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BFH 22.06.2010 - VIII B 12/10
BFH 22.06.2010 - VIII B 12/10 - Verfahrensfehler bei fehlerhafter Abweisung der Klage als unzulässig - Rechtsschutz gewährende Auslegung
Normen
§ 65 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 133 BGB, Art 19 Abs 4 GG
Vorinstanz
vorgehend FG München, 17. November 2009, Az: 2 K 2101/05, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Weist das FG die Klage als unzulässig ab, weil es zu Unrecht annimmt, der Hauptantrag sei durch eine Klageänderung nach Ablauf der Klagefrist eingeführt worden, liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruht.
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2. NV: Richtet sich die Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid, ist durch Rechtsschutz gewährende Auslegung festzustellen, gegen welche Feststellungen die Klage gerichtet ist; an der Formulierung eines unklaren und als vorläufig anzusehenden Klageantrags kann der Kläger zu seinen Lasten nicht festgehalten werden.
Gründe
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Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf dem mit der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Finanzgericht (FG) hat verfahrensfehlerhaft über den Hauptantrag nicht in der Sache entschieden, sondern die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.
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1. Erlässt das FG zu Unrecht ein Prozessurteil anstatt zur Sache zu entscheiden, liegt darin nach ständiger Rechtsprechung ein die Zulassung der Revision begründender Verfahrensmangel (vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; BFH-Beschluss vom 23. November 1994 I B 63/94, BFH/NV 1995, 980). Das gilt insbesondere, wenn sich das Gericht durch die fehlerhafte Annahme entgegenstehender Bestandskraft an einer Sachentscheidung gehindert sieht (vgl. BFH-Beschluss vom 6. September 2005 II B 85/04, BFH/NV 2006, 99). Das ist vorliegend der Fall. Zu Unrecht hat das FG angenommen, der Hauptantrag sei durch eine Klageänderung nach Ablauf der Klagefrist eingeführt worden. Hinsichtlich des Vorliegens einer Mitunternehmerschaft seien die mit der Klage angefochtenen Feststellungsbescheide in Teilbestandskraft erwachsen. Der Antrag, die Feststellungsbescheide ersatzlos aufzuheben, sei deshalb unzulässig. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Als prozessuale Willenserklärung ist die Klageschrift wie sonstige Willenserklärungen auslegungsfähig. Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung (BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, unter 1. der Gründe; BFH-Beschluss vom 7. November 2007 I B 104/07, BFH/NV 2008, 799). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom 23. April 2009 X B 43/08, BFH/NV 2009, 1443).
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b) Nach diesen Maßstäben kann die Vorentscheidung nur Bestand haben, wenn sich aus der Klage zweifelsfrei ergibt, dass die in der Klageschrift bezeichneten Feststellungsbescheide hinsichtlich des Vorliegens einer Mitunternehmerschaft nicht angefochten sein sollten. Das FG hat dies bejaht, weil der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Veranlagung "entsprechend der vorliegenden Steuererklärungen" beantragt habe und die Abgabe von Feststellungserklärungen die Behauptung mitunternehmerisch erzielter Einkünfte einschließe. Diese Auslegung ist zwar möglich, sie verfehlt aber das Auslegungsziel, den wahren Willen des Klägers zu erforschen und dadurch effektiven Rechtsschutz zu gewähren.
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c) Nach ständiger Rechtsprechung darf das Revisionsgericht die Auslegung von Prozesserklärungen selbst vornehmen (vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 48). Die Auslegung ergibt, dass in der vom FG zitierten Formulierung eine zum Eintritt teilweiser Bestandskraft führende Beschränkung des Klagebegehrens nicht zu sehen ist. Vielmehr durfte der Kläger nicht zu seinen Lasten an der Formulierung eines unklaren und als vorläufig anzusehenden Klageantrags festgehalten werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1443). Im Übrigen ist auch das FG von der Ergänzungsbedürftigkeit des Klageantrags ausgegangen, denn es hat eine Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 FGO gesetzt.
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d) Da keine Teilbestandskraft eingetreten ist, liegt auch keine Klageänderung vor. Mit Einreichung der Klagebegründung innerhalb der vom FG nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist hat der Kläger sein Klagebegehren rechtzeitig in zulässiger Weise konkretisiert.
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2. Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO). Dem steht nicht entgegen, dass das FG auf S. 9 des Urteils Hilfserwägungen zur mangelnden Begründetheit des Hauptantrags angestellt hat. Das FG wird nun nach erneuter Anhörung des Klägers über den Hauptantrag durch Sachurteil entscheiden müssen.
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