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BVerfG 08.10.2024 - 1 BvR 2006/24
BVerfG 08.10.2024 - 1 BvR 2006/24 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl Beschränkungen sozialrechtlicher Ansprüche - Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a und b SGB II (RIS: SGB 2) und § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB XII (RIS: SGB 12) bereits höchstrichterlich bestätigt, mithin keine schwierige Rechtsfrage, die nicht im PKH-Verfahren entschieden werden könnte - keine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 3 S 3 SGB 12, § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 12, § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a SGB 2, § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB 2
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 29. Juli 2024, Az: L 2 SO 1639/24 ER-B, Beschluss
vorgehend SG Stuttgart, 15. Mai 2024, Az: S 11 SO 1470/24 ER, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Eilverfahren vor dem Sozial- und Landessozialgericht.
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1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Polen. Er leidet unter einem Demenz-Syndrom im fortgeschrittenen Stadium. Er ist ohne festen Wohnsitz, steht unter Betreuung und hält sich spätestens seit Mitte September 2023 in Stuttgart auf.
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2. a) Am 11. Oktober 2023 beantragte der Beschwerdeführer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Mit Bescheid vom 4. März 2024 gewährte ihm das Sozialamt Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII für die Zeit vom 11. Oktober 2023 bis 15. März 2024. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Widerspruch und begehrte die Gewährung von Leistungen im Umfang des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Am 21. April 2024 beantragte der Beschwerdeführer beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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b) Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 15. Mai 2024 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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c) Mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 29. Juli 2024 hat das Landessozialgericht unter Verweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. März 2022 (BSGE 134, 45) die Beschwerde gegen den die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts zurückgewiesen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abgelehnt.
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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 GG durch die Beschlüsse des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts, soweit darin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a und b SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII stelle eine umstrittene und ungeklärte Rechtsfrage dar.
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II.
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1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 lit a) BVerfGG zu und ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 lit. b) BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>).
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a) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Es fehlt an der substantiierten Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, denn dieser ist insoweit nicht einschlägig, weil der Zugang zum Gericht im vorliegenden sozialgerichtlichen Verfahren mangels Gerichtskostenpflicht und mangels Anwaltszwang nicht von der Gewährung von Prozesskostenhilfe abhängt (vgl. BVerfGK 19, 384 385 f.>).
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b) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG bei der Anwendung der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Insofern ist zu berücksichtigen, dass Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 3 GG auch einer Besserstellung derjenigen, die ihre Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten müssen und daher von vorneherein kein Kostenrisiko tragen, gegenüber Bemittelten, die ihr Kostenrisiko wägen müssen, entgegensteht (vgl. BVerfGK 16, 406 408>; 19, 384 386>). Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 357>). Die Auslegung und Anwendung – hier des § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO – obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann daher nur eingreifen, wenn die Entscheidung der Fachgerichte Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (BVerfGE 81, 347 357 f.>; BVerfGK 2, 279 281>).
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Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der „hinreichenden Erfolgsaussicht“ erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, der den Zugang zum Recht unverhältnismäßig erschwert, indem sie die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannen. Dies ist der Fall, wenn sie schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen im Prozesskostenhilfeverfahren entscheiden, denn diese müssen auch von Unbemittelten der Klärung in einem Verfahren, in dem sie anwaltlich vertreten sind, zugeführt werden können (vgl. BVerfGE 81, 347 357 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2019 - 1 BvR 2111/17 -, Rn. 21 f.).
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bb) Eine solche schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage liegt hier nicht vor. Da Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden muss, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2012 - 1 BvR 1263/11 -, Rn. 13), muss Prozesskostenhilfe erst recht nicht gewährt werden, wenn eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich geklärt ist. So liegt die Sache hier.
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Das Bundessozialgericht hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a und b SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletze (vgl. BSGE 134, 45 53 ff.>; BSG, Urteil vom 6. Juni 2023 - B 4 AS 4/22 R -, Rn. 27 f.). Der Gesetzgeber müsse Unionsbürgern ohne ein Aufenthaltsrecht oder lediglich mit einem Aufenthaltsrecht, das sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, jedenfalls dann keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einräumen, wenn ihnen eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere eine Rückkehr in ihr Heimatland möglich und zumutbar sei. Der Gesetzgeber dürfe Unionsbürger regelmäßig darauf verweisen, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung der eigenverantwortlichen Selbsthilfe zu realisieren. Vorbehaltlich individueller Umstände im Einzelfall sei die Sachlage anders als bei dem von § 1 Abs. 1 AsylbLG erfassten Personenkreis, bei dem der Gesetzgeber typisierend davon ausgehe, dass diesem eine Rückreise in das Heimatland gegenwärtig nicht möglich oder zumutbar sei. Dass der Beschwerdeführer die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für unzutreffend hält, führt nicht dazu, dass sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe Erfolg haben müsste.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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2. Mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde sind zugleich die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nach der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verneinen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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