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BVerfG 04.11.2024 - 1 BvR 1177/22
BVerfG 04.11.2024 - 1 BvR 1177/22 - Nichtannahmebeschluss: Wegen Begründungsmangels unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Tabaksteuer für E-Zigaretten - Unzureichende Darlegungen bzgl Verletzung des Gleichheitssatzes, Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes und Beschwerdebefugnis
Normen
Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 Nr 2b TabStMoG vom 10.08.2021, Art 2 Nr 4 TabStMoG vom 10.08.2021
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Änderungen des Tabaksteuergesetzes, durch die die Tabaksteuer unter anderem auf Liquids für elektronische Zigaretten eingeführt worden ist.
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1. Die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) sind Konsumenten elektronischer Zigaretten (E-Zigaretten). Die Beschwerdeführerin zu 4) ist ein Unternehmen, das E-Zigaretten und Nachfüllbehälter im Sinne des Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz - TabakerzG) herstellen und nach Deutschland importieren lässt, wo diese von ihr in den Verkehr gebracht werden. Die Beschwerdeführerin zu 5) ist ein Unternehmen, das selbst nikotinhaltige und nikotinfreie Nachfüllbehälter im Sinne des Tabakerzeugnisgesetzes herstellt. Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) sind Geschäftsführer und Gesellschafter der Komplementärin der Beschwerdeführerin zu 4).
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In E-Zigaretten wird eine Substanz (sogenannt Liquid) erhitzt; der so erzeugte Nassdampf wird vom Konsumenten inhaliert. Liquids sind mit unterschiedlichem Nikotingehalt sowie gänzlich nikotinfrei erhältlich. Der Markt wird von E-Zigaretten mit sogenannten offenen Systemen dominiert. Diese enthalten einen Tank, der nach dem Verbrauch der darin enthaltenen Flüssigkeit durch die Konsumenten selbst wieder befüllt werden kann. Hierbei besteht die Möglichkeit, fertige Lösungen zum Befüllen zu nutzen oder das Liquid individuell aus verschiedenen Mischkomponenten zusammenzustellen und nach Wunsch durch Nikotinshots zu ergänzen. Mit Ausnahme des Nikotins sind die Mischkomponenten auch außerhalb des eigentlichen E-Zigaretten-Handels, etwa als Lebensmittelzusätze, für Endverbraucher frei erhältlich und können daher für die Eigenherstellung von Liquids für E-Zigaretten mit offenen Systemen genutzt werden.
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2. Nach dem Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts (Tabaksteuermodernisierungsgesetz - TabStMoG) vom 10. August 2021 (BGBl I S. 3411) unterfallen auch Substitute für Tabakwaren der Tabaksteuer. Der insoweit maßgebliche Artikel 2 des Tabaksteuermodernisierungsgesetzes ist am 1. Juli 2022 in Kraft getreten. Zu diesen Substituten für Tabakwaren gehören grundsätzlich auch (nikotinhaltige wie nikotinfreie) Liquids für E-Zigaretten. Die Generalzolldirektion vertritt hierzu ausweislich eines von den Beschwerdeführern vorgelegten Schreibens die Auffassung, dass außerhalb des E-Zigaretten-Handels erworbene Substanzen zur Herstellung von Liquids nachträglich durch Endverbraucher auf Grundlage einer Steuererklärung zu versteuern seien, da diese durch das Mischen der Liquids zu Herstellern würden.
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3. Die Beschwerdeführer rügen insbesondere eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG. Sie machen geltend, dass die angegriffenen Normen ein verfassungswidriges Vollzugsdefizit aufwiesen und der Steuertarif gleichheitswidrig ausgestaltet sei. Das Vollzugsdefizit folge daraus, dass Konsumenten nicht nikotinhaltiger Substitute für Tabakwaren aus auf dem Markt frei verfügbaren Inhaltsstoffen Liquids selbst herstellen könnten, ohne dass insoweit die Vollziehbarkeit der Tabaksteuer gewährleistet sei. Der Steuersatz sei gleichheitswidrig ausgestaltet, da seine Höhe nicht hinreichend die im Vergleich zum Rauchtabak geringere Gesundheitsgefährdung des Konsums von E-Zigaretten widerspiegele.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung; eine Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Soweit die Beschwerdeführer ein Vollzugsdefizit für nikotinfreie Substitute für Tabakwaren rügen, fehlt es bereits an einer, eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung ermöglichenden hinreichend konkreten Bezeichnung des Beschwerdegegenstandes. Nach § 92 BVerfGG bedarf es der genauen Bezeichnung des Hoheitsaktes, der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden soll. Wird ein Gesetz angegriffen, ist die exakte Bezeichnung der einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Bestimmungen notwendig (vgl. BVerfGE 109, 279 305>). Ausdrücklich wenden sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde insoweit gegen "Art. 2 Nr. 1 b)" Tabaksteuermodernisierungsgesetz und bezeichnen damit eine Vorschrift, die nicht existiert. Die Besteuerung von Substituten für Tabakwaren ergibt sich letztlich auch nicht nur aus dem möglicherweise gemeinten Art. 2 Nr. 2 b) Tabaksteuermodernisierungsgesetz, da darin lediglich eine Definition enthalten ist, von der für sich betrachtet für die Beschwerdeführer keine Beschwer ausgehen kann. Es hätte daher Ausführungen dazu bedurft, welche Normen des Tabaksteuermodernisierungsgesetzes die Beschwerdeführer mit ihrem Antrag genau angreifen. Im vorliegenden Fall gilt dies insbesondere auch deshalb, weil die Beschwerdeführer in sehr unterschiedlicher Weise von der Tabaksteuer betroffen sind.
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2. Selbst wenn sich aus dem Beschwerdevorbringen die Rüge einer Verfassungswidrigkeit konkreter Normen hinreichend verständlich entnehmen ließe (vgl. zur Antragsauslegung BVerfGE 68, 1 68>; 103, 242 257>), ist jedenfalls nicht hinreichend dargetan, dass die Beschwerdeführer die Anforderungen des in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten und aus § 90 Abs. 2 BVerfGG folgenden Grundsatzes der Subsidiarität eingehalten haben. Die Beachtung der hieraus folgenden Anforderungen müssen Beschwerdeführer, wenn sie nicht offensichtlich gewahrt sind, in ihrer Verfassungsbeschwerde gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG substantiiert darlegen (vgl. BVerfGE 129, 78 93>).
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a) Zwar ist unmittelbar gegen Parlamentsgesetze kein ordentlicher Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG gegeben, der vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erschöpft werden müsste. Die Verfassungsbeschwerde muss aber dem Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne genügen. Dieser erfordert über die formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, dass Beschwerdeführende die ihnen zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern (vgl. BVerfGE 74, 102 113>; 77, 381 401>; 81, 22 27>; 114, 258 279>; 115, 81 91 f.>; 123, 148 172>; 134, 242 285 Rn. 150>). Danach sind alle Mittel zu nutzen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Es soll damit erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage aufgearbeitet haben. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert deshalb grundsätzlich, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 145, 20 54 Rn. 85>). Das gilt auch, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. November 2022 - 1 BvR 1951/21 -, Rn. 3 m.w.N.).
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b) Hieran gemessen hätte die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Beschwerdeführer zu 4) und 5) darlegen müssen, weshalb ihnen als Tabaksteuerpflichtigen kein Rechtsweg zu den Finanzgerichten offensteht. Zur Beantwortung der Frage, ob tatsächlich die Käufer von frei verfügbaren Produkten zu Herstellern im tabaksteuerrechtlichen Sinne werden und daraus ein strukturelles Vollzugsdefizit bei einer bestimmten Norm des materiellen Steuerrechts resultieren kann, sind vorrangig die Finanzgerichte berufen; damit wird zugleich sichergestellt, dass dem Bundesverfassungsgericht die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichtsbarkeit vermittelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2006 - 2 BvR 300/06 -, Rn. 4 m.w.N.). Auch hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 1) bis 3) hätte es Ausführungen dazu bedurft, dass fachgerichtlicher Rechtsschutz wie etwa eine Feststellungsklage nicht zur Verfügung steht (vgl. zu einer solchen Konstellation etwa BVerfGE 145, 20 54 Rn. 85>).
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3. Es fehlt auch an einer hinreichenden Darlegung der Beschwerdebefugnis.
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a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG die Behauptung des Beschwerdeführers voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 140, 42 54 Rn. 47>). Die Beschwerdebefugnis ist gegeben, wenn es möglich erscheint, dass der Beschwerdeführer durch den angegriffenen Hoheitsakt in einem für ihn verfassungsbeschwerdefähigen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt ist (vgl. BVerfGE 125, 39 73>; stRspr). Selbstbetroffenheit liegt vor, wenn der Beschwerdeführer Adressat der Norm oder des betreffenden Urteils ist (vgl. BVerfGE 140, 42 57 Rn. 57>). Unmittelbarkeit setzt voraus, dass die Einwirkung auf die Rechtsstellung des Betroffenen nicht erst vermittels eines weiteren Akts bewirkt wird oder vom Ergehen eines solchen Akts abhängig ist (vgl. BVerfGE 140, 42 58 Rn. 60>; stRspr).
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b) Ausgehend von diesen Maßstäben kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) ihre Selbstbetroffenheit dargelegt haben (aa). Denn jedenfalls legen die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dar (bb).
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aa) Die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) tragen nicht vor, dass sie Steuerschuldner der Tabaksteuer sein könnten. Insbesondere ist nach ihrem Vorbringen nicht ersichtlich, dass sie Liquids selbst mischen und dazu frei im Handel erhältliche Substanzen nutzen wollen. Es wird daher auch nicht erkennbar, dass sie - bei Zugrundelegung der Auffassung der Generalzolldirektion - selbst als Hersteller im tabaksteuerrechtlichen Sinne zu qualifizieren wären. Die Beschwerdeführer sind ausgehend von ihren Darlegungen auch sonst nicht in ersichtlicher Weise in das Steuerschuldverhältnis zwischen Steuerschuldner und Staat eingebunden. Sie tragen nicht vor, durch das Steuergesetz gesetzlich verpflichtet oder in sonstiger Weise rechtlich belastet zu sein (vgl. BVerfGE 110, 274 288 f.> zur Strom- und Mineralölsteuer).
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bb) Zweifelhaft ist dann weiter, ob mit dem Verweis der Beschwerdeführer zu 1) bis 3) darauf, dass es sich bei der Tabaksteuer um eine Verbrauchsteuer handele, die Beschwerdebefugnis substantiiert dargelegt ist.
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(1) Indirekt erhobene Verbrauchsteuern sind auf Überwälzung auf den Endverbraucher angelegt (vgl. BVerfGE 27, 375 384>; 44, 216 226 f.>; 69,174 183>; 145, 171 213 f. Rn. 119>). Erforderlich ist lediglich, dass die Möglichkeit einer solchen Abwälzung der Steuerlast besteht, nicht jedoch, dass sie in jedem Einzelfall auch stattfindet (BVerfGE 14,76 96>; 27, 375 384>). Es genügt die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen - Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten - treffen kann (vgl. BVerfGE 110, 274 295>). Eine Grundrechtsbetroffenheit folgt aus der Qualität der Verbrauchsteuer jedenfalls aber dann noch nicht, wenn ungewiss ist, ob die Steuerlast die Beschwerdeführer tatsächlich erreicht oder erreichen wird, etwa weil die Weitergabe durch Preiserhöhung von den jeweils bestehenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der allgemeinen konjunkturellen Lage, der konkreten Geschäftslage, der Wettbewerbslage, der Geldmarkt- und Lohnentwicklung, den sonstigen Kostenfaktoren sowie dem internationalen Kontext abhängt, in dem die Steuer erhoben wird (vgl. BVerfGE 110, 274 289> zum Strom- und Mineralölsteuergesetz). Die Überwälzung der Abgabe gerade durch Preiserhöhung darf nicht nur eine marktabhängige Möglichkeit, sondern rechtlich vorbereitete und vorgesehene Regelfolge der Abgabenbelastung sein (vgl. BVerfGE 91, 186 205>).
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(2) Danach kann das Vorliegen einer Verbrauchsteuer zwar die Betroffenheit der Beschwerdeführer zu 1) bis 3) als Konsumenten begründen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Tabaksteuermodernisierungsgesetz sah sich der Gesetzgeber allerdings selbst nicht in der Lage, verlässlich einzuschätzen, ob und inwieweit die (wenngleich rechtlich vorbereitete) Weiterbelastungsmöglichkeit zur Regelfolge werden würde. Dies verdeutlicht bereits der ursprüngliche Gesetzesentwurf, ausweislich dessen nicht habe beurteilt werden können, inwieweit die Unternehmen die entstehenden höheren Kosten über die Preisgestaltung auch für Tabakwaren, erhitzten Tabak und nikotinhaltige Substanzen zur Verwendung in E-Zigaretten an die Bürgerinnen und Bürger weitergeben werden. Die Preissensibilität der Konsumenten sei in diesen Marktsegmenten stark ausgeprägt. Die (vollständige) Weitergabe der Mehrbelastung wurde in der Folge lediglich als eine Alternative in Betracht gezogen (BTDrucks 19/28655, S. 4 f.). Diese Einschätzung findet sich auch einleitend in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses, der den ursprünglich vorgesehenen Wortlaut "nikotinhaltige Substanzen zur Verwendung in E-Zigaretten" durch "Substitute für Tabakwaren" ersetzte, wieder (BTDrucks 19/30490, S. 5 f.). Hiermit setzen sich die Beschwerdeführer nicht auseinander.
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c) Abgesehen davon aber ist eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügend begründet.
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aa) Dies gilt zunächst im Hinblick auf das behauptete strukturelle Vollzugsdefizit und den damit aus ihrer Sicht einhergehenden Gleichheitsverstoß.
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(1) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden und es nicht wegen struktureller Vollzugsmängel zu einem grundsätzlich ungleichen Vollzug gleicher Steuertatbestände kommt (vgl. BVerfGE 110, 94 112>). Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele - im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen, gegebenenfalls auch Lenkung - faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm (vgl. BVerfGE 84, 239 272>; 110, 94 112f.>). Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BVerfGE 110, 94 112 ff.>). Daraus folgt eine nicht durch gesamtwirtschaftliche Erwägungen relativierbare Pflicht des Gesetzgebers, das materielle Steuergesetz zur Vermeidung seiner Verfassungswidrigkeit in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet (vgl. BVerfGE 84, 239 271, 273 f.>). Für den Fall, dass ein gleichheitsgerechter Vollzug einer materiellen Steuernorm nicht ohne übermäßige, insbesondere unzumutbare Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen zur Sachverhaltsaufklärung möglich wäre, müsste der Gesetzgeber zur Vermeidung einer durch entsprechende Ermittlungsbeschränkungen bedingten prinzipiellen Belastungsungleichheit auf die Erhebungsart der Quellensteuer ausweichen (vgl. BVerfGE 84, 239 281>; 110, 94 113f.>).
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Für die Prüfung, ob normative Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg verhindern, ist maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen (vgl. auch BVerfGE 84, 239 275>; 110, 94 114>). Die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits im verfassungsrechtlichen Sinn hängt ganz wesentlich davon ab, wieweit beim Vollzug einer bestimmten materiellen Steuernorm die Erhebungsform oder - ohne eine Besteuerung bereits an der Quelle - die Besteuerungspraxis im Rahmen gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der Finanzämter im Großen und Ganzen auf Gleichheit im Belastungserfolg angelegt ist und wieweit insbesondere auch unzulängliche Erklärungen der Steuerpflichtigen mit einem angemessenen Entdeckungsrisiko verbunden sind. Lässt sich der Regelfall auf Grund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen des Besteuerungsverfahrens und auf Grund von empirischen Erkenntnissen über die Veranlagungspraxis ausreichend zuverlässig so beschreiben, dass bestimmte Einkünfte materiell-rechtlich zutreffend nur bei einer qualifizierten Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen erfasst werden und ein Fehlverhalten bei der Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko möglich bleibt, dann liefert bereits dies hinreichende Grundlagen für die Feststellung einer im Gesetz strukturell angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung (vgl. BVerfGE 110, 94 114>).
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(2) Die Beschwerdeführer stützen ihren Vortrag auf die Rechtsauffassung der Generalzolldirektion und machen geltend, dass andere Konsumenten aufgrund der Besteuerung von Substituten für Tabakwaren zur Eigenherstellung von Liquids für den Eigenbedarf verleitet und insoweit nicht mehr auf einen entsprechenden Markt zurückgreifen würden. Es sei unwahrscheinlich, dass diese Hersteller die erworbenen Waren versteuerten.
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(a) Hieraus wird kein Vollzugsdefizit erkennbar. Die Beschwerdeführer arbeiten schon nicht hinreichend heraus, welche Vergleichsgruppen sie für das Vollzugsdefizit heranziehen, und weshalb etwa Veräußerer und Hersteller von Tabakerzeugnissen wie die Beschwerdeführer 4) und 5) mit "Herstellern" von Liquids unter Verwendung von auf dem freien Markt erhältlichen Produkten im Rahmen des Normenvollzugs vergleichbare Fallgruppen darstellten.
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(b) Im Übrigen ergibt sich aus dem Vortrag der Beschwerdeführer nicht hinreichend, dass es sich um ein solches struktureller Natur handelt. Zwar erscheint die vorgetragene Zunahme von Eigenherstellung unter Zuhilfenahme von auf dem Markt frei verfügbaren Lebensmittelzusatzstoffen grundsätzlich möglich. Dass es sich hierbei zukünftig aber tatsächlich um den Regelfall des Besteuerungsverfahrens handelt, wird jedoch nicht dargelegt. Insbesondere gehen die Beschwerdeführer nicht darauf ein, dass bei Genussmitteln wie Zigaretten neben dem zu entrichtenden Kaufpreis noch andere Faktoren, etwa Gewohnheit oder Gesundheitsschutz, für die Wahl eines gewissen Produktes entscheidend sein können. So können mit dem Konsum selbst hergestellter Mischungen besondere gesundheitliche Risiken einhergehen, die Konsumenten von einer Eigenherstellung der Liquids abhalten könnten. Die Ausführungen der Beschwerdeführer beschränken sich wesentlich darauf, dass das Erfordernis nachträglicher Steuererklärungen durch Endverbraucher nicht vollziehbar sei, ohne aufzuführen, mit welcher Relevanz Fälle dieser Art - auch vor dem Hintergrund von Straf- und Bußgeldbewehrungen - strukturell eine Rolle spielen.
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bb) Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist auch bezogen auf den Steuertarif für die Besteuerung von Substituten für Tabakwaren nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Die Beschwerdeführer machen insoweit geltend, die im Vergleich zum Rauchtabak geringere Gefährdung spiegele sich in der Höhe der Besteuerung nicht wider. Hiermit legen sie eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht dar.
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(1) Auch Steuertarife sind mit ihren Auswirkungen auf die Steuerlast am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen (BVerfGE 135, 126 144 Rn. 53>). Die Verfolgung von Lenkungswirkungen mithilfe des Steuerrechts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGE 93, 121 147>; 121, 108 120>). Erforderlich ist hierbei, dass der Gesetzgeber Ziel und Grenze der Lenkung gleichheitsgerecht ausgestaltet (vgl. BVerfGE 93, 121 148>; 99, 280 296>; 110, 274 293>; 121, 108 120>; 138, 136 182>). Bei der Ausgestaltung solcher verhaltenslenkender Steuern kommt dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 116, 164 182>), der erst dann überschritten ist, wenn er sich auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt (BVerfGE 110, 274 293>). Dieser Beurteilungsspielraum ist besonders groß, wenn der Gesetzgeber zum Schutz hochrangiger verfassungsrechtlich geschützter Güter in einer Situation der tatsächlichen Unsicherheit handelt. Das Bundesverfassungsgericht prüft in solchen Situationen nur, ob sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert (vgl. auch BVerfGE 159, 223 298 f. Rn. 171>).
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(2) Ausgehend von diesen Maßstäben ist eine steuertarifliche Ungleichbehandlung nicht ausreichend dargetan. Die vom Konsum von E-Zigaretten ausgehenden Gefahren wurden von den im Gesetzgebungsverfahren angehörten Sachverständigen - wie auch in den von den Beschwerdeführern vorgelegten Gutachten - unterschiedlich beurteilt (vgl. Protokoll der 140. Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages, Protokoll-Nr. 19/140, S. 16 f. sowie Anlagen). Hierauf gehen die Beschwerdeführer nicht genügend ein. Insbesondere hätte es Ausführungen dazu bedurft, aus welchen Gründen trotz dieser Unsicherheiten tatsächlicher Art angesichts der nicht ausgeschlossenen Möglichkeit gesundheitlicher Risiken durch den Konsum von Substituten für Tabakwaren, die Einschätzung des Gesetzgebers als nicht mehr sachgerecht anzusehen ist, selbst wenn deren Schadstoffbelastung im Vergleich zum Tabakkonsum als geringer einzustufen ist.
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4. Soweit sich die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) auf eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG berufen, ist schon nicht dargetan, ob und inwieweit Art. 2 Abs. 1 GG für Konsumenten von Substituten für Tabakwaren einen Markt und eine Angebotsvielfalt sichert.
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5. Desgleichen ist eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs.1 GG nicht substantiiert begründet. Insbesondere mit Blick auf den fehlenden Vortrag dazu, dass die Eigenherstellung von Liquids ohne Besteuerung zum Regelfall würde, ist zu Art. 14 Abs. 1 GG nicht nachvollziehbar, weshalb dem Markt für Substitute die Grundlage entzogen sein soll und die Steuer eine erdrosselnde Wirkung habe (vgl. dazu BVerfGE 78, 232 243>; 95, 267 300>).
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6. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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