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BVerfG 10.12.2024 - 2 BvQ 73/24
BVerfG 10.12.2024 - 2 BvQ 73/24 - Erfolgloser isolierter Eilantrag auf Aussetzung bzw Modifizierung des Quorums für Unterstützungsunterschriften mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl 2025
Normen
Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 38 Abs 3 GG, Art 39 Abs 1 S 4 GG, Art 41 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 48 BVerfGG, § 93 Abs 1 BVerfGG, § 93 Abs 3 BVerfGG, § 20 Abs 2 S 3 BWahlG, § 27 Abs 1 S 2 BWahlG
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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Das Verfahren betrifft die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag, die voraussichtlich nicht am zunächst festgesetzten Termin, dem 28. September 2025, sondern vorgezogen am 23. Februar 2025 erfolgen wird.
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A.
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Mit seinem am 15. November 2024 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich der Antragsteller unmittelbar gegen die Verpflichtung parlamentarisch nicht vertretener Parteien sowie unabhängiger Einzelbewerber, Wahlvorschlägen nach § 20 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3, § 27 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 18 Abs. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1288, 1594), zuletzt geändert durch Art. 1 des Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 7. März 2024 (BGBl I Nr. 91), auch dann eine bestimmte Zahl von Unterstützungsunterschriften beizufügen, wenn der Bundestag zuvor nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG aufgelöst worden ist und Neuwahlen innerhalb der 60-Tages-Frist des Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG stattfinden. Er begehrt die vollständige Aussetzung dieser Verpflichtung, hilfsweise eine signifikante Reduzierung der geforderten Anzahl der Unterstützungsunterschriften, sowie die Verlängerung der Fristen zur Einreichung von Wahlvorschlägen und gegebenenfalls die Anordnung einer rechtlichen Anpassung für digitale Unterschriftensammlungen, soweit erforderlich.
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Hierzu macht er geltend, dass die bisherigen Regelungen zu Unterstützungsunterschriften Fristen und Anforderungen vorsähen, die innerhalb normaler Wahlvorbereitungszeiten eingehalten werden könnten. Im Falle einer vorgezogenen Bundestagswahl in einem "außergewöhnlich kurzen Zeitraum" sei es allerdings faktisch unmöglich, die erforderliche Anzahl an Unterstützungsunterschriften rechtzeitig zu erlangen. Dies verletze die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb und insbesondere den Grundsatz der Wahlgleichheit gemäß Art. 38 Abs. 1 GG.
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B.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen, weil er unzulässig ist.
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I.
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Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
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Im Vorfeld einer Wahl kommt eine einstweilige Anordnung nur eingeschränkt in Betracht. Zwar muss ein Antrag auf Rechtsschutz in der Hauptsache noch nicht anhängig sein (vgl. BVerfGE 71, 350 352>; stRspr). Jedoch muss die Stellung eines Hauptsacheantrags, der nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre, möglich sein (vgl. BVerfGE 151, 152 159 f. Rn. 21> m.w.N. - Wahlrechtsausschluss Europawahl - Eilantrag; stRspr). Im Vorfeld einer Wahl ist Rechtsschutz in Bezug auf diese Wahl jedoch nur begrenzt möglich (1.). Eilanträge im Vorgriff auf eine spätere Wahlprüfungsbeschwerde sind ausgeschlossen (2.). Ansonsten kommen einstweilige Anordnungen allenfalls unter besonderen Bedingungen in Betracht (3.).
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1. Gegen Entscheidungen und Maßnahmen im Wahlverfahren stehen nur eingeschränkte Rechtsbehelfe zur Verfügung (a). In Bezug auf die rechtlichen Grundlagen der Wahl kommen die verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe gegen Normen in Betracht (b).
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a) Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nach § 49 BWahlG nur mit den im Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen angefochten werden. Zudem eröffnen Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, § 13 Nr. 3a, § 96a BVerfGG und § 18 Abs. 4a BWahlG die Beschwerdemöglichkeit zum Bundesverfassungsgericht gegen die Feststellung des Bundeswahlausschusses, dass eine Partei oder Vereinigung an der Einreichung von Wahlvorschlägen gehindert ist (Nichtanerkennungsbeschwerde). Auch sie beschränkt sich auf die Kontrolle der Ordnungsgemäßheit der Anwendung des einfachen Rechts durch den Bundeswahlausschuss (vgl. BVerfGE 159, 105 111 ff. Rn. 21 ff., insbesondere 122 f. Rn. 52 f.> - Nichtanerkennungsbeschwerde Bundestagswahl 2021 - Deutsche Zentrumspartei).
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Bei der Wahl handelt es sich um ein Massenverfahren, das zügig durchgeführt werden und zeitnah zur Feststellung des Wahlergebnisses führen muss. Ihr reibungsloser Ablauf kann nur gewährleistet werden, wenn die Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelentscheidungen der Wahlorgane während des Wahlverfahrens begrenzt und einer nach der Wahl stattfindenden Prüfung vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE 151, 152 163 Rn. 31> m.w.N.; 159, 40 67 Rn. 77> - Normenkontrolle Wahlrechtsreform 2020 - eA). Wären alle Entscheidungen, die sich unmittelbar auf die Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum Deutschen Bundestag beziehen, vor dem Wahltermin mit Rechtsmitteln angreifbar, käme es im Verfahren zur Organisation der Wahl, das durch ein Ebenen übergreifendes Zusammenspiel der einzelnen Wahlorgane mit zahlreichen zu beachtenden Terminen und Fristen geprägt ist, zu erheblichen Beeinträchtigungen. Umfangreichere Sachverhaltsermittlungen und die Klärung schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen wären kaum ohne erhebliche Auswirkungen auf die fristgerechte Durchführung des Wahlverfahrens möglich (vgl. BVerfGE 159, 105 114 Rn. 29> m.w.N.). Das Demokratieprinzip verlangt jedoch regelmäßig stattfindende Wahlen und schützt ihre tatsächliche termingerechte Abhaltung (vgl. BVerfGE 159, 105 114 f. Rn. 29>).
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Daher besteht - abgesehen von den wenigen ausdrücklich für die Zeit vor der Wahl vorgesehenen Rechtsbehelfen - Rechtsschutz nur nach der Wahl im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 Abs. 1 GG. Die Prüfungskompetenz des Deutschen Bundestages nach Art. 41 Abs. 1 GG umfasst dabei das gesamte Wahlverfahren einschließlich der Wahlvorbereitung, der Wahlhandlung und der Feststellung der Wahlergebnisse (vgl. BVerfGE 151, 152 163 Rn. 30>; 159, 40 66 Rn. 76>). Soweit diese Prüfungskompetenz reicht, stellt das Wahlprüfungsverfahren eine gegenüber den allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten speziellere Regelung dar. Sie schließt den Rückgriff auf jene grundsätzlich aus (vgl. BVerfGE 151, 152 163 Rn. 30>; 159, 40 66 Rn. 76>).
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b) Gegen wahlrechtliche Normen ist hiervon unabhängig im Rahmen der allgemeinen Rechtsbehelfe gemäß Art. 93 Abs. 1 GG Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. In Betracht kommen insoweit Rechtssatzverfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG, Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG und abstrakte Normenkontrollen nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, §§ 76 ff. BVerfGG (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2024 - 2 BvF 1/23 u.a. -, insbesondere Rn. 103 ff. - Bundeswahlgesetz 2023).
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Zwar kann das Bundesverfassungsgericht wahlrechtliche Vorschriften auch im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde nach der Wahl überprüfen (vgl. BVerfGE 159, 40 67 Rn. 78>; 159, 105 115 f. Rn. 31 ff.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 5. Juni 2024 - 2 BvC 15/20 -, Rn. 21 - Europawahl 2019 <Mindestwahlalter>). Die Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens nach Art. 41 Abs. 2 GG, § 13 Nr. 3, § 48 BVerfGG und § 49 BWahlG greift jedoch insoweit nicht (vgl. BVerfGE 151, 152 162 ff. Rn. 29 ff.>; 159, 40 66 f. Rn. 76 ff.>; für die Verfassungsbeschwerde BVerfGE 82, 322 336>; BVerfGK 16, 153 153>).
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Allerdings sind die Rechtsbehelfe der Verfassungsbeschwerde und der Organklage fristgebunden. Im Vorfeld einer Wahl sind sie daher nur zulässig, wenn die Verfassungsbeschwerdefrist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 BVerfGG) seit dem Inkrafttreten des Wahlgesetzes beziehungsweise für Parteien die Organklagefrist von sechs Monaten (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) ab Verkündung des Gesetzes noch nicht abgelaufen ist. Dies ist jedoch bei Wahlrechtsvorschriften regelmäßig der Fall. Änderungen des Wahlrechts können diese Fristen nur dann erneut in Gang setzen, wenn von ihnen eine neue, die Beschwerdeführenden beziehungsweise Antragstellenden ersichtlich stärker belastende Wirkung ausgeht (vgl. BVerfGE 45, 104 119 f.>; 78, 350 356>; 100, 313 356>; 137, 108 139 Rn. 70>). Lediglich die abstrakte Normenkontrolle unterliegt keiner Frist. Eine Beeinträchtigung der Durchführung der Wahl, die durch eine Vielzahl von Rechtsbehelfsverfahren entstehen könnte, ist im Unterschied zur Verfassungsbeschwerde und Organklage jedoch wegen des begrenzten Kreises der Antragsberechtigten hier nicht zu befürchten (vgl. BVerfGE 151, 152 164 Rn. 33>; 159, 40 67 Rn. 79>).
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2. Eilanträge im Vorgriff auf eine nach der Wahl beabsichtigte Wahlprüfungsbeschwerde kommen nicht in Betracht. Für die Erhebung einer Wahlprüfungsbeschwerde vor Durchführung der Wahl und des Einspruchsverfahrens vor dem Deutschen Bundestag besteht im geltenden Recht keine Grundlage. Deshalb ist auch eine in das einstweilige Anordnungsverfahren vorverlegte Wahlprüfungsbeschwerde ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 63, 73 76>; 134, 135 137 f. Rn. 4 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. August 2017 - 2 BvQ 50/17 -, Rn. 1; Beschluss des Zweiten Senats vom 9. April 2024 - 2 BvQ 26/24 -, Rn. 12).
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Das Wahlprüfungsverfahren ist vom Gesetzgeber zum Schutz der Durchführbarkeit der Wahl als ein der Wahl nachgelagertes Verfahren konzipiert worden (vgl. oben Rn. 9 f.). Überdies würde die Zulassung einer Wahlprüfungsbeschwerde vor einer Wahl, die die Verfassungswidrigkeit wahlrechtlicher Vorschriften rügt, zu einer Umgehung der Sachentscheidungsvoraussetzungen der allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfe, insbesondere der Rechtsbehelfsfristen, führen.
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3. Dies schließt die ausnahmsweise Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor Durchführung einer Wahl im Fall besonderer Umstände nicht von vornherein aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. September 2005 - 2 BvQ 31/05 -, Rn. 7). So hat etwa die herausgehobene staatspolitische Bedeutung der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl den Senat zum Erlass einer einstweiligen Anordnung bewogen (vgl. BVerfGE 82, 353).
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II.
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Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig. Die Stellung eines zulässigen Antrags in der Hauptsache ist nicht möglich (1.). Soweit der Antrag als vorgreiflich zu einer später zu erhebenden Wahlprüfungsbeschwerde zu verstehen sein sollte, ist er nicht statthaft (2.). Besondere Umstände von herausgehobener staatspolitischer Bedeutung, die ausnahmsweise Rechtsschutz geboten erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor (3.).
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1. Eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde, die dem Antragsbegehren als noch einzulegender Hauptsacherechtsbehelf entnommen werden könnte, wäre verfristet.
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a) Das Bundeswahlgesetz hat zuletzt mit Wirkung vom 14. Juni 2023, nämlich durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl I Nr. 147, 198) substantielle Änderungen erfahren, die geeignet waren, die Beschwerdefrist gegen hiervon betroffene Regelungen erneut in Gang zu setzen (vgl. zur Fünf-Prozent-Sperrklausel BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2024 - 2 BvF 1/23 u.a. -, Rn. 113 ff.). Die jüngsten Änderungen des Bundeswahlgesetzes - namentlich auch des § 20 BWahlG - durch Art. 1 des Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 7. März 2024 (BGBl I Nr. 91) waren lediglich redaktioneller Natur und haben somit die Beschwerdefrist nicht neu auslösen können.
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Daher kann derzeit das gesamte Bundeswahlgesetz nicht im Wege einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde angegriffen werden. Auch ein Unterlassen des Gesetzgebers, Ausnahmen für die Unterschriftenquoren bei Neuwahlen zu schaffen, kann nicht mehr fristwahrend gerügt werden (vgl. BVerfGE 114, 107 118 ff.>).
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b) Die zu erwartende Verordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) über die Abkürzung von Fristen im Bundeswahlgesetz für die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag auf Grundlage des § 52 Abs. 3 BWahlG (vgl. bereits den auf der Internetseite des BMI veröffentlichten Verordnungsentwurf vom 25. November 2024) kann ebenfalls nicht bewirken, dass die Beschwerdefrist gegen Regelungen des Bundeswahlgesetzes neu zu laufen beginnt.
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Die besondere Belastung, durch die der Antragsteller im Falle einer vorgezogenen Neuwahl das Recht auf chancengleiche Teilnahme an der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag und den Grundsatz der Wahlgleichheit verletzt sieht, entsteht - neben der fehlenden Ausnahmeregelung zum Unterschriftenerfordernis im Bundeswahlgesetz - vor allem durch den Zeitdruck, unter dem die Wahlvorbereitung steht. Maßgeblich hierfür ist jedoch Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG mit seiner strikten zeitlichen Vorgabe, die im wahlvorbereitenden Verfahren einzuhalten ist. Die Verordnung des BMI hat in diesem Zusammenhang sicherzustellen, dass der zeitliche Ablauf der einzelnen Verfahrensschritte, die das Bundeswahlgesetz im Vorfeld der Bundestagswahl anordnet, abgekürzt und so die Einhaltung der 60-Tage-Frist des Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG gewährleistet wird. Damit fehlt der zu erwartenden Verordnung ein gegenüber der Vorgabe des Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG eigenständiger belastender Gehalt, der es rechtfertigen könnte, mit ihrem Erlass die Regelungen des Bundeswahlgesetzes zu den Unterschriftenquoren neu anzugreifen (vgl. BVerfGE 114, 107 117 f.>).
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c) Allein der Umstand einer vorgezogenen Neuwahl gebietet schließlich ebenfalls keine andere Bewertung. Diese nach Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG seit Inkrafttreten des Grundgesetzes stets gegebene Möglichkeit führt nicht dazu, dass das Bundeswahlgesetz ein neues normatives Umfeld erhielte und insoweit von seinen Regelungen neue belastende Wirkungen ausgingen. Sie bewirkt auch keine Veränderungen der Realbedingungen der Wahl, die eine Handlungspflicht des Gesetzgebers zur Änderung der wahlrechtlichen Bestimmungen und damit einen neuen Fristlauf auslösen könnten.
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Dies gilt insbesondere für das Erfordernis eines Unterschriftenquorums. Der Gesetzgeber hat bereits mit dem Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 24. Juni 1975 (BGBl I S. 1593) zum Ausdruck gebracht, an dem Erfordernis eines Unterschriftenquorums ausnahmslos - und damit auch im Fall der Wahlvorbereitung nach einer Auflösung des Deutschen Bundestages - festhalten zu wollen (vgl. BVerfGE 114, 107 119>). Auch nach den vorgezogenen Neuwahlen am 6. März 1983 wurde im Zuge des Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. März 1985 (BGBl I S. 521) von Änderungen am Unterschriftenquorum abgesehen, was nur dahin verstanden werden kann, dass der Gesetzgeber Regelungen zur Erleichterung der Zulassung von Wahlvorschlägen bei vorgezogenen Neuwahlen nicht erlassen wollte (vgl. BVerfGE 114, 107 119>). Überdies verdeutlicht die Verordnungsermächtigung des § 52 Abs. 3 BWahlG, dass der Gesetzgeber den Besonderheiten bei der Wahlvorbereitung im Fall der Auflösung des Deutschen Bundestages zwar durch die Verkürzung von Fristen, nicht aber durch den Verzicht auf die Unterschriftenquoren oder durch deren Absenkung Rechnung tragen wollte (vgl. BVerfGE 114, 107 119 f.>).
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Die tatsächlichen Bedingungen, unter denen Bundestagswahlen stattfinden, haben sich nicht in einer Weise verändert, die vom Gesetzgeber eine Anpassung insbesondere der Bestimmungen über die Unterschriftenquoren verlangen würde (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2024 - 2 BvE 15/23 -, Rn. 75 f. - Unterschriftenquoren Bundestagswahl II). Zwar könnte den Gesetzgeber auch mit Blick auf eine vorgezogene Neuwahl eine Kontroll- und Überwachungspflicht über die mit der Vorbereitung der Wahl betraute Exekutive (vgl. BVerfGE 82, 353 366 f.>; 114, 107 120>) treffen. Es ist aber nicht erkennbar, warum die Wahlorgane und Wahlbehörden auf die Vorbereitung und Durchführung der Bundestagswahl innerhalb der durch Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG gesetzten Fristen nicht vorbereitet sein sollten (vgl. BVerfGE 114, 107 121>). Wiederholt wurden Wahlen zum Deutschen Bundestag vorgezogen, ohne dass dies zu massiven tatsächlichen Schwierigkeiten geführt hätte. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass im Einzelfall auftretenden Defiziten, die der Wahlvorschlagsberechtigte nicht zu vertreten hat, nicht im Rahmen des § 25 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG abgeholfen werden könnte.
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d) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand käme von vornherein nicht in Betracht. Bei der in § 93 Abs. 2 BVerfGG vorgesehenen Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist handelt es sich nach dem Wortlaut und der Gesetzessystematik dieser Norm sowie dem Zweck der Ausschlussfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG um eine Möglichkeit, die für das Verfahren der Rechtssatzverfassungsbeschwerde von vornherein nicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juni 2014 - 1 BvR 1443/08 -, Rn. 4; Beschluss des Zweiten Senats vom 5. Juni 2024 - 2 BvR 1177/20 -, Rn. 19 - Europawahl 2019 und 2024 <Mindestwahlalter>).
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2. Für eine vorgelagerte Wahlprüfungsbeschwerde vor Durchführung der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag besteht nach den vorstehenden Maßstäben (vgl. oben Rn. 14 f.) kein Raum.
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3. Schließlich sind keine besonderen Umstände von solch staatspolitischer Bedeutung ersichtlich, dass eine Ausnahme von diesen Grenzen des Rechtsschutzes vor einer Wahl begründet sein könnte. Allein die nach den Maßgaben des Grundgesetzes vorgesehene Auflösung des Bundestages stellt keinen in diesem Sinne besonderen Umstand dar (vgl. im Ergebnis BVerfGE 63, 73).
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