Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 03.06.2021 - C-194/20
EuGH 03.06.2021 - C-194/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 3. Juni 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Assoziierungsabkommen EWG-Türkei – Beschluss Nr. 1/80 – Art. 6 und 7 – Ordnungsgemäße Beschäftigung – Art. 9 – Zugang der Kinder eines türkischen Arbeitnehmers zum Schulunterricht – Aufenthaltsrecht – Verweigerung“
Leitsatz
In der Rechtssache C-194/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2020, in dem Verfahren
BY,
CX,
FU,
DW,
EV
gegen
Stadt Duisburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Jespersen und M. Wolff als Bevollmächtigte,
der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte,
der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei in Verbindung mit den Art. 6 und 7 dieses Beschlusses. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziationsabkommen).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den türkischen Staatsangehörigen BY, CX, FU, DW und EV einerseits und der Stadt Duisburg (Deutschland) andererseits über deren Weigerung, den Klägern die beantragten Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Der dritte Erwägungsgrund des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:
„Im sozialen Bereich führen die vorstehenden Erwägungen im Rahmen der internationalen Verpflichtungen jeder der beiden Parteien zu einer besseren Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit Beschluss Nr. 2/76 des Assoziationsrates [vom 20. Dezember 1976 über die Durchführung von Art. 12 des Assoziierungsabkommens] eingeführten Regelung. Im Übrigen müssen die Bestimmungen über die soziale Sicherheit und über den Austausch junger Arbeitskräfte durchgeführt werden.“
Die Art. 6, 7 und 9 des Beschlusses Nr. 1/80 gehören zu Abschnitt 1 („Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer“) in Kapitel II („Soziale Bestimmungen“) des Beschlusses.
Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 sieht vor:
„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.“
Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.“
Art. 9 dieses Beschlusses lautet:
„Türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, werden unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen. Sie können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind.“
Deutsches Recht
§ 4 Abs. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (BGBl. 2004 I S. 1950) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: AufenthG) sieht vor:
„Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen ... ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.“
§ 50 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:
„Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen ... nicht oder nicht mehr besteht.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
BY, CX, DW, EV und FU sind türkische Staatsangehörige. CX ist die Ehefrau von BY; die beiden sind die Eltern von DW, EV und FU.
BY reiste am 5. September 2015 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 4. November 2015 erteilte ihm die Stadt Duisburg eine bis zum 27. März 2017 gültige Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit.
Am 19. Februar 2016 erhielten CX, DW, EV und FU die Erlaubnis, zur Familienzusammenführung mit BY in diesen Mitgliedstaat einzureisen. Am 20. April 2016 wurden ihnen nach dem geltenden nationalen Recht Aufenthaltserlaubnisse erteilt, die bis zum 27. März 2017 gültig waren.
CX war vom 1. Februar bis zum 30. April 2016, vom 15. November bis zum 31. Dezember 2017, vom 1. Januar bis zum 15. Januar 2018 und vom 1. August bis zum 31. Dezember 2018 in Lohn- und Gehaltsverhältnissen beschäftigt.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens beantragten bei der Stadt Duisburg nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Aufenthaltserlaubnisse, diese zu verlängern oder ihnen andere Aufenthaltstitel zu erteilen. Mit Ordnungsverfügungen vom 18. März 2019 lehnte die Stadt Duisburg die Anträge ab.
Am 22. März 2019 erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht, dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Deutschland), Klage und machten im Wesentlichen geltend, sie hätten ein Aufenthaltsrecht nach Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Diese Vorschrift verleihe türkischen Kindern nicht nur ein Teilhaberecht auf Schulunterricht und berufliche Bildung, sondern auch ein Aufenthaltsrecht. Zudem müsse den sorgeberechtigten Eltern dieser Kinder, um die praktische Wirksamkeit dieser Rechte zu gewährleisten, zwangsläufig ein Aufenthaltsrecht gewährt werden.
Das vorlegende Gericht stellt fest, dass den Klägern des Ausgangsverfahrens zwar kein Recht aus den Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 zustehe, dass jedoch fraglich sei, ob das Recht auf Zugang zum Schulunterricht und zur beruflichen Bildung nach Art. 9 Satz 1 dieses Beschlusses ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für türkische Kinder sowie als Folge davon ein Aufenthaltsrecht für die sorgeberechtigten Eltern dieser Kinder impliziert. Für diesen Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, unter welchen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht nach dieser Bestimmung gewährt wird.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Beinhaltet der Anspruch türkischer Kinder aus Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ohne weitere Voraussetzungen auch ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat?
Falls die Frage 1 zu bejahen ist:
Setzt ein Aufenthaltsanspruch aus Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 voraus, dass die Eltern der von dieser Vorschrift begünstigten türkischen Kinder bereits Rechte aus Art. 6 Abs. 1 oder Art. 7 dieses Beschlusses erworben haben?
Falls die Frage 2a zu verneinen ist: Ist die ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 im gleichen Sinne auszulegen wie in Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses?
Falls die Frage 2a zu verneinen ist: Kann ein Aufenthaltsanspruch türkischer Kinder nach Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bereits nach (nur) drei Monaten Dauer der ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Elternteils im Aufnahmemitgliedstaat entstehen?
Falls die Frage 2a zu verneinen ist: Folgt aus dem Aufenthaltsrecht der türkischen Kinder ohne weitere Voraussetzungen auch ein Aufenthaltsrecht für einen oder beide sorgeberechtigten Elternteile?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass er von türkischen Kindern geltend gemacht werden kann, deren Eltern die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 dieses Beschlusses nicht erfüllen, und dass er gegebenenfalls ein eigenständiges Aufenthaltsrecht dieser Kinder im Aufnahmemitgliedstaat sowie als Folge davon auch der sorgeberechtigten Eltern impliziert. Für diesen Fall möchte das Verwaltungsgericht wissen, unter welchen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht nach Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 gewährt wird.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 des Beschlusses Nr. 1/80 für türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, die dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, einen Anspruch darauf verankert, unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Angehörigen dieses Mitgliedstaats zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen zu werden (Urteil vom 7. Juli 2005, Gürol,C-374/03, EU:C:2005:435, Rn. 22).
Diese Bestimmung enthält ein Gebot der Gleichbehandlung von türkischen Kindern und Kindern von Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats in Bezug auf den Zugang zum Schulunterricht und zur beruflichen Bildung in diesem Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2005, Gürol,C-374/03, EU:C:2005:435, Rn. 23).
Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht aber hervor, dass der Erwerb der in ihr vorgesehenen Rechte von zwei Voraussetzungen abhängt, die kumulativ zu erfüllen sind, nämlich zum einen, dass die türkischen Kinder im Aufnahmemitgliedstaat ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, und zum anderen, dass die Eltern in diesem Mitgliedstaat ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren.
Somit ist zu prüfen, ob sich türkische Kinder von türkischen Staatsangehörigen, die im Aufnahmemitgliedstaat nicht in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt sind oder waren oder die in diesem Mitgliedstaat für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt haben, auf das Recht auf Schulunterricht und berufliche Bildung im Sinne von Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen können.
Insoweit verlangt die erste dieser Voraussetzungen, dass sich die betroffenen türkischen Kinder im Aufnahmemitgliedstaat ordnungsgemäß bei ihren Eltern aufhalten, damit sie in diesem Mitgliedstaat Zugang zum Schulunterricht und zur beruflichen Bildung haben können.
Die zweite Voraussetzung ist dahin zu verstehen, dass ein Elternteil im Aufnahmemitgliedstaat unter Einhaltung der die Ausübung einer Beschäftigung betreffenden Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80, insbesondere seiner Art. 6 und 7, eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben oder ausgeübt haben muss.
Der Beschluss Nr. 1/80 soll gemäß seinem dritten Erwägungsgrund im sozialen Bereich zu einer besseren Regelung zugunsten der türkischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen führen. Die Art. 6, 7 und 9 dieses Beschlusses gehören zu dessen Kapitel II („Soziale Bestimmungen“) Abschnitt 1 („Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer“).
Als Erstes führt Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 die wesentlichen Bedingungen auf, denen die Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung durch türkische Staatsangehörige, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehören, im Hinblick auf die Erteilung und Verlängerung der Arbeitserlaubnis unterliegt. Diese Bestimmung setzt bereits ihrem Wortlaut nach voraus, dass der Betroffene ein türkischer Arbeitnehmer ist, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört und dort eine Zeit lang ordnungsgemäß beschäftigt war (Urteil vom 26. Oktober 2006, Güzeli,C-4/05, EU:C:2006:670, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie sich aus Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, erwirbt der Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis, um weiterhin eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis bei demselben Arbeitgeber auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2012, Gülbahce,C-268/11, EU:C:2012:695, Rn. 37 und 45).
Außerdem verlangt die Voraussetzung, dass der türkische Arbeitnehmer dem „regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 angehören muss, eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht (Urteil vom 8. November 2012, Gülbahce,C-268/11, EU:C:2012:695, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Als Zweites unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 der Erwerb eines auf diese Vorschrift gestützten eigenen Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt drei kumulativen Voraussetzungen: Die betreffende Person muss erstens Familienangehöriger eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers sein, zweitens von den zuständigen Behörden dieses Staates die Genehmigung erhalten haben, zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen, und drittens seit einer bestimmten Zeit ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Dülger,C-451/11, EU:C:2012:504, Rn. 29).
Insoweit ist festzustellen, dass sich türkische Kinder, bei denen keiner der beiden Elternteile die in den Rn. 26 bis 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Voraussetzungen der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt, nicht auf das Recht auf Zugang zum allgemeinen Schulunterricht und zur beruflichen Bildung nach Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen können.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass er nicht von türkischen Kindern geltend gemacht werden kann, deren Eltern die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 dieses Beschlusses nicht erfüllen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 9 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei ist dahin auszulegen, dass er nicht von türkischen Kindern geltend gemacht werden kann, deren Eltern die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 dieses Beschlusses nicht erfüllen.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Baden-Württemberg
Persönlicher Ansprechpartner
Kontaktformular
Weitere Kontakt- und Bankdaten