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EuGH 03.10.2019 - C-378/18
EuGH 03.10.2019 - C-378/18 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer) - 3. Oktober 2019 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Art. 3 Abs. 1 – Verjährungsfrist – Verordnungen (EWG) Nr. 3887/92 und (EG) Nr. 2419/2001 – Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen – Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge – Anwendung der milderen Verjährungsregelungen“
Leitsatz
In der Rechtssache C-378/18
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2018, in dem Verfahren
Landwirtschaftskammer Niedersachsen
gegen
Reinhard Westphal
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter), der Richter J. Malenovský und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, vertreten durch P. Averbeck als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Hofstötter und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Mai 2019
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von zum einen Art. 49 Abs. 5 und 6 sowie Art. 52a der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 mit Durchführungsbestimmungen zum mit der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. 2001, L 327, S. 11) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/2004 der Kommission vom 23. Januar 2004 (ABl. 2004, L 17, S. 7) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2419/2001) und zum anderen Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Reinhard Westphal und der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (Deutschland) (im Folgenden: Landwirtschaftskammer) über eine Rückforderung von Flächenzahlungen im Rahmen einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Rechtlicher Rahmen
Verordnungen (EWG) Nr. 3887/92 und (EG) Nr. 2419/2001
Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. 1992, L 391, S. 36) sah verschiedene Kürzungen der gewährten Beihilfen vor, wenn festgestellt wurde, dass die angegebene Fläche über der tatsächlich ermittelten Fläche lag. So wurde keinerlei Beihilfe für Flächen gewährt, wenn die festgestellte Differenz über 20 % der ermittelten Fläche lag.
Art. 14 dieser Verordnung sah Regelungen für den Fall zu Unrecht gezahlter Beträge vor, enthielt jedoch keine Verjährungsregelung für die Rückzahlung der betreffenden Beträge.
Die Verordnung Nr. 3887/92 wurde mit Wirkung vom 12. Dezember 2001 durch die Verordnung Nr. 2419/2001 aufgehoben.
Die in Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 3887/92 vorgesehenen Bestimmungen wurden im Wesentlichen in Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2419/2001 übernommen.
Mit Art. 49 der Verordnung Nr. 2419/2001 wurden Verjährungsregelungen für die Rückzahlung der betreffenden zu Unrecht gezahlten Beträge eingeführt:
„(1) Bei zu Unrecht gezahlten Beträgen ist der Betriebsinhaber zur Rückzahlung dieser Beträge zuzüglich der gemäß Absatz 3 berechneten Zinsen verpflichtet.
…
(5) Die Verpflichtung zur Rückzahlung gemäß Absatz 1 gilt nicht, wenn zwischen dem Tag der Zahlung der Beihilfe und dem Tag, an dem der Begünstigte von der zuständigen Behörde erfahren hat, dass die Beihilfe zu Unrecht gewährt wurde, mehr als zehn Jahre vergangen sind.
Der in Unterabsatz 1 genannte Zeitraum wird jedoch auf vier Jahre verkürzt, wenn der Begünstigte in gutem Glauben gehandelt hat.
(6) Für Beträge, die aufgrund von Kürzungen und Ausschlüssen gemäß den Bestimmungen des Artikels 13 und des Titels IV zurückgezahlt werden müssen, gilt eine Verjährungsfrist von vier Jahren.
…“
Art. 52a dieser Verordnung bestimmt:
„Abweichend von Artikel 54 Absatz 2 und unbeschadet günstigerer, von den Mitgliedstaaten festgelegter Verjährungsbestimmungen findet Artikel 49 Absatz 5 auch Anwendung in Hinblick auf Beihilfeanträge, die sich auf Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume beziehen, die vor dem 1. Januar 2002 begonnen haben, es sei denn, der Begünstigte hat bereits vor dem 1. Februar 2004 von der zuständigen Behörde erfahren, dass die Beihilfe zu Unrecht gewährt wurde.“
Art. 54 („Inkrafttreten“) Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt:
„[Die Verordnung Nr. 2419/2001] gilt für Beihilfeanträge, die sich auf ab dem 1. Januar 2002 beginnende Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume beziehen.
…“
Verordnung Nr. 2988/95
Nach dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 ist es „wichtig, in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der [Europäischen Union] zu bekämpfen“.
In Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 hieß es:
„Zum Schutz der finanziellen Interessen der [Union] wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das [Unionsrecht] getroffen.“
Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 sah vor:
„Eine verwaltungsrechtliche Sanktion kann nur verhängt werden, wenn sie in einem Rechtsakt der Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unregelmäßigkeit vorgesehen wurde. Bei späterer Änderung der in einer [Unionsregelung] enthaltenen Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen gelten die weniger strengen Bestimmungen rückwirkend.“
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmte:
„Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluss des Programms.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr Westphal, ein Landwirt, reichte Anfang der Jahre 2000 und 2001 für die jeweiligen Wirtschaftsjahre im Rahmen der Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen Beihilfeanträge „Flächen“ ein.
Die Landwirtschaftskammer bewilligte diese Beihilfen, und im Laufe dieser Jahre wurden die entsprechenden Zahlungen geleistet.
Im Zuge einer Vor-Ort-Kontrolle im Januar 2006 wurden Unregelmäßigkeiten bei den Angaben der Stilllegungsflächen festgestellt. Nach Anhörung von Herrn Westphal hob die Landwirtschaftskammer mit Bescheid vom 23. Juli 2007 die Bewilligungsbescheide für die beiden in Rede stehenden Jahre teilweise auf und ordnete die Rückzahlung der Zuvielzahlungen an. Der Betrag dieser Rückzahlung wurde gemäß der bei einer Übererklärung für die Stilllegungsflächen anwendbaren Sanktion berechnet, bei der davon ausgegangen wurde, dass keinerlei Beihilfe zu gewähren sei.
Herr Westphal erhob gegen diesen Bescheid Klage. Das Berufungsgericht hob den Bescheid der Landwirtschaftskammer vom 23. Juli 2007, soweit er den als Sanktion zurückzuzahlenden Betrag betraf, auf. Das Gericht räumte zwar ein, dass diese Sanktion gemäß Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 3887/92 gerechtfertigt sei, vertrat aber die Auffassung, dass nach dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 niedergelegten Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm die in Art. 49 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 festgelegte Verjährungsregelungen anzuwenden seien.
Danach sei die verhängte Sanktion verjährt, weil zwischen den Zahlungen der betreffenden Beihilfen und dem Tag, an dem der Kläger erfahren habe, dass die Beihilfen zu Unrecht gewährt worden seien, mehr als vier Jahre verstrichen seien. Die Anwendung der Verjährungsregelung in Art. 49 der Verordnung Nr. 2419/2001 habe somit ein milderes Ergebnis als das aus der üblicherweise anwendbaren Regelung, nämlich Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95, folgende Ergebnis ermöglicht. Nach letzterer Bestimmung hätte die Verjährungsfrist nämlich erst an dem Tag begonnen, an dem die Unregelmäßigkeit im Jahr 2004 beendet wurde, so dass die Sanktion zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit seiner Anträge Kenntnis gehabt habe, nicht verjährt gewesen sei.
Die Landwirtschaftskammer hat gegen das Urteil des Berufungsgerichts Revision eingelegt.
Das vorlegende Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) führt aus, dass das Berufungsgericht Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 in dem Sinne ausgelegt habe, dass er Art. 49 Abs. 5 ergänze und die in Art. 49 Abs. 5 vorgesehenen Anwendungsmodalitäten, insbesondere der Beginn der Verjährungsfrist, im Rahmen des Abs. 6 ebenfalls anwendbar seien.
Da diese Bestimmungen der Verordnung Nr. 2988/95 jedoch sektorübergreifende Geltung haben und in Anbetracht dessen, dass Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 keine Regelung zum Beginn der Verjährung enthält, fragt sich das vorlegende Gericht, ob insoweit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 anzuwenden ist.
Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 keine Anwendung finden sollte, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob es sich bei den hier anwendbaren Verjährungsregelungen um Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 handelt, die dem Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm unterliegen könnten. Das vorlegende Gericht ist einerseits der Ansicht, dass sich der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes nur auf materielle Rechtsänderungen, nicht hingegen auf Verjährungsregelungen beziehe. Da diesem Grundsatz Billigkeitsüberlegungen zugrunde lägen, sei andererseits einzuräumen, dass der Gesetzgeber mit einer milderen Verjährungsregelung zwangsläufig eine Neubewertung vorgenommen habe und dass daher eine zeitliche Differenzierung hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Regel nicht geboten sei.
Wird diese Frage verneint, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 52a der Verordnung Nr. 2419/2001 mit seiner Regelung über die rückwirkende Anwendung der Verjährungsregelung des Art. 49 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2419/2001 analog auch auf Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 angewandt werden kann. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus der Formulierung von Art. 52a der Verordnung Nr. 2419/2001, dass für die Anwendung von Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 keine spezifische Regelung erforderlich sei und dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 die Kohärenz des Systems sichere. Falls dies jedoch nicht zutreffen sollte, sollte die daraus folgende Regelungslücke mittels Analogie geschlossen werden.
Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Beginnt die Verjährung im Sinne von Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 mit der Zahlung der Beihilfe, oder richtet sich der Beginn nach Art. 3 Abs. 1, hier: Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95?
Sind die Verjährungsregelungen des Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 beziehungsweise des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95?
Kann Art. 52a der Verordnung Nr. 2419/2001 mit seiner Regelung über die rückwirkende Anwendung der Verjährungsregelung des Art. 49 Abs. 5 dieser Verordnung analog auch auf deren Art. 49 Abs. 6 angewandt werden?
Falls Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 Anwendung findet (Frage 1), bedürfen die weiteren Fragen keiner Beantwortung; findet er keine Anwendung, so erledigt sich Frage 3, wenn Frage 2 bejaht werden sollte.
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 dahin auszulegen ist, dass der dort vorgesehene Beginn der Verjährungsfrist der gleiche ist wie der in Art. 49 Abs. 5 dieser Verordnung festgelegte, d. h., dem Zeitpunkt der Zahlung der Beihilfe entspricht, oder ob er gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 auf den Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird, festgesetzt werden muss.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass mit der Verordnung Nr. 2988/95 nach ihrem Art. 1 eine „Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das [Unionsrecht]“ eingeführt wird, um, wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung ergibt, „in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen [der Union] zu bekämpfen“ (Urteile vom 11. Juni 2015, Pfeifer & Langen, C-52/14, EU:C:2015:381, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 2. März 2017, Glencore Céréales France, C-584/15, EU:C:2017:160, Rn. 23).
Mit dem Erlass dieser Verordnung beabsichtigte der Unionsgesetzgeber, eine Reihe allgemeiner Grundsätze aufzustellen, indem er vorschreibt, dass alle sektorbezogenen Verordnungen diese Grundsätze beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. März 2008, Jager, C-420/06, EU:C:2008:152, Rn. 61, und vom 28. Oktober 2010, SGS Belgium u. a., C-367/09, EU:C:2010:648, Rn. 37).
Mit dem Erlass des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 hat der Gesetzgeber zudem beschlossen, eine allgemeine Verjährungsregelung für diesen Bereich einzuführen, in der eine in allen Mitgliedstaaten geltende Mindestfrist festgelegt und die Möglichkeit der Verfolgung einer die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigenden Unregelmäßigkeit nach Ablauf von vier Jahren seit ihrer Begehung ausgeschlossen werden sollte (Urteile vom 29. Januar 2009, Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C-278/07 bis C-280/07, EU:C:2009:38, Rn. 27, und vom 22. Dezember 2010, Corman, C-131/10, EU:C:2010:825, Rn. 39).
Folglich kann seit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 jede die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigende Unregelmäßigkeit grundsätzlich und soweit es nicht ausnahmsweise um Sektoren geht, für die der Unionsgesetzgeber eine kürzere Frist vorgesehen hat, von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von vier Jahren verfolgt werden (Urteile vom 29. Januar 2009, Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C-278/07 bis C-280/07, EU:C:2009:38, Rn. 28, und vom 22. Dezember 2010, Corman, C-131/10, EU:C:2010:825, Rn. 40).
Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 setzt für die Verfolgung eine Verjährungsfrist fest, die ab Begehung der Unregelmäßigkeit läuft, wobei diese gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung „bei jedem Verstoß gegen eine [Unionsbestimmung] als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben [ist], die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der [Union] … bewirkt hat bzw. haben würde …“ (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Januar 2009, Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C-278/07 bis C-280/07, EU:C:2009:38, Rn. 21 und 22, und vom 22. Dezember 2010, Corman, C-131/10, EU:C:2010:825, Rn. 38).
Diese Frist gilt also sowohl für die Unregelmäßigkeiten, die gemäß Art. 4 dieser Verordnung Gegenstand einer verwaltungsrechtlichen, auf den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils gerichteten Maßnahme sind, als auch für Unregelmäßigkeiten, die zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juni 2015, Pfeifer & Langen, C-52/14, EU:C:2015:381, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 2. März 2017, Glencore Céréales France, C-584/15, EU:C:2017:160, Rn. 26).
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 beginnt die vierjährige Verjährungsfrist für die Verfolgung mit der Begehung der Unregelmäßigkeit. Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung beginnt diese Frist bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird.
Da die Begehung einer Unregelmäßigkeit von der Erfüllung zweier Voraussetzungen abhängig ist, nämlich von einer Handlung oder Unterlassung, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, und einem Schaden für den Unionshaushalt, beginnt die Verjährungsfrist folglich zum Zeitpunkt zu laufen, zu dem sich sowohl diese Handlung oder Unterlassung, die einen Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, als auch der Schaden für den Haushalt ereignet haben, wobei die Verjährungsfrist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs immer zum Zeitpunkt des zuletzt eintretenden Ereignisses beginnt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2015, Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export, C-59/14, EU:C:2015:660, Rn. 24 bis 26, und vom 2. März 2017, Glencore Céréales France, C-584/15, EU:C:2017:160, Rn. 47).
Die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 aufgestellte Regel der Verjährung nach vier Jahren, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist, kann nur dann durch das Bestehen einer sektorbezogenen Regelung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 ausgeschlossen werden, wenn diese sektorbezogene Regelung eine kürzere Frist, die jedoch nicht weniger als drei Jahre betragen darf, vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Januar 2009, Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C-278/07 bis C-280/07, EU:C:2009:38, Rn. 44, und vom 22. Dezember 2010, Corman, C-131/10, EU:C:2010:825, Rn. 42).
Auf die vorgelegte Frage ist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach bei der Bestimmung der Bedeutung von Vorschriften des Unionsrechts sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Zusammenhang und ihre Ziele zu berücksichtigen sind (Urteil vom 6. Oktober 2015, Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export, C-59/14, EU:C:2015:660, Rn. 22), zu antworten.
Während im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren ursprünglich anwendbare sektorbezogene Regelung des Unionsrechts, d. h. die Verordnung Nr. 3887/92, keine besonderen Vorschriften über die Verjährung vorsah, führte die Aufhebung dieser Verordnung durch die Verordnung Nr. 2419/2001 zur Einführung von sektorbezogenen Verjährungsvorschriften.
So geht zwar aus dem Wortlaut des Art. 49 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2419/2001 hervor, dass für den gutgläubigen Begünstigten die Verpflichtung zur Rückzahlung im Fall einer zu Unrecht erfolgten Zahlung durch den Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren zwischen dem Zeitpunkt der Zahlung der Beihilfe und der ersten Mitteilung der zuständigen Behörde an den Begünstigten, dass die erhaltene Zahlung zu Unrecht erfolgt sei, verjährt.
Unabhängig davon, ob es sich bei dieser Bestimmung um eine abweichende sektorbezogene Regelung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 handelt, ist festzustellen, dass sie gegenüber der Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist, wie sie in diesem Art. 3 Abs. 1 vorgesehen war, eine Vereinfachung eingeführt hat, da diese Frist zum einen nicht mehr ab der Begehung der Unregelmäßigkeit, sondern ab dem Tag der Zahlung berechnet wird und zum anderen nicht mehr zwischen den Unregelmäßigkeiten unterschieden wird, je nachdem, ob es sich um einzelne oder andauernde Unregelmäßigkeiten handelt.
Dagegen enthält der Wortlaut von Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 keinen Hinweis, der für die Bestimmung des Beginns der Verjährung für Beträge, die aufgrund von Kürzungen und Ausschlüssen gemäß den Bestimmungen des Art. 13 und des Titels IV dieser Verordnung zurückgezahlt werden müssen, auf eine solche Vereinfachung schließen ließe.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 49 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2419/2001 zwar für alle Rückzahlungen zu Unrecht gezahlter Beträge gilt, der Anwendungsbereich von Art. 49 Abs. 6 jedoch ausdrücklich auf die Rückzahlungen beschränkt ist, die verwaltungsrechtliche Sanktionen darstellen, wie der vollständige oder teilweise Entzug eines gewährten Vorteils und der Ausschluss von einem Vorteil oder der Entzug eines Vorteils für einen späteren Zeitraum.
Unter diesen Umständen und angesichts der Gestaltung von Art. 49 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 ist davon auszugehen, dass Abs. 6 dieses Artikels eine Ausnahme von der in Abs. 5 dieses Artikels enthaltenen neuen Berechnungsregel darstellt.
Folglich ist der Beginn der in Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 vorgesehenen Verjährungsfrist von vier Jahren nach der Grundregel, nämlich der des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95, zu bestimmen.
Diese Schlussfolgerung steht nicht nur im Einklang mit dem Ziel der Verordnung Nr. 2988/95, das, wie in Rn. 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Schutz der finanziellen Interessen der Union besteht, sondern auch mit dem der Verordnung Nr. 2419/2001.
Die Verordnung Nr. 2419/2001 bezweckt nämlich, Unregelmäßigkeiten und Betrug im Rahmen der Durchführung der verschiedenen Beihilferegelungen des integrierten Systems zu bekämpfen, und zwar, um die finanziellen Interessen der Union wirksam zu schützen. Zur Erreichung dieses Ziels sieht diese Verordnung nach Schwere der im Beihilfeantrag festgestellten Unregelmäßigkeit gestaffelte Kürzungen und Ausschlüsse vor, die bis zum vollständigen Ausschluss von einer oder mehreren Beihilferegelungen während eines spezifizierten Zeitraums reichen können (Urteil vom 2. Oktober 2014, Van Den Broeck, C-525/13, EU:C:2014:2254, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung)
Gerade dies ist hier der Fall. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 3887/92, auf dessen Grundlage Herr Westphal die streitigen Rückzahlungen auferlegt wurden und dessen Inhalt im Wesentlichen in Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2419/2001 übernommen wurde, für den Fall, dass die im Beihilfeantrag „Flächen“ angegebene Fläche über der bei einer Kontrolle ermittelten Fläche liegt, nämlich Sanktionen vor, die je nach Schwere der Unregelmäßigkeiten aus Kürzungen oder Ausschlüssen von der Unionsbeihilfe bestehen (Urteil vom 4. Oktober 2007, Kruck, C-192/06, EU:C:2007:579, Rn. 35).
Daher würde eine Auslegung von Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 dahin, auf die Rückzahlung von Beihilfen wegen Handlungen, die aufgrund ihres ausgeprägten rechtswidrigen Charakters mit Sanktionen geahndet werden, die gleichen Modalitäten für die Berechnung der Verjährungsfrist anzuwenden wie die, die für Handlungen gelten, die nur zu einer einfachen Rückzahlungspflicht führen, nicht im Einklang mit der Zielsetzung eines hinreichend abschreckenden und wirksamen Sanktionssystems zur Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten und Betrug in den Beihilfeanträgen „Flächen“ stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2014, Van Den Broeck, C-525/13, EU:C:2014:2254, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 49 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2419/2001 dahin auszulegen ist, dass der Beginn der dort vorgesehenen Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 zu bestimmen ist und bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten dem Tag entspricht, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird.
Zur zweiten und zur dritten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 49 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 mit Durchführungsbestimmungen zum mit der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/2004 der Kommission vom 23. Januar 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Beginn der dort vorgesehenen Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zu bestimmen ist und bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten dem Tag entspricht, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird.
Biltgen
Malenovský
Fernlund
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Oktober 2019.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Achten Kammer
F. Biltgen
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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