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BFH 09.12.2011 - III B 67/11
BFH 09.12.2011 - III B 67/11 - Rüge überlanger Verfahrensdauer in Kindergeldsachen - Darlegung von Zulassungsgründen
Normen
Art 6 MRK, Art 19 Abs 4 GG, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 295 ZPO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 3. März 2011, Az: 10 K 537/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Rüge der überlangen Verfahrensdauer erfordert Ausführungen dazu, inwieweit das angefochtene Urteil bei einer Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt anders ausgefallen wäre.
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2. NV: Hat der Kläger die Nichtvernehmung von Zeugen nicht gerügt, kann er sich nicht im Nachhinein darauf berufen, durch die Verfahrensdauer sei es zu einem Verlust von Beweismitteln gekommen.
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3. NV: Auch wenn der EGMR Art. 6 EMRK in Kindergeldsachen für anwendbar erklärt hat, kommt es für die Frage, ob die Revision wegen einer überlangen Verfahrensdauer zuzulassen ist, allein darauf an, ob dem FG ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vorgebrachten Zulassungsgründe wurden nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargetan oder liegen nicht vor.
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1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
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a) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf eine "überlange und ungerechtfertigte Verfahrensdauer" berufen.
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aa) Für das finanzgerichtliche Verfahren gebietet das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes --GG--) die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zu Ende zu bringen. Grundsätzlich kann deshalb die überlange Dauer eines Verfahrens zu einem Verfahrensmangel führen.
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bb) Ob die Dauer des Klageverfahrens von vorliegend drei Jahren zu beanstanden ist, kann indes offenbleiben. Denn selbst eine gemessen an Art. 19 Abs. 4 GG unzulässige, überlange Verfahrensdauer wirkt sich in der Regel nicht auf die Darlegungs- und objektive Feststellungslast aus, sondern kann nur ausnahmsweise, z.B. wenn durch eine unangemessene Behandlung des Verfahrens durch das Finanzgericht (FG) ein Beweismittel verloren geht, im Wege einer Beweiserleichterung das Ausmaß der Überzeugungsbildung im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung beeinflussen (grundlegend Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407; BFH-Beschluss vom 16. August 2007 VIII B 211/06, BFH/NV 2007, 2312). In der Beschwerdebegründung sind deshalb auch Ausführungen dazu erforderlich, inwieweit das angefochtene Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das FG zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hätte (Senatsbeschluss vom 31. August 2010 III B 95/09, BFH/NV 2010, 2294; BFH-Beschluss vom 26. September 2007 VII B 75/07, BFH/NV 2008, 126).
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Dass dies vorliegend der Fall war, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Aus der Ladung vom 7. Februar 2011 zur mündlichen Verhandlung am 3. März 2011 war ersichtlich, dass das FG keinen der von dem Kläger benannten und in der Türkei wohnhaften Zeugen zu dem Termin geladen hatte. Aus Sicht des FG kam es auf diese Zeugen mithin nicht entscheidend an. Es ist deshalb nicht erkennbar, dass die Entscheidung im Falle einer kürzeren Verfahrensdauer anders ausgefallen wäre.
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Insbesondere hat der --anwaltlich vertretene-- Kläger die Nichtvernehmung der von ihm benannten Zeugen ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt. Auch eine Vertagung hat er nicht beantragt. Der Kläger kann sich deshalb nicht im Nachhinein darauf berufen, durch die Verfahrensdauer sei es zu einem Verlust von Beweismitteln gekommen, weil --wie er in der Beschwerdebegründung ausführt-- die aktuellen Anschriften der von ihm mit Schriftsatz vom 6. August 2008 benannten Zeugen in der Zeitspanne zwischen Ladung und mündlichen Verhandlung größtenteils nicht mehr rechtzeitig hätten ermittelt werden können.
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Aus Sicht des FG kam eine --weitere-- Sachaufklärung durch Vernehmung der Zeugen --wie ausgeführt-- offensichtlich nicht in Betracht. Auf die Vernehmung von Zeugen hat der Kläger im vorliegenden Fall verzichtet (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), indem er weder die Rüge noch die übergangenen Beweisanträge zu Protokoll erklärt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 25. August 2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122). Im Streitfall war zur mündlichen Verhandlung kein Zeuge geladen worden und damit für den Kläger erkennbar, dass das FG die beantragte Zeugenvernehmung nicht durchzuführen beabsichtigte. Wird dies in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt, so liegt darin ein Verzicht auf die Geltendmachung des Verfahrensmangels des Übergehens eines Beweisantrags (BFH-Beschluss vom 11. August 2006 VIII B 322/04, BFH/NV 2006, 2280). Die --vermeintlich-- überlange Dauer des Klageverfahrens ist damit ohne Belang.
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cc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Kindergeldsachen nach dem Einkommensteuergesetz für anwendbar erklärt hat (Urteil vom 1. April 2010 12852/08, juris, Rdnr. 32). Danach kommt es für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer zwar auf den Zeitraum seit Einspruchseinlegung als ersten Schritt, um ein finanzgerichtliches Verfahren anhängig zu machen, an (vgl. EGMR-Urteil vom 1. April 2010 12852/08, juris, Rdnr. 33). Für die Frage, ob ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler vorliegt, kann gleichwohl nur auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens abgestellt werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 126). Denn Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nur Verstöße des FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung über das Klagebegehren fehlt (z.B. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2007 XI B 16/07, BFH/NV 2008, 595).
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b) Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die im angefochtenen Urteil vertretene Rechtsauffassung des FG, wonach die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für den Sohn zu Recht in Höhe des den Kindergeldansatz nach dem deutsch-türkischen Abkommen übersteigenden Betrages aufgehoben und das überzahlte Kindergeld zurückgefordert hat. Mit der insoweit gerügten "fehlerhaften und einseitigen" tatrichterlichen Beweiswürdigung, weil das FG seinen sachlichen Argumenten keinen Glauben geschenkt habe, macht der Kläger jedoch keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend, sondern eine --vermeintlich-- falsche materielle Rechtsanwendung. Diese führt nicht zur Zulassung der Revision, da die Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Januar 2007 VIII B 134/05, BFH/NV 2007, 890, m.w.N.).
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2. Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) geltend, so muss er u.a. eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen und auf deren Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Dabei ist substantiiert vorzutragen, warum die Klärung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.). Wird ein Verfassungsverstoß geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BFH orientierte inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Dezember 2010 III B 90/09, BFH/NV 2011, 626).
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Dem Beschwerdevorbringen sind solche Darlegungen nicht zu entnehmen. Der Kläger hat letztlich nur die von ihm für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, "inwiefern eine Entscheidung, die auf dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung beruht, überhaupt noch mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist", formuliert. Weitere Ausführungen hierzu, insbesondere welche verfassungsrechtliche Norm durch den für den Finanzgerichtsprozess in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO niedergelegten Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt sein soll und welche Folgen hieraus zu ziehen wären, fehlen.
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3. Aus den gleichen Gründen ist die Revision nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zuzulassen, da es sich bei dem Erfordernis einer Revisionsentscheidung zur Rechtsfortbildung um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2011 III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043).
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4. Es liegt schließlich auch keine zulässige Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) vor, weil der Kläger schon keine andere Gerichtsentscheidung angeführt hat, von der das FG abgewichen sein soll. Der bloße Hinweis, der EGMR habe mit Urteil vom 8. Juni 2006 75529/01 (juris) festgehalten, dass eine überlange Verfahrensdauer das rechtliche Gehör verletze und mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar sei, ist keine den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügende Darlegung des Zulassungsgrundes der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
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5. Von einer Wiedergabe des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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