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EuGH 15.11.2012 - C-174/11
EuGH 15.11.2012 - C-174/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 15. November 2012 ( *1) - „Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie — Befreiungen — Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 — Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbundene Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen — Anerkennung — Bedingungen, die auf Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, nicht anwendbar sind — Ermessen der Mitgliedstaaten — Grenzen — Grundsatz der steuerlichen Neutralität“
Leitsatz
In der Rechtssache C-174/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 13. April 2011, in dem Verfahren
Finanzamt Steglitz
gegen
Ines Zimmermann
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter M. Ilešič, U. Lõhmus (Berichterstatter), A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Frau Zimmermann, vertreten durch Rechtsanwalt U. Behr,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und C. Soulay als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juli 2012
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Zimmermann und dem Finanzamt Steglitz (im Folgenden: Finanzamt) wegen der für die Jahre 1993 und 1994 geschuldeten Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
…
die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen;
…“
Art. 13 Teil A Abs. 2 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der unter Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:
Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.
Leitung und Verwaltung müssen im Wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse an den Ergebnissen der betreffenden Tätigkeiten haben.
Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden.
Die Befreiungen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen.
Von der in Absatz 1 Buchstaben b) g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn
sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.“
Deutsches Recht
§ 4 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (im Folgenden: UStG) sah in seiner in den streitgegenständlichen Jahren 1993 und 1994 geltenden Fassung vor:
„Von den … Umsätzen sind steuerfrei:
…
16. die mit dem Betrieb … der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn
diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden oder
…
… bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind;
…
18. die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn
diese Unternehmer ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen,
die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugute kommen und
die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben. …“
Die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG genannte Grenze von zwei Dritteln (im Folgenden: Zwei-Drittel-Grenze) wurde ab 1. Januar 1995 auf 40 % herabgesetzt.
Der in § 4 Nr. 18 UStG genannte Begriff „Wohlfahrtspflege“ wird in § 66 Abs. 2 der Abgabenordnung (BGBl. I 1976 S. 613 und BGBl. I 1977 S. 269) wie folgt definiert:
„Wohlfahrtspflege ist die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken.“
In § 23 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (im Folgenden: UStDV) werden elf Vereinigungen aufgezählt, die im Sinne des § 4 Nr. 18 UStG als amtlich anerkannte Verbände der Wohlfahrtspflege gelten.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Frau Zimmermann ist examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbständig und meldete zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. Auf ihren Antrag vom 27. August 1993 wurde sie zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege zu den Krankenkassen zugelassen. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1993 und 1994 führte Frau Zimmermann ihre erzielten Umsätze als gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG umsatzsteuerfrei auf.
Im Jahr 1999 stellte das Finanzamt fest, dass Frau Zimmermann mit ihrem Personal im Jahr 1993 insgesamt 76 Personen behandelt hatte, von denen 52 Personen (68 %) Privatzahler waren. Daraufhin versagte das Finanzamt den von der Antragstellerin im Jahr 1993 erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG die Umsatzsteuerfreiheit.
Das Finanzamt wies darauf hin, dass nach dieser Vorschrift in mindestens zwei Drittel der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten. Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG für die von der Antragstellerin im Jahr 1994 erbrachten Leistungen versagte das Finanzamt ebenfalls, weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abstelle. Allerdings greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ein, soweit Frau Zimmermann Leistungen der Behandlungspflege erbracht habe. Mit Entscheidung vom 27. April 1999 schätzte das Finanzamt den Anteil dieser Pflegeleistungen auf ein Drittel.
Nach erfolglosem Einspruch erhob Frau Zimmermann beim Finanzgericht Klage gegen diese Entscheidungen. Während des Klageverfahrens legte sie eine Bescheinigung der Senatsverwaltung Berlin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz vom 19. Oktober 2005 vor, nach der sie zum einen spätestens seit 1988 die gleichen Leistungen erbracht bzw. die gleichen Tätigkeiten ausgeführt habe wie die Pflegestationen (Sozialstationen) aus dem Kreis der Liga der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin und zum anderen sie bzw. ihr Unternehmen in sozialrechtlicher Hinsicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt worden sei.
Das Finanzgericht gab der Klage überwiegend statt. Es führte aus, dass die im Jahr 1993 bis zum 1. Oktober ausgeführten Umsätze von Frau Zimmermann, soweit sie auf die Behandlungspflege entfielen, gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei seien. Den Anteil dieser Umsätze schätzte das Finanzgericht auf 75 %.
Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 könne Frau Zimmermann die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG beanspruchen. Ab diesem Zeitraum seien mindestens zwei Drittel der Umsätze auf Personen entfallen, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden seien. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass erst der Zeitraum nach September 1993 heranzuziehen sei.
Mit seiner Revision beantragt das Finanzamt, die Entscheidung des Finanzgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das Finanzgericht ihr für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 auf der Grundlage dieser Vorschrift stattgegeben habe. Frau Zimmermann beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Bundesfinanzhof ist im Gegensatz zum Finanzgericht der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG nicht erfüllt seien. Es sei allerdings zweifelhaft, ob die Zwei-Drittel-Grenze auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie oder auf Abs. 2 Buchst. a dieses Artikels gestützt werden könne. Zudem habe der Gerichtshof im Urteil vom 8. Juni 2006, L. u. P. (C-106/05, Slg. 2006, I-5123), die in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG genannte Voraussetzung, nach der die 40%-Grenze im vorangegangenen Jahr erfüllt sein müsse, nicht ausdrücklich gebilligt. Im Übrigen sei die Bedeutung des mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes im vorliegenden Fall zweifelhaft.
Für die Anwendung der Befreiung gemäß § 4 Nr. 18 UStG, der ausschließlich für die in § 23 UStDV aufgezählten elf Vereinigungen gelte, die vergleichbare oder gar die gleichen Leistungen erbrächten wie Frau Zimmermann, sei es nämlich unerheblich, ob die Pflegekosten zu einem bestimmten Anteil von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen worden seien. Es komme insoweit auch nicht auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs an.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Erlauben es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen „im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind“ (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG)?
Ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG)?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie es bei einer Auslegung im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität verbietet, dass die Mehrwertsteuerbefreiung der von gewerblichen Leistungserbringern erbrachten ambulanten Pflege von einer Bedingung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird, nach der die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bedingung), insbesondere wenn diese Bedingung nicht für alle Erbringer derartiger Dienstleistungen gilt.
Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass nach der Begründung des UStG sowohl dessen § 4 Nr. 16 Buchst. e als auch dessen § 4 Nr. 18 zur Umsetzung der Bestimmungen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie dienen.
Die in der letztgenannten Vorschrift vorgesehene Befreiung gilt für „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene“ Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen „durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“.
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen im Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet also nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen im Sinne von Art. 13 verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 14. Juni 2007, Haderer, C-445/05, Slg. 2007, I-4841, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C-461/08, Slg. 2009, I-11079, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 10. Juni 2010, CopyGene, C-262/08, Slg. 2010, I-5053, Randnr. 26).
Der Gerichtshof hat im Rahmen einer Rechtssache, die u. a. eine frühere Fassung von § 4 Nr. 16 UStG betraf, bereits anerkannt, dass Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von ambulanten Pflegediensten erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie darstellen (vgl. Urteil vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, Slg. 2002, I-6833, Randnrn. 8, 17, 44 und 61).
Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die von Frau Zimmermann erbrachten Leistungen der ambulanten Pflege als „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie angesehen werden können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, dies unter Berücksichtigung der in den Randnrn. 22 und 23 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung zu beurteilen.
Aus den Akten und insbesondere aus den Erklärungen der deutschen Regierung ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bedingung die Anerkennung des „sozialen Charakters“ von anderen Einrichtungen als Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie betrifft.
Die letztgenannte Vorschrift legt die Voraussetzungen und Modalitäten dieser Anerkennung nicht fest (Urteil vom 26. Mai 2005, Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Slg. 2005, I-4427, Randnr. 49). Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kügler, Randnr. 54, Kingscrest Associates und Montecello, Randnrn. 49 und 51, und vom 9. Februar 2006, Stichting Kinderopvang Enschede, C-415/04, Slg. 2006, I-1385, Randnr. 23).
In diesem Zusammenhang sind nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten befugt, die Gewährung der in Abs. 1 Buchst. g dieses Artikels vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von der Erfüllung einer oder mehrerer der in Abs. 2 Buchst. a genannten Bedingungen abhängig zu machen. Diese fakultativen Bedingungen für die Gewährung der betreffenden Befreiung können von den Mitgliedstaaten nach freiem Ermessen zusätzlich vorgesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Kingscrest Associates und Montecello, Randnrn. 38 und 50, L. u. P., Randnr. 43, und vom 14. Juni 2007, Horizon College, C-434/05, Slg. 2007, I-4793, Randnr. 45).
Folglich geht es im Ausgangsrechtsstreit im Wesentlichen darum, ob die Bundesrepublik Deutschland bei der Ausgestaltung der Anerkennung im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens beachtet hat (vgl. auch entsprechend Urteil Kügler, Randnr. 55).
Hierzu macht die deutsche Regierung geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe vorsehen dürfen, dass die Anerkennung von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts im Rahmen der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie durch das nationale Steuerrecht abschließend geregelt werde, so dass den Verwaltungsbehörden hierbei kein Ermessen zustehe.
Zwar ist der Erlass nationaler Vorschriften in Bezug auf die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts nach Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil Kingscrest Associates und Montecello, Randnr. 50).
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht jedoch hervor, dass es bei der Bestimmung der Einrichtungen, deren „sozialer Charakter“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist, Sache der nationalen Behörden ist, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften – seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit –, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Kügler, Randnrn. 57 und 58, und Kingscrest Associates und Montecello, Randnr. 53, sowie entsprechend Urteile vom 6. November 2003, Dornier, C-45/01, Slg. 2003, I-12911, Randnrn. 72 und 73, L. u. P., Randnr. 53, und CopyGene, Randnrn. 65 und 71).
Zudem kann sich ein Steuerpflichtiger auf die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung vor einem nationalen Gericht berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist (vgl. Urteil Kügler, Randnr. 61).
Ficht ein Steuerpflichtiger die Anerkennung oder die Nichtanerkennung der Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie an, haben die nationalen Gerichte somit zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen in diesem Artikel eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, einschließlich insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kügler, Randnr. 56, Kingscrest Associates und Montecello, Randnrn. 52 und 54, und L. u. P., Randnr. 48).
Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob zwei Aspekte der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung im Hinblick auf die Sechste Richtlinie zulässig sind, nämlich zum einen die Zwei-Drittel-Grenze und zum anderen der Umstand, dass bei der Beurteilung der Frage, ob diese Bedingung erfüllt ist, zwingend – so die Auslegung des vorlegenden Gerichts – auf die Sachlage abzustellen ist, wie sie sich im vorangegangenen Kalenderjahr darstellte (im Folgenden: Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen).
Was zunächst die Zwei-Drittel-Grenze betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung die Tatsache, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, einen Gesichtspunkt darstellt, der bei der Festlegung der Einrichtungen berücksichtigt werden kann, deren „sozialer Charakter“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist.
Daher hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung der Sache nach bereits entschieden, dass der betreffende Mitgliedstaat das ihm nach dieser Bestimmung zustehende Ermessen nicht schon dadurch überschreitet, dass er für die Anerkennung als in privatrechtlicher Form organisierte Labors im Rahmen der Anwendung dieser Bestimmung verlangt, dass mindestens 40 % der medizinischen Analysen der betreffenden Labors Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind (vgl. Urteil L. u. P., Randnrn. 53 und 54).
Entsprechend ist das Erfordernis einer wie im Ausgangsverfahren auf zwei Drittel der Fälle festgesetzten Schwelle für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zu beurteilen. Durch das Erfordernis einer solchen Schwelle wird nämlich auf ähnliche Weise dem Bedürfnis entsprochen, bei der Anwendung dieser Vorschrift den sozialen Charakter von Einrichtungen anzuerkennen. Ebenso überschreitet ein Mitgliedstaat das ihm nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zustehende Ermessen grundsätzlich nicht dadurch, dass er auch im Zusammenhang mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung verlangt, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen.
Sodann wirft das vorlegende Gericht in Bezug auf die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, die Frage auf, ob diese Pflicht auf den Einleitungssatz von Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gestützt werden könnte, wonach insbesondere die „einfache“ Anwendung der anschließend in diesem Absatz vorgesehenen Befreiungen zu berücksichtigen ist.
Insoweit trifft es zwar zu, dass die Mitgliedstaaten nach dem Einleitungssatz von Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie die Bedingungen zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen müssen, doch dürfen sich diese Bedingungen nicht auf die Definition des Inhalts der vorgesehenen Befreiungen erstrecken (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982, Becker, 8/81, Slg. 1982, 53, Randnr. 32, Kingscrest Associates und Montecello, Randnr. 24, und vom 14. Dezember 2006, VDP Dental Laboratory, C-401/05, Slg. 2006, I-12121, Randnr. 26).
Folglich ist es erforderlichenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob in den Situationen, in denen von Beginn der betreffenden Tätigkeiten an der „soziale Charakter“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie nach der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung anzuerkennen wäre, die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, zur Folge hat, dass hinsichtlich des ersten Kalenderjahrs dieser Tätigkeiten oder sogar ihrer ersten beiden Kalenderjahre die Anerkennung des „sozialen Charakters“ des betreffenden Leistungserbringers im Sinne dieser Vorschrift automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen ist.
Soweit die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, dies zur Folge hätte, kann sie nicht auf der Grundlage des Einleitungssatzes von Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt werden.
Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Auswirkung der Grundsatz der steuerlichen Neutralität in Anbetracht dessen auf den Ausgangsrechtsstreit hat, dass im Rahmen von § 4 Nr. 18 UStG, der ausschließlich für die in § 23 UStDV aufgezählten elf Vereinigungen gilt, die Befreiung von Leistungen wie den von Frau Zimmermann erbrachten nicht von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung abhängt.
Aus der in den Randnrn. 22 und 33 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung geht nämlich hervor, dass bei der Umsetzung der Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie die Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität grundsätzlich verlangt, dass alle Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, in Bezug auf ihre Anerkennung bei der Erbringung vergleichbarer Leistungen gleich behandelt werden (vgl. auch entsprechend, zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie, Urteile L. u. P., Randnr. 50, und CopyGene, Randnr. 71).
Nach Ansicht der deutschen Regierung handelt es sich in dem besonderen Kontext von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie um die Gleichbehandlung im Rahmen der Anerkennung des sozialen Charakters der Einrichtungen, so dass sie Einrichtungen des öffentlichen Rechts gleichgestellt werden könnten. Im Hinblick darauf sei der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht in dem Sinne zu verstehen, dass gleiche Leistungsinhalte gleich zu besteuern seien, sondern in dem Sinne, dass gleiche Steuerpflichtige den gleichen Bedingungen für die Steuerbefreiung unterliegen müssten.
Die deutsche Regierung macht geltend, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bedingung, unter Einschluss insbesondere der Zwei-Drittel-Grenze, solle gewährleisten, dass der betreffende Leistungserbringer auch tatsächlich eine soziale Einrichtung sei, und diene seiner Gleichstellung mit den Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Da sich § 4 Nr. 18 UStG anders als § 4 Nr. 16 UStG allein auf ohne Gewinnerzielungsabsicht handelnde juristische Personen beziehe, deren sozialer Charakter formal festgestellt worden sei, würden hingegen durch die deutsche Regelung nicht etwa gleiche Steuerpflichtige unterschiedlich behandelt, sondern es würden lediglich für unterschiedliche Steuerpflichtige, bei denen sich die tatsächlichen wie rechtlichen Rahmenbedingungen unterschieden, unterschiedliche Bedingungen für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter aufgestellt.
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Neutralität im Bereich der Mehrwertsteuer mit verschiedenen Bedeutungen benutzt wird.
Zum einen hat der Gerichtshof unter Hinweis darauf, dass der Unternehmer mit dem von der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Mechanismus des Vorsteuerabzugs vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll, entschieden, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten sucht, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark, C-174/08, Slg. 2009, I-10567, Randnr. 27, und vom 22. Dezember 2010, RBS Deutschland Holdings, C-277/09, Slg. 2010, I-13805, Randnr. 38).
Zum anderen lässt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es nach ständiger Rechtsprechung nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. u. a. Urteile vom 17. Februar 2005, Linneweber und Akritidis, C-453/02 und C-462/02, Slg. 2005, I-1131, Randnr. 24, und vom 10. November 2011, Rank Group, C-259/10 und C-260/10, Slg. 2011, I-10947, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Für den vorliegenden Fall ist die letztgenannte Bedeutung des Begriffs der Neutralität relevant. Wie nämlich aus der in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung hervorgeht, ist im Zusammenhang mit der Auslegung der Befreiungen nach Art. 13 der Sechsten Richtlinie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität neben dem Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen anzuwenden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 19. Juli 2012, Deutsche Bank, C-44/11, Randnr. 45).
Aus diesem Blickwinkel ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, bei dem es sich um eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes auf der Ebene des abgeleiteten Unionsrechts und im besonderen Sektor des Abgabenwesens handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil NCC Construction Danmark, Randnr. 44), keine Regel des Primärrechts ist, die für die Gültigkeit eines in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungstatbestands maßgebend sein könnte. Er erlaubt es auch nicht, den Geltungsbereich einer solchen Befreiung auszuweiten, sofern es keine eindeutige Bestimmung gibt (vgl. in diesem Sinne Urteile VDP Dental Laboratory, Randnrn. 35 bis 37, und Deutsche Bank, Randnr. 45).
Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie regelt nämlich, welche gemeinnützigen Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu befreien sind, welche die Mitgliedstaaten befreien können und welche nicht von der Steuer befreit werden können, und welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten die für eine Befreiung in Betracht kommenden Tätigkeiten unterwerfen dürfen (vgl. Urteile vom 3. April 2003, Hoffmann, C-144/00, Slg. 2003, I-2921, Randnr. 38, und vom 16. Oktober 2008, Canterbury Hockey Club und Canterbury Ladies Hockey Club, C-253/07, Slg. 2008, I-7821, Randnr. 38).
Daher steht der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beispielsweise nicht dem Umstand entgegen, dass für die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung die Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht erforderlich ist, während es einer solchen Anerkennung bei Einrichtungen bedarf, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind.
Wie sich aus den Randnrn. 43 und 52 des vorliegenden Urteils ergibt, erfordert im Rahmen der Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität die Gleichbehandlung bei der Anerkennung des sozialen Charakters nämlich nicht in Bezug auf die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, sondern im Hinblick auf alle übrigen Einrichtungen untereinander.
Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat, unterliegen jedoch die in § 4 Nr. 18 UStG genannten Einrichtungen, die in § 23 UStDV abschließend aufgezählt sind, nicht dem öffentlichen Recht, sondern – ebenso wie die Steuerpflichtigen, für die die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bedingung gilt – dem Privatrecht.
Zwar kann, wie die deutsche Regierung sinngemäß vorträgt, der Grundsatz der steuerlichen Neutralität als solcher dem nicht entgegenstehen, dass Einrichtungen, die wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine systematische Gewinnerzielung anstreben, die Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie gemäß der in Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie vorgesehenen Befugnis versagt wird.
Aus den dem Gerichtshof übermittelten Informationen geht jedoch nicht hervor, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung auf diese Befugnis gestützt hätte. Vielmehr fasst eben diese Bedingung, für die Zwecke der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung, gerade die Anerkennung des sozialen Charakters von gewerblichen Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht ins Auge.
Außerdem hat der Gerichtshof unter Anwendung der in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils dargestellten Auslegungsregeln (vgl. u. a. Urteil vom 28. Januar 2010, Eulitz, C-473/08, Slg. 2010, I-907, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung) in Bezug auf die Wendung „von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie bereits entschieden, dass sie grundsätzlich weit genug ist, um natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu umfassen (vgl. Urteile vom 7. September 1999, Gregg, C-216/97, Slg. 1999, I-4947, Randnr. 17, Hoffmann, Randnr. 24, Kingscrest Associates und Montecello, Randnrn. 35 und 47, und vom 17. Juni 2010, Kommission/Frankreich, C-492/08, Slg. 2010, I-5471, Randnrn. 36 und 37).
Unter diesen Umständen darf die nationale Regelung im Rahmen der Umsetzung der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen.
Folglich steht Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie, legt man ihn im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität aus, einer Grenze wie der Zwei-Drittel-Grenze entgegen, soweit sie im Zusammenhang mit Leistungen, die im Wesentlichen identisch sind, im Hinblick auf die Anerkennung des „sozialen Charakters“ im Sinne dieser Vorschrift auf bestimmte unter das Privatrecht fallende Steuerpflichtige angewandt wird, auf andere aber nicht.
Um dem vorlegenden Gericht eine vollständige Antwort zu geben, ist darauf hinzuweisen, dass es ihm obliegt, anhand sämtlicher konkreter Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Anforderungen von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie zu berücksichtigen.
Daher ist unabhängig davon, wie die Wendung „eng verbunden“ im Rahmen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie auszulegen ist, darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie die Befreiung jedenfalls von der Voraussetzung abhängig macht, dass die betreffenden Lieferungen oder Dienstleistungen zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten unerlässlich sind (vgl. Urteil Stichting Kinderopvang Enschede, Randnr. 25). Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob alle von Frau Zimmermann erbrachten Leistungen zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten im Sinne der letztgenannten Vorschrift unerlässlich sind (vgl. entsprechend Urteil Horizon College, Randnrn. 38 bis 41).
Im Übrigen sind nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von der in Abs. 1 Buchst. g dieses Artikels vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie es bei einer Auslegung im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität verbietet, dass die Mehrwertsteuerbefreiung der von gewerblichen Leistungserbringern erbrachten ambulanten Pflege von einer Bedingung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird, nach der die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, wenn diese Bedingung nicht geeignet ist, im Rahmen der für die Zwecke dieser Vorschrift erfolgenden Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, die Gleichbehandlung zu gewährleisten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verbietet es bei einer Auslegung im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung der von gewerblichen Leistungserbringern erbrachten ambulanten Pflege von einer Bedingung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird, nach der die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, wenn diese Bedingung nicht geeignet ist, im Rahmen der für die Zwecke dieser Vorschrift erfolgenden Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, die Gleichbehandlung zu gewährleisten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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