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BVerfG 20.11.2024 - 1 BvR 105/24
BVerfG 20.11.2024 - 1 BvR 105/24 - Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Rechtssatzverfassungsbeschwerde einer Übersetzerin im Kontext der Neuregelung des Gerichtsdolmetscherwesens (ua Erfordernis des Bestehens einer Übersetzerprüfung) - mangelnde Darlegungen zur Subsidiarität, zur Beschwerdebefugnis sowie zur Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung
Normen
Art 12 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 189 Abs 2 GVG vom 11.07.2022, StrVfModG, § 3 Abs 1 nF GDolmG, § 7 Abs 1 S 2 nF GDolmG, § 6 Abs 8 S 2 GVGAG SL vom 21.06.2023, § 6 Abs 3 S 1 GVGAG SL vom 21.06.2023, § 6 Abs 6 GVGAG SL, § 6 Abs 3 GVGAG SL
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin ist Übersetzerin. Sie wendet sich gegen eine Neuregelung im Saarländischen Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (SAG GVG), derzufolge sie sich zukünftig nicht mehr auf ihre nach saarländischem Recht erteilte allgemeine Beeidigung berufen kann, sondern bundesrechtliche Anforderungen erfüllen muss.
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1. Durch Gesetz über die allgemeine Beeidigung von gerichtlichen Dolmetschern (Gerichtsdolmetschergesetz – GDolmG), das in seiner aktuellen Fassung am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist (vgl. zuletzt Art. 8 des Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zur Änderung der Zivilprozessordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des Wohnungseigentumsgesetzes und des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 7. November 2022, BGBl I S. 1982), wurden die Voraussetzungen einer allgemeinen Beeidigung von Dolmetschern neu gefasst und bundeseinheitlich geregelt. Der saarländische Landesgesetzgeber hat daraufhin die landesrechtlichen Regelungen an diese Neuregelungen angepasst und auf eine Übersetzertätigkeit erstreckt: Aufgrund des SAG GVG in der Neufassung (n.F.) durch das Gesetz Nummer 2106 zur Änderung des Saarländischen Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Landesjustizkostengesetzes vom 21. Juni 2023, in Kraft getreten am 28. Juli 2023 (Amtsblatt des Saarlandes Teil I vom 27. Juli 2023, S. 648) enden bestehende allgemeine Beeidigungen nach saarländischen Vorschriften am 31. Dezember 2027; § 6 Abs. 8 Satz 2 SAG GVG n.F. regelt eine Fortgeltung allgemeiner Übersetzerbeeidigungen nach saarländischem Recht bis zu diesem Datum; § 6 Abs. 3 Satz 1 SAG GVG n.F. in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 GDolmG bestimmt entsprechend, dass die allgemeine Beeidigung nach fünf Jahren endet.
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Die Tätigkeit als Übersetzerin in Form der Bescheinigung der Richtigkeit und Vollständigkeit einer Urkundenübersetzung gemäß § 6 Abs. 6 SAG GVG n.F. ist der Beschwerdeführerin ohne eine Verlängerung oder eine Neuerteilung der allgemeinen Beeidigung ab dem 1. Januar 2028 nicht mehr möglich. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung oder Neuerteilung einer allgemeinen Beeidigung ergeben sich aufgrund eines Verweises in § 6 Abs. 3 SAG GVG n.F. auf die §§ 3 bis 5 und 7 GDolmG aus diesen bundesrechtlichen Vorschriften. Selbstständige saarländische Regelungen existieren dazu, anders als zuvor, nicht mehr. Wer sich ohne Berechtigung als allgemein beeidigter Übersetzer oder allgemein beeidigte Übersetzerin ausgibt, handelt gemäß § 6b SAG GVG n.F. ordnungswidrig.
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2. Die (…) Beschwerdeführerin ist Deutsche. Sie ist im Saarland als allgemein beeidigte Übersetzerin für die Sprachen (…) tätig und in die Übersetzerdatenbank eingetragen. Im Jahr 1992 wurde sie auf Grundlage eines mit dem Magister Artium abgeschlossenen philologischen Hochschulstudiums an der Universität des Saarlandes sowie einschlägiger Auslands- und Studienaufenthalte unter anderem in Frankreich und Russland allgemein beeidigt. Eine spezifische Übersetzerprüfung legte die Beschwerdeführerin nicht ab, weil das für die Ausübung der Tätigkeit als allgemein beeidigte Übersetzerin nicht erforderlich gewesen sei.
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Die Beschwerdeführerin verdient ihren Lebensunterhalt ausschließlich als Übersetzerin. Ihre Auftraggeber sind Behörden, Gerichte und Privatpersonen oder Übersetzungsbüros. Sie ist auf die Übersetzung von Urkunden spezialisiert und beabsichtigt, ihre freiberuflich ausgeübte Tätigkeit als Urkundenübersetzerin auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nach Erreichen des Renteneintrittsalters fortzuführen, da sie nur in geringem Umfang Rentenansprüche erworben habe.
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3. Mit ihrer unmittelbar gegen § 6 SAG GVG n.F. erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Sie verliere die ihr bisher unbefristet gewährte allgemeine Beeidigung ex lege – also ohne, dass es eines weiteren Vollzugsaktes bedürfe. Daher sei sie selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch das Gesetz betroffen. Dieses sei bereits heute – etwa im Hinblick auf Prüfungsvorbereitungen – verhaltensbeeinflussend. Ein weiteres Abwarten sei unzumutbar.
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§ 6 SAG GVG n.F. sei unverhältnismäßig. Für das Ziel der Qualitätssicherung in der Sprachmittlung werde ihr – ohne dass dies erforderlich sei – die Existenzgrundlage genommen. Insbesondere das Erfordernis des Nachweises einer bestandenen Übersetzerprüfung ohne Ausnahmeregelungen sei unangemessen, weil die Übersetzerprüfung jahrelange Prüfungsvorbereitungen erfordere. Zudem sei die Prüfungsinfrastruktur mangelhaft, und es sei unklar, welche Prüfungen später anerkannt würden. Sie werde durch die Neuregelung besonders hart getroffen, da sie nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens nunmehr viele einzelne Übersetzerprüfungen für die von ihr bisher übersetzten Sprachen ablegen müsse. Mit dem Gesetz könne aber nur eine teilweise und bundeslandbezogene Vereinheitlichung der bestehenden Anforderungen an Übersetzer erreicht werden. Dies rechtfertige nicht die Vernichtung von Existenzen.
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§ 6 SAG GVG n.F. verstoße gegen Grundsätze des Bestands- und Vertrauensschutzes, weil ihr eine unbefristet gewährte Rechtsposition entzogen werde. Es handele sich um eine nicht haltbare unechte Rückwirkung.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), und ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Die Beschwerdeführerin hat schon nicht dargelegt, dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung getragen zu haben.
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a) Aus der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ergeben sich besondere Zulässigkeitsanforderungen. Zwar steht unmittelbar gegen Parlamentsgesetze kein ordentlicher Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG zur Verfügung, der vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erschöpft werden muss. Die Verfassungsbeschwerde muss aber auch den Anforderungen der Subsidiarität im weiteren Sinne genügen. Diese beschränken sich nicht darauf, die zur Erreichung des unmittelbaren Prozessziels förmlich eröffneten Rechtsmittel zu ergreifen, sondern verlangen, alle Mittel zu nutzen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Damit soll auch erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage aufgearbeitet haben. Dies ist insbesondere erforderlich, wenn die angegriffenen Vorschriften Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung es maßgeblich abhängt, inwieweit Beschwerdeführende durch die angegriffenen Vorschriften tatsächlich und rechtlich beschwert sind (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Juli 2024 - 1 BvR 2133/22 -, Rn. 40 f.). Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können – aufgrund besonderen Sachverstands – möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden (vgl. BVerfGE 56, 54 69>; 79, 1 20>). Nach Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG ist zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (vgl. BVerfGE 58, 81 105>; 72, 39 44>).
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b) Dass die Verfassungsbeschwerde danach den Subsidiaritätsanforderungen genüge, ist nicht hinreichend dargelegt. Die Beschwerdeführerin setzt sich insbesondere mit der bestehenden Möglichkeit eines Antrags auf Neuvornahme (§ 6 Abs. 3 SAG GVG n.F. i.V.m. § 3 GDolmG) oder Verlängerung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 SAG GVG n.F. i.V.m. § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 5 GDolmG) ihrer allgemeinen Beeidigung und den nach einer Bescheidung bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht substantiiert auseinander. Schon zu der Frage, welcher Antrag hier der richtige wäre (vgl. dazu auch den Beschluss der Kammer vom heutigen Tage - 1 BvR 225/24 -), verhält sich die Beschwerdeführerin nicht. Auch die Frage, ob § 6 Abs. 3 Satz 1 SAG GVG n.F. regelungstechnisch eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung auf das Gerichtsdolmetschergesetz enthält, ist vorrangig fachgerichtlich zu klären. Gleiches gilt für die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Gerichtsdolmetschergesetzes. Warum dies hier nicht möglich sein soll, begründet die Beschwerdeführerin nicht substantiiert.
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c) Ausnahmen, die ein Absehen von den Subsidiaritätsanforderungen erforderlich machen können, sind nicht dargelegt. Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht zwar ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung den Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 43, 291 387>; 60, 360 372>), oder wenn die Anrufung der Fachgerichte dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist, etwa weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 55, 154 157>; 65, 1 38>; 102, 197 208>). Unzumutbar ist außerdem zum Beispiel der Verstoß gegen Strafgesetze oder das Abwarten einer das Leben bedrohenden staatlichen Maßnahme (BVerfGE 77, 84 99 f.>; 81, 70 82 f.>; 115, 118 139>).
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Das Vorliegen solcher Ausnahmegründe ist indes nicht substantiiert begründet. Dass die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Regelung zu nicht mehr korrigierbaren Dispositionen – etwa in Form aufwändiger Prüfungsvorbereitungen – gezwungen werde, behauptet sie nur pauschal. Auch zu erwartende unzumutbare Nachteile durch Beschreiten des Rechtswegs nach Antragsbescheidung sind nicht dargelegt. Die Beschwerdeführerin setzt sich weder mit der Zumutbarkeit einstweiligen Rechtsschutzes noch der Frage auseinander, ob nicht ohnehin § 7 Abs. 1 Satz 5 GDolmG so auszulegen ist, dass die Vorschrift eine Fortgeltung der allgemeinen Beeidigung bis zur Rechtskraft einer ablehnenden behördlichen Entscheidung bestimmt.
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2. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht dargelegt, durch die angegriffene Vorschrift unmittelbar und gegenwärtig betroffen zu sein. Weder ergibt sich aus ihrem Vorbringen, dass sie nicht erst durch den mit einem Antrag herbeizuführenden behördlichen Vollzugsakt, auf den es in der Sache ankommt, sondern schon durch die Norm selbst in ihrer Berufsfreiheit betroffen sei (vgl. zu den Voraussetzungen unmittelbarer Betroffenheit BVerfGE 1, 97 102 f.>; 125, 39 75 f.>; 126, 112 133>; stRspr). Der Hinweis darauf, dass ihre allgemeine Beeidigung nach Landesrecht ex lege wegfalle, genügt insoweit nach den obigen Ausführungen zum Bestehen von Neubescheidungs- beziehungsweise Verlängerungsmöglichkeiten nicht. Zudem benötigt die Beschwerdeführerin nach eigenem Vortrag eine Verlängerung oder Neuerteilung ihrer allgemeinen Beeidigung erst ab dem 1. Januar 2028. Wie sie dennoch schon jetzt von der angegriffenen Vorschrift betroffen sein wird, führt sie nicht substantiiert aus (vgl. zu den Voraussetzungen gegenwärtiger Betroffenheit BVerfGE 97, 157 164>; 102, 197 207>; 119, 181 212>).
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3. Schließlich ist auch die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan. Eine Verletzung der Berufsfreiheit wegen unverhältnismäßiger neuer Berufszugangsregelungen etwa in Form neu eingeführter Prüfungen ist infolge jahrelanger Berufstätigkeit zwar denkbar, hängt aber von den genauen Antragserfordernissen für eine Beeidigung und gegebenenfalls von den genauen Inhalten einer Übersetzerprüfung, den Bewertungsmaßstäben und den Rahmenbedingungen sowie dem damit einhergehenden tatsächlichen Vorbereitungsaufwand ab. Hierzu fehlt eine substantiierte Auseinandersetzung.
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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