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BFH 06.10.2010 - II R 31/09
BFH 06.10.2010 - II R 31/09 - Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrages bei Stellung eines Ersatzkäufers zur Abwendung von Schadensersatzforderungen
Normen
§ 1 GrEStG 1997, § 16 Abs 1 Nr 1 GrEStG 1997
Vorinstanz
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 19. März 2009, Az: 3 K 40/08, Urteil
Leitsatz
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NV: Stellt der Ersterwerber eines Grundstücks einen Ersatzkäufer und erschöpft sich dabei sein Interesse in der Abwendung möglicher Schadensersatzforderungen der Verkäuferseite, so kann unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen eine Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vorliegen .
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren zu je 1/2 Miteigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in X. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 23. September 2006 veräußerten sie dieses zum Preis von 199.000 € jeweils zur ideellen Hälfte an A und B.
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Mit Bescheiden vom 3. November 2006 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen A und B jeweils Grunderwerbsteuer in Höhe von 3.482 € fest.
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Nachdem der Kaufpreis nicht entrichtet worden war, hoben die Vertragsparteien mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25. November 2006 den Kaufvertrag vom 23. September 2006 auf. Die Käufer verpflichteten sich, an die Kläger einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 1.000 € zu zahlen, womit alle gegenseitigen Ansprüche aus der Auflösung des Kaufvertrages erledigt sein sollten. Die Kaufvertragsparteien beantragten ferner, die Grunderwerbsteuerfestsetzungen aufzuheben.
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Mit ebenfalls am 25. November 2006 geschlossenem und unmittelbar im Anschluss an den Aufhebungsvertrag notariell beurkundetem Kaufvertrag veräußerten die Kläger nunmehr das Grundstück an A zu Alleineigentum. Der Kaufpreis blieb mit 199.000 € unverändert.
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Da B die Grunderwerbsteuer aus dem Bescheid vom 3. November 2006 nicht entrichtete, setzte das FA mit Bescheiden vom 29. Mai 2007 gegen die Kläger als Veräußerer jeweils Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.741 € fest.
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Die dagegen von den Klägern unter Verweis auf die beantragte Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung eingelegten Einsprüche blieben ebenso erfolglos wie die Klage vor dem Finanzgericht (FG). In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1137 veröffentlichten Urteil führte das FG aus, die Kläger seien als Verkäufer des Miteigentumsanteils zu Recht je zur Hälfte als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden. Der Kaufvertrag vom 23. September 2006 sei nicht nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) rückgängig gemacht worden. B habe ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Grundstückserwerb der A gehabt und Ansprüche der Kläger als Verkäufer wegen Nichterfüllung auf den vereinbarten pauschalen Schadensersatz reduzieren können. Auch fehle es an einer vollständigen Rückabwicklung des Vertrages, weil der Besitz sowie die Nutzungen nicht zurückübertragen worden seien.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.
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Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil und die Grunderwerbsteuerbescheide vom 29. Mai 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 30. Januar 2008 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Der Auffassung des FG, einer wirksamen Rückgängigmachung des Ersterwerbs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG stehe das wirtschaftliche Interesse des B, mögliche Schadensersatzansprüche der Verkäuferseite wegen Nichterfüllung des Vertrages auszuschließen oder zu reduzieren, sowie der dem B verbliebene Besitz und die Nutzungen entgegen, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
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a) Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird. "Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. März 2003 II R 12/01, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770; vom 21. Februar 2006 II R 60/04, BFH/NV 2006, 1700; vom 25. April 2007 II R 18/05, BFHE 217, 276, BStBl II 2007, 726; vom 14. November 2007 II R 1/06, BFH/NV 2008, 403).
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Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen --dem systematischen Verhältnis der Steuertatbestände des § 1 GrEStG zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG entsprechend-- in einem sachlichen Zusammenhang (BFH-Urteile vom 9. März 1994 II R 86/90, BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413; in BFHE 217, 276, BStBl II 2007, 726).
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aa) Dem Ersterwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag in jedem Fall dann, wenn der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat der Ersterwerber die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrages zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrages durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist (BFH-Urteil vom 23. August 2006 II R 8/05, BFH/NV 2007, 273). Da sich diese Schlussfolgerung trotz gleicher Beweggründe der Parteien mühelos umgehen lässt, indem die Aufhebung des ursprünglichen und der Abschluss des neuen Kaufvertrages --wie auch im Streitfall-- nacheinander beurkundet werden, kann der Abschluss beider Verträge in aufeinanderfolgenden Urkunden nicht anders beurteilt werden als ihre Zusammenfassung in einer Urkunde (BFH-Urteile in BFHE 217, 276, BStBl II 2007, 726, und in BFH/NV 2008, 403).
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bb) Im Streitfall hatte danach B die rechtliche Möglichkeit, bei Abschluss der Verträge vom 25. November 2006 Einfluss auf die Weiterveräußerung der Eigentumswohnung an A zu nehmen. Denn beide Verträge wurden am selben Tage mit fortlaufender Nummer der Urkundenrolle des amtierenden Notars abgeschlossen.
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Da B schon aus den vorgenannten Gründen Einfluss auf die Weiterveräußerung hatte, kommt es auf die Frage, ob auch ein dem B bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch verbliebener Besitz an der Eigentumswohnung eine vergleichbare rechtliche oder faktische Position vermitteln konnte, nicht mehr an.
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cc) Allein die tatsächliche Möglichkeit des Ersterwerbers, Einfluss auf die Weiterveräußerung zu nehmen, steht einer Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aber nicht entgegen. Vielmehr muss er von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht und die ihm aus dem vorangegangenen Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet haben (BFH-Urteil in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Ersterwerber ausschließlich im Interesse eines Dritten handelt (BFH-Urteil vom 7. Oktober 1987 II R 123/85, BFHE 152, 193, BStBl II 1988, 296) oder wenn sich sein Interesse ausschließlich darauf beschränkt, vom Vertrag loszukommen, und er lediglich dem Verlangen des Verkäufers nach Stellung eines Ersatzkäufers nachkommt (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271).
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dd) Danach steht --entgegen der Auffassung des FG-- das bloße Interesse des B, gegen ihn gerichtete mögliche Schadensersatzansprüche der Kläger als Verkäufer wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages abzuwenden oder zu reduzieren, einer Rückgängigmachung nicht entgegen. Denn dieses Interesse reicht nicht über das bloße Interesse, sich vom Kaufvertrag zu lösen, hinaus. Stellt der Ersterwerber einen Ersatzkäufer und erschöpft sich dabei sein Interesse in der Abwendung möglicher Schadensersatzforderungen der Verkäuferseite, kann, was das FG verkannt hat, unter den weiteren Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG eine Rückgängigmachung vorliegen.
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b) Auch soweit in der Vorentscheidung wegen der fehlenden Rückübertragung des Besitzes durch B auf die Kläger die Voraussetzungen des § 16 GrEStG verneint wurden, kann dem FG nicht gefolgt werden.
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Zum einen spricht im Streitfall alles dagegen, dass B jemals Besitz an der Eigentumswohnung erlangt hat. Denn nach § 4 des Kaufvertrages vom 23. September 2006 sollte der Besitz am Kaufgegenstand nicht vor Eingang des gesamten Kaufpreises auf die Käufer übergehen. Da B nach den Feststellungen des FG den Kaufpreis nicht bezahlt hat, fehlt es erkennbar an den Voraussetzungen für einen Besitzübergang nach § 854 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Selbst wenn er gegenüber den Klägern Besitzrechte an der Eigentumswohnung erlangt haben sollte, muss zum anderen davon ausgegangen werden, dass er diese spätestens durch die "vollinhaltliche Aufhebung" des Grundstückskaufvertrages vom 23. September 2006 wieder verloren hat.
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c) Da das FG von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
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2. Die Sache ist spruchreif.
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Die mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakte sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten; sie sind nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. Der Erwerbsvorgang des B vom 23. September 2006 wurde i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG rückgängig gemacht.
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Der Kaufvertrag vom 23. September 2006 wurde durch den Vertrag vom 25. November 2006 "vollinhaltlich" aufgehoben. Dadurch wurden alle Rechtswirkungen, insbesondere der steuerbegründende Eigentumsverschaffungsanspruch des B wieder beseitigt. Die Kläger haben als Verkäufer auch ihre ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Zwar hatte B nach den Umständen des Streitfalls (gleichzeitige Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrages und Weiterveräußerung) die rechtliche Möglichkeit, bei Abschluss der Verträge vom 25. November 2006 Einfluss auf die Weiterveräußerung der Eigentumswohnung an A zu nehmen. Dass B von dieser Möglichkeit im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse Gebrauch gemacht habe, ergibt sich aber weder aus den Feststellungen des FG noch sonst aus den Umständen des Streitfalls. Allein das Interesse, sich vom Kaufvertrag wieder zu lösen und einen Ersatzkäufer zu stellen, reicht nicht aus. Dieses für § 16 GrEStG unschädliche Interesse umfasst auch das Bestreben des Erstkäufers, Schadensersatzansprüche der Verkäuferseite zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Für die Wahrnehmung anderer (wirtschaftlicher) Interessen des B, wie z.B. die Möglichkeit des B, in der Wohnung zukünftig mietverbilligt zu wohnen, fehlt es an Feststellungen oder Anhaltspunkten, zumal das FG selbst ausführt, dass die persönliche Beziehung zwischen A und B bei Abschluss des Aufhebungsvertrages am 25. November 2006 "offenbar schon beendet war".
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