Suchtprävention: Frühzeitig den Dialog suchen

Auch am Arbeitsplatz gibt es Abhängigkeit: Onlinebezogene Verhaltensauffälligkeiten nehmen ebenso zu wie der Gebrauch stimulierender oder entspannender Substanzen. Alkohol und Nikotin sind weiterhin die am häufigsten gebrauchten Suchtmittel, die lange als „Genussmittel“ geführt wurden. Die Legalisierung von Cannabis kann ebenfalls zu mehr Konsum dieses Stoffes führen. Anregungen für Unternehmen, um durch Suchtprävention auf diese Entwicklungen zu reagieren.

Drogenmissbrauch bei Erwachsenen

„Aufgrund von Kontrollen im Straßenverkehr ist davon auszugehen, dass circa 30 Prozent der Erwachsenen regelmäßig mit Substanzen wie Alkohol, Medikamenten, THC (in Cannabis) oder anderen Drogen im Körper unterwegs sind“, sagt Dr. Elisabeth Wienemann, Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Mitautorin der Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS).

Suchtmittel sind für die Gesundheit und für die Sicherheit der Unternehmen ein großes Risiko, ihr riskanter Konsum kann die körperliche und seelische Gesundheit gefährden oder schädigen. „80 Prozent aller Sicherheitsprobleme in Unternehmen sind nach Auskunft der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) jedoch darauf zurückzuführen, dass Menschen riskant konsumiert haben, nicht weil sie abhängig sind.“

Zur Vorbeugung von Alkoholproblemen am Arbeitsplatz und zur Hilfe bei Suchtgefährdung allgemein haben sich die „Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe“ der DHS bewährt. Sie enthalten Vorlagen, mit denen Betriebe ihre Suchtprävention implementieren oder ausbauen können, und zwar als Bestandteil der Betrieblichen Gesundheitsförderung.

In den Qualitätsstandards können Führungskräfte und Arbeitgeber gut nachlesen, wie Prävention bei ihren Beschäftigten in der Praxis aussehen kann.

Präventionsauftrag der Führungskräfte

  • Unterweisung der Beschäftigten, wie sie gesundheitliche Gefährdungen vermeiden können
  • Verpflichtendes Eingreifen, sobald Verstöße gegen die Arbeitssicherheit vorliegen
  • Generell bei Auffälligkeiten im Verhalten am Arbeitsplatz: möglichst frühzeitig intervenieren (Fürsorge- und Klärungsgespräch)
  • Bei riskantem Suchtmittelgebrauch und Suchtgefährdung: Vorgehen anhand einer gestuften Gesprächsfolge (Stufenplan)
  • Unterstützungsangebote interner oder externer Beratungsstellen empfehlen
  • Schulung von Mitarbeitenden zum Umgang mit Suchterkrankungen
  • Ernennung und Qualifizierung eines/einer  Suchtbeauftragten im Unternehmen.

Personalverantwortung: aufklären und verbindlich handeln

Besonders nachhaltig, auch für die Reputation des Unternehmens, wirkt Suchtprävention dort, wo sie in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung festgeschrieben und verbindlich umgesetzt wird. Führungskräfte können diese immer wieder prüfen und an sich verändernde Rahmenbedingungen anpassen.

„Zum Beispiel enthält das Cannabisgesetz neue Aufklärungspflichten zur Gefährdung durch Cannabiskonsum. Deren Inhalte lassen sich auf andere Suchtmittel übertragen", sagt Elisabeth Wienemann. „Für Arbeitgeber ist außerdem wichtig, dass der Nichtraucherschutz, der bislang auf das Verbrennen von Tabak beschränkt war, jetzt auch das Verdampfen von Substanzen, zum Beispiel in E-Zigaretten, umfasst. Und die Konsumverbote aus dem Cannabisgesetz lassen auch generelle Konsumverbote im Betrieb leichter begründen.“

Wienemann weist zudem darauf hin, dass sich die Aufgaben in der Personalführung stark gewandelt haben. Teilweise wurden hierarchische Strukturen abgebaut, zudem arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice, Kontakt besteht eher digital und in Team-Meetings. „Bei all dem sind Fehlbeanspruchungen der Beschäftigten, zum Beispiel durch psychische Belastungen, zu vermeiden. Denn durch Belastung steigt der riskante Suchtmittelgebrauch, wie medizinsoziologische und arbeitswissenschaftliche Studien belegen“, so die Expertin. „Aus diesem Grund empfehlen wir mittlerweile eine möglichst frühzeitige Intervention, und zwar durch sogenannte Fürsorgegespräche. Durch die räumliche Distanz ist das im Alltag schwieriger geworden und braucht mehr Aufmerksamkeit.“

Frühzeitig intervenieren: Fürsorgegespräche

Frühzeitige Gespräche sind das A und O bei der Suchtprävention. Sie erfolgen, bevor eindeutige Anzeichen für einen riskanten Suchtmittelgebrauch erkennbar sind, aber persönliche, soziale oder gesundheitliche Probleme am Arbeitsplatz sichtbar werden. Die Gespräche können in einem frühen Stadium gegebenenfalls auch online stattfinden. Bereits bestehender Suchtmittelmissbrauch lässt sich allerdings leichter im persönlichen Kontakt feststellen, zum Beispiel aufgrund von Alkohol- oder Nikotingeruch.

„In einem Fürsorgegespräch zeigt die Führungskraft Unterstützungsmöglichkeiten des Betriebes und weitere Hilfsangebote für die Betroffenen auf – allerdings ohne Disziplinierungen vorzunehmen“, betont Wienemann. „Die Angesprochenen merken aber: Die Führungskraft hat etwas wahrgenommen und beobachtet es weiter. Ich muss etwas tun.“ Um geeignete Interventionen oder Maßnahmen ergreifen zu können, ist der Weg zum Hausarzt stets eine gute Adresse. Dieser wird gemeinsam mit Betroffenen den geeigneten Weg einleiten. Zum Beispiel: Angebote zu Entspannungskursen. Falls es keine innerbetriebliche Suchtberatung gibt, ist es hilfreich, wenn Führungskräfte Flyer oder Links griffbereit haben.

In Folgegesprächen besprechen Arbeitgeber und Beschäftigte das aktuelle Wohlbefinden, wie die weitere Entwicklung verlaufen ist, und ob sich die Situation gebessert hat. Hinderliche Entwicklungen lassen sich so frühzeitig unterbrechen und es wird verhindert, dass Problemsituationen sich verfestigen können.

Suchtprävention neu denken

„In Schulungen merken wir: So frühzeitig zu intervenieren, ist für Verantwortliche noch ungewohnt“, fasst Elisabeth Wienemann zusammen. „Dramatische Verläufe bei Suchtproblemen und lange krankheitsbedingte Abwesenheiten lassen sich dadurch leichter vermeiden. Davon profitieren die Beschäftigten ebenso wie die Unternehmen.“

Die frühzeitigen Gespräche im Rahmen des betrieblichen Suchtpräventionsprogramms sind eine gute Möglichkeit, um bei den Beschäftigten mehr Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Führungskräfte haben laut Wienemann nämlich viel mehr Einfluss auf das Gesundheitsgeschehen in ihren Teams, als ihnen selbst bewusst ist. „Eine Führungs- und Teamkultur, die als unterstützend und wertschätzend erfahren wird und die konstruktiv mit Fehlern umgeht, kann zudem als gesundheitsförderliche Ressource betrachtet werden. Der Zusammenhang zu weniger Krankheitsfällen und niedrigeren Ausfallzeiten ist belegt.“

Die Expertin nennt fünf Tipps, um mit betrieblicher Suchtprävention so früh wie möglich anzusetzen:

Fünf Tipps für frühzeitige Suchtprävention

  • Betriebliche Gesundheitsförderung: gesund erhaltende Ressourcen stärken (zum Beispiel auf Bewegung, Pausen- und Arbeitszeitregelung achten, ausgewogenes Ernährungsangebot sowie Gesundheitskurse anbieten
  • Prävention: Risikofaktoren wie Überbelastung zurückdrängen, die riskanten Substanzgebrauch begünstigen und die Gesundheit gefährden. Dazu können Personal-, Kapazitäts- oder Schichtplanung gehören, in die das gesamte Team einbezogen werden sollte
  • Betriebsvereinbarung: verlässliche Regeln, zum Beispiel eine Null-Promille-Grenze einführen; sofern vertretbar Verbote für alle verständlich festschreiben und über konsequentes Vorgehen bei Übertretung der Regelungen informieren
  • Gefährdungsbeurteilung: Belastungen und Risiken erfassen – vor allem auch im psychischen Bereich –, die zu riskantem Konsum oder Suchtproblemen führen können
  • Information: Vom Schwarzen Brett über das Intranet bis zu Gesundheitstagen passende Angebote kommunizieren
  • Qualifikation: Interessierten Mitarbeitenden Weiterbildung als Suchtbeauftragte anbieten – als erste kollegiale Ansprechpersonen (siehe auch sucht-am-arbeitsplatz.de)

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Stand

Erstellt am: 19.09.2024

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