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BFH 28.08.2012 - VII B 181/11
BFH 28.08.2012 - VII B 181/11 - Wechsel des Einzelrichters nach Beweisaufnahme - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Richterliche Hinweispflicht
Normen
§ 81 FGO, § 103 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 30. August 2011, Az: 8 K 2887/05, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist nicht verletzt, wenn nach Durchführung der Beweisaufnahme durch den Einzelrichter ein Richterwechsel stattfindet und der nunmehr zuständige Richter das Ergebnis der Beweiserhebung seiner Entscheidung zugrunde legt .
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2. NV: Ist die Sachlage und Rechtslage in den gewechselten Schriftsätzen kontrovers erörtert worden, kann der Kläger weder davon ausgehen, dass das FG seinen Ausführungen und den von ihm aus seinen Unterlagen gezogenen Schlussfolgerungen folgen, noch davon, dass das FG keine weiteren als die bereits erörterten rechtlichen Gesichtspunkte seiner Entscheidung zugrunde legen werde .
Tatbestand
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I. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom Oktober 2000 wurde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Architekten A bestellt. Dem A erlegte das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 der Insolvenzordnung auf. Lediglich die Verfügungsbefugnis über bestehende Arbeitsverhältnisse verblieben dem A, allerdings unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Klägers.
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Nachdem der Kläger und A zunächst die Möglichkeit der Fortführung des Architekturbüros erwogen hatten, wurde der Betrieb schließlich Anfang Februar 2002 eingestellt. Zwischen November 2000 und Juni 2001 wurden den Arbeitnehmern des Architekturbüros Löhne ausbezahlt, Lohnsteuer und Nebenabgaben jedoch nicht abgeführt. Im Oktober 2001 lagen dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) u.a. Lohnsteueranmeldungen für das I. und II. Quartal 2001 vor, die offenbar vom Kläger eingereicht worden sind.
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Aus dem zum 18. September 2001 erstellten Insolvenzgutachten des Klägers geht hervor, drei Mitarbeiter seien zur Abwicklung der laufenden Aufträge bis 31. Juli bzw. 31. August 2001 (monatliche Lohnsumme 17.128,94 DM) beschäftigt gewesen. Für Juli und August 2001 bestünden Gehaltsrückstände.
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Im Mai 2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Mit Haftungsbescheid vom 21. April 2005 nahm das FA den Kläger gemäß §§ 191, 34 Abs. 3, § 69 der Abgabenordnung für Lohnsteuer und steuerliche Nebenleistungen für die Zeiträume 11/2000 bis II. Quartal 2001 in Haftung. Der Einspruch, den der Kläger im Wesentlichen damit begründete, sich als vorläufiger starker Verwalter in einer Zwangslage zwischen Betriebsfortführung und der im Falle einer zum Zwecke der Lohnsteuerabführung gekürzten Lohnzahlung unausweichlichen Stilllegung des Betriebs befunden zu haben, blieb --bis auf eine Beschränkung des Haftungszeitraums auf die beiden ersten Quartale 2001 und eine Reduzierung der Haftungssumme unter Halbierung der Säumniszuschläge-- erfolglos.
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Der dagegen vom Kläger geführte Rechtsstreit wurde am 16. Juli 2007 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Auf mündliche Verhandlung verzichteten die Beteiligten. Die Einzelrichterin erhob in der mündlichen Verhandlung vom 20. August 2007 im Beisein des Klägervertreters Beweis. Mit Beschluss vom 29. August 2007 wurde die Sache vertagt und im schriftlichen Verfahren weiterer Zeugenbeweis erhoben und den Beteiligten zur Stellungnahme zugeleitet. Nach Ausscheiden der Richterin aus dem Senat wurde der Rechtsstreit dem Richter K zugewiesen. Dieser wies die Beteiligten auf den Wechsel in der Gerichtsbesetzung und auf die bevorstehende Einzelrichterentscheidung hin. Eine Äußerung des Klägers dazu liegt nicht vor.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Im Verfahren hatte der Kläger erstmals geltend gemacht, A habe eigenmächtig mit Mitteln seines Vaters ohne Kenntnis des Klägers die Löhne bis einschließlich Juni 2001 ausgezahlt. Das FG urteilte, der Kläger habe die ihm als sog. starken Insolvenzverwalter obliegende Pflicht, die durch die Betriebsführung entstandene Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen, grob fahrlässig und damit schuldhaft verletzt. Diese Pflicht habe sich auch auf die vom Schuldner A --als Dritten-- vorgenommenen Zahlungen bezogen, weil A nur als Zahlstelle fungiert habe. Darüber hinaus habe der Kläger die nach § 41c Abs. 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebotene unverzügliche Anzeige der Nichtabführung der Lohnsteuern nicht vorgenommen. Durch die Pflichtverletzungen sei der Lohnsteuerausfall verursacht worden unabhängig davon, ob das FA die Beträge bei den Arbeitnehmern nachfordern oder hätte beitreiben können. Die Haftung sei auch nicht mangels dem Kläger verfügbarer liquider Mittel zur Steuerentrichtung beschränkt. Denn die gezahlten Löhne seien nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht aus Fremdmitteln bestritten worden.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, auf Verfahrensfehler und gravierende Rechtsfehler des FG, die eine Korrektur der Entscheidung im Allgemeininteresse erforderten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Keiner der vom Kläger geltend gemachten Gründe erfüllt die in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abschließend aufgeführten Voraussetzungen für die Zulassung der Revision.
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1. Ungenügende Sachverhaltsermittlung ist nur dann ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, wenn das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Aufklärung beruhen kann (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Februar 2007 X B 89/06, BFH/NV 2007, 958, m.w.N.). Mit der Rüge, das FG habe keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit das FA bei entsprechender Anzeige des Klägers Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern nachgefordert hätte, wird ein solcher Zusammenhang nicht dargelegt. Denn nach der Rechtsauffassung des FG ist der Lohnsteuerausfall durch die Pflichtverletzung des Klägers unabhängig davon verursacht worden, ob das FA die Beträge bei den Arbeitnehmern beigetrieben hätte oder hätte beitreiben können.
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2. Das FG hat auch keinen Verfahrensfehler durch Verletzung des Gebots der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 81 FGO begangen. Aus den FG-Akten ergibt sich zweifelsfrei, dass der seinerzeit zuständige Spruchkörper des FG, die durch Beschluss bestellte Einzelrichterin, in mündlicher Verhandlung Beweis erhoben hat, wie es in § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO geregelt ist.
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Mit dem Vorbringen, der für die ausgeschiedene Richterin nachgerückte Richter habe das Urteil nicht auf der Grundlage der Beweiserhebung seiner Vorgängerin fällen dürfen, sondern sich durch eigene Beweiserhebung vor der Urteilsfindung ein eigenes Bild machen müssen, wird kein revisionsbegründender Verfahrensmangel aufgezeigt. In § 81 Abs. 2 FGO ist vielmehr ausdrücklich vorgesehen, die Beweiserhebung nicht durch den Spruchkörper, sondern durch einen beauftragten oder ersuchten Richter durchführen zu lassen. Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise der durch die Beweiserhebung zu gewinnende persönliche Eindruck für die Urteilsfindung ausschlaggebend sein könnte, hat der Kläger --dem das Protokoll der Beweisaufnahme bekannt und die Absicht, ohne erneute Beweisaufnahme im schriftlichen Verfahren zu entscheiden angekündigt waren-- nicht vorgebracht; sie sind aus der Urteilsbegründung auch nicht ersichtlich.
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Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu § 103 FGO ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung unschädlich und zwar auch dann, wenn in dem früheren Verhandlungstermin eine Beweisaufnahme stattgefunden hat (BFH-Beschluss vom 3. Dezember 2010 V B 57/10, BFH/NV 2011, 615, m.w.N.).
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3. Die Ausführungen, mit denen der Kläger die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darzulegen sucht, lassen keinen Verfahrensverstoß i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO erkennen. Richterliche Hinweise darauf, dass das Gericht zu dem Vortrag des Klägers widersprechenden Feststellungen gekommen sei bzw. eine weitere Pflichtverletzung (Verletzung der Anzeigepflicht nach § 41c Abs. 1 und 4 EStG) haftungsbegründend in Betracht komme, bedurfte es nicht. Im Hinblick auf die breite Erörterung der Sach- und Rechtslage in den gewechselten Schriftsätzen konnte der Kläger weder davon ausgehen, dass das FG seinen Ausführungen und den von ihm aus seinen Unterlagen gezogenen Schlussfolgerungen folgen, noch davon, dass das FG keine weiteren als die bereits erörterten rechtlichen Gesichtspunkte seiner Entscheidung zu Grunde legen werde. Ein Gericht ist nicht dazu verpflichtet, seine Rechtsansicht vor einer Entscheidungsfindung mündlich oder schriftlich mitzuteilen bzw. die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte und Rechtsfragen im Voraus anzudeuten oder sogar umfassend zu erörtern (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 1 BvR 934/93, BVerfGE 96, 189). Einen fachkundig vertretenen Prozessbeteiligten braucht es auf naheliegende rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte nicht hinzuweisen (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2011 VII B 28/11, BFH/NV 2012, 752, m.w.N.).
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Im Übrigen zeigen die Ausführungen des Klägers, was er auf entsprechende Hinweise des FG noch vorgetragen hätte, dass er im Grunde nicht die Verletzung des Gehörsanspruchs, sondern die seines Erachtens nach unzutreffende Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das FG beanstandet. Wenn er die Feststellungen des FG, die Löhne seien mit seinem Wissen und nicht aus Fremdmitteln, sondern aus ausreichender Liquidität des Schuldners gezahlt worden, für überraschend hält, weil das FG die in dem von ihm erstellten Gutachten festgestellte Masselosigkeit nicht zu Grunde gelegt hat, wird deutlich, dass er die weiteren vom FG angeführten Erkenntnisquellen (Inhalt der Akten, Zeugenaussagen und eigene Angaben des Klägers) demgegenüber für ungeeignet hält. Auch die für den Fall der vermeintlich gebotenen richterlichen Hinweise angekündigten Erläuterungen zu seiner Einspruchsbegründung, zum Inhalt der Umsatzsteuervoranmeldungen und --im Hinblick auf die Verletzung einer Anzeigepflicht-- zum Umfang und Inhalt der dem FA vorgelegten Unterlagen zeigen, dass es ihm um die Korrektur der vom FG vorgenommenen Würdigung des Sachverhalts geht. Ein solches Korrekturinteresse im Einzelfall genügt regelmäßig nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, es ist revisionsrechtlich unbeachtlich. Das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 VII B 57/11, BFH/NV 2012, 1623).
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4. Soweit der Kläger rügt, die Entscheidung beruhe auf einer insgesamt unvollständigen und fehlerhaften Würdigung des Prozessstoffes einschließlich der Beweisaufnahme, ergibt sich schon aus diesen Formulierungen, dass damit keiner der abschließend aufgeführten Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO geltend gemacht wird. Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung durch den BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (BFH-Beschlüsse vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; vom 31. März 2009 X B 146/08, BFH/NV 2009, 1134; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 76, 82, m.w.N.).
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