativbetrag von 14.895 € ergebe eine Steuer von 0 €. Addiere man diesen Negativbetrag zu 1/5 des außerordentlichen Einkommens, nämlich den 52.000 € hinzu, ergebe sich auf die Summe von 37.105 € eine Einkommensteuer von 8.187 €. Die Steuer auf die außerordentlichen Einkünfte betrage demnach (8.187 € x 5 =) 40.935 €. Hieraus folge ein Steuersatz von 16,7010 % (40.935 € zu 245.105 €). Diesen angelegt auf das zvE von 248.879 € ergebe eine tarifliche Einkommensteuer von 41.565 € und unter Abzug der vom FA zuerkannten Ermäßigung für Handwerkerleistungen eine festzusetzende Einkommensteuer von 41.265 €.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 2008 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids in der Fassung vom 25. November 2010 auf 41.265 € festzusetzen.
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Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Berechnung der Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr durch das FA zu Recht nicht beanstandet.
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1. Die tarifliche Einkommensteuer bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen, vorbehaltlich u.a. der § 32b und § 34 EStG (§ 32a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 1. Satzteil EStG). Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG die auf alle (im Veranlagungszeitraum bezogenen) außerordentlichen Einkünfte (nicht nur auf die Einnahmen) entfallende Einkommensteuer nach der sog. Fünftel-Regelung zu berechnen. Ist --wie im Streitfall-- das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer. Hat ein Steuerpflichtiger --wie der Kläger-- Arbeitslosengeld bezogen, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (§ 32b Abs. 1 Satz 1 EStG); das ist gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 EStG der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird, und zwar um den Saldo --hier-- der Arbeitslosengeld-Leistungen in Höhe von -3.374 €.
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Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG und Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG sind nebeneinander anwendbar (sog. integrierte Steuerberechnung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375; vom 22. September 2009 IX R 93/07, BFHE 226, 510, BStBl II 2010, 1032, unter II.1.b aa, m.w.N.). Bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG muss sich wegen seines Zwecks der Abmilderung der Progressionswirkung eine geringere Einkommensteuer ergeben als bei einer Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 32a Abs. 1 EStG; das gilt erst recht, wenn die Tarifermäßigung mit einem negativen Progressionsvorbehalt zusammentrifft (vgl. BFH-Urteil in BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375, unter II.4.b bb), weil sich ein negativer Progressionsvorbehalt im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags für die außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG notwendig steuersatzmindernd auswirkt (vgl. BFH-Urteile vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269, BStBl II 2011, 21; vom 1. April 2009 IX R 87/07, BFH/NV 2009, 1787; in BFHE 226, 510, BStBl II 2010, 1032).
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2. Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung; die Revision hat daher keinen Erfolg. Die Berechnung des FA hat das FG (im Ergebnis) zutreffend für rechtens erachtet. Auf die Hilfserwägung des FG, die aufgrund der nicht zweifelsfreien Annahme eines (zusätzlich) als Arbeitslohn zugeflossenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 8.538 € zu einer höheren Steuer geführt hätte, kommt es wegen des im gerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots --so auch das FG-- nicht an.
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a) Das FA hat in Anlehnung an H 34.2 Beispiel 4 EStH und unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze die tarifliche Einkommensteuer für das Streitjahr gemäß § 32a Abs. 1, § 32b Abs. 2, § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG zutreffend angesetzt. Dabei ist es von Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2 EStG in Höhe von 256.751 €, einem zvE in Höhe von 248.879 € und einem verbleibenden negativen zvE in Höhe von -7.872 € ausgegangen. Auf dieser Basis hat es vom 1/5-zvE in Höhe von (248.879 € : 5 =) 49.775 € unter Abzug des Arbeitslosengeld-Saldos in Höhe von 3.374 € das maßgebende verbleibende 1/5-zvE in Höhe von 46.401 € errechnet. Darauf ergibt sich eine Einkommensteuer nach Grundtarif in Höhe von 11.649 € bei einem (durchschnittlichen =) besonderen Steuersatz von 25,1051 %. Dieser angewandt auf das 1/5-zvE (49.775 €) führt zu einer Einkommensteuer in Höhe von 12.496 €, multipliziert mit fünf ergibt eine tarifliche Einkommensteuer in Höhe von 62.480 €.
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b) Dieser Steuerbetrag trägt auch dem Günstigkeitsprinzip Rechnung, wie eine Berechnung der anderen Fall-Varianten aufzeigt: nämlich eine Steuerberechnung ohne Tarifermäßigung und ohne Progressionsvorbehalt (96.615 €), ohne Tarifermäßigung und mit negativem Progressionsvorbehalt von 3.374 € (96.506 €), mit Tarifermäßigung und ohne Progressionsvorbehalt (65.020 €) sowie mit Tarifermäßigung und ohne Progressionsvorbehalt, aber mit negativen Einkünften von 3.374 € (FA: 63.700 €).
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c) Die Berechnung des Klägers geht schon von unzutreffenden Annahmen aus; denn der Saldo der Arbeitslosengeld-Leistungen beträgt nicht 3.774 €, sondern 3.374 €, und die anzusetzenden Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 EStG belaufen sich auf 256.751 €, nicht auf die reinen Einnahmen in Höhe von 260.000 €. Auch ist kein sog. Unterschiedsbetrag (i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG) zu ermitteln, denn im Streitfall sind nach den bindenden Feststellungen des FG die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG (verbleibendes zvE negativ mit -7.872 € und zvE positiv mit 248.879 €) gegeben. Zudem ist die Steuer auch nicht auf ein Fünftel der außerordentlichen Einkünfte (wie in § 34 Abs. 1 Satz 2 a.E. EStG) zu ermitteln und in die Berechnung einzubeziehen, sondern die auf ein Fünftel des zvE. Daher entspricht die Berechnung des Klägers nicht den gesetzlichen Vorgaben.
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