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EuGH 28.04.2022 - C-559/20
EuGH 28.04.2022 - C-559/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer) - 28. April 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechte des geistigen Eigentums – Richtlinie 2004/48/EG – Art. 14 – Begriffe ‚Prozesskosten‘ und ‚sonstige Kosten‘ – Abmahnung zur Sicherstellung der außergerichtlichen Durchsetzung eines Rechts des geistigen Eigentums – Anwaltskosten – Einstufung – Nationale Regelung, die den erstattungsfähigen Betrag dieser Kosten unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt“
Leitsatz
In der Rechtssache C-559/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Saarbrücken (Deutschland) mit Entscheidung vom 6. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Oktober 2020, in dem Verfahren
Koch Media GmbH
gegen
FU
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und D. Gratsias,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Koch Media GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Nourbakhsch,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, T. Scharf und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. November 2021
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt im ABl. 2004, L 195, S. 16).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Koch Media GmbH und FU über die erstattungsfähigen Anwaltskosten, die Koch Media entstanden sind, um die Durchsetzung ihrer Rechte durch eine vor Erhebung einer Klage an FU gerichtete Abmahnung sicherzustellen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2004/48
Die Erwägungsgründe 10, 14 und 17 der Richtlinie 2004/48 lauten:
Mit dieser Richtlinie sollen diese Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.
…
Nur bei in gewerblichem Ausmaß vorgenommenen Rechtsverletzungen müssen die Maßnahmen nach Artikel 6 Absatz 2, Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 2 angewandt werden. Unbeschadet davon können die Mitgliedstaaten diese Maßnahmen auch bei anderen Rechtsverletzungen anwenden. In gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden; dies schließt in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden.
…
Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebenenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung[,] gebührend Rechnung getragen wird.“
Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Sinne dieser Richtlinie umfasst der Begriff ‚Rechte des geistigen Eigentums‘ auch die gewerblichen Schutzrechte.“
Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.“
Kapitel II der Richtlinie enthält deren Art. 3 bis 15, die die in dieser Richtlinie geregelten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe betreffen.
Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung“) der Richtlinie 2004/48 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen.
(2) Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“
Art. 13 („Schadensersatz“) dieser Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.
Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt:
Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber,
oder
sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.
(2) Für Fälle, in denen der Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann.“
Art. 14 („Prozesskosten“) der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.“
Richtlinie 2001/29/EG
In Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10) heißt es:
„… [D]iese Richtlinie [lässt] die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über folgende Bereiche unberührt und beeinträchtigt sie in keiner Weise:
über den rechtlichen Schutz von Computerprogrammen;
…“
Art. 8 („Sanktionen und Rechtsbehelfe“) Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Rechtsinhaber, deren Interessen durch eine in seinem Hoheitsgebiet begangene Rechtsverletzung beeinträchtigt werden, Klage auf Schadenersatz erheben und/oder eine gerichtliche Anordnung sowie gegebenenfalls die Beschlagnahme von rechtswidrigem Material sowie von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen im Sinne des Artikels 6 Absatz 2 beantragen können.“
Richtlinie 2009/24/EG
Durch die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009, L 111, S. 16) wurde die Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 1991, L 122, S. 42) aufgehoben und kodifiziert.
Art. 1 („Gegenstand des Schutzes“) Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 bestimmt:
„Gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie schützen die Mitgliedstaaten Computerprogramme urheberrechtlich als literarische Werke im Sinne der [am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten] Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und der Kunst [(Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in der Fassung der Änderung vom 28. September 1979]. Im Sinne dieser Richtlinie umfasst der Begriff ,Computerprogramm‘ auch das Entwurfsmaterial zu ihrer Vorbereitung.“
Art. 7 („Besondere Schutzmaßnahmen“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Unbeschadet der Artikel 4, 5 und 6 sehen die Mitgliedstaaten gemäß ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen gegen Personen vor, die eine der nachstehend aufgeführten Handlungen begehen:
Inverkehrbringen einer Kopie eines Computerprogramms, wenn die betreffende Person wusste oder Grund zu der Annahme hatte, dass es sich um eine unerlaubte Kopie handelt;
…“
Deutsches Recht
§ 97a („Abmahnung“) des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl. 1965 I S. 1273) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UrhG) bestimmt:
„(1) Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.
(2) Die Abmahnung hat in klarer und verständlicher Weise
Name oder Firma des Verletzten anzugeben, wenn der Verletzte nicht selbst, sondern ein Vertreter abmahnt,
die Rechtsverletzung genau zu bezeichnen,
geltend gemachte Zahlungsansprüche als Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche aufzuschlüsseln und
wenn darin eine Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtung enthalten ist, anzugeben, ob die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung erheblich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht.
Eine Abmahnung, die nicht Satz 1 entspricht, ist unwirksam.
(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. Für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1000 Euro, wenn der Abgemahnte
eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und
nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist.
Der in Satz 2 genannte Wert ist auch maßgeblich, wenn ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch nebeneinander geltend gemacht werden. Satz 2 gilt nicht, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Koch Media ist Inhaberin von Rechten des geistigen Eigentums an dem Computerspiel „This War of Mine“ für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich um ein Computerspiel, das im November 2014 auf den Markt gebracht wurde und nach Angaben von Koch Media den deutschen Computerspielpreis erhielt. Laut Vorlageentscheidung erzielte das Werk auf dem betreffenden Markt in den ersten Monaten nach seiner Veröffentlichung Preise von über 30 Euro.
Da Koch Media der Ansicht war, dass FU, eine natürliche Person, ihre Rechte des geistigen Eigentums mehrfach verletzt habe, indem er dieses Computerspiel über seinen Internetanschluss der Öffentlichkeit auf einer Filesharing-Plattform im Rahmen eines Peer-to-Peer-Netzwerks zum Download angeboten habe, beauftragte sie eine Anwaltskanzlei mit der Durchsetzung ihrer Rechte, insbesondere durch Übersendung einer Abmahnung gemäß § 97a UrhG an FU.
Mit Schreiben vom 9. April 2015 schlugen die Anwälte von Koch Media FU eine gütliche Lösung vor und forderten ihn auf, sich durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu verpflichten, dieses Spiel der Öffentlichkeit nicht mehr auf einer Filesharing-Plattform zum Download zur Verfügung zu stellen und Schadensersatz zu zahlen.
Da dieser Vorschlag von FU nur hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtung, nicht aber hinsichtlich der Zahlung von Schadensersatz angenommen wurde, erhob Koch Media beim Amtsgericht Saarbrücken (Deutschland) Schadensersatzklage. Dieses gab der Klage mit Urteil vom 29. Januar 2020 statt und stellte fest, dass FU das fragliche Computerspiel zwischen dem 26. und 28. November 2014 zu mindestens 13 Zeitpunkten über seinen Internetanschluss auf einer Filesharing-Plattform zum Download angeboten habe. Außerdem verurteilte das Amtsgericht FU zur Tragung der Kosten in Höhe von 124 Euro zuzüglich Zinsen für die Anwaltskosten, die Koch Media für die Geltendmachung ihres Unterlassungsanspruchs im Wege einer Abmahnung habe aufwenden müssen.
Da Koch Media u. a. der Ansicht war, dass ihr sämtliche vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 984,60 Euro, entsprechend einem Gegenstandswert von 20000 Euro, erstattet werden müssten, legte sie gegen diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht, dem Landgericht Saarbrücken (Deutschland), Berufung ein.
Das vorlegende Gericht gibt an, dass die Erstattung von in der vorprozessualen Phase eines Rechtsstreits auf dem Gebiet des geistigen Eigentums entstandenen Anwaltskosten für die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs im deutschen Recht in § 97a UrhG geregelt sei. Nach dieser Bestimmung kann der Inhaber des verletzten Urheberrechts grundsätzlich die „erforderlichen Aufwendungen“ ersetzt erhalten. Insoweit ergebe sich zum einen aus § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG, dass der deutsche Gesetzgeber den Streitwert der zu ersetzenden Summe gegenüber natürlichen Personen im Grundsatz auf 1000 Euro deckele, was dazu führe, dass ein erheblicher Teil der Anwaltskosten beim Inhaber der Rechte des geistigen Eigentums verbleibe. Zum anderen sehe § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG vor, dass das zuständige Gericht diese Obergrenze in Fällen von „Unbilligkeit“ ausnahmsweise außer Acht lassen dürfe. Dagegen betrage der Gegenstandswert nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Deutschland) jedenfalls über 10000 Euro, wenn ein Inhaber von Rechten an aktuellen Filmen, Musik oder DVDs sein Unterlassungsrecht geltend mache.
In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht erstens, ob die Anwaltskosten für eine Abmahnung wie die in der bei ihm anhängigen Rechtssache in Rede stehende unter die „Prozesskosten“ oder die „sonstigen Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/48, unter den in Art. 13 dieser Richtlinie genannten „Schadensersatz“ oder überhaupt nicht unter diese Richtlinie fallen.
Die in § 97a UrhG vorgesehene Abmahnung diene dem zweifachen Ziel, zum einen zu versuchen, einen Prozess durch gütliche Beilegung des Rechtsstreits durch die Parteien zu vermeiden, und zum anderen den Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums im Fall eines Prozesses vor der Gefahr zu schützen, dass ihm die Kosten auferlegt werden, falls er eine Unterlassungsklage ohne vorherige Abmahnung erheben und der Beklagte den Anspruch sofort anerkennen würde.
Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die einschlägigen Richtlinien in Anbetracht der Erkenntnisse aus dem Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties (C-57/15, EU:C:2016:611), dahin auszulegen sind, dass die Abmahnkosten grundsätzlich auch dann vollständig zu erstatten seien, wenn die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums durch natürliche Personen begangen worden sei, die kein berufliches oder kommerzielles Interesse verfolgten, und ob bestimmte Faktoren zur Erstattung nur eines geringen Anteils dieser Kosten führen könnten. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, fragt sich das vorlegende Gericht, welche Kosten dann erstattungsfähig wären.
Drittens seien nach Art. 14 der Richtlinie 2004/48 die Anwaltskosten der obsiegenden Partei in der Regel von der unterlegenen Partei zu tragen, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstünden. § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG habe aber dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt. So gelte nach dieser Bestimmung die Obergrenze von 1000 Euro für den für die Kostenfestsetzung geltenden Gegenstandswert nur in dem besonderen Fall nicht, dass dieser Wert im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls unbillig sei.
Abschließend weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sein Vorabentscheidungsersuchen im Zusammenhang mit einer Vielzahl bei ihm anhängiger Rechtsstreitigkeiten stehe, deren Entscheidung hinsichtlich der Erstattung der Anwaltskosten in der vorprozessualen Phase eines Rechtsstreits im Bereich der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums von der Auslegung des Unionsrechts abhänge, da die deutsche Rechtsprechung insoweit sehr uneinheitlich sei.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht Saarbrücken beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
-
Ist Art. 14 der Richtlinie 2004/48 so auszulegen, dass die Norm notwendige Anwaltskosten als „Prozesskosten“ oder als „sonstige Kosten“ erfasst, die einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2004/48 dadurch entstehen, dass er außergerichtlich im Wege der Abmahnung einen Unterlassungsanspruch gegen einen Verletzer dieser Rechte geltend macht?
Falls Frage 1a verneint wird: Ist Art. 13 der Richtlinie 2004/48 so auszulegen, dass die Norm die in Frage 1a benannten Anwaltskosten als Schadensersatz erfasst?
-
Ist das Unionsrecht, insbesondere mit Blick auf
Art. 3, 13 und 14 der Richtlinie 2004/48,
Art. 8 der Richtlinie 2001/29 und
Art. 7 der Richtlinie 2009/24
so auszulegen, dass ein Inhaber von Rechten geistigen Eigentums im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2004/48 im Grundsatz Anspruch auf Ersatz der vollständigen in Frage 1a benannten Anwaltskosten, jedenfalls eines angemessenen und wesentlichen Teils derselben hat, auch wenn
die verfolgte Rechtsverletzung durch eine natürliche Person außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit begangen worden ist und
eine nationale Regelung für diesen Fall vorsieht, dass solche Anwaltskosten regelmäßig nur nach einem reduzierten Streitwert ersatzfähig sind?
Falls Frage 2a bejaht wird: Ist das in Frage 2a benannte Unionsrecht so auszulegen, dass eine Ausnahme zu dem in Frage 2a benannten Grundsatz, wonach dem Rechteinhaber die in Frage 1a benannten Anwaltskosten vollständig oder jedenfalls zu einem angemessenen und wesentlichen Teil zu ersetzen sind,
unter Berücksichtigung von anderen Faktoren (wie etwa Aktualität des Werks, Dauer der Veröffentlichung und Verletzung durch eine natürliche Person außerhalb ihrer gewerblichen oder beruflichen Interessen) in Betracht kommt,
selbst wenn die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 2004/48 in Filesharing, also einem öffentlichen Zugänglichmachen des Werks durch ein Anbieten zum kostenlosen Download für alle Teilnehmer in einer frei zugänglichen Tauschbörse ohne Digital Rights Management, besteht?
-
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass die Kosten, die einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums für seine Vertretung durch einen Beistand im Hinblick auf die außergerichtliche Durchsetzung dieser Rechte entstanden sind, wie z. B. die mit einer Abmahnung verbundenen Kosten, unter den Begriff „Prozesskosten“ oder „sonstige Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen. Hilfsweise fragt es sich, ob solche Kosten unter den Begriff „Schadensersatz“ im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie fallen.
Mit der Richtlinie 2004/48 sollen ihrem zehnten Erwägungsgrund zufolge die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.
Zu diesem Zweck betrifft die Richtlinie 2004/48 nach ihrem Art. 1 alle Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie finden diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe auf jede Verletzung dieser Rechte des geistigen Eigentums, die im Unionsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.
Allerdings zielen die Bestimmungen der Richtlinie 2004/48 nicht darauf ab, alle Aspekte im Zusammenhang mit den Rechten des geistigen Eigentums zu regeln, sondern nur diejenigen, die zum einen eng mit der Durchsetzung dieser Rechte verbunden sind und zum anderen Verletzungen dieser Rechte betreffen, indem sie das Vorhandensein wirksamer Rechtsbehelfe vorschreiben, die dazu bestimmt sind, jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums zu verhüten, abzustellen oder zu beheben (Urteil vom 16. Juli 2015, Diageo Brands, C-681/13, EU:C:2015:471, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außerdem hat sich der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2004/48 für eine Mindestharmonisierung in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen entschieden (Urteil vom 9. Juli 2020, Constantin Film Verleih, C-264/19, EU:C:2020:542, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Gleichwohl ist, wie der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, festzustellen, dass die Richtlinie 2004/48 im Hinblick auf ihr Ziel, ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum zu gewährleisten, sowohl auf gerichtliche als auch auf außergerichtliche Verfahren anwendbar ist, da beide Arten von Verfahren erforderlich sein können, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen.
So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein der Schadensersatzklage vorausgehendes gesondertes Verfahren wie beispielsweise das Auskunftsersuchen, mit dem ein Kläger gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/48 von einem Internetzugangsanbieter Informationen verlangt, die es ermöglichen, seine Kunden zu identifizieren, um gegen die mutmaßlichen Rechtsverletzer zielgerichtet gerichtlich vorgehen zu können, das in dieser Bestimmung vorgesehene Kriterium erfüllt, nämlich dass ein solcher Antrag im Zusammenhang mit „einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2021, M.I.C.M., C-597/19, EU:C:2021:492, Rn. 81 und 82).
Da das außergerichtliche Abmahnverfahren eine Form der Suche nach einer gütlichen Einigung vor der eigentlichen Klageerhebung darstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/48 fällt.
Zur Frage, ob die Kosten einer Abmahnung unter die Begriffe „Prozesskosten“ oder „sonstige Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/48 oder aber unter den Begriff „Schadensersatz“ im Sinne von deren Art. 13 fallen, ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 14 der Richtlinie 2004/48 nicht nur die „Prozesskosten“ im engeren Sinne, sondern auch die „sonstigen Kosten“ erfasst, die der „obsiegenden Partei“ entstanden sind.
Diese Bestimmung zielt darauf ab, das Schutzniveau für geistiges Eigentum zu erhöhen, indem sie verhindern soll, dass ein Geschädigter von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Wahrung seiner Rechte abgehalten wird (Urteil vom 16. Juli 2015, Diageo Brands, C-681/13, EU:C:2015:471, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das somit mit dieser Bestimmung verfolgte spezielle Ziel fügt sich vollständig in das allgemeine Ziel der Richtlinie 2004/48 ein, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum zu gewährleisten. Diesen Zielen entsprechend muss derjenige, der Rechte des geistigen Eigentums verletzt, im Allgemeinen die finanziellen Folgen seines Verhaltens in vollem Umfang tragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland, C-406/09, EU:C:2011:668, Rn. 49).
Angesichts dieser Ziele sowie der weiten und allgemeinen Formulierung von Art. 14 der Richtlinie 2004/48, der auf die „obsiegende Partei“ und die „unterlegene Partei“ Bezug nimmt, ohne dies zu präzisieren oder die Verfahrensarten, für die diese Regel gelten soll, zu beschränken, gilt diese Bestimmung für die Prozesskosten jedes Verfahrens, das in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt (Urteil vom 16. Juli 2015, Diageo Brands, C-681/13, EU:C:2015:471, Rn. 78).
Allerdings birgt eine weite Auslegung von Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin, dass nach diesem Artikel die unterlegene Partei in der Regel die der obsiegenden Partei entstandenen Kosten zu tragen hat, ohne dass die Art dieser Kosten näher bestimmt würde, die Gefahr in sich, dass dieser Artikel einen zu weiten Anwendungsbereich erhält und damit Art. 13 dieser Richtlinie seine praktische Wirksamkeit genommen wird (Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 36).
So hat der Gerichtshof in Rn. 36 des Urteils vom 28. Juli 2016, United Video Properties (C-57/15, EU:C:2016:611), entschieden, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass unter die „sonstigen Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung nur Kosten fallen, die unmittelbar und eng mit dem betreffenden Gerichtsverfahren zusammenhängen.
Wenn, wie im Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties (C-57/15, EU:C:2016:611), im Hinblick auf die Merkmale der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, entschieden wurde, dass die „sonstigen Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/48 diese Kriterien erfüllen müssen, um ersatzfähig zu sein, muss dies erst recht für die „Prozesskosten“ im Sinne dieser Bestimmung gelten.
Was die Frage betrifft, ob es sich bei den mit einer Abmahnung verbundenen Kosten um „Prozesskosten“ oder „sonstige Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2000/48 handelt, ist festzustellen, dass Abmahnkosten zwar nicht als „Prozesskosten“ im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren sind, weil in diesem Stadium noch kein Rechtsstreit vor einem Gericht anhängig ist, nichts in der Richtlinie 2004/48 jedoch dagegenspricht, diese Kosten als „sonstige Kosten“ einzustufen, ungeachtet der Tatsache, dass in diesem vorprozessualen Stadium noch nicht feststeht, ob der Inhaber des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums später ein Gerichtsverfahren einleiten wird oder ob der mutmaßliche Verletzer seinen Vorschlag für eine gütliche Einigung annimmt.
Da das Abmahnverfahren ein Verfahren darstellt, das erforderlich ist, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen, und ein späteres Gerichtsverfahren verhindern oder sogar ersetzen soll, ist davon auszugehen, dass die Kosten für den Beistand und die Vertretung in diesem Verfahren aus den in den Rn. 32 bis 35 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen unter den Begriff „sonstige Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/48 fallen.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass die Kosten, die einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums für seine Vertretung durch einen Beistand im Hinblick auf die außergerichtliche Durchsetzung dieser Rechte entstanden sind, wie z. B. die mit einer Abmahnung verbundenen Kosten, unter den Begriff „sonstige Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Zur zweiten Frage
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia, C-497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insofern ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass in einem Fall, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums von einer natürlichen Person außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit begangen wurde, die Erstattung der „sonstigen Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung, auf die der Inhaber dieses Rechts Anspruch hat, pauschal auf der Grundlage eines durch diese Regelung begrenzten Streitwerts berechnet wird, sofern nicht das nationale Gericht der Ansicht ist, dass die Anwendung einer solchen Begrenzung unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des ihm vorgelegten Falles unbillig sei. Für den Fall, dass dies bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht auch wissen, welche Faktoren es bei der Beurteilung, ob diese Kosten zumutbar und angemessen im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/18 sind, gegebenenfalls zu berücksichtigen hat.
Als Erstes verlangt Art. 14 der Richtlinie 2004/48, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden.
Zum einen verpflichtet Art. 14 der Richtlinie 2004/48 die Mitgliedstaaten nur, die Erstattung der „zumutbaren“ Prozesskosten sicherzustellen. Diese Anforderung, die sowohl für „Prozesskosten“ als auch für „sonstige Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung gilt, spiegelt die in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene allgemeine Verpflichtung wider, wonach die Mitgliedstaaten u. a. dafür sorgen müssen, dass die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind, nicht unnötig kostspielig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 24).
So hat der Gerichtshof entschieden, dass übermäßige Kosten, die darauf zurückzuführen sind, dass die obsiegende Partei und ihr Anwalt ungewöhnlich hohe Honorare vereinbart haben oder der Anwalt Dienstleistungen erbracht hat, die für die Durchsetzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums nicht als erforderlich angesehen werden, nicht zumutbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 25).
Zum anderen sieht Art. 14 der Richtlinie 2004/48 vor, dass die Prozesskosten und sonstigen von der unterlegenen Partei zu tragenden Kosten „angemessen“ sein müssen.
Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Frage, ob diese Kosten angemessen sind, nicht unabhängig von den Kosten beurteilt werden kann, die der obsiegenden Partei tatsächlich durch den Beistand eines Anwalts entstanden sind, sofern diese „zumutbar“ im Sinne von Rn. 49 des vorliegenden Urteils sind. Zwar bedeutet das Erfordernis der Angemessenheit nicht, dass die unterlegene Partei zwangsläufig sämtliche Kosten der obsiegenden Partei erstatten muss, es verlangt jedoch, dass diese Anspruch auf die Erstattung wenigstens eines erheblichen und angemessenen Teils der ihr tatsächlich entstandenen zumutbaren Kosten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 29).
Außerdem ist, was insbesondere die Situation einer natürlichen Person betrifft, die außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit ein Recht des geistigen Eigentums verletzt hat, darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 ergibt, die Voraussetzung, dass die Rechtsverletzungen, um in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie zu fallen, in gewerblichem Ausmaß vorgenommen sein müssen, nur für Maßnahmen in Bezug auf Beweismittel, für Maßnahmen in Bezug auf das Auskunftsrecht und für einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen gemäß Kapitel II der Richtlinie gilt, wobei die Mitgliedstaaten unbeschadet davon solche Maßnahmen auch bei nicht in gewerblichem Ausmaß vorgenommenen Rechtsverletzungen anwenden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2021, M.I.C.M., C-597/19, EU:C:2021:492, Rn. 88).
Diese Voraussetzung gilt aber nicht für die „Prozesskosten“ und die „sonstigen Kosten“ nach Art. 14 der Richtlinie 2004/48. Nach dieser Bestimmung kann somit gegenüber einzelnen Verletzern angeordnet werden, dass sie dem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums diese Kosten vollständig zu erstatten haben, sofern sie zumutbar und angemessen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juni 2021, M.I.C.M., C-597/19, EU:C:2021:492, Rn. 89).
Der Gerichtshof hat jedoch anerkannt, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der allgemeinen Regel des Art. 14 der Richtlinie 2004/48 in ihr innerstaatliches Recht Pauschaltarife vorsehen dürfen. Er hat jedoch klargestellt, dass diese Tarife gewährleisten müssen, dass die Kosten, die der unterlegenen Partei nach dieser nationalen Regelung auferlegt werden können, zumutbar sind und dass die Höchstbeträge, die für diese Kosten geltend gemacht werden können, im Verhältnis zu den Gebühren, die normalerweise von einem Anwalt auf dem Gebiet des geistigen Eigentums verlangt werden, nicht zu niedrig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 25, 26, 30 und 32).
Könnte nämlich der Verletzer nur zur Erstattung eines geringen Teils der dem Inhaber des verletzten Rechts des geistigen Eigentums entstandenen zumutbaren Anwaltskosten verurteilt werden, würde die abschreckende Wirkung eines Verfahrens wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums, entgegen der allgemeinen Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 und dem mit dieser Richtlinie verfolgten Hauptziel, ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten, das ausdrücklich im zehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannt wird und im Einklang mit Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht, erheblich geschwächt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 27).
Außerdem ist es Sache des nationalen Gerichts, auch darauf zu achten, dass die voraussichtliche Höhe der Prozesskosten, die dem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums zugesprochen werden können, nicht geeignet ist, ihn in Anbetracht der von ihm als außergerichtliche Kosten zu tragenden Beträge und ihres Nutzens für die Schadensersatzklage davon abzuhalten, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C-481/14, EU:C:2016:419, Rn. 63).
Als Zweites sieht Art. 14 der Richtlinie 2004/48 neben einer Prüfung der Zumutbarkeit und Angemessenheit der erstattungsfähigen Kosten vor, dass die allgemeine Regel der Aufteilung dieser Kosten keine Anwendung findet, wenn Billigkeitsgründe es verbieten, der unterlegenen Partei die Kosten der obsiegenden Partei aufzuerlegen, selbst wenn diese zumutbar und angemessen sind.
Der Gerichtshof hat entschieden, dass diese Bestimmung nationale Vorschriften betrifft, die es dem Gericht ermöglichen, in einem Einzelfall, in dem die Anwendung der allgemeinen Prozesskostenregelung zu einem Ergebnis führen würde, das als ungerecht angesehen wird, ausnahmsweise von dieser Regelung abzuweichen. Er hat jedoch klargestellt, dass Billigkeitsgründe schon allein aufgrund ihres Wesens einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten, die eine bestimmte Obergrenze überschreiten, nicht rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C-57/15, EU:C:2016:611, Rn. 31).
Als Drittes soll nach Art. 14 der Richtlinie 2004/48 in Verbindung mit deren 17. Erwägungsgrund die nationale Regelung, mit der Art. 14 der Richtlinie umgesetzt wird, es dem Gericht, dem die Kostenentscheidung obliegt, jedenfalls ermöglichen, den spezifischen Merkmalen jedes Falles Rechnung zu tragen.
So könnte das nationale Gericht als solchen spezifischen Merkmalen insbesondere der Aktualität des Werks, der Dauer der Veröffentlichung, dem Umstand, dass die Verletzung der Rechte von einer natürlichen Person außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit begangen wurde, sowie, wie sich aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 ergibt, den Sonderaspekten des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums und gegebenenfalls dem vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakter der Rechtsverletzung Rechnung tragen.
Im Übrigen ist es im Rahmen dieser Berücksichtigung der spezifischen Merkmale jedes einzelnen Falles auch erforderlich, dass das vorlegende Gericht im Einklang mit der in Art. 3 der Richtlinie 2004/48 vorgesehenen allgemeinen Verpflichtung prüfen kann, ob ein Antrag auf Verurteilung zur Tragung der Kosten eines Vertreters für eine Abmahnung u. a. fair, gerecht und nicht missbräuchlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2021, M.I.C.M., C-597/19, EU:C:2021:492, Rn. 93 und 94).
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, nämlich § 97a UrhG, sieht vor, dass die erstattungsfähigen Kosten dadurch reduziert werden, dass ein Gegenstandswert von höchstens 1000 Euro angesetzt wird, wenn es sich bei dem Abgemahnten um eine natürliche Person handelt, die geschützte Werke oder andere Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet. § 97a Abs. 3 Satz 4 sieht jedoch eine Ausnahme für den Fall vor, dass dieser Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist.
Art. 14 der Richtlinie 2004/48 steht einer solchen Regelung nicht entgegen, da sie sicherstellen soll, dass die von der unterlegenen Partei zu tragenden Kosten zumutbar und angemessen sind, soweit sie dem Gericht, dem die Kostenentscheidung obliegt, die Möglichkeit gibt, in jedem Einzelfall dessen spezifische Merkmale zu berücksichtigen.
Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass in einem Fall, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums von einer natürlichen Person außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit begangen wurde, die Erstattung der „sonstigen Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung, auf die der Inhaber dieses Rechts Anspruch hat, pauschal auf der Grundlage eines durch diese Regelung begrenzten Streitwerts berechnet wird, sofern nicht das nationale Gericht der Ansicht ist, dass die Anwendung einer solchen Begrenzung unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des ihm vorgelegten Falles unbillig sei.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass die Kosten, die einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums für seine Vertretung durch einen Beistand im Hinblick auf die außergerichtliche Durchsetzung dieser Rechte entstanden sind, wie z. B. die mit einer Abmahnung verbundenen Kosten, unter den Begriff „sonstige Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Art. 14 der Richtlinie 2004/48 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass in einem Fall, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums von einer natürlichen Person außerhalb ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit begangen wurde, die Erstattung der „sonstigen Kosten“ im Sinne dieser Bestimmung, auf die der Inhaber dieses Rechts Anspruch hat, pauschal auf der Grundlage eines durch diese Regelung begrenzten Streitwerts berechnet wird, sofern nicht das nationale Gericht der Ansicht ist, dass die Anwendung einer solchen Begrenzung unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des ihm vorgelegten Falles unbillig sei.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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