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BFH 03.11.2010 - I B 102/10
BFH 03.11.2010 - I B 102/10 - Übergehen eines schriftlich gestellten Beweisantrags; Rügeverlust
Normen
§ 76 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 295 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 21. Mai 2010, Az: 4 K 87/09, Urteil
Leitsatz
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NV: Das Übergehen eines Beweisantrags gehört zu den verzichtbaren Mängeln. Bei verzichtbaren Mängeln geht das Rügerecht verloren, wenn der rechtskundig vertretene Beteiligte den Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung nicht rügt, sondern nur zur Sache verhandelt.
Gründe
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Die Beschwerde ist unzulässig.
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1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat eine Divergenz zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. April 2008 VIII R 28/07 (BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842) und vom 31. Juli 1996 XI R 74/95 (BFHE 181, 230, BStBl II 1997, 157) und zum Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Mai 1989 3 StR 590/88 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 334) nicht schlüssig gerügt. Sie hat nicht --wie zur Darlegung der Divergenz erforderlich-- abstrakte tragende Rechtssätze aus den genannten BFH- und BGH-Urteilen einerseits und dem Urteil des Finanzgerichts (FG) andererseits herausgearbeitet und einander gegenübergestellt, sondern bringt im Wesentlichen vor, die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite leide an einem durchgreifenden Mangel, weil sich das FG nicht mit dem Einwand der Klägerin auseinandergesetzt habe, die Geschäftsführerin der X-GmbH habe angenommen, dass die steuerliche Behandlung der Kindermädchen korrekt gewesen sei. Die Klägerin habe damit einen Tatbestandsirrtum geltend gemacht, mit dem das FG sich hätte auseinandersetzen müssen. Ferner hätte das FG eine Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit vornehmen müssen, was nicht geschehen sei. Insoweit weiche das FG-Urteil vom genannten Urteil des BGH ab. Die vom FG herangezogenen Beweismittel ließen eine eindeutige vorsätzliche Handlung nicht erkennen.
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Mit dem Einwand, die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG sei unzutreffend, wird eine Divergenz nicht dargetan. Eine Divergenz ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das FG seine Entscheidung auf einen abstrakten Rechtssatz gestützt hat, der von einem entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz eines anderen FG oder eines Obersten Bundesgerichts abweicht. Solche divergierenden Rechtssätze zeigt die Klägerin nicht auf.
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2. a) Ebenso wenig hat die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG schlüssig dargelegt (§ 76 Abs. 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung dem FG auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner muss dargelegt werden, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566).
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b) Das Vorbringen der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Sie macht im Wesentlichen geltend, das FG hätte von sich aus weitere Zeugen vernehmen müssen. Welche entscheidungserheblichen Tatsachen diese Zeugen voraussichtlich bei ihrer Vernehmung bekundet hätten, trägt die Klägerin indessen nicht vor. Allein die Ausführungen, die Zeugen hätten die Sachdarstellung der Klägerin bei ihrer Vernehmung bestätigen können bzw. der Steuerberater der Klägerin hätte ausführliche Angaben zu beweiserheblichen Tatsachen machen können, reicht nicht aus. Soweit sie vorträgt, verschiedenen Angestellten sei bekannt gewesen, dass für die Tochter des Gesellschafter-Geschäftsführers ein Kindermädchen beschäftigt gewesen sei, ist nicht ersichtlich, inwieweit dies auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Dessen ungeachtet hat die Klägerin nicht dargelegt, weshalb sie --obwohl fachkundig vertreten-- in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt hat. Soweit sie vorträgt, bereits in der Klagebegründung habe sie beantragt, ihren Steuerberater als Zeugen zu vernehmen, hat die Klägerin überdies ihr Rügerecht verloren.
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Ein Verfahrensmangel kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrags (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 101, m.w.N.). Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (Senatsbeschluss vom 26. Mai 2009 I B 20/09, juris; BFH-Beschluss vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 103, m.w.N.).
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Der von der Klägerin benannte Zeuge ist zu der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht geladen worden und ausweislich des Sitzungsprotokolls dort auch nicht erschienen. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung hat die rechtskundig vertretene Klägerin zur Sache verhandelt. Nachdem die Beteiligten ihre (Sach-)Anträge gestellt und den Sach- und Streitstand erörtert hatten, hat der Einzelrichter die mündliche Verhandlung geschlossen und dann den Beschluss verkündet, eine Entscheidung werde am Schluss der Sitzung verkündet. Nach dem Sitzungsprotokoll hat die Klägerin demnach das Übergehen des Beweisantrages hinsichtlich des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt. Zu einer derartigen Rüge hätte aber, wenn die Klägerin auf die beantragte Zeugenvernehmung nicht verzichten wollte, Anlass bestanden, da der Zeuge zum Termin nicht geladen war. Die Klägerin konnte und musste davon ausgehen, dass das FG dem Beweisantrag nicht nachkommen und ohne die Vernehmung des Zeugen entscheiden werde. Insbesondere, nachdem der Einzelrichter die mündliche Verhandlung geschlossen und den Beschluss verkündet hatte, dass eine Entscheidung noch am selben Tag verkündet werde, musste die Klägerin annehmen, dass das FG im Anschluss an die mündliche Verhandlung --wie geschehen-- durch Urteil entscheiden werde.
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