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EuGH 14.03.2019 - C-449/17
EuGH 14.03.2019 - C-449/17 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 14. März 2019 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j – Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten – Schul- und Hochschulunterricht – Begriff – Fahrschulunterricht“
Leitsatz
In der Rechtssache C-449/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 2017, in dem Verfahren
A & G Fahrschul-Akademie GmbH
gegen
Finanzamt Wolfenbüttel
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Arabadjiev, E. Regan (Berichterstatter), C. G. Fernlund und S. Rodin,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der A & G Fahrschul-Akademie GmbH, vertreten durch Steuerberater D. Hippke und Rechtsanwalt A. Hüttl,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Urbani Neri, avvocato dello Stato,
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und R. Campos Laires als Bevollmächtigte,
der finnischen Regierung, vertreten durch S. Hartikainen als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der A & G Fahrschul-Akademie GmbH (im Folgenden: A & G) und dem Finanzamt Wolfenbüttel (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, Fahrschulleistungen von der Umsatzsteuer zu befreien, die von A & G im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. 2006, L 403, S. 18) erbracht wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Titel IX der Richtlinie 2006/112 trägt die Überschrift „Steuerbefreiungen“. Er enthält u. a. ein Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“), in dem sich Art. 132 findet, der in seinem Abs. 1 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer befreien:
„…
Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht;
…“
Richtlinie 2006/126
Der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 lautet:
„Aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit sollten die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden. Die Normen für die von den Fahrern abzulegenden Prüfungen und für die Erteilung der Fahrerlaubnis müssen harmonisiert werden. Zu diesem Zweck sollten die Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs festgelegt werden, die Fahrprüfung sollte auf diesen Konzepten beruhen, und die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen dieser Fahrzeuge sollten neu festgelegt werden.“
In Art. 4 dieser Richtlinie heißt es:
„1. Der Führerschein nach Artikel 1 berechtigt zum Führen von Kraftfahrzeugen der nachstehend definierten Klassen. Er kann ab dem für die einzelnen Klassen angegebenen Mindestalter ausgestellt werden. Als ‚Kraftfahrzeug‘ gilt jedes auf der Straße mit eigener Kraft verkehrende Fahrzeug mit Antriebsmotor mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen.
…
4. Kraftwagen:
…
Klasse B:
Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von höchstens 3500 kg, die zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer ausgelegt und gebaut sind; hinter Kraftwagen dieser Klasse darf ein Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 750 kg mitgeführt werden.
…
Klasse C1:
nicht unter die Klassen D oder D1 fallende Kraftwagen, deren zulässige Gesamtmasse mehr als 3500 kg, jedoch nicht mehr als 7500 kg beträgt, und die zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer ausgelegt und gebaut sind; hinter Kraftwagen dieser Klasse darf ein Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von höchstens 750 kg mitgeführt werden;
…“
Deutsches Recht
Gemäß § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386) sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes fallenden Umsätzen steuerfrei:
die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen,
wenn sie als Ersatzschulen gemäß Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind oder
wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten,
die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer
an Hochschulen im Sinne der §§ 1 und 70 des Hochschulrahmengesetzes und öffentlichen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schulen oder
an privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit diese die Voraussetzungen des Buchstabens a erfüllen;
…“
§ 6 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) in der Fassung vom 13. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1980) sieht vor:
„(1) Die Fahrerlaubnis wird in folgenden Klassen erteilt:
…
Klasse B: Kraftfahrzeuge – ausgenommen Krafträder – mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3500 kg und mit nicht mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz (auch mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 750 kg oder mit einer zulässigen Gesamtmasse bis zur Höhe der Leermasse des Zugfahrzeugs, sofern die zulässige Gesamtmasse der Kombination 3500 kg nicht übersteigt)
…
Klasse C1: Kraftfahrzeuge – ausgenommen Krafträder – mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3500 kg, aber nicht mehr als 7500 kg und mit nicht mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz (auch mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 750 kg)
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
A & G betreibt eine Fahrschule in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In den von ihr ausgestellten Rechnungen wies sie keine Umsatzsteuer gesondert aus. Für das Steuerjahr 2010 (im Folgenden: Streitjahr) erklärte sie zunächst steuerpflichtige Umsätze. Das Finanzamt folgte ihrer Umsatzsteuererklärung.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 beantragte A & G, die von ihr geschuldete Umsatzsteuer auf 0 Euro herabzusetzen, was vom Finanzamt abgelehnt wurde. Der Einspruch und die Klage von A & G gegen die Ablehnung seitens des Finanzamts blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (Deutschland) war u. a. der Ansicht, dass sich A & G nicht mit Erfolg auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112 berufen könne. Die von A & G erbrachten Leistungen, die aus der theoretischen Schulung und dem praktischen Fahrunterricht bestünden, fielen nämlich nicht unter den Begriff des Schul- oder Hochschulunterrichts im Sinne dieser Bestimmung, da der praktische Fahrunterricht nach einer im Streitjahr geltenden Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule weder erforderlicher noch wünschenswerter Bestandteil des Schul- oder Hochschulunterrichts sei.
Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts wendet sich A & G mit ihrer Revision beim vorlegenden Gericht, dem Bundesfinanzhof (Deutschland). Sie macht insoweit insbesondere geltend, dass das vom nationalen Gesetzgeber verfolgte Ziel der Fahrschulausbildung die Ausbildung verantwortungsvoller Verkehrsteilnehmer sei.
Im Übrigen deckten sich die praktische Fahrschulausbildung und die Fahrsicherheitstrainings u. a. des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) in ihren Zielsetzungen. Somit verstoße es gegen den Neutralitätsgrundsatz, diese vergleichbaren Leistungen unterschiedlich zu besteuern.
Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Leistungen von A & G nach nationalem Recht nicht steuerfrei seien, da diese die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a oder b UStG nicht erfülle. Möglicherweise könne sich A & G aber auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i oder j der Richtlinie 2006/112 berufen.
Das vorlegende Gericht neigt insoweit zu der Ansicht, dass die Tätigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 falle.
Dagegen hat es Zweifel, ob A & G die übrigen in diesen Bestimmungen festgelegten Kriterien erfüllt, da weder sicher sei, dass sie als „Einrichtung mit … anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ wie Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie angesehen werden könne, noch, dass ihre Tätigkeiten unter von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie subsumiert werden könnten.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1?
Sollte Frage 1 zu bejahen sein: Kann sich die Anerkennung der Klägerin des Ausgangsverfahrens als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehr- und der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen vom 25. August 1969 und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben?
Sollte Frage 2 zu verneinen sein: Setzt der Begriff des Privatlehrers in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112 voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt?
Sollten Fragen 2 und 3 zu verneinen sein: Wird ein Unterrichtender immer dann bereits als „Privatlehrer“ im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112 tätig, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt, oder sind an das Merkmal „Privatlehrer“ weitere Anforderungen zu stellen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er Fahrunterricht umfasst, der von einer Fahrschule wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 erteilt wird.
Art. 132 der Richtlinie 2006/112 sieht Steuerbefreiungen vor, mit denen, wie die Überschrift des Kapitels zeigt, zu dem dieser Artikel gehört, die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt wird. Diese Befreiungen betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind (Urteil von 4. Mai 2017, Brockenhurst College, C-699/15, EU:C:2017:344, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellen die in Rede stehenden Steuerbefreiungen autonome unionsrechtliche Begriffe dar, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung der Mehrwertsteuerregelung verhindern sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2017, The English Bridge Union, C-90/16, EU:C:2017:814, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen des Art. 132 der Richtlinie 2006/112 umschrieben sind, sind eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen, sich aus Art. 2 dieser Richtlinie ergebenden Grundsatz darstellen, dass jede Leistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen des Art. 132 verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (Urteil von 4. Mai 2017, Brockenhurst College, C-699/15, EU:C:2017:344, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 enthält keine Definition des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht“.
Bei dieser Sachlage hat der Gerichtshof zum einen befunden, dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vom Unterrichtenden an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit ist (Urteil vom 14. Juni 2007, Horizon College, C-434/05, EU:C:2007:343, Rn. 18).
Zum anderen hat er klargestellt, dass sich der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ im Sinne der Richtlinie 2006/112 nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern, dass er andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (Urteil vom 28. Januar 2010, Eulitz, C-473/08, EU:C:2010:47, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hierzu ist festzustellen, dass nach dieser ständigen Rechtsprechung, wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Tätigkeiten, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben, vom Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts erfasst werden können, sofern die Unterweisung in Schulen oder Hochschulen erfolgt.
Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 umfasst mithin Tätigkeiten, die sich sowohl wegen ihrer spezifischen Art als auch aufgrund des Rahmens, in dem sie ausgeübt werden, abheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2007, Horizon College, C-434/05, EU:C:2007:343, Rn. 20).
Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 13 bis 17 seiner Schlussanträge ausgeführt, mit diesem Begriff auf einen bestimmten Typus von Unterrichtssystem abstellen wollte, der allen Mitgliedstaaten unabhängig von den jeweiligen Besonderheiten der nationalen Systeme gemeinsam ist.
Für die Zwecke der Mehrwertsteuerregelung verweist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen.
Diese Erwägungen bilden den Hintergrund für die Prüfung, ob Fahrunterricht, der durch eine Fahrschule wie diejenige der Klägerin des Ausgangsverfahrens im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 erteilt wird, unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 fallen kann.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht hier geltend, dass der von ihr erteilte Fahrunterricht die Vermittlung von zugleich praktischen und theoretischen Kenntnissen umfasse, die für den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 erforderlich seien, und dass dieser Unterricht keinen bloßen Freizeitzweck verfolge, da mit dem Besitz der betreffenden Fahrerlaubnisse u. a. beruflichen Anforderungen entsprochen werden könne. Der zu diesem Zweck erteilte Unterricht werde daher vom Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 erfasst.
Es ist jedoch festzustellen, dass der Fahrunterricht in einer Fahrschule wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wenn er sich überhaupt auf verschiedene Kenntnisse praktischer und theoretischer Art bezieht, gleichwohl ein spezialisierter Unterricht bleibt, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er Fahrunterricht, der von einer Fahrschule wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 erteilt wird, nicht umfasst.
Zu den Fragen 2 bis 4
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Antwort auf die Fragen 2 bis 4.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er Fahrunterricht, der von einer Fahrschule wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein erteilt wird, nicht umfasst.
Silva de Lapuerta
Arabadjiev
Regan
Fernlund
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. März 2019.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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