Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 23.10.2014 - C-359/11, C-400/11
EuGH 23.10.2014 - C-359/11, C-400/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 23. Oktober 2014 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinien 2003/54/EG und 2003/55/EG — Verbraucherschutz — Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt — Nationale Regelung, die den Inhalt der unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträge bestimmt — Einseitige Änderung des Leistungsentgelts durch den Gewerbetreibenden — Rechtzeitige Information vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-359/11 und C-400/11
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 18. Mai und vom 29. Juni 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 8. und am 28. Juli 2011, in den Verfahren
Alexandra Schulz
gegen
Technische Werke Schussental GmbH und Co. KG
und
Josef Egbringhoff
gegen
Stadtwerke Ahaus GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Frau Schulz, vertreten durch Rechtsanwalt K. Guggenberger,
von Herrn Egbringhoff, vertreten durch Rechtsanwalt L. Voges-Wallhöfer,
der Technischen Werke Schussental GmbH und Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt P. Rosin,
der Stadtwerke Ahaus GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte P. Rosin und A. von Graevenitz,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid, O. Beynet, M. Owsiany-Hornung und J. Herkommer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Mai 2014
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 3 Abs. 5 und Anhang A Buchst. b und c der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. L 176, S. 37, und – Berichtigung – ABl. 2004, L 16, S. 74) sowie von Art. 3 Abs. 3 und Anhang A Buchst. b und c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen Frau Schulz und den Technischen Werken Schussental GmbH und Co. KG (im Folgenden: TWS) und zum anderen zwischen Herrn Egbringhoff und den Stadtwerken Ahaus GmbH (im Folgenden: SWA) wegen der Verwendung angeblich rechtswidriger Klauseln durch TWS und SWA in unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13/EWG
Art. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) sieht vor:
„(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
(2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“
Richtlinie 2003/54
In den Erwägungsgründen 24 und 26 der Richtlinie 2003/54 heißt es:
Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass Haushalts-Kunden … das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu leicht vergleichbaren, transparenten und angemessenen Preisen haben. Damit gewährleistet ist, dass die Qualität gemeinwirtschaftlicher Leistungen in der Gemeinschaft weiterhin hohen Standards entspricht, sollten die Mitgliedstaaten die Kommission regelmäßig über alle zur Erreichung der Ziele dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen unterrichten …
…
Die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ist eine grundlegende Anforderung dieser Richtlinie, und es ist wichtig, dass in dieser Richtlinie von allen Mitgliedstaaten einzuhaltende gemeinsame Mindestnormen festgelegt werden, die den Zielen des Verbraucherschutzes, der Versorgungssicherheit … und einer gleichwertigen Wettbewerbsintensität in allen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen müssen unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen Gegebenheiten aus nationaler Sicht ausgelegt werden können, wobei das Gemeinschaftsrecht einzuhalten ist.“
Art. 3 der Richtlinie 2003/54 sieht vor:
„…
(2) Die Mitgliedstaaten können unter uneingeschränkter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags … den Elektrizitätsunternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Verpflichtungen auferlegen, die sich auf Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung … beziehen können. Solche Verpflichtungen müssen klar festgelegt, transparent, nichtdiskriminierend und überprüfbar sein …
(3) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass alle Haushalts-Kunden … in ihrem Hoheitsgebiet über eine Grundversorgung verfügen, also das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu angemessenen, leicht und eindeutig vergleichbaren und transparenten Preisen haben. Zur Gewährleistung der Bereitstellung der Grundversorgung können die Mitgliedstaaten einen Versorger letzter Instanz benennen …
…
(5) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Versorgung. In diesem Zusammenhang können die Mitgliedstaaten Maßnahmen zum Schutz von Endkunden in abgelegenen Gebieten treffen. Die Mitgliedstaaten gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.
…“
Anhang A der Richtlinie 2003/54, der die Maßnahmen zum Schutz der Kunden betrifft, bestimmt:
„Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinien 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19)] und 93/13[,] soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden
…
rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Elektrizitätsdienstleister mitgeteilt hat;
transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Elektrizitätsdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;
…“
Richtlinie 2003/55
In den Erwägungsgründen 26 und 27 der Richtlinie 2003/55 heißt es:
Damit gewährleistet ist, dass die Qualität gemeinwirtschaftlicher Leistungen in der Gemeinschaft weiterhin hohen Standards entspricht, sollten die Mitgliedstaaten die Kommission regelmäßig über alle zur Erreichung der Ziele dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen unterrichten …
Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass die Kunden, wenn sie an das Gasnetz angeschlossen werden, über ihr Recht auf Versorgung mit Erdgas einer bestimmten Qualität zu angemessenen Preisen unterrichtet werden …
Die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ist eine grundlegende Anforderung dieser Richtlinie, und es ist wichtig, dass in dieser Richtlinie von allen Mitgliedstaaten einzuhaltende gemeinsame Mindestnormen festgelegt werden, die den Zielen des Verbraucherschutzes, der Versorgungssicherheit … und einer gleichwertigen Wettbewerbsintensität in allen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen müssen unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen Gegebenheiten aus nationaler Sicht ausgelegt werden können, wobei das Gemeinschaftsrecht einzuhalten ist.“
In Art. 3 der Richtlinie 2003/55 heißt es:
„…
(2) Die Mitgliedstaaten können unter uneingeschränkter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags … den im Gassektor tätigen Unternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Verpflichtungen auferlegen, die sich auf Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung … beziehen können. Solche Verpflichtungen müssen klar festgelegt, transparent, nichtdiskriminierend und überprüfbar sein …
(3) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.
…“
In Anhang A der Richtlinie 2003/55, der die Maßnahmen zum Schutz der Kunden betrifft, heißt es:
„Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7 … und der Richtlinie 93/13 …, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden
…
rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;
transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;
…“
Deutsches Recht
§ 36 Abs. 1 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl. 2005 I, S. 1970) sieht vor:
„Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen …“
§ 39 EnWG bestimmt:
„(1) Das Bundesministerium … kann … durch Rechtsverordnung … die Gestaltung der Allgemeinen Preise … des Grundversorgers … regeln. Es kann dabei Bestimmungen über Inhalt und Aufbau der Allgemeinen Preise treffen sowie die tariflichen Rechte und Pflichten der Elektrizitätsversorgungsunternehmen und ihrer Kunden regeln.
(2) Das Bundesministerium … kann … durch Rechtsverordnung … die allgemeinen Bedingungen für die Belieferung von Haushaltskunden in Niederspannung oder Niederdruck mit Energie im Rahmen der Grund- oder Ersatzversorgung angemessen gestalten und dabei die Bestimmungen der Verträge einheitlich festsetzen und Regelungen über den Vertragsabschluss, den Gegenstand und die Beendigung der Verträge treffen sowie Rechte und Pflichten der Vertragspartner festlegen. Hierbei sind die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Bedingungen öffentlich-rechtlich gestalteter Versorgungsverhältnisse mit Ausnahme der Regelung des Verwaltungsverfahrens.“
Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) vom 21. Juni 1979 (BGBl. 1979 I, S. 676), die auf den Ausgangsrechtsstreit in der Rechtssache C-359/11 Anwendung findet, wurde durch die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrundversorgungsverordnung – GasGVV) vom 26. Oktober 2006 (BGBl. 2006 I, S. 2396) aufgehoben.
§ 1 Abs. 1 und 2 AVBGasV sah vor:
„(1) Die allgemeinen Bedingungen, zu denen Gasversorgungsunternehmen … jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben, sind in den §§ 2 bis 34 dieser Verordnung geregelt. Sie sind Bestandteil des Versorgungsvertrages.
(2) Kunde im Sinne dieser Verordnung ist der Tarifkunde.“
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bestimmte:
„(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.
(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.“
In § 32 Abs. 1 und 2 AVBGasV hieß es:
„(1) Das Vertragsverhältnis läuft so lange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird …
(2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das Gasversorgungsunternehmen im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.“
Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) vom 21. Juni 1979 (BGBl. 1979 I, S. 684) wurde durch die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung – StromGVV) vom 26. Oktober 2006 (BGBl. 2006 I, S. 2391) aufgehoben.
§ 1 Abs. 1 und 2 AVBEltV sah vor:
„(1) Die allgemeinen Bedingungen, zu denen Elektrizitätsversorgungsunternehmen … jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und in Niederspannung zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben, sind in den §§ 2 bis 34 dieser Verordnung geregelt. Sie sind Bestandteil des Versorgungsvertrages.
(2) Kunde im Sinne dieser Verordnung ist der Tarifkunde.“
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV bestimmte:
„(1) Das Elektrizitätsversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen zur Verfügung
[S]trom …
…
(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.“
In § 32 Abs. 1 und 2 der AVBEltV hieß es:
„(1) Das Vertragsverhältnis läuft so lange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird …
(2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.“
§ 1 Abs. 1 StromGVV sieht vor:
„Diese Verordnung regelt die Allgemeinen Bedingungen, zu denen Elektrizitätsversorgungsunternehmen Haushaltskunden in Niederspannung im Rahmen der Grundversorgung nach § 36 Abs. 1 [EnWG] zu Allgemeinen Preisen mit Elektrizität zu beliefern haben. Die Bestimmungen dieser Verordnung sind Bestandteil des Grundversorgungsvertrages zwischen Grundversorgern und Haushaltskunden …“
§ 5 Abs. 2 und 3 StromGVV bestimmt:
„(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.
(3) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer fristgemäßen Kündigung des Vertrages mit dem Grundversorger die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-359/11
Beim Erwerb eines Grundstücks von einem Gemeindeverband im Jahr 1990 hatte Frau Schulz im Kaufvertrag versichert, dass sie die dort zu errichtenden Gebäude hauptsächlich mit Erdgas als Energieträger versorgen und den gesamten Bedarf an Gas zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser von den Stadtwerken Weingarten (Deutschland) beziehen werde.
Im Jahr 1991 schlossen Frau Schulz und die Stadtwerke Weingarten einen Gaslieferungsvertrag. TWS, ein Gasversorgungsunternehmen, das die Aufgaben der Stadtwerke übernommen hat, belieferte Frau Schulz als Tarifkundin mit Erdgas.
Gemäß § 1 Abs. 1 AVBGasV waren die in dieser Verordnung vorgesehenen allgemeinen Bedingungen für Gaslieferungsverträge unmittelbarer Bestandteil des in Rede stehenden Vertrags.
Die genannte Regelung erlaubte es dem Lieferanten, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden über jede Preiserhöhung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.
In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 1. Januar 2007 erhöhte TWS die Gaspreise viermal. Frau Schulz widersprach den Jahresabrechnungen für die Jahre 2005 bis 2007, da sie die Preiserhöhungen für unbillig hält.
Das Amtsgericht, bei dem TWS gegen Frau Schulz Klage auf Zahlung der aufgrund dieser Abrechnungen geschuldeten Beträge erhob, verurteilte Letztere zur Zahlung von 2733,12 Euro nebst Verzugszinsen und Kosten.
Frau Schulz unterlag auch in der Berufungsinstanz und legte daraufhin bei dem vorlegenden Gericht Revision ein.
Da der Bundesgerichtshof der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 2003/55 abhängt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushaltskunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
Rechtssache C-400/11
Herr Egbringhoff bezieht von dem kommunalen Versorgungsunternehmen SWA Strom und Gas. Im Zeitraum 2005 bis 2008 erhöhte SWA mehrfach die Preise für Strom und Gas. Herr Egbringhoff beanstandete die Jahresabrechnungen für das Jahr 2005, da er die Erhöhungen für unbillig hält. Die Rechnungen für den Zeitraum 2005 bis 2007 zahlte er daher nur unter Vorbehalt.
Herr Egbringhoff erhob Klage, mit der er SWA auf Rückzahlung von 746,54 Euro nebst Zinsen in Anspruch nimmt und die Feststellung begehrt, dass SWA verpflichtet sei, bei der Berechnung der Strom- und Gaspreise für das Jahr 2008 die für das Jahr 2004 geltenden Preise zugrunde zu legen.
Da Herr Egbringhoff in der ersten Instanz und in der Berufungsinstanz unterlag, legte er beim vorlegenden Gericht Revision ein.
In Bezug auf die Lieferung von Strom weist dieses darauf hin, dass die allgemeinen Bedingungen der mit Verbrauchern geschlossenen Verträge im streitgegenständlichen Zeitraum durch die AVBEltV und die StromGVV festgelegt und aufgrund dieser Regelung in die mit Tarifkunden geschlossenen Verträge einbezogen worden seien.
Die genannte Regelung erlaubte es dem Lieferanten, die Strompreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden über jede Preiserhöhung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.
In Anbetracht dessen, dass er dem Gerichtshof in der Rechtssache C-359/11 eine Frage zur Auslegung der Richtlinie 2003/55 vorgelegt hat, hält es der Bundesgerichtshof in der Rechtssache C-400/11 für ausreichend, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung der Richtlinie 2003/54 zu stellen. Er hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/54 dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Stromlieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Stromversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
Verfahren vor dem Gerichtshof
Der Präsident des Gerichtshofs hat am 14. September 2011 beschlossen, das Verfahren in den Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 bis zur Verkündung des Urteils in der Rechtssache C-92/11 – die am 21. März 2013 erfolgte – auszusetzen.
Mit Beschluss des Gerichtshofs vom 7. Januar 2014 sind die Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Zweck der genannten Richtlinien die Verbesserung der Funktionsweise des Elektrizitäts- und des Gasbinnenmarkts ist. Ein nichtdiskriminierender, transparenter und zu angemessenen Preisen gewährleisteter Netzzugang ist Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und von größter Bedeutung für die Vollendung des Elektrizitäts- und des Gasbinnenmarkts (vgl. in diesem Sinne Urteil Sabatauskas u. a., C-239/07, EU:C:2008:551, Rn. 31).
Den Bestimmungen der Richtlinien 2003/54 und 2003/55 liegen Belange des Verbraucherschutzes zugrunde (vgl. in diesem Sinne Urteil Enel Produzione, C-242/10, EU:C:2011:861, Rn. 39, 54 und 56). Diese Belange stehen in engem Zusammenhang sowohl mit der Liberalisierung der in Rede stehenden Märkte als auch mit dem ebenfalls mit diesen Richtlinien verfolgten Ziel, eine stabile Elektrizitäts- und Gasversorgung zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil Essent u. a., C-105/12 bis C-107/12, EU:C:2013:677, Rn. 59 bis 65).
Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 enthalten insoweit die Bestimmungen, die die Erreichung des in der vorstehenden Randnummer angeführten Ziels ermöglichen.
Zum einen geht aus dem Wortlaut dieser Vorschriften hervor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden ergreifen und insbesondere dafür Sorge tragen, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, einen Ausschluss von der Energieversorgung zu vermeiden. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten nach dem jeweiligen Art. 3 Abs. 3 der genannten Richtlinien einen Versorger letzter Instanz benennen.
Vorliegend handelt es sich bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Lieferverträgen, wie die deutsche Regierung in ihren Erklärungen geltend macht, um Verträge, die von Versorgern geschlossen wurden, die gegenüber den Kunden, die darum ersucht haben, als Versorger letzter Instanz handeln.
Da diese Strom- und Gasversorger verpflichtet sind, im Rahmen der durch die nationalen Rechtsvorschriften auferlegten Verpflichtungen mit allen Kunden, die darum ersuchen und die dazu berechtigt sind, zu den in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen Verträge zu schließen, sind die wirtschaftlichen Interessen dieser Versorger insoweit zu berücksichtigen, als sie sich die andere Vertragspartei nicht aussuchen und den Vertrag nicht beliebig beenden können.
Was zum anderen konkret die Rechte der Kunden betrifft, müssen die Mitgliedstaaten – wie in Rn. 45 des Urteils RWE Vertrieb (C-92/11, EU:C:2013:180) zur Richtlinie 2003/55 festgestellt worden ist – nach Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen einen hohen Verbraucherschutz gewährleisten. Diese Feststellung gilt auch für Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54.
Den Kunden müsste neben ihrem in Anhang A Buchst. b beider Richtlinien verankerten Recht, sich vom Liefervertrag zu lösen, auch die Befugnis erteilt werden, gegen Änderungen der Lieferpreise vorzugehen.
Unter den in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils angeführten Bedingungen müssten die Kunden, um diese Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen und in voller Sachkenntnis eine Entscheidung über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung des Lieferpreises treffen zu können, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Folglich genügt eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die unter diesen Bedingungen nicht gewährleistet, dass einem Haushaltskunden die in der vorstehenden Randnummer angeführte Information rechtzeitig übermittelt wird, nicht den in den Richtlinien 2003/54 und 2003/55 aufgestellten Anforderungen.
Zwar hat der Gerichtshof im Urteil RWE Vertrieb (EU:C:2013:180) in Bezug auf von den Richtlinien 93/13 und 2003/55 geregelte Gasversorgungsverträge für Recht erkannt, dass die dem Verbraucher vor Vertragsschluss in transparenter Weise übermittelte Information zum Anlass und zum Modus einer Änderung der Entgelte für diese Gasversorgung von wesentlicher Bedeutung ist.
Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtssache, in der das Urteil RWE Vertrieb (EU:C:2013:180) ergangen ist, die fragliche Pflicht zur vorvertraglichen Information ebenfalls in der Richtlinie 93/13 begründet war.
Nach Art. 1 der Richtlinie 93/13 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, aber nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.
Da der Inhalt der den Gegenstand der Ausgangsverfahren bildenden Verträge vorliegend durch zwingende deutsche Verordnungsvorschriften bestimmt wird, findet die Richtlinie 93/13 keine Anwendung.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Zur zeitlichen Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils
TWS und SWA haben den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass sich aus dem zu erlassenden Urteil ergeben sollte, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung den in den Richtlinien 2003/54 und 2003/55 aufgestellten Anforderungen an die Transparenz nicht genügt, ersucht, die Wirkungen des Urteils zeitlich so zu begrenzen, dass sie um 20 Monate aufgeschoben werden, um dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen dieses Urteils zu ermöglichen. Die deutsche Regierung hat den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen darum ersucht, die Zweckmäßigkeit einer zeitlichen Begrenzung der Wirkungen dieses Urteils zu erwägen.
Zur Begründung dieses Antrags haben TWS und SWA auf die schwerwiegenden Folgen für die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland verwiesen. Würden die Tarifänderungen für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt, so wären die Versorger nämlich gezwungen, die von den Verbrauchern im Laufe der Jahre entrichteten Beträge rückwirkend zu erstatten, was für diese Versorger sogar existenzbedrohend sein und negative Folgen für die Versorgung der deutschen Verbraucher mit Strom und Gas haben könne.
Die genannten Parteien haben außerdem ausgeführt, dass, wie sich aus dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur für das Jahr 2012 ergebe, 4,1 Mio. Haushaltskunden auf der Grundlage der zwingenden Vorschriften der GasGVV mit Gas versorgt worden seien. Aus diesem Bericht gehe außerdem hervor, dass 40 % der 46 Mio. Haushaltskunden ihren Strom auf der Grundlage der zwingenden Regelung der StromGVV bezögen.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken kann. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil RWE Vertrieb, EU:C:2013:180, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand (vgl. Urteil Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C-190/12, EU:C:2014:249, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was die Gefahr schwerwiegender Störungen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass sich TWS und SWA in ihren schriftlichen Erklärungen zwar auf Statistiken der Bundesnetzagentur für das Jahr 2012 berufen haben, in denen die Zahl der Kunden angegeben ist, die unter die allgemeine Versorgungspflicht und die allgemeinen Verpflichtungen in Bezug auf Sicherheit – einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung mit Strom und Gas – fallende Verträge abgeschlossen haben, die der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung unterliegen.
Jedoch wurde nicht dargelegt, dass die Infragestellung der Rechtsverhältnisse, deren Wirkungen sich in der Vergangenheit erschöpft haben, rückwirkend die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland erschüttern würde.
Im Übrigen hat die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen eingeräumt, dass sie nicht in der Lage sei, die Folgen des zu erlassenden Urteils für die Unternehmen in der Branche der Strom- und Gasversorgung zu beurteilen.
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Rn. 57 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.
Da das zweite oben in Rn. 57 genannte Kriterium nicht erfüllt ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.
Demnach sind die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu begrenzen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Baden-Württemberg
Persönlicher Ansprechpartner
Kontaktformular
Weitere Kontakt- und Bankdaten