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BFH 15.11.2012 - VII B 105/12
BFH 15.11.2012 - VII B 105/12 - (Nichtanwendung des § 93 InsO (Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters) auf die Haftungsinanspruchnahme durch den Fiskus nach §§ 69, 34 AO)
Normen
§ 93 InsO, § 69 AO, § 34 AO, § 128 HGB
Vorinstanz
vorgehend FG München, 16. April 2012, Az: 15 K 4108/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Der Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 AO steht nicht entgegen, dass nach § 93 InsO die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Denn die Sperrwirkung dieser Norm erstreckt sich nur auf die Haftung des Gesellschafters aus § 128 HGB.
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2. NV: Eine Änderung der Rechtsprechung ist nicht deshalb veranlasst, weil der Gesetzgeber den Haftungsanspruch nach §§ 69, 34 AO in § 93 InsO nicht ausdrücklich berücksichtigt hat. Für eine Neubewertung des gesetzgeberischen Willens besteht angesichts des klaren Ausnahmecharakters des § 93 InsO keine Veranlassung. Dort geht es allein darum, Forderungen der Gläubiger gegen die Gesellschaft gebündelt einzuziehen. Der Anspruch des Fiskus nach §§ 69, 34 AO beruht dagegen auf einer eigenständigen abgabenrechtlichen Haftung des gesetzlichen Vertreters, der auf besonderen, den handelsrechtlichen Normen fremden Merkmalen --vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten-- beruht und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist.
Tatbestand
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I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer und persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft (KG) wegen rückständiger Lohnsteuern und Nebenabgaben der KG in Haftung genommen, nachdem über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Im Einspruchs- und Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid machte der Kläger vergeblich geltend, gemäß § 93 der Insolvenzordnung (InsO) könne seine persönliche Haftung nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Im Übrigen fehle für eine Haftung auch das Verschulden, da er zum Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne noch mit der weiteren Duldung von Überziehungen seitens der Sparkasse und mit einem ausreichend hohen Abschlag auf eine von einem seriösen Investor zugesagte Einlage in die KG habe rechnen können.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage --bis auf eine hier nicht interessierende Reduzierung der Haftungssumme-- ab. Weder das Vertrauen in die weitere Duldung der Überziehung des Geschäftskontos noch auf die Einzahlung der Einlage könne den Vorwurf der grob fahrlässigen Pflichtverletzung entfallen lassen. Auch stehe der Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) nicht entgegen, dass nach § 93 InsO die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Denn die Sperrwirkung dieser Norm erstrecke sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur auf die Haftung des Gesellschafters aus § 128 des Handelsgesetzbuchs (HGB).
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Gegen das Urteil hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Seiner Auffassung nach ist die Rechtsprechung zur Nichtanwendung des § 93 InsO auf die Haftungsinanspruchnahme eines Gesellschafters nach §§ 69, 34 AO im Hinblick darauf, dass sie nicht alle Gesichtspunkte hinsichtlich Ziel und Zweck der InsO berücksichtige, überprüfungsbedürftig.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch besteht die Notwendigkeit zur Rechtsfortbildung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO.
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1. Die Rechtssache hat --mangels Klärungsbedarfs-- nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung.
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Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juli 2011 VII B 3/11, BFH/NV 2011, 2079, m.w.N.). Anders als der Kläger meint, ist die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
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Der Kläger selbst hat zutreffend darauf hingewiesen, der Senat habe bezugnehmend auf die Entstehungsgeschichte des § 93 InsO bereits entschieden, die Sperrwirkung des § 93 InsO erstrecke sich nur auf die Haftung des Gesellschafters gemäß § 128 HGB. Der außergesellschaftsrechtliche Individualhaftungsanspruch nach § 69 AO kann danach auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom FA geltend gemacht werden (Senatsbeschluss vom 2. November 2001 VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73).
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Die Senatsrechtsprechung stimmt überein mit derjenigen des Bundesgerichtshofs (BGH), die den Regelungsbereich des § 93 InsO auf die gesetzliche akzessorische Haftung des Gesellschafters für gegen die Gesellschaft gerichtete Ansprüche, also im Bereich der Kommanditgesellschaft nur auf dessen Verpflichtung gemäß § 161 Abs. 2, §§ 128 ff, § 176 HGB beschränkt. Die Rechtswirkungen dieser Vorschrift --so der BGH unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte sowie den Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung-- erstrecken sich nicht auf solche Ansprüche, die deshalb gegen die Gesellschafter bestehen, weil diese aus einem von den handelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhängigen Rechtsgrund, insbesondere einer rechtlich selbständigen eigenen Verpflichtung, für die Verbindlichkeit der Gesellschaft einzustehen haben. § 93 InsO soll sicherstellen, dass die allen Gesellschaftsgläubigern gleichermaßen eröffnete gesellschaftsrechtliche Haftung der Gesellschafter auch im Insolvenzverfahren der Gesamtheit der Gläubiger zugutekommt. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger schließen diese insolvenzrechtlichen Vorschriften aus, dass sich einzelne Gläubiger durch einen schnelleren Zugriff Sondervorteile verschaffen. Der Anspruch des Fiskus nach §§ 69, 34 AO beruht dagegen auf einem eigenständigen, von § 161 Abs. 2 i.V.m. § 128 HGB unabhängigen abgabenrechtlichen Haftungstatbestand, der besondere, den handelsrechtlichen Normen fremde Merkmale --vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten-- enthält und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist (vgl. BGH-Urteil vom 4. Juli 2002 IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245, BStBl II 2002, 786).
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2. Einen Anlass, diese Rechtsprechung zu überdenken oder fortzuentwickeln sieht der Senat --auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens-- nicht. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem Grundsatz "Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht" bzw. "Gleichstellung aller Gläubiger" oder aus einer gewissermaßen geläuterten Beurteilung des Willens des Gesetzgebers, der "offensichtlich allenfalls die rechtsgeschäftliche Sonderbemühung eines Gläubigers der Gesellschaft um eine persönliche Haftung des Gesellschafters außerhalb der handelsrechtlichen Regelungen von der Sperrwirkung (des § 93 InsO) ausnehmen wollte", weil er sonst den Haftungsanspruch nach §§ 69, 34 AO in § 93 InsO ausdrücklich berücksichtigt hätte.
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a) Erwägungen zur Konkurrenz von Insolvenz- und Steuerrecht hat schon der BGH wegen der Besonderheiten des steuerrechtlichen Anspruchs als nicht durchschlagend angesehen, die Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters auf den abgabenrechtlichen Haftungsanspruch auszudehnen (BGH-Urteil in BGHZ 151, 245, BStBl II 2002, 786). Für eine Neubewertung des gesetzgeberischen Willens besteht angesichts des klaren Ausnahmecharakters des § 93 InsO keine Veranlassung: Der Gesetzgeber wollte nicht regeln, dass und welche Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter aus der Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters ausgenommen sind, sondern die anderweitig nicht bestehende treuhänderische Befugnis des Insolvenzverwalters schaffen, die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger gegen die Gesellschaft gebündelt einzuziehen, um einen Wettlauf der Gläubiger bei der Inanspruchnahme der persönlich haftenden Gesellschafter zu verhindern, den Haftungsanspruch der Gläubiger der Masse zuzuführen und auf diese Weise den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf die Gesellschafterhaftung auszudehnen (Senatsbeschluss vom 11. März 2008 VII B 214/06, BFH/NV 2008, 129; BGH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX ZR 138/06, BGHZ 178, 171). Dadurch sollte verhindert werden, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgewiesen werden muss, obwohl ein persönlich haftender Gesellschafter über ausreichendes Vermögen verfügt (vgl. BTDrucks 12/2443 S. 140). Was sich an dieser Zielsetzung des Gesetzgebers zwischenzeitlich geändert haben sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
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b) Der Kläger hat auch keine Gerichtsentscheidungen oder Literaturmeinungen aufgeführt, die eine neuerliche Befassung des Senats mit der Rechtsfrage erforderlich erscheinen lassen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, inwieweit sich aus der Entscheidung des BGH in BGHZ 178, 171 Zweifel ergeben sollen, ob der BGH "tatsächlich noch die Auffassung vertritt, die Finanzverwaltung könne ungeachtet des § 390 InsO Ansprüche aus §§ 69, 34 AO gegen den persönlich haftenden Gesellschafter durchsetzen". Die Behauptung, diese Auffassung konterkariere "die zwei vom BGH in vorbezeichneter Entscheidung hervorgehobenen Grundsätze, nämlich den der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung und den der Vermeidung der Armut und der Abweisung mangels Masse trotz vermögenden Gesellschafters", entbehrt jeglicher Grundlage, zumal es in jener Entscheidung nicht um den Haftungsanspruch des Fiskus, sondern um das Anfechtungsrecht des jeweiligen Insolvenzverwalters bei Insolvenz von Kommanditgesellschaft und persönlich haftendem Gesellschafter ging.
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Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass sich auch das Bundessozialgericht der Auffassung des Senats angeschlossen hat. Es hat eine Haftung nach § 150 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - unter Bezugnahme auf die BFH- und BGH-Rechtsprechung aus dem Regelungsbereich des § 93 InsO ausgenommen, weil diese Rechtsgrundlage für die Haftung des früheren Gesellschafters einer OHG für Zahlung von Beiträgen an die Berufsgenossenschaft nicht an die persönliche Haftung des OHG-Gesellschafters nach § 128 HGB bzw. des ausgeschiedenen OHG-Gesellschafters i.V.m. § 160 HGB anknüpft, sondern ein eigenständiger Haftungstatbestand des Beitragsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung ist, der in keinerlei Beziehung zu den speziellen Regelungen der Gesellschafterhaftung nach dem HGB steht (Urteil vom 27. Mai 2008 B 2 U 19/07 R, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2008, 1390).
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3. Mit der Rüge, das FG sei rechtsfehlerhaft von einem grob fahrlässigen Pflichtenverstoß des Klägers ausgegangen, indem es weder eine langfristig geduldete Überziehung der Kontokorrentkreditlinie noch einen konkret in Aussicht stehenden Zahlungseingang als hinreichend verlässliche Grundlagen für ein Vertrauen in das Fortbestehen einer dadurch über längere Zeit gewährleisteten Zahlungsfähigkeit angesehen habe, macht der Kläger keinen der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend genannten Zulassungsgründe geltend. Der Frage, ob einem gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO der Vorwurf einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung zur Begründung eines Haftungsanspruchs nach § 69 AO gemacht werden kann, kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Beurteilung eines Verschuldens des gesetzlichen Vertreters von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 26. April 2010 VII B 194/09, BFH/NV 2010, 1610).
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