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BFH 30.08.2012 - X B 213/11
BFH 30.08.2012 - X B 213/11 - Umfang der Rechtskraftwirkung ist auf das Streitjahr beschränkt
Normen
§ 110 Abs 1 S 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 18. November 2011, Az: 15 K 487/06, Urteil
Leitsatz
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NV: Ist zwischen den Beteiligten für ein bestimmtes Streitjahr ein Urteil ergangen, entfaltet dies für andere Streitjahre keine Rechtskraftwirkung.
Tatbestand
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I. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erzielte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in den Streitjahren 1996 bis 2002 Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Einzelunternehmen, in dem er Finanzdienstleistungen erbrachte. Ferner war das Einzelunternehmen mit mehreren Kapitalgesellschaften, deren Gesellschafter, Geschäftsführer bzw. Vorstand der Kläger war, personell und sachlich verflochten (Betriebsaufspaltung).
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Im finanzgerichtlichen Verfahren war zwischen den Beteiligten --soweit für das vorliegende Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung-- u.a. streitig, ob Verluste, die in den Jahren 1988 bis 1993 in einem vom Kläger betriebenen Pferderennstall angefallen waren, im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1996 zu berücksichtigen sind.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erkannte die aus dem Pferderennstall erzielten Verluste der Jahre 1988 bis 1993 (insgesamt 1.163.624 DM) sowie den Gewinn des Jahres 1994 (27.844 DM) zunächst an und erließ --unter Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks wegen der noch nicht abschließend zu beurteilenden Gewinnerzielungsabsicht-- entsprechende Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns. Im Jahr 1995 stellte der Kläger den Betrieb des Rennstalls auf eine Pferdezucht um. Nachdem der Kläger die Feststellungserklärungen für die Jahre 1995 und 1996 einreicht hatte, aus denen sich weitere Verluste von insgesamt 900.723 DM ergaben, erließ das FA für diese beiden Jahre negative Feststellungsbescheide, die es mit dem Fehlen der erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht begründete.
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Die nachfolgend erhobene Klage (5 K 5772/99) wies das FG am 30. Juni 2004 (im Folgenden: Urteil I) ab. Zur Begründung führte es aus, die begehrten Feststellungsbescheide hätten für die Jahre 1995 und 1996 schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ergehen dürfen. Denn infolge einer im Jahr 1995 getroffenen Zuständigkeitsvereinbarung fehle es an der in § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der Abgabenordnung (AO) genannten Voraussetzung, wonach eine gesonderte Feststellung nur in Betracht komme, wenn das hierfür zuständige FA nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig sei. Über die Frage der Einkunftserzielungsabsicht sei danach nicht mehr zu entscheiden. Dem Kläger entstehe daraus kein Nachteil, weil die Einkommensteuerveranlagungen verfahrensrechtlich noch offen seien. Nachfolgend berücksichtigte das FA die in den Jahren 1995 und 1996 angefallenen Verluste unmittelbar bei den Einkommensteuerveranlagungen des Klägers, weil es die im Jahr 1995 vorgenommene Umstellung des Betriebs zur Pferdezucht als Beginn einer mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübten Tätigkeit des Klägers ansah.
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Noch während des anhängigen Klageverfahrens 5 K 5772/99 änderte das FA die für den Rennstall ergangenen Feststellungsbescheide für die Jahre 1988 bis 1994 und stellte die Einkünfte wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht auf jeweils 0 DM fest. Die hiergegen erhobene Klage (15 K 3660/03) wies das FG am 20. März 2007 ab (Urteil II). Die Voraussetzungen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO seien für die Jahre bis einschließlich 1994 erfüllt, da die Zuständigkeitsvereinbarung erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen worden sei. Die gesonderte Feststellung sei erforderlich, weil der Rennstallbetrieb sich von der übrigen gewerblichen Tätigkeit des Klägers deutlich abhebe. Insbesondere handele es sich nicht um eine "Werbeabteilung" für die Tätigkeit als Finanzdienstleister. Die auf 0 DM lautenden Bescheide seien als negative Feststellungsbescheide auszulegen. Diese seien auch materiell-rechtlich zu Recht ergangen, weil der Rennstall in den Jahren bis einschließlich 1994 ohne Einkunftserzielungsabsicht betrieben worden sei. Die im Jahr 1995 vorgenommene Umstrukturierung wirke nicht zurück, weil der Kläger sie nicht alsbald nach Erkennen der Dauerverlustsituation vorgenommen habe. Zudem seien Rennstall und Zuchtbetrieb wesensverschieden.
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Daraufhin machte der Kläger in dem Klageverfahren, das dem vorliegend angefochtenen Urteil zugrunde liegt, geltend, die in den Jahren 1988 bis 1994 angefallenen Ergebnisse aus dem Rennstall seien unmittelbar in den Bescheiden über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember der Jahre 1996 bis 2002 zu berücksichtigen. Auch diese Klage wies das FG ab (Urteil III). Zur Begründung führte es aus, die Ergebnisse aus dem Rennstall seien für die Jahre 1988 bis 1994 durch das Urteil II wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht rechtskräftig als nicht einkommensteuerbar qualifiziert worden. Das Urteil I gelte nur für die Jahre 1995 und 1996, in denen sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt geändert habe und das FA die Verluste zudem letztlich anerkannt habe.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Fortbildung des Rechts, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen Verfahrensmängeln.
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Das FA hat auf eine inhaltliche Stellungnahme verzichtet, hält die Beschwerde aber für unbegründet.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig.
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Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) entsprechenden Weise dargelegt.
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1. Die Beschwerdebegründung enthält keine schlüssigen Darlegungen dazu, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen sei.
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Dabei prüft der Senat beide Zulassungsgründe in einem Akt, da der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts einen speziellen Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache darstellt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. November 2010 VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574, unter 2., m.w.N.).
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a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass die Beschwerdebegründung konkrete Rechtsfragen bezeichnet und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (BFH-Beschluss vom 18. November 2010 VII B 12/10, BFH/NV 2011, 406, unter II.1., m.w.N.). Dabei ist eine Rechtsfrage nur dann klärungsfähig, wenn sie in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich ist (BFH-Beschluss vom 14. November 2005 II B 51/05, BFH/NV 2006, 305, unter II.1.).
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b) Keine der vom Kläger formulierten Rechtsfragen genügt diesen Anforderungen.
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aa) Zunächst wirft der Kläger die Frage auf, ob in einem zeitlich dritten Verfahren eine Rechtskraftwirkung eines zweiten Verfahrens vorliegen könne, wenn bereits das zweite Verfahren die Rechtskraftwirkung des ersten Verfahrens hätte beachten müssen, sich Erst- und Zweiturteil also in unvereinbarer Weise gegenüberständen.
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Diese Rechtsfrage wäre in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls schon deshalb nicht erheblich, weil sich die Urteile I und II nicht in unvereinbarer Weise gegenüberstehen. Vielmehr ist das Urteil I zu den Veranlagungszeiträumen 1995 und 1996 ergangen. Der rechtskraftfähige Inhalt dieser Entscheidung beschränkte sich darauf, die Zulässigkeit einer gesonderten Feststellung des Gewinns zu verneinen, weil das Betriebs-FA aufgrund einer im Jahr 1995 getroffenen Zuständigkeitsvereinbarung zugleich für die Einkommensteuer des Klägers zuständig war und daher die Voraussetzungen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO nicht erfüllt waren. Über die Frage der Gewinnerzielungsabsicht der seit dem Jahr 1995 betriebenen Pferdezucht ist in diesem Urteil ausdrücklich nicht entschieden worden. Die einkommensteuerliche Berücksichtigung dieser Verluste in den später geänderten Veranlagungen für die Jahre 1995 und 1996 beruhte vielmehr auf einer eigenen Entscheidung des FA.
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Demgegenüber ist im Urteil II --mit Bindungswirkung für die Folgebescheide über Einkommensteuer-- für die dortigen Streitjahre 1988 bis 1994 rechtskräftig erkannt worden, dass der Rennstall seinerzeit ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben worden ist.
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Eine Kollision im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung beider Urteile ist stets dann ausgeschlossen, wenn sie zu unterschiedlichen Streitjahren ergangen sind (BFH-Urteil vom 12. Januar 2012 IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779, Rz 24). Dies ist hier der Fall. Im Übrigen beziehen sie sich auch auf unterschiedliche Sachverhalte, da das Urteil I eine Pferdezucht und das Urteil II einen Rennstall betrifft. Vor allem aber ist im Urteil I --anders als im Urteil II-- ausdrücklich nicht über die Frage der Gewinnerzielungsabsicht, sondern nur über eine Verfahrensfrage entschieden worden.
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bb) Im Ergebnis dasselbe gilt für die Rechtsfrage "Ist die Rechtskraftwirkung eines (objektiv falschen) Urteils, nach dem ein selbständiger, der Feststellung unterfallender Gewerbebetrieb vorläge, deswegen aufgehoben, weil das FG durch ein vorheriges, ebenfalls rechtskräftig gewordenes Urteil entschieden hat, dass eine unmittelbare Berücksichtigung von Aufwendungen im Gewerbebetrieb zu erfolgen hat?"
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Die vom Kläger aufgeworfene Frage stellt sich im Streitfall nicht, weil die von ihm angeführten Entscheidungen sowohl zu unterschiedlichen Streitjahren als auch zu unterschiedlichen Sachverhalten ergangen sind.
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cc) Darüber hinaus formuliert der Kläger die folgende, von ihm als grundsätzlich bedeutsam angesehene Rechtsfrage: "Gebietet § 174 Abs. 3 AO eine Änderung eines bereits durch Gerichtsentscheidung entschiedenen Streits (unmittelbare Berücksichtigung von Aufwendungen im Gewerbebetrieb) zu Gunsten des Steuerpflichtigen mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht wegen des Verböserungsverbots nicht ziehen durfte?"
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Auch diese Rechtsfrage wäre in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Denn das Verböserungsverbot hat für die Entscheidung des FG keine Rolle gespielt.
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Im Übrigen leidet die vom Kläger formulierte Rechtsfrage an einem nicht auflösbaren inneren Widerspruch: Einerseits begehrt der Kläger eine "Änderung ... zu Gunsten des Steuerpflichtigen", andererseits soll das FG diese Änderung "wegen des Verböserungsverbots" aber nicht selbst haben vornehmen dürfen. Eine Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen kann aber von vornherein nicht unter das Verböserungsverbot fallen.
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2. Soweit der Kläger die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt, hätte er einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und der herangezogenen Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten müssen (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 X B 34/10, BFH/NV 2011, 813, unter 1.c, m.w.N.). Daran fehlt es.
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3. Auch die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht schlüssig dargelegt.
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a) Der Kläger rügt zunächst, die Entscheidung des FG sei i.S. des § 119 Nr. 6 FGO teilweise nicht mit Gründen versehen, weil sie sich nicht mit der Möglichkeit einer Änderung nach § 174 AO befasse, obwohl er sich vor dem FG auf diese Vorschrift berufen habe.
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Auch insoweit geht der Kläger aber von der unzutreffenden Prämisse aus, es seien zu "demselben Sachverhalt" zwei einander widersprechende Entscheidungen ergangen. Da eine Anwendbarkeit der Vorschrift des § 174 AO fern lag, musste das FG sie --insbesondere angesichts des erheblichen Umfangs des ungeordneten und widersprüchlichen Vorbringens des Klägers-- nicht im Urteil erwähnen.
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b) Der Verfahrensmangel des Übersehens der Rechtskraft eines Urteils ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Das Urteil I stand weder dem Ergehen des Urteils II noch des Urteils III entgegen.
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4. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, die Erbringung von Finanzdienstleistungen und der Betrieb des Rennstalls sei als einheitliches Gewerbe anzusehen, und die Feststellungsfrist für die Jahre ab 1988 sei noch nicht abgelaufen, handelt es sich um materiell-rechtliches Vorbringen, das im Verfahren über die Zulassung der Revision unbeachtlich ist.
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5. Danach kann offenbleiben, ob die Beschwerde, soweit sie die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember der Jahre 1997 bis 2002 sowie die Einkommensteuer 2002 betrifft, schon deshalb unzulässig ist, weil es im Hinblick auf diese Streitgegenstände an der gemäß § 116 Abs. 3 FGO erforderlichen Beschwerdebegründung fehlt. Die vorliegende Beschwerdebegründung bezieht sich ausschließlich auf den zum 31. Dezember 1996 ergangenen Feststellungsbescheid.
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6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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