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BFH 01.06.2012 - III B 3/11
BFH 01.06.2012 - III B 3/11 - Übersehen einer Rechtsfrage begründet keine Divergenz - Anforderungen an die schlüssige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 1 Abs 3 EStG 2002, § 62 Abs 1 Nr 2 Buchst b EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 29. November 2010, Az: 5 K 1526/09 (Kg), Urteil
Leitsatz
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1. NV: Der für eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 FGO erforderliche abweichende abstrakte Rechtssatz kann sich zwar aus scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des FG ergeben. Ein solcher Rechtssatz liegt aber nicht vor, wenn das FG die Rechtsfrage nicht entschieden, sondern übersehen hat .
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2. NV: Zur schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gehört ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage. Es ist anzuführen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die aufgeworfene Rechtsfrage umstritten ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bezog für seine beiden im Streitzeitraum minderjährigen Söhne Kindergeld. Der Arbeitgeber des Klägers bewilligte ihm ab dem 1. Januar 2008 für die Dauer von zwei Jahren Elternzeit. Der Kläger teilte der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) im März 2008 telefonisch mit, seine Familie halte sich derzeit für mindestens sechs Monate auf den Philippinen auf. Im Juli 2008 informierte das Einwohnermeldeamt die Familienkasse davon, dass die Familie des Klägers zum 1. Januar 2008 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden sei. Daraufhin hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2008 auf und forderte das für die Zeit von Januar 2008 bis Juli 2008 gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.156 € zurück. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Während des Klageverfahrens half die Familienkasse der Klage für den Monat Januar 2008 ab. Im Übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, der Kläger sei nicht nach § 62 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG) kindergeldberechtigt, weil er weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Dabei könne dahinstehen, ob sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2008 eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers ergebe, da eine in diesem Steuerbescheid erfolgte Prüfung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend sei.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern die von dem Kläger behaupteten Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
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1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) liegt nicht vor.
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a) Eine Divergenz ist anzunehmen, wenn das FG mit einem das angefochtene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dabei dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 III B 56/11, BFH/NV 2012, 178, m.w.N.).
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b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
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aa) Soweit der Kläger vorträgt, das FG weiche in seiner Entscheidung von dem in dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 9. Februar 2010 4 K 5221/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 886; nicht rechtskräftig, Az. des Bundesfinanzhofs --BFH-- III R 14/10) aufgestellten abstrakten Rechtssatz ab, nach dem eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG auch dann bestehen könne, wenn der Berechtigte im Besteuerungsverfahren nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden sei, liegt die behauptete Divergenz nicht vor. Das FG hat in dem angegriffenen Urteil --entgegen den Ausführungen des Klägers-- gerade nicht den Rechtssatz aufgestellt, eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setze voraus, dass das Finanzamt den Anspruchsteller im Besteuerungsverfahren nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt habe.
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Ein abweichender abstrakter Rechtssatz kann sich zwar auch aus scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des FG ergeben. Das FG muss die Rechtsfrage aber entscheiden und darf sie nicht übersehen haben (BFH-Beschluss vom 27. Februar 1998 IX B 29/96, BFH/NV 1998, 1064). Im Streitfall hat das FG jedoch --wie vom Kläger selbst vorgetragen-- die Frage der Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG überhaupt nicht geprüft. Es hat in seinen Urteilsgründen lediglich die nach § 62 Abs. 1 EStG abstrakt bestehenden Kindergeldberechtigungen aufgezählt und dabei auch die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erwähnt. Hierdurch hat es aber den vom Kläger bezeichneten abweichenden Rechtssatz weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt.
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bb) Ebenso liegt keine Abweichung von dem Urteil des FG Düsseldorf vom 18. Dezember 2009 3 K 3986/08 Kg (EFG 2010, 651) vor.
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Die zitierte Entscheidung des FG Düsseldorf erging zu dem Kindergeldanspruch eines Vaters, der im Anschluss an eine Beschäftigung bei einer deutschen Aktiengesellschaft Elternzeit zur Erziehung seines Kindes genommen hat und nach Belgien verzogen ist. Es entschied, dass der Vater auch ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ohne unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 oder Abs. 3 EStG nach seinem Wegzug nach Belgien so lange zum Kreis der in § 62 Abs. 1 EStG aufgeführten Anspruchsberechtigten gehöre, als er aufgrund der Elternzeit in der inländischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung versichert sei. Dies ergebe sich aus den der Vorschrift des § 62 Abs. 1 EStG vorgehenden einschlägigen Regelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71).
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Dem Streitfall liegt bereits ein anderer Sachverhalt als der der vorgeblichen Divergenzentscheidung zugrunde. Der Kläger ist während seiner Elternzeit nicht in einen anderen EU-Mitgliedstaat, sondern auf die Philippinen verzogen. Außerdem gründete der Erfolg der vorgeblichen Divergenzentscheidung auf der rechtlichen Überlegung, dass die VO Nr. 1408/71 gegenüber den inländischen Vorschriften vorrangig sei. Dieser rechtliche Gesichtspunkt könnte in einem Revisionsverfahren nicht zum Tragen kommen, weil im Streitfall die VO Nr. 1408/71 mangels eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten nicht anwendbar wäre.
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2. Den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung hat der Kläger nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO vorgeschriebenen Art und Weise dargelegt.
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a) Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (z.B. BFH-Beschluss vom 16. Mai 2008 VII B 118/07, BFH/NV 2008, 1440).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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aa) Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG voraussetze, dass der Anspruchsteller bereits im Besteuerungsverfahren nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden sei. Es fehlt aber bereits an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage. Hierfür wäre insbesondere erforderlich gewesen, dass er sich mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur zu der von ihm für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage auseinandergesetzt hätte (BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2006 XI B 23/06, BFH/NV 2007, 648). Er beschäftigt sich aber nicht mit der in der Literatur weit verbreiteten Meinung, nach der die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG eine entsprechende einkommensteuerrechtliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfordere (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 62 Rz 43 ff.; Blümich/Treiber, § 62 EStG Rz 25; Hildesheim in Bordewin/Brandt, § 62 EStG Rz 56; Lehner/Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1 Rz D 206; Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62 Rz B 72).
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Ebenso legt er nicht dar, inwieweit die Entscheidung von der Beantwortung der genannten Rechtsfrage abhängt und damit im Revisionsverfahren klärbar ist. Im Revisionsverfahren sind nur solche Rechtsfragen klärbar, die sich auf Grundlage der finanzgerichtlichen Feststellungen ergeben (BFH-Beschluss vom 29. September 2000 V B 26/00, BFH/NV 2001, 326; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 183). Das FG hat jedoch in seinen Urteilsgründen offen gelassen, ob sich aus dem Einkommensteuerbescheid für 2008 überhaupt eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers ergebe. Es ist daher nicht ersichtlich, wie die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage im Revisionsverfahren entschieden werden könnte.
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bb) Soweit der Kläger meint, grundsätzlich bedeutsam sei die Rechtsfrage, ob der Anspruchsteller während seiner Elternzeit bei einem Aufenthalt in einem Nicht-EU-Mitgliedstaat kindergeldberechtigt sein könne, auch wenn er weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe und nicht nach § 1 Abs. 2 oder Abs. 3 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei, legt er ebenfalls nicht deren Klärungsbedarf dar. Er behauptet lediglich, dass diese Frage grundsätzlich bedeutsam sei, zeigt aber nicht auf, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen deren Beantwortung zweifelhaft und umstritten sein soll (s. dazu BFH-Beschluss vom 3. Mai 2005 V B 200/04, BFH/NV 2005, 1641).
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3. In der nicht erfolgten Prüfung einer die Kindergeldberechtigung begründenden Norm kann zwar ein materieller Mangel des Urteils liegen. Mit der Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich aber die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. BFH-Beschluss vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, BFH/NV 2008, 1510).
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