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BFH 04.08.2011 - III R 62/09
BFH 04.08.2011 - III R 62/09 - Kindergeld für eine "Meister-BAföG" beziehende Ausländerin mit Aufenthaltserlaubnis - Benachteiligung gegenüber Geldleistungen nach dem SGB III beziehenden Ausländern
Normen
§ 62 Abs 2 Nr 3 Buchst b EStG 2002 vom 13.12.2006, § 30 Abs 4 AuslG 1990, § 25 Abs 5 AufenthG, § 2 Abs 1 AFBG, § 8 Abs 2 Nr 2 AFBG, Art 3 Abs 1 GG, SGB 3, § 8 Abs 3 S 2 AFBG
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 29. April 2008, Az: 2 K 2855/06, Urteil
Leitsatz
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Ausländer, die über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen und nach vorangegangener berechtigter Erwerbstätigkeit für den Besuch der Meisterschule nach dem AFBG gefördert werden, können Kindergeld beanspruchen wie Ausländer, die laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehen .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reiste zu Beginn der neunziger Jahre aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland ein. Ihr Antrag auf Gewährung von Asyl blieb ohne Erfolg, sie wurde jedoch wegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 des Ausländergesetzes (AuslG 1990) geduldet. Die Duldung wurde mehrfach, zuletzt bis zum 10. September 2002, verlängert. Seitdem war sie im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 AuslG 1990, die einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) entspricht.
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Nachdem die Klägerin von 1999 bis zum Juli 2002 eine Ausbildung zur Augenoptikerin absolviert hatte, arbeitete sie bis Ende August 2003 bei dem vormaligen Ausbildungsbetrieb als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin. Vom 1. September 2003 bis zum 31. Juli 2005 besuchte sie eine Meisterschule mit Vollzeitunterricht zwecks Ausbildung zur Optikermeisterin. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie in dieser Zeit durch Zuwendungen aus dem sog. Meister-BAföG-Programm (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz --AFBG--). Anschließend wurde sie wieder von ihrem Ausbildungsbetrieb beschäftigt.
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Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag auf Kindergeld für den 1994 geborenen Sohn der Klägerin ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
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Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hat sich die Klage teilweise erledigt. Der ursprüngliche Antrag richtete sich auf Kindergeld für den Zeitraum Januar 2001 bis Juni 2006; nach Teilabhilfe der Familienkasse für die Monate September 2002 bis August 2003 und August 2005 bis Juni 2006 haben die Beteiligten insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Seit Juli 2006 erhält die Klägerin laufend Kindergeld.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage hinsichtlich der verbleibenden Zeiträume Januar 2001 bis August 2002 (Ausbildungszeit) und September 2003 bis Juli 2005 (Meisterschule) ab. Es entschied, für den Zeitraum Januar 2001 bis August 2002 stehe der Klägerin wegen § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (EStG), der gemäß § 52 Abs. 61a EStG im Streitfall anwendbar sei, kein Kindergeld zu. Auch für den Zeitraum von September 2003 bis Juli 2005 könne sie trotz ihrer Aufenthaltsbefugnis kein Kindergeld beanspruchen, weil sie weder erwerbstätig gewesen sei noch Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erhalten habe. Das AFBG verfolge zwar die gleichen Ziele wie das SGB III, sei vom Gesetzgeber aber nicht in dieses integriert worden. Diese Auslegung führe zwar zu Härten, zumal es sich bei der Klägerin um eine mustergültig integrierte Ausländerin handele. Die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung könne aber nicht durch die Justiz korrigiert werden.
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Mit ihrer Revision trägt die Klägerin vor, die Versagung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar 2001 bis August 2002 beruhe auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung des § 62 Abs. 2 EStG und widerspreche der Weisung des Bundeszentralamtes für Steuern vom 13. Juni 2007 St II 2 -S 2470- 2/2006 (BStBl I 2007, 489). Der Anspruch ergebe sich aus § 62 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG i.V.m. § 25 Abs. 3, § 60 Abs. 7 AufenthG, denn sie habe sich mindestens drei Jahre geduldet in Deutschland aufgehalten und sei im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig gewesen. Die durch Bescheid vom 12. August 1997 festgestellte Duldung aus humanitären Gründen gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 entspreche einer Duldung nach § 60 Abs. 7 AufenthG (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2006 1 C 14.05, BVerwGE 126, 192). Bei der Auslegung des am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG sei zu berücksichtigen, dass § 25 Abs. 3 bis 5 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen AufenthG nicht die Duldung regele; diese sei lediglich noch als Ausnahmefall in § 60a AufenthG enthalten.
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Die Versagung des Kindergeldes für den Zeitraum des Besuchs der Meisterschule (September 2003 bis Juli 2005) beruhe auf einer gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) verstoßenden Auslegung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 EStG. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, Ausländern bei Bezug von Leistungen nach dem SGB III Kindergeld zu gewähren, nicht aber Ausländern, die Leistungen nach dem AFBG erhielten.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für ihren Sohn für Januar 2001 bis August 2002 und von September 2003 bis Juli 2005 festzusetzen.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist hinsichtlich des Zeitraums Januar 2001 bis August 2002 unbegründet. Hinsichtlich der Monate September 2003 bis Juli 2005 ist sie begründet, insoweit ist der Klage stattzugeben.
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1. Für die Monate Januar 2001 bis August 2002, in denen die Klägerin ausgebildet wurde, steht ihr kein Kindergeld zu, denn sie war bis zum 10. September 2002 lediglich geduldet und damit nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels i.S. von § 62 Abs. 2 EStG. Ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG scheidet daher aus. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf seine Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905), vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913) und vom 7. April 2011 III R 72/09 (BFH/NV 2011, 1134).
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Bei der Ausbildung der Klägerin zur Augenoptikerin handelt es sich auch nicht um eine Erwerbstätigkeit i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG; die Gleichsetzung einer Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Erwerbstätigkeit durch § 8 Abs. 3 Satz 2 AFBG gilt nicht im Hinblick auf § 62 Abs. 2 EStG.
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2. Für die Monate September 2003 bis Juli 2005, in denen sie die Meisterschule besuchte, kann die Klägerin dagegen Kindergeld beanspruchen, denn nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die --wie die Klägerin in diesem Zeitraum-- über eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 AuslG 1990 bzw. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügen und nach einer vorangegangenen berechtigten Erwerbstätigkeit im Inland nach den Vorschriften des AFBG sog. Meister-BAföG beziehen, sind i.S. von § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG denjenigen Ausländern gleichzustellen, die laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehen.
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a) Die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG ist verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit dadurch geduldete Ausländer ohne Aufenthaltstitel von einem Leistungsanspruch von vornherein ausgeschlossen werden (Senatsurteil in BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905). Sie entspricht auch insoweit den Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114), als Ausländer mit Aufenthaltstiteln nach § 23 Abs. 1, §§ 23a, 24 oder 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG Kindergeld nur bei einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt im Inland erhalten, der wiederum bei Integration in den deutschen Arbeitsmarkt durch eine berechtigte Erwerbstätigkeit, den Bezug von Leistungen nach dem SGB III oder Elternzeit unterstellt wird.
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b) Die Klägerin ist in den deutschen Arbeitsmarkt integriert, denn die einer berechtigten Erwerbstätigkeit nachfolgende Förderung nach dem AFBG ist dem Bezug laufender Geldleistungen nach dem SGB III rechtlich gleichwertig.
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aa) Das sog. Meister-BAföG nach dem AFBG fördert Maßnahmen, die einen Abschluss in einem nach § 4 des Berufsbildungsgesetzes oder nach § 25 der Handwerksordnung anerkannten Ausbildungsberuf, einen vergleichbaren bundes- oder landesrechtlich geregelten Berufsabschluss oder eine diesen Berufsabschlüssen entsprechende berufliche Qualifikation voraussetzen (§ 2 Abs. 1 AFBG) und für die kein Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung oder Arbeitslosigkeit nach dem SGB III geleistet wird (§ 3 AFBG). Ausländer können Meister-BAFöG erhalten, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG haben und sich seit mindestens vier Jahren in Deutschland ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet aufhalten (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 AFBG) oder sich vor Beginn der Maßnahme insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten haben und rechtmäßig erwerbstätig waren; als Erwerbstätigkeit gilt dabei auch die Zeit in einem Berufsausbildungsverhältnis in einem nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung anerkannten Ausbildungsberuf (§ 8 Abs. 3 AFBG). Der Unterhaltsbedarf für Alleinstehende erhöht sich, wenn sie ein Kind haben, für das Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG oder dem Bundeskindergeldgesetz besteht (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AFBG).
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bb) Das SGB III sieht zahlreiche Fördermaßnahmen für Arbeitnehmer vor, u.a. Trainingsmaßnahmen, die die Arbeitsbereitschaft und die Arbeitsfähigkeit prüfen (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 SGB III in der bis einschließlich 2008 geltenden Fassung), Berufsausbildungsbeihilfe (§ 60 SGB III), berufsvorbereitende Maßnahmen (u.a. die Vorbereitung des nachträglichen Erwerbs des Hauptschulabschlusses, § 61 Abs. 2 Nr. 2 SGB III in der bis einschließlich 2008 geltenden Fassung) und die Förderung der beruflichen Weiterbildung, auch bei fehlendem Berufsabschluss (§ 77 SGB III).
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cc) Die Voraussetzungen des Meister-BAföG sind wesentlich strenger als die des SGB III. Während sich das Meister-BAFöG an Fachkräfte wendet, die bereits über eine abgeschlossene Erstausbildung verfügen, sich auf einen Fortbildungsabschluss zum Handwerks- oder Industriemeister, Techniker, Fachkaufmann oder eine vergleichbare Qualifikation vorbereiten und gemäß § 9 AFBG erwarten lassen, dass sie die Fortbildungsmaßnahme erfolgreich abschließen werden, werden Geldleistungen nach dem SGB III auch an Personen erbracht, die nicht über eine nennenswerte Allgemeinbildung oder über berufsbezogene Qualifikationen verfügen.
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dd) Die Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/1368, S. 8 ff.) zeigt, dass der Gesetzgeber in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG nicht einen abschließenden Katalog schaffen, sondern an Tatsachen anknüpfen wollte, die ein dauerhaftes Verbleiben im Inland indizieren. Diese wurden insbesondere in der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gesehen; bei ausländischen Staatsangehörigen sei die Sicherung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit in der Regel für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlich und in der Vergangenheit regelmäßig Voraussetzung für die Anwendung von Gruppenbleiberechtsregelungen für Asylsuchende und Geduldete gewesen. Eine Benachteiligung der in den deutschen Arbeitsmarkt integrierten Eltern gegenüber Eltern, die ausschließlich von Sozialhilfe lebten, sei zu vermeiden.
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c) Personen, die --wie die Klägerin-- bereits über einen anerkannten deutschen Berufsausbildungsabschluss verfügen, danach im Inland berechtigt erwerbstätig waren und anschließend mit einer Förderung durch das AFBG den Meistertitel erwerben, sind fester und verlässlicher in den deutschen Arbeitsmarkt integriert als z.B. unqualifizierte Personen, die mit Fördermitteln nach dem SGB III an Trainingsmaßnahmen zur Prüfung ihrer Arbeitsbereitschaft teilnehmen oder nachträglich den Hauptschulabschluss erwerben, zumal viele Ausländer dieser Gruppe, die Kinder haben, am Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres Einkünfte erzielen können, die die Grundsicherung deutlich übersteigen. Eine Benachteiligung von Ausländern, die Meister-BAFöG beziehen, gegenüber Ausländern, die Geldleistungen nach dem SGB III erhalten, wäre daher mit dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 nicht zu vereinbaren.
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