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BSG 26.09.2023 - B 5 R 21/23 BH
BSG 26.09.2023 - B 5 R 21/23 BH - Sozialgerichtsverfahren - Antrag auf Prozesskostenhilfe ohne Angabe einer Wohnanschrift
Normen
§ 65a SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160a SGG, § 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, § 117 ZPO, Art 19 Abs 4 S 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG München, 31. Januar 2022, Az: S 10 R 114/18, Gerichtsbescheid
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 26. April 2023, Az: L 6 R 109/22, Urteil
Tenor
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Der Antrag, dem Kläger für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2023 Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2023 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Der im Jahr 1977 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er erhält vom beklagten Rentenversicherungsträger seit November 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 23.1.2014). Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens forderte er (erneut) die Berücksichtigung von Beitragszeiten aufgrund von Beschäftigung im Zeitraum vom 1.8.2012 bis zum 31.3.2013. Das lehnte die Beklagte ab, weil der zur Rentenbewilligung führende Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung bereits im Juli 2012 eingetreten sei und nachfolgend tatsächlich zurückgelegte Beitragszeiten erst bei einem späteren Leistungsfall (zB Erreichen der Regelaltersgrenze) berücksichtigt werden könnten (Bescheid vom 24.10.2017, Widerspruchsbescheid vom 2.1.2018).
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Das sozialgerichtliche Klageverfahren gegen die zuletzt genannten Bescheide hat der Kläger unter Angabe einer Postanschrift in München und vertreten durch seine anwaltlichen Prozessbevollmächtigten geführt. Die Prozessvollmacht weist als Ort und Datum "München 15.1.18" aus. Eine in "Kairo" am 9.2.2018 unterzeichnete Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht hat der Kläger dem SG per Telefax übermittelt. Der Beklagten hat der Kläger am 11.2.2018 per E-Mail unter dem Betreff "alte adresse lange nicht mehr gültig" mitgeteilt, dass er "derzeit keinen festen wohnsitz" habe. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.1.2022, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 2.2.2022). Der Kläger selbst hat mit nicht unterschriebenem Telefax vom 27.2.2022 beim LSG Berufung eingelegt. Dabei hat er keine Anschrift angegeben und vorgetragen, er sei ohne festen Wohnsitz und lebe weder in Deutschland noch in Europa; erreichbar sei er nur über seine E-Mail-Adresse. Das LSG hat mit dem Kläger sodann per E-Mail kommuniziert und die Berufung nach mündlicher Verhandlung als zulässig, aber in der Sache nicht begründet zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2022). Im Urteil ist der Kläger nur mit seinem Namen und der E-Mail-Adresse bezeichnet. Die Entscheidung wurde ihm mit einfacher E-Mail übermittelt. Zudem hat das Berufungsgericht die öffentliche Zustellung des Urteils angeordnet. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung wurde am 9.5.2023 an der Gerichtstafel des LSG ausgehängt.
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Mit einfacher E-Mail an das BSG hat der Kläger am 23.5.2023 mitgeteilt, dass er "Revision" einlegen möchte und einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) stelle. Er lebe nicht in Deutschland oder Europa, weil er aus Deutschland geflüchtet sei; eine Kommunikation sei nur per E-Mail möglich. Der Berichterstatter hat den Kläger in der (ausdrücklich nur ausnahmsweise per E-Mail übermittelten) Eingangsbestätigung darauf hingewiesen, dass mit einfacher E-Mail weder ein Rechtsmittel wirksam eingelegt noch ein Antrag auf PKH wirksam gestellt werden könne; die Angabe einer Postanschrift - gegebenenfalls auch im außereuropäischen Ausland - sei erforderlich. Daraufhin hat der Kläger ein von ihm am 6.2.2023 unterzeichnetes PKH-Formular, das mit einem Aktenzeichen des Landgerichts München versehen war, als eingescannten Anhang zu einer einfachen E-Mail vom 25.5.2023 übermittelt. Auch in diesem Formular ist im Feld "Anschrift" vermerkt: "außerhalb Europa kein fester Wohnsitz". In Abschnitt H des Formulars werden Kosten für eine angemietete Wohnung von 50 qm Größe geltend gemacht. Mit einem als Computerfax übermittelten Schriftstück vom 31.5.2023 hat der Kläger erneut mitgeteilt, er habe keinen festen Wohnsitz und keine feste Anschrift.
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II. 1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG - das ist das einzige im Gesetz vorgesehene Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LSG (vgl § 160a Abs 1 Satz 1 und 2 SGG) - ist abzulehnen.
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Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 ff ZPO kann einem Beteiligten für ein Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Voraussetzung für die Bewilligung von PKH ist außerdem, dass der Antrag auf PKH wirksam gestellt (§ 117 Abs 1 ZPO) und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der hierfür vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs 2 und 4 ZPO) eingereicht wird.
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Die ausschließlich mit einfacher E-Mail bzw als nicht unterzeichnetes Computerfax ohne Angabe einer Wohnanschrift beim BSG eingereichten Anträge genügen dem Erfordernis eines wirksamen PKH-Antrags nicht. Rechtsschutzgesuche an ein deutsches Gericht müssen im Regelfall dem Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden benennen. Die bloße Angabe einer E-Mail-Adresse oder einer Mobilfunk-Telefonnummer reicht grundsätzlich nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S - SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 3 ff; s auch BFH Beschluss vom 21.10.2020 - VII B 119/19 - juris RdNr 40; eingehend auch BVerwG Urteil vom 13.4.1999 - 1 C 24/97 - NJW 1999, 2608 = juris RdNr 27 ff). Zwar ist im Ausnahmefall mit Rücksicht auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl Art 19 Abs 4 Satz 1 GG, s hierzu auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 2.2.1996 - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 = juris RdNr 2) die fehlende Angabe einer Anschrift unschädlich, wenn der Rechtsschutzsuchende glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt, etwa weil er wohnsitzlos ist (vgl BVerwG aaO = juris RdNr 40; s auch BSG aaO RdNr 8). Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Allerdings behauptet der Verfasser der dem BSG übermittelten E-Mails, er habe keinen festen Wohnsitz und keine feste Anschrift. Dazu im Widerspruch steht jedoch die Angabe in dem PKH-Vordruck, der am 25.5.2023 als Anlage zu einer E-Mail übermittelt worden ist. Dort macht er als Wohnkosten für eine 50 qm große Ein-Zimmer-Wohnung, die er als Mieter bewohne, monatliche Mietkosten von 400 Euro geltend. Unter diesen Umständen sind die Angaben zu einer bestehenden Wohnsitz- bzw Obdachlosigkeit nicht glaubhaft.
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Ungeachtet dessen erfüllen die lediglich mit einer einfachen E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur übersandten Eingaben die Anforderungen des § 65a SGG an eine formgerechte Übermittlung elektronischer Dokumente im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (ebenfalls zu einem PKH-Antrag vgl BSG Beschluss vom 27.5.2021 - B 5 R 9/21 BH - juris RdNr 4 sowie BSG Beschluss vom 9.3.2023 - B 4 AS 104/22 BH - juris RdNr 8, auch zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
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Die Bewilligung von PKH muss daher bereits aus formalen Gründen abgelehnt werden (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Begehren, Beitragszeiten, die nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung zurückgelegt wurden, bereits bei der deswegen gewährten Erwerbsminderungsrente rentensteigernd zu berücksichtigen, aufgrund der Regelung in § 75 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI auch in der Sache keinen Erfolg haben kann.
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2. Auch die sinngemäß erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist aus den unter 1. genannten Gründen durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG). Überdies kann ein Rechtsschutzsuchender ein Rechtsmittel vor dem BSG nicht selbst führen, sondern muss sich durch zugelassene Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 73 Abs 4 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
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