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BFH 19.07.2010 - I B 130/09
BFH 19.07.2010 - I B 130/09 - Beweiserhebung von Amts wegen - Verlust des Rügerechts
Normen
§ 76 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 295 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 14. Juli 2009, Az: 4 K 2220/06, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Hält das FG den Inhalt eines schriftlichen Vertragwerks für folgerichtig und in sich widerspruchsfrei, während ein Prozessbeteiligter den Vertragsinhalt als widersprüchlich ansieht, ist das FG nicht von Amts wegen gehalten, die am Vertragsschluss Beteiligten als Zeugen zum gewollten Vertragsinhalt zu vernehmen.
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2. NV: Das Rügerecht eines Beteiligten in Bezug auf das Übergehen eines auf Zeugenvernehmung gerichteten Beweisantrags geht verloren, wenn die Zeugen zur mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht geladen worden sind, der Vorsitzende die mündliche Verhandlung geschlossen und den Beschluss verkündet hat, eine Entscheidung werde am Schluss der Sitzung ergehen, ohne das der Beteiligte das übergehen des Beweisantrags gerügt hat.
Tatbestand
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I. Streitpunkt ist, ob eine Abtretung von Darlehensforderungen an ein Bankenkonsortium als echte Forfaitierung anzusehen ist.
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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, ist alleinige Kommanditistin der G-KG. Außerdem ist sie Alleingesellschafterin der Komplementärin der G-KG, bei der es sich ebenfalls um eine GmbH handelt. Im Dezember des Streitjahrs (2000) veräußerte die Klägerin ein Grundstück an die G-KG und mietete es zugleich von dieser mit einer Laufzeit von 15 Jahren. Zur Finanzierung des Kaufpreises gewährte die Klägerin der G-KG ein Darlehen über X Mio. DM, das am 28. Dezember 2000 ausgereicht wurde.
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Mit "Forderungskaufvertrag" vom 27. Dezember 2000 trat die Klägerin die Forderungen auf Darlehensrückzahlung und auf Zahlung von Zinsen aus dem der G-KG gewährten Darlehen zum Kaufpreis von rd. Y Mio. DM an ein Konsortium aus sechs Banken ab. Nach der Präambel des Vertrages sollte der Forderungskauf "nach Maßgabe der nachstehenden Regelungen regresslos" erfolgen. Des Weiteren heißt es in dem Vertrag u.a.:
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"Die Verkäuferin haftet im Rahmen dieses Forderungskaufvertrages nicht für die Werthaltigkeit der Forderungen, insbesondere nicht für die Zahlungsfähigkeit der Darlehensnehmerin. Davon unberührt bleiben die Verpflichtungen aus der von ihr zu stellenden Patronatserklärung gemäß Nr. 7 dieses Forderungskaufvertrages."
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Unter "Sicherheiten" ist in dem Vertrag u.a. ausgeführt, dass "als Sicherheit für die Erfüllung der aufgekauften Forderungen" die Klägerin den Banken eine Patronatserklärung stellen werde. In dieser --gesondert unterzeichneten-- Patronatserklärung hat die Klägerin gegenüber den Banken die "uneingeschränkte Verpflichtung" übernommen,
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"dafür Sorge zu tragen, dass die Darlehensnehmerin in der Zeit, in der sie Forderungen einschließlich der Zinsen und Nebenkosten nicht vollständig beglichen hat, in der Weise geleitet und finanziell ausgestattet wird, dass sie ... stets rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, allein ihren Verbindlichkeiten den Banken gegenüber fristgemäß nachzukommen, ...".
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In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 2000 behandelte die Klägerin die Abtretung als echten Forderungsverkauf, d.h. sie aktivierte keine Darlehensforderung in Höhe des Darlehensrückzahlungsanpruchs; den Unterschiedsbetrag zwischen dem Nominalbetrag des Darlehens und dem vom Bankenkonsortium gezahlten Kaufpreis (rd. Z Mio. DM) sowie weitere Aufwendungen für die Finanzierung behandelte sie als Zinsaufwand. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) war demgegenüber der Auffassung, es liege kein echter Forderungskauf vor, weil die Klägerin aufgrund der Patronatserklärung gegenüber dem Konsortium für die Werthaltigkeit der Darlehensforderungen einstehen müsse. Im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr erfasste das FA infolgedessen eine Darlehensforderung von X Mio. DM und in gleicher Höhe eine Verbindlichkeit gegenüber dem Bankenkonsortium. Den von der Klägerin verbuchten Zinsaufwand neutralisierte das FA durch Bildung eines über die Laufzeit des Darlehens linear aufzulösenden aktiven Rechnungsabgrenzungspostens. Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Hessische Finanzgericht (FG) hat sie mit Urteil vom 14. Juli 2009 4 K 2220/06 als unbegründet abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil. Sie hält das FG-Urteil für "greifbar gesetzwidrig" und macht außerdem Verfahrensmängel geltend.
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Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Der von der Klägerin gerügte gravierende Rechtsanwendungsfehler des FG liegt nicht vor.
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a) Allerdings können besonders schwerwiegende Fehler des FG bei der Auslegung revisiblen Rechts, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) ermöglichen. In diesem Sinne greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung dann, wenn sie objektiv willkürlich und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. Senatsbeschluss vom 1. Juli 2009 I B 231/08, juris; BFH-Beschluss vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35, m.w.N.).
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b) Die Klägerin hält ein Verständnis des FG-Urteils dahingehend für möglich, dass es danach für die steuerrechtliche Beurteilung eines Vertragsverhältnisses nicht darauf ankomme, was die Vertragsparteien tatsächlich gewollt und durchgeführt hätten, sondern dass für die Auslegung ausschließlich auf den Vertragstext abzustellen sei. Ein solcher Rechtssatz kann den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils indes nicht entnommen werden. Das FG befasst sich darin nicht nur mit dem Vertragstext, sondern auch mit dem möglichen subjektiven Verständnis der getroffenen Regelungen aus Sicht der Vertragsparteien. Dass es dabei zu dem Ergebnis kommt, ein vom Wortlaut abweichendes subjektives Verständnis der Vertragsparteien könne u.a. aufgrund der Klarheit der in der in Forderungskaufvertrag und Patronatserklärung getroffenen Regelungen ausgeschlossen werden, ist vertretbar und kann nicht als gravierender Rechtsanwendungsfehler angesehen werden.
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2. Die Rüge des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO) verhilft der Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.
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a) Das FG war auf der Grundlage seiner --für die Beurteilung von Verfahrensmängeln maßgeblichen-- materiell-rechtlichen Auffassung nicht gehalten, die am Vertragsschluss beteiligten Personen von Amts wegen als Zeugen dazu zu vernehmen, wie sie den Vertragsinhalt verstanden haben. Denn anders als nach Dafürhalten der Klägerin ist nach Auffassung des FG der Inhalt von Forderungskaufvertrag und Patronatserklärung nicht widersprüchlich, sondern eindeutig und klar. Die Verwendung des Begriffs des "regresslosen" Forderungsverkaufs in der Vertragspräambel, auf den die Klägerin die aus ihrer Sicht gegebene Widersprüchlichkeit der Vertragsregelungen im Wesentlichen stützt, hält das FG ausweislich der Entscheidungsgründe mit der Abgabe der Patronatserklärung für vereinbar, weil damit nur der Ausschluss eines unmittelbaren Rückgriffs auf die Klägerin gemeint sei, nicht aber auch ein Ausschluss der in der Patronatserklärung geregelten Ausstattungspflicht der Klägerin in Bezug auf die G-KG. Auf der Grundlage dieser Sichtweise lag mithin ein in sich folgerichtiges und widerspruchsfreies Vertragswerk vor und hatte das FG --das nach den Angaben der Klägerin deren Geschäftsführer und deren Prokuristen in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört hat-- keinen Anlass, von Amts wegen in eine Beweisaufnahme einzutreten. Ebenso wenig kann auf der Grundlage dieser Auffassung davon die Rede sein, das FG habe die Beweiswürdigung vorweggenommen, indem es dem Vertragswortlaut gefolgt sei und die Darlegungen der Klägerin, die Patronatserklärung sei gleichsam unbemerkt in den Vertrag geraten, als unglaubhaft bezeichnet hat.
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b) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe ihre Beweisanträge auf Vernehmung von einer Mitarbeiterin der das Konsortium führenden Bank und von Mitarbeitern der steuerlichen Beratungsgesellschaft der Klägerin übergangen und im angefochtenen Urteil eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, kann sie damit schon deshalb nicht gehört werden, weil sie ihr Rügerecht verloren hat. Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 101, m.w.N.). Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (Senatsbeschluss vom 26. Mai 2009 I B 20/09, juris; BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 35; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 103, m.w.N.).
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Die von der Klägerin benannten Zeugen sind zu der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht geladen worden und ausweislich des Sitzungsprotokolls dort auch nicht erschienen. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung hat die rechtskundig vertretene Klägerin zur Sache verhandelt. Nachdem die Beteiligten ihre (Sach-)Anträge gestellt hatten, hat der Vorsitzende die mündliche Verhandlung geschlossen und dann den Beschluss verkündet, eine Entscheidung werde am Schluss der Sitzung verkündet. Nach dem Sitzungsprotokoll haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin demnach das Übergehen des Beweisantrages hinsichtlich der beiden Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt. Zu einer derartigen Rüge wäre aber, wenn die Klägerin auf die beantragte Zeugenvernehmung nicht verzichten wollte, Anlass gewesen, da die Zeugen zum Termin nicht geladen waren. Die Klägerin konnte und musste davon ausgehen, dass das FG dem Beweisantrag nicht nachkommen und über die Vertragsauslegung ohne die Vernehmung von Zeugen entscheiden werde. Insbesondere, nachdem der Vorsitzende die mündliche Verhandlung geschlossen und den Beschluss verkündet hatte, dass eine Entscheidung noch am selben Tag verkündet werde, musste die Klägerin annehmen, dass das FG im Anschluss an die mündliche Verhandlung --wie geschehen-- durch Urteil entscheiden werde.
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Im Übrigen lässt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht darauf schließen, dass auf der Grundlage des voraussichtlichen Ergebnisses der Beweisaufnahme das FG möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Nach den Angaben in der Beschwerdebegründung sollten die von der Klägerin benannten Zeugen bekunden, dass die Patronatserklärung und der entsprechende Vertragstext von den Vertretern der Banken "versehentlich" in die Vertragsverhandlungen eingebracht und von den steuerlichen Beratern der Klägerin nicht beanstandet worden seien, weil diese davon ausgegangen seien, die "Regresslosigkeit" des Forderungsverkaufs sei hinreichend deutlich vereinbart worden. Hätte sich dies so zugetragen, ist indes nicht zu erkennen, dass damit die Patronatserklärung nicht oder mit einem vom Wortlaut abweichenden Inhalt zum Gegenstand der getroffenen Vereinbarungen geworden wäre. Vielmehr hätte dann lediglich ein Irrtum der Berater der Klägerin über die rechtliche Reichweite und die steuerlichen Folgen der abgegebenen Erklärungen vorgelegen, der das FG nicht zu der Annahme hätte führen müssen, dass die Patronatserklärung bzw. der Forderungskauf mit einem anderen als dem in den Vertragsurkunden verlautbarten Inhalt zustande gekommen wären. Vielmehr hat das FG in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass nach seiner Auffassung eine Fehleinschätzung der steuerlichen Auswirkungen des unterzeichneten Vertragsinhalts nichts an dessen wirksamer Vereinbarung ändere.
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