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BFH 24.05.2011 - X B 206/10
BFH 24.05.2011 - X B 206/10 - Verpflichtung des FG zu weiteren Ermittlungen im zweiten Rechtsgang - Abweichung des FG von der rechtlichen Beurteilung des BFH
Normen
§ 126 Abs 5 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 29. Juli 2010, Az: 13 K 2121/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Gibt der BFH dem FG auf, sich ohne Rückgriff auf die Feststellungslast Gewissheit über eine Tatsache zu verschaffen, ist das FG nicht nur zu weiteren Ermittlungen berechtigt, sondern auch aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes verpflichtet .
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2. NV: Hat das FG, an das die Rechtssache zurückverwiesen wurde, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH nicht zugrunde gelegt, handelt es sich nicht um eine Divergenz, sondern um einen Verfahrensfehler .
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) benannten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind teils nicht ordnungsgemäß dargelegt worden, teils liegen sie der Sache nach nicht vor.
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1. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts (FG) einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Des Weiteren ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2010 X B 72/10, BFH/NV 2011, 273, m.w.N.).
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Diese Darlegungsvoraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt worden. Die Klägerin sieht eine Divergenz in der --ihrer Meinung nach-- bewussten Nichtbeachtung der Anweisungen des BFH durch das FG. Sie erblickt darin einen Verstoß gegen die grundsätzlichen Voraussetzungen der rechtsstaatlichen Ordnung und ist der Auffassung, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sei bedroht, wenn in Zukunft Finanzgerichte ohne tatsächliche Begründung auf ein FG-Urteil abstellen könnten, welches fehlerhaft und entgegen der BFH-Rechtsprechung ergangen sei.
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2. Mit diesem Vorbringen rügt sie einen Verstoß gegen die Bindungspflicht i.S. des § 126 Abs. 5 FGO. Nach § 126 Abs. 5 FGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen. Geschieht dies nicht, ohne dass eine Ausnahme von der Bindungswirkung vorliegt, handelt es sich nicht um eine Divergenz, sondern um einen Verfahrensmangel, der mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision geltend gemacht werden kann (inzwischen ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschlüsse vom 10. Februar 2011 XI B 98/10, BFH/NV 2011, 864, und vom 28. Januar 2008 V B 63/07, nicht veröffentlicht, juris; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 25; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 126 FGO Rz 87, jeweils m.w.N.; anders noch Beschluss vom 27. Juli 1989 V B 117/87, BFH/NV 1990, 577; zweifelnd auch Rüsken in Beermann/Gosch, FGO § 126 Rz 114).
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3. Ein Verstoß gegen § 126 Abs. 5 FGO liegt jedoch nicht vor.
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a) Im Streitfall hatte der angerufene Senat mit als Urteil wirkendem Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2009 X R 18/08 entschieden, dass das FA eine zugunsten des Steuerpflichtigen begehrte Änderung eines Folgebescheids nicht mit Überlegungen zur Feststellungslast ablehnen durfte, wenn der Finanzverwaltung die fehlende Klarheit darüber zuzurechnen war, ob den Steuerpflichtigen belastende vorangegangene Feststellungen aus einem Grundlagenbescheid in die Veranlagung eingegangen waren. Der Senat hatte dem FG aufgegeben, im zweiten Rechtsgang zu entscheiden, ob es aufgrund der von ihm bereits festgestellten Besonderheiten des Sachverhalts ohne Rückgriff auf die Feststellungslast Gewissheit darüber erlangen könne, dass die früheren Feststellungsbescheide nicht ausgewertet worden seien, also zu keinem Zeitpunkt Gewinne aus der Beteiligung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin an der X GmbH und Co. KG in seine Einkommensteuerfestsetzung eingegangen seien.
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b) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedeutete die Formulierung "aufgrund der bereits von ihm festgestellten Besonderheiten des Sachverhaltes" nicht, dass das FG daran gehindert war, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Das FG war in Bezug auf die Feststellungen des Senats zur fehlenden Feststellungslast der Klägerin im Streitfall gebunden. Damit war das FG im zweiten Rechtsgang gezwungen, sich die notwendige Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Feststellungsbescheide vom 17. Juli 1984 in Bezug auf die Einkommensteuerfestsetzung der Jahre 1974 und 1976 berücksichtigt worden waren oder nicht. Dieses machte zwangsläufig weitere Ermittlungen notwendig. Hätte das FG darauf verzichtet und lediglich die bereits im ersten Rechtsgang festgestellten Besonderheiten des Sachverhaltes seiner Überzeugungsbildung und Entscheidungsfindung zugrunde gelegt, hätte es gegen seine Verpflichtung verstoßen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§§ 76 Abs. 1, 96 Abs. 1 FGO).
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4. Die Revision ist auch nicht wegen eines anderen Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen könnte, zuzulassen. Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist das Urteil des FG mit Gründen versehen.
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a) Eine Entscheidung ist nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO), wenn das FG einen eigenständigen Klagegrund, der den Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet, unerörtert lässt und nicht erkennbar wird, aus welchen Gründen der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht bestehen soll (vgl. BFH-Beschluss vom 11. November 2008 XI B 17/08, BFH/NV 2009, 429, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Dem völligen Fehlen der Entscheidungsgründe steht es gleich, wenn diese zwar vorhanden, aber derart unverständlich und verworren sind, dass nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die (Sach-)Entscheidung maßgebend waren. Hingegen stellt grundsätzlich eine bloß lückenhafte Begründung keinen Mangel in diesem Sinne dar (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2008 X B 138/07, BFH/NV 2008, 1516). Allerdings kann § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO auch dann verletzt sein, wenn die Entscheidungsgründe nur zum Teil fehlen (vgl. BFH-Beschluss vom 13. März 2006 XI B 34/05, BFH/NV 2006, 1140). Dies setzt indes grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen und den Beteiligten keine (hinlängliche) Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 1516).
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b) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das FG im Streitfall seine Entscheidung begründet. Es hat schlüssig ausgeführt, warum nach seiner Überzeugung die Feststellungsbescheide vom 17. Juli 1984 vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nicht ausgewertet worden waren und somit eine Auswertung der Feststellungsbescheide vom 23. Dezember 2002 sowie vom 8. Juli 2003 unterbleiben durfte.
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aa) Das FG hat in Bezug auf die Einkommensteuer 1976 auf die ihm vorliegenden Kopien der Einkommensteuerbescheide für 1976 vom 23. März 1984, vom 29. August 1986 und vom 2. Januar 1987 sowie vom 31. August 1978, vom 2. Dezember 1982 sowie vom 26. Januar 1983 verwiesen, aus denen sich nach seiner Überzeugung zwingend ergab, dass das FA den Feststellungsbescheid vom 17. Juli 1974 mit einem festgestellten Veräußerungsgewinn in Höhe von … DM nicht berücksichtigt hatte. Diese Überzeugung stützte das FG zudem auf die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kopien der Kontoblätter der Finanzkasse des FA, aus denen sich in verdichteter Form die verbuchten Steuerfestsetzungen und Zahlungsvorgänge für die Streitjahre ergaben und aus denen hervorging, dass die Sollstellungen der Finanzkasse mit den für das Jahr 1976 vorliegenden Einkommensteuerbescheiden übereinstimmten. Die daraus gewonnene Überzeugung des FG, dass bis zum 5. Januar 2004 keine weiteren Einkommensteuerbescheide für 1976 ergangen seien, ist plausibel und nachvollziehbar.
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bb) Für die Einkommensteuer 1974 hat das FG seine Begründung zunächst auf den ihm vorliegenden Einkommensteuerbescheid für 1974 vom 23. August 1978 und den ihn ändernden Bescheid vom 9. November 1982 gestützt. Zudem hat es seine Entscheidung damit untermauert, dass erfahrungsgemäß zusammengefasste Steuerbescheide --wie die Feststellungsbescheide vom 17. Juli 1984-- im Regelfall gleichmäßig ausgewertet würden und es keine nachvollziehbaren Gründe für eine abweichende Verhaltensweise gebe. Das FG hat für seine Auffassung außerdem die Sollstellungen der Finanzkasse angeführt, die zum einen mit den beiden Einkommensteuerbescheiden für 1974 korrespondierten und zum anderen nach 1982 keine weiteren Eintragungen für 1974 enthielten.
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Damit liegt eine ausreichende Begründung vor, die sowohl der Klägerin als auch dem FA nachvollziehbar verdeutlicht, warum das FG die Überzeugung gewonnen hat, dass die Feststellungsbescheide vom 17. Juli 1984 weder für die Einkommensteuer des Jahres 1974 noch für die Einkommensteuer des Jahres 1976 ausgewertet worden waren.
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5. Auch die Tatsache, dass das Verdichtungsblatt vom 4. November 1984 in der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen hat, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Das FG hat seine Überzeugung auf die oben dargestellten Tatsachen und Schlussfolgerungen gestützt; das fehlende Verdichtungsblatt spielte dabei für seine Überzeugungsbildung keine Rolle.
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