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BFH 03.05.2010 - VIII B 72/09
BFH 03.05.2010 - VIII B 72/09 - Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs: Überraschungsentscheidung - Begründung - Verletzung der Sachaufklärungspflicht - Verfahrensaussetzung
Normen
§ 74 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 79b Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 96 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 25. Februar 2009, Az: 2 K 2211/07, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Überraschungsentscheidung, wenn ein Urteil nicht den Erwartungen eines Beteiligten in einem Punkt entspricht, der Gegenstand des Schriftverkehrs im Prozess war.
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2. NV: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn ein Beteiligter aufgrund eines "harmonischen" Verlaufs der mündlichen Verhandlung von tatsächlichem und rechtlichem Vortrag absieht.
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3. NV: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn die Klage trotz Fristsetzung nach § 79b FGO nur ungenügend begründet wird und das FG es im Anschluss unterlässt, die möglicherweise zur Klagebegründung dienenden Tatsachen seinerseits zu konkretisieren und nochmals eine Begründungsfrist zu setzen.
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4. NV: Das FG verletzt seine Sachaufklärungspflicht nicht, wenn es aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet und keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen trifft im Hinblick auf eine erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung und ohne Beweisanträge und Benennung von Beweismitteln erfolgende schriftsätzliche Klagebegründung zu einem vorrangigen Streitpunkt.
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5. NV: Keine Verfahrensaussetzung wegen eines anhängigen Parallelverfahrens beim selben Senat desselben Gerichts.
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, folgt daraus kein Zulassungsgrund. Einwände gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils (hier etwa betreffend die Ausführungen zur Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung) führen grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).
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2. Das angefochtene Urteil leidet nicht unter den von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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a) Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des Finanzgerichts (FG) gegen das Gerichtsverfahrensrecht, nicht hingegen hier --auch-- gerügte Fehler des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) im Besteuerungsverfahren oder im außergerichtlichen Vorverfahren (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 76, 77, m.w.N.).
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b) Das FG hat nicht gegen § 74 FGO verstoßen. Es war schon deshalb nicht gehalten, das Verfahren bis zum Erlass des Urteils in einem Parallelverfahren (2 K 1386/08) auszusetzen, weil beide Verfahren beim selben Senat desselben Gerichts anhängig waren (s. BFH-Beschluss vom 17. August 1995 XI B 123, 125/94, BFH/NV 1996, 219). Überdies war die Entscheidung des Rechtsstreits in erster Instanz nicht i.S. von § 74 FGO "von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses" abhängig, das Gegenstand des anderen Verfahrens war.
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c) Das FG hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO) nicht verletzt.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05, BFH/NV 2006, 601, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92). Nach diesen Grundsätzen war das angefochtene Urteil nicht geeignet, die Kläger zu überraschen, denn der für die Entscheidung maßgebliche Gesichtspunkt fehlender Gewinnerzielungsabsicht war bereits Gegenstand der Einspruchsentscheidung wie auch von Schriftsätzen der Beteiligten im Klageverfahren. Ein Urteil ist nicht deshalb Überraschungsentscheidung im Rechtssinne, weil es nicht den Erwartungen oder Hoffnungen eines Beteiligten entspricht.
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bb) Das FG hat auch im Übrigen nicht gegen den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. Der Anspruch umfasst in erster Linie das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Es ist hingegen nicht verpflichtet, die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte vor der Entscheidung umfassend zu erörtern oder die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus zu benennen (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.).
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Dass die Kläger am tatsächlichen oder rechtlichen Vortrag im Laufe des Verfahrens und insbesondere während der mündlichen Verhandlung gehindert gewesen wären, wird nicht vorgetragen und ist nicht ersichtlich. Dass die mündliche Verhandlung bei weiterhin streitigem Verfahrensstand von den Klägern als "harmonisch" empfunden wurde, heißt nicht, dass das FG ihnen die Klagestattgabe als sicher in Aussicht gestellt und sie und ihren fachkundigen Vertreter dadurch von weiterem Vortrag abgehalten hätte.
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cc) Wegen der streitigen Gewinnerzielungsabsicht hätte es den Klägern oblegen, die insoweit zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Umstände vorzutragen und gegebenenfalls geeignete Beweismittel zu benennen. Zur Klagebegründung waren sie mit der gerichtlichen Eingangsverfügung aufgefordert worden, außerdem durch weitere Verfügung vom 4. Dezember 2007 unter Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 FGO zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühlten. Das FG war nicht gehalten, zur Gewährung rechtlichen Gehörs die der Klagebegründung dienenden Tatsachen näher zu konkretisieren und eine diesbezügliche weitere Frist nach § 79b FGO zu setzen, zumal die Kläger auf die Frage der Gewinnerzielungsabsicht überhaupt erst mit einem zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung an das FG übermittelten Schriftsatz eingegangen sind.
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d) Ein Verstoß des FG gegen die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) liegt ersichtlich nicht vor. Das FG hat den Sachverhalt erschöpfend ausgewertet, ohne dabei gegen den klaren Inhalt der Akten zu verstoßen. Der Schriftsatz der Kläger vom 23. Februar 2009 gab --auch im Hinblick auf die Konzentrationsmaxime (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO)-- keinen zwingenden Anlass zu weiterer Sachaufklärung, zumal die Kläger dort weder Beweisanträge gestellt noch Beweismittel benannt haben, wozu im Falle von möglichen Zeugen die Angabe der ladungsfähigen Anschriften gehört hätte.
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Ohnehin ist die Rüge unzureichender Sachverhaltsermittlung im Streitfall ausgeschlossen. Derjenige Beteiligte, der in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge stellt und die aus seiner Sicht mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht rügt, übt einen sog. Rügeverzicht (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung) aus und kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Verletzung der Aufklärungspflicht berufen (s. etwa Beschluss des beschließenden Senats vom 6. September 2006 VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 33, m.w.N.). Was die Frage der Gewinnerzielungsabsicht angeht, haben die Kläger weder einen Beweisantrag gestellt noch mangelnde Sachaufklärung gerügt. Der in der mündlichen Verhandlung zu mehreren zur Verhandlung miteinander verbundenen Verfahren gestellte Beweisantrag bezog sich nicht auf die für den Streitfall maßgebliche Frage der Gewinnerzielungsabsicht, sondern nur auf nachrangige Fragen, die für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich waren.
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3. Dem Verfahrensantrag, das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Senats im Parallelverfahren VIII B 71/09 auszusetzen, war nicht zu entsprechen (vgl. die Ausführungen in diesem Beschluss zu 2.b).
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