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BAG 31.03.2021 - 5 AZN 926/20
BAG 31.03.2021 - 5 AZN 926/20 - Nichtzulassungsbeschwerde - rechtliches Gehör - gerichtliche Hinweispflichten
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 139 Abs 1 S 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend ArbG Mannheim, 16. Januar 2020, Az: 3 Ca 456/18, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 28. Juli 2020, Az: 19 Sa 26/20, Urteil
Tenor
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1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 28. Juli 2020 - 19 Sa 26/20 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 16. Januar 2020 - 3 Ca 456/18 - auch bezüglich einer geltend gemachten Zahlung von insgesamt 23.091,52 Euro brutto nebst Zinsen für den Streitzeitraum Oktober 2017 bis Mai 2019 zurückgewiesen hat.
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2. Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 28. Juli 2020 - 19 Sa 26/20 - zurückgewiesen.
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3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
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4. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Streitwert von 29.449,25 Euro zu tragen.
Gründe
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I. Die Parteien streiten im Wege einer Zahlungs- und einer Feststellungsklage darüber, ob und in welcher Weise nach dem auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung Anwendung findenden Manteltarifvertrag für Beschäftigte im Kraftfahrzeuggewerbe in Baden-Württemberg bei der Berechnung von Feiertagsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für Schulungen sowie beim Urlaubsentgelt ein sog. „Quartals- und Jahresziel AaK Bonus“, der Bestandteil einer durch Betriebsvereinbarung vom 29. August 2013 geschaffenen Provisionsregelung ist, mit einbezogen werden muss. Dabei hat der Kläger mit der Zahlungsklage zuletzt insgesamt 52.540,77 Euro brutto nebst Zinsen für den Streitzeitraum Januar 2015 bis einschließlich Mai 2019 begehrt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Feststellungklage stattgegeben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützte Beschwerde des Klägers.
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II. Die Beschwerde des Klägers genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG, soweit das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung in einer tragenden Begründung darauf stützt, Ansprüche des Klägers seien in einer Höhe von insgesamt 29.449,25 Euro brutto nach einer tariflichen Ausschlussfristenregelung verfallen (Berufungsurteil unter B. I. 2.). Denn wenn und soweit die anzufechtende Entscheidung auf einer Mehrfachbegründung beruht, kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur Erfolg haben, wenn jede der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründungen angegriffen wird und die Rügen gegen jede von ihnen durchgreifen (st. Rspr., vgl. nur BAG 6. Mai 2015 - 2 AZN 984/14 - Rn. 12 mwN). Hinsichtlich des Verfalls von Ansprüchen hat der Kläger indes lediglich eine aus seiner Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt, die - wie er selbst erkennt - nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft werden könnte. Damit scheidet zugleich aus, dass insoweit die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sich gegen die für den Streitzeitraum Oktober 2017 bis Mai 2019 vom Landesarbeitsgericht gegebene tragende Begründung - Ansprüche nicht schlüssig dargelegt (Berufungsurteil unter B. I. 3.) - richtet, entscheidungserheblich sein kann.
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III. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
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1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ua. verletzt, wenn eine Entscheidung ohne entsprechenden Hinweis auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem auch ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielzahl von vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Zum Prozessverlauf gehören sowohl erteilte wie auch unterbliebene Hinweise. Die gerichtlichen Hinweispflichten nach § 139 ZPO dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BAG 20. April 2016 - 10 AZR 111/15 - Rn. 16, BAGE 155, 44). Eine Verletzung der einfachgesetzlichen Hinweispflichten stellt allerdings nicht stets zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar. Dies ist nur anzunehmen, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkennt. Danach bedarf es bei der Verletzung gesetzlicher Hinweispflichten im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfG 5. April 2012 - 2 BvR 2126/11 - Rn. 18 f.). Kann ein Prozessbeteiligter damit rechnen, dass er auf einen entscheidungserheblichen Punkt hingewiesen wird, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn ein entsprechender Hinweis unterbleibt (BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 44; 8. Dezember 2010 - 5 AZN 956/10 - Rn. 4).
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2. Gemessen daran hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die - aus einer Vielzahl von Einzelpositionen bestehende - Zahlungsklage sei zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (Berufungsurteil unter B. I. 1.). Es hat weiter im Rahmen der Prüfung der Begründetheit ausgeführt, dass sich das Vorbringen des Klägers entgegen einer Rüge der Beklagten nicht auf die Inbezugnahme von Anlagen beschränke, sondern er diese nicht nur in einen Schriftsatz eingearbeitet, sondern darüber hinaus schriftsätzlich weitergehende Ergänzungen und Erklärungen zu den eingearbeiteten Tabellen gegeben habe (Berufungsurteil unter B. I. 3. Buchst. b und c). Gleichwohl könne der Kläger damit die Klage „nicht schlüssig (…) begründen“. Zum einen könne er mit der Darstellung der Tabelle 1 allenfalls den Differenzbetrag für die Monate Januar des Streitzeitraums „nachvollziehbar belegen“, für die Monate Februar bis Dezember der jeweiligen Jahre habe aber der Kläger keine Summen der zwölf vorangegangenen Monate gebildet mit der Folge, „dass sich das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt aus den Tabellen heraussuchen müsste“ (Berufungsurteil unter B. I. 3. Buchst. d). Zum anderen sei die Klage unschlüssig, weil der Kläger falsche Referenzzeiträume in Ansatz bringe. So dürfe der Kläger zB für die Feiertage 25. und 26. Dezember 2014 nicht das komplette Jahr 2014 zugrunde legen, sondern müsse auf den Zeitraum von Dezember 2013 bis November 2014 abstellen. Die vom Kläger offensichtlich hingenommene Zahlungsweise der Beklagten führe nicht dazu, dass sich die tariflichen Berechnungsparameter um einen Monat nach hinten verschieben (Berufungsurteil unter B. I. 3. Buchst. e).
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b) Bei dieser Sachlage wäre indes das Landesarbeitsgericht - soweit es den nicht verfallenen Teil der Klageforderung betrifft - nicht nur nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO verpflichtet gewesen, durch einen entsprechenden Hinweis auf eine Ergänzung der aus seiner Sicht ungenügenden Angaben in dem Rechenwerk des Klägers und dessen Erläuterungen rechtzeitig hinzuwirken, sondern auch nach Art. 103 Abs. 1 GG. Zumindest hätte es spätestens in der Berufungsverhandlung, in der der Kläger ausweislich des Protokolls persönlich anwesend war und dessen Erscheinen das Landesarbeitsgericht nach seiner Verfügung vom 23. Juni 2020 gerade „zur Aufklärung des Sachverhalts“ angeordnet hatte, diesem die Möglichkeit einräumen müssen, die aus Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblichen Defizite im Rechenwerk des Klägers zu beheben, was ersichtlich unschwer durch einfache Rechenoperationen möglich gewesen wäre. Mit einem entsprechenden Hinweis durfte der Kläger zumindest wegen der zahlreichen unterschiedlichen Differenzbeträge und die Komplexität ihrer Ermittlung rechnen. Denn eine Partei ist nicht gehalten, von der Erhebung einer Klage abzusehen, weil ihre Forderung ihrer Entstehung und/oder Höhe nach wegen der erforderlichen Rechenschritte nicht einfach darzustellen ist. Auch in einem solchen Fall muss sich ein Gericht der Mühe unterziehen, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, wenn dieser, wie vorliegend, den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entspricht (BAG 18. Februar 2016 6 AZR 629/14 - Rn. 24) und ggf. auf ihm entscheidungserheblich erscheinende Defizite im Rechenwerk hinweisen. Angesichts dieser Umstände musste der Kläger nicht damit rechnen, dass seine Klage ohne vorherigen rechtlichen Hinweis auf die vom Landesarbeitsgericht angenommenen Defizite in seinem Vortrag abgewiesen wird. Die Verletzung der Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO stellt deshalb zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar, weil das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist.
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3. Der Kläger hat die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend dargetan. Es genügt der nachvollziehbare Hinweis, dass das Landesarbeitsgericht bei Beachtung seiner Hinweispflicht möglicherweise anders entschieden hätte (st. Rspr., vgl. etwa BAG 24. Oktober 2019 - 8 AZN 589/19 - Rn. 23; 8. Dezember 2010 - 5 AZN 956/10 - Rn. 8, jeweils mwN). Dem hat der Kläger dadurch entsprochen, dass er in der Beschwerdebegründung vorgetragen hat, welchen Sachvortrag er gehalten und welche - weiteren - Rechenoperationen er unternommen hätte, um die vom Landesarbeitsgericht monierten Defizite zu beheben. Damit liegt eine andere als die getroffene Entscheidung jedenfalls im Bereich des Möglichen, zumal das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Feststellungklage nach Auslegung des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findenden Tarifvertrags angenommen hat, dass - wie der Kläger auch in der Zahlungsklage geltend macht - der sog. „Quartals- und Jahresziel AaK Bonus“ bei Feiertagsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für Schulungen sowie der Urlaubsvergütung mit zu berücksichtigen ist.
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IV. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht. Die Sache wirft beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfragen auf.
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V. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten hinsichtlich des erfolglosen Teils des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Dessen Wert beträgt 29.449,25 Euro, seine Festsetzung beruht auf § 63 GKG.
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Eine gesonderte Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beklagten (vgl. dazu BAG 23. März 2010 - 9 AZN 979/09 - Rn. 32; 8. Dezember 2010 - 5 AZN 956/10 - Rn. 10) war nicht veranlasst, weil ihr Prozessbevollmächtigter im Beschwerdeverfahren nicht tätig geworden ist.
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