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BSG 26.10.2023 - B 9 V 34/22 B
BSG 26.10.2023 - B 9 V 34/22 B
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. September 2022 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz.
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Die 1969 geborene Klägerin leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer dissoziativen Identitätsstörung und rezidivierenden Depressionen. Nach ihrer Auffassung sind diese Erkrankungen Folge eines fortgesetzten sexuellen Missbrauchs in ihrer frühen Kindheit bis ins Jugendalter durch ihren zwischenzeitlich verstorbenen Vater und zwei seiner Freunde. Nach ihren Angaben ist die Klägerin sich des Missbrauchs erst im Jahre 2011 infolge des Auftretens von sog Flashbacks nach einem tätlichen Übergriff ihres damaligen Ehemanns wieder bewusst geworden.
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Ihren auf Beschädigtenversorgung gerichteten Antrag lehnte das zunächst zuständige Versorgungsamt ab (Bescheid vom 18.8.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.5.2017). Auf ihre Klage hob das SG mit Urteil vom 10.2.2021 den Bescheid auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin ab März 2016 Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80 und ab 2018 nach einem GdS von 50 zu gewähren. Das SG hat es nach persönlicher Anhörung der Klägerin in Anwendung der Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 Abs 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung als glaubhaft gemacht angesehen, dass sie an psychiatrischen Erkrankungen leide, die auf einen in ihrer Kindheit erlittenen sexuellen Missbrauch zurückzuführen seien. Diese Schilderungen der Klägerin gegenüber ihren Behandlern seien seit 2013 im Wesentlichen konstant und hinreichend detailliert. Die zunehmende Konkretisierung im Verlauf der therapeutischen Aufarbeitung schließe eine Glaubhaftigkeit nicht aus. Seine Entscheidung hat das Gericht dabei auch auf ein von ihm eingeholtes Gutachten der Sachverständigen Dr. R (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie) gestützt, der die Klägerin exemplarisch zwei Episoden sexueller Gewalt aus ihrer Kindheit geschildert hatte. Die Sachverständige hatte in Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts ausgeführt, die Gesundheitsstörungen der Klägerin seien mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" durch die körperliche und sexuelle Gewalt zwischen 1967 und 1977 entstanden.
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Im vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahren hat das LSG zur weiteren medizinischen Sachaufklärung eine schriftliche Zeugenaussage der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Psychoanalyse Dr. B eingeholt. Diese hat das Vorliegen der von der Sachverständigen gestellten Diagnosen bestätigt. Die Gesundheitsstörungen der Klägerin seien mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den erlittenen sexuellen Missbrauch zurückzuführen.
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Das LSG hat die schriftliche Zeugenaussage der Klägerin zur Kenntnisnahme und dem Beklagten zur Stellungnahme übersandt. Dieser hat darauf hingewiesen, nach den vorgelegten Befundberichten fühle sich die Klägerin von Personen eines Kults verfolgt und habe geäußert, wahrscheinlich sei auch rituelle Gewalt im Spiel gewesen. Diesen Aspekt habe sie im bisherigen Verfahren nicht angegeben. Es sei weiterhin nicht auszuschließen, dass die zunehmenden Erinnerungen das Ergebnis der seit mindestens 2013 durchgeführten multimodalen, tiefenpsychologisch orientierten Therapie seien.
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Nach Eingang und Weiterleitung der Stellungnahme des Beklagten hat das LSG das Einverständnis der Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung eingeholt. Sodann hat das LSG mit Urteil vom 15.9.2022 ohne mündliche Verhandlung das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Auswertung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, der ärztlichen Meinungsäußerungen, des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens, der sachverständigen Zeugenaussage und des Vorbringens der Klägerin bestehe lediglich eine entfernte, aber keine gute Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs in Kindheit und Jugend. Die Schilderungen der Klägerin zugrunde gelegt hätten infolge des massiven Missbrauchs schwere Verletzungen auftreten müssen, die in ihrem familiären und sozialen Umfeld nicht unbemerkt geblieben wären und den von ihr damals ausgeübten sportlichen Aktivitäten (Badminton, Joggen, Tischtennis, Krafttraining) entgegengestanden hätten. Gegen einen tatsächlich erlebten sexuellen Missbrauch sprächen auch die guten schulischen Leistungen, die zunächst ungebrochene Berufsbiografie, das normale Sexual- und Familienleben (Heirat, zwei Kinder), die unbelasteten familiären Beziehungen (Pflege der betagten Eltern) und das damalige soziale Engagement der Klägerin. Bei dieser Tatsachenlage sei die Annahme fernliegend, dass sich die geschilderten Vorfälle tatsächlich ereignet hätten. Das Gericht sei davon überzeugt, dass es sich bei den Angaben der Klägerin um therapeutisch determinierte Pseudoerinnerungen handele. Diese Annahme werde durch den Umstand gestützt, dass die Berichte der Klägerin mit zunehmender Zeit detailreicher und im Laufe des Verfahrens von ihr angepasst worden seien. Für eine therapieinduzierte Einwirkung spreche auch der zeitliche Verlauf. Die Klägerin habe ihren Antrag erst mehr als fünf Jahre nach der behaupteten Retraumatisierung gestellt. Trotz bereits lange vor der Antragstellung andauernder Therapie hätte sich der weit überwiegende Teil ihrer vermeintlichen Erinnerungen erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens wieder eingestellt. Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten sei nicht schlüssig und überzeugend. Die Sachverständige habe die Angaben der Klägerin keiner Konsistenzprüfung unterzogen, sondern diese als wahr unterstellt. Der von der sachverständigen Zeugin gezogene Rückschluss vom Vorliegen einer bestimmten Gesundheitsstörung auf eine konkrete Ursache sei auf Grundlage der herrschenden medizinischen Lehrmeinung abzulehnen.
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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil. Sie rügt ua eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen.
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II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Berufungsverfahren leidet an einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, auf dem die Entscheidung des LSG auch beruhen kann.
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1. Die Beschwerde ist zulässig soweit die Klägerin damit einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 GG, § 62 SGG) rügt. In dieser Hinsicht genügt die Beschwerdebegründung den inhaltlichen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Klägerin hat die genauen Umstände der Gehörsverletzung hinreichend bezeichnet, das LSG habe unter Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 106 Abs 1 SGG) eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Berufungsverfahren weist einen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auf, weil das LSG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (dazu allgemein unter a) durch eine Überraschungsentscheidung verletzt hat (dazu unter b). Auf diesem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen (dazu unter c). Das angefochtene Berufungsurteil war daher aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 160a Abs 5 SGG an das LSG zurückzuverweisen (dazu unter d).
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a) Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens (Art 20 Abs 4 GG; Art 19 Abs 4 GG), eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention, Art 47 Satz 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union) und zugleich Ausdruck der durch Art 1 Abs 1 GG garantierten Menschenwürde. Art 103 Abs 1 GG gebietet es, dass sowohl die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein sachangemessenes, dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) gerecht werdendes Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen. Den Beteiligten muss ermöglicht werden, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Sie müssen vollständig über den Verfahrensgegenstand informiert sein, sich zu diesem äußern können und haben ferner einen Anspruch darauf, dass das Gericht ihre Äußerungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt (BSG Beschluss vom 3.3.2022 - B 9 V 37/21 B - juris RdNr 11; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 1.8.2017 - 2 BvR 3068/14 - juris RdNr 47 ff, jeweils mwN).
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Zur Gehörsgewährung muss das Gericht den Beteiligten die von ihm eingeholten Tatsachen und Beweisergebnisse bekannt geben (vgl § 128 Abs 2 SGG). Welche Schlussfolgerungen es aus diesen zieht oder zu ziehen beabsichtigt, braucht ein Kollegialgericht ihnen aber grundsätzlich nicht vorab mitzuteilen, denn es kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 24.1.2023 - B 9 V 31/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 29.8.2022 - B 12 R 8/22 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 24.6.2021 - B 13 R 44/21 B - juris RdNr 6; BVerfG Beschluss vom 8.2.1994 - 1 BvR 765/89, 1 BvR 766/89 - BVerfGE 89, 381 - juris RdNr 34). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ohne einen richterlichen Hinweis eine Überraschungsentscheidung getroffen würde. Davon ist auszugehen, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; zB BSG Beschluss vom 24.1.2023 - B 9 V 31/22 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 10.6.2022 - B 9 V 33/21 B - juris RdNr 10; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - BVerfGK 19, 377 - juris RdNr 18).
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b) Nach diesen Grundsätzen stellt das angegriffene Urteil eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Nach dem Prozessverlauf vor dem SG und der Verfahrensführung des LSG im Berufungsverfahren brauchte auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter nicht damit zu rechnen, das LSG werde im Gegensatz zum SG und zu den als Sachverständige und sachverständige Zeugin gehörten Ärztinnen ohne erneute Anhörung der Klägerin lediglich eine "entfernte Möglichkeit" für einen tatsächlich erfolgten sexuellen Missbrauch annehmen und diesen deshalb als nicht glaubhaft gemacht ansehen.
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Zwar hätten allein die stattgebende Entscheidung des SG und der Inhalt des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens sowie der schriftlichen Zeugenaussage der behandelnden Ärztin im Berufungsverfahren, welche die Darstellung der Klägerin vom erlittenen Missbrauch als im Kern zutreffend eingeschätzt haben, wohl noch nicht ausgereicht, um ihr Vertrauen auf eine Bestätigung der Einschätzung des SG durch das Berufungsgericht zu rechtfertigen. Dies gilt schon deshalb, weil der Beklagte mit seiner Berufung und im weiteren Verlauf des Verfahrens die Darstellung der Klägerin grundsätzlich angezweifelt hat. Schützenswertes Vertrauen der Klägerin hat das LSG aber in der Gesamtbetrachtung durch seine Verfahrensführung begründet. Denn es hat auf ihre erneute Anhörung verzichtet und zugleich von einem rechtlichen Hinweis auf seine abweichende Rechtsauffassung und die diese begründenden Zweifel an ihrer Aussage abgesehen.
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Auch ansonsten hat es in keiner Weise zu erkennen gegeben, die Schilderungen der Klägerin anders als das SG, die erstinstanzlich gehörte Sachverständige und die zweitinstanzlich nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 373, 414 ZPO schriftlich vernommene sachverständige Zeugin anzuzweifeln. Deren schriftliche Aussage hat das LSG vielmehr lediglich dem Beklagten zur Stellungnahme, der Klägerin dagegen nur zur Kenntnis übersandt. Mit dieser prozessualen Vorgeschichte hätte das Berufungsgericht die Klägerin zumindest auf seine Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Darstellung hinweisen müssen. Diese Pflicht zu einem rechtlichen Hinweis ergab sich aus dem Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör sowie mittelbar auch aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 iVm § 153 Abs 1 SGG), dessen Beachtung durch das LSG die anwaltlich vertretene Klägerin unterstellen durfte. Dieser Grundsatz erfordert ua dann ausnahmsweise die Wiederholung einer bereits in der ersten Instanz durchgeführten Zeugenvernehmung, wenn das Berufungsgericht von der Würdigung der persönlichen Glaubwürdigkeit durch das Erstgericht abweichen, insbesondere die bejahte Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen oder eine protokollierte Aussage anders als das Erstgericht verstehen oder die Aussage des Zeugen hinsichtlich seiner Erinnerungsfähigkeit sowie des Inhalts und der Tragweite seiner Bekundungen anders würdigen will (BSG Beschluss vom 8.6.2021 - B 13 R 205/20 B - juris RdNr 10; zum Berufungsverfahren im Zivilprozess BGH Urteil vom 19.1.2023 - III ZR 234/21 - juris RdNr 40; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 1.8.2017 -2 BvR 3068/14 - juris RdNr 55, jeweils mwN). Unterbleiben kann die erneute Vernehmung dagegen, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung der Aussage auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (dh seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit (dh die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Beschluss vom 21.6.2019 - 30/18 - juris RdNr 24; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 157 RdNr 2d, jeweils mwN). Diese Grundsätze gelten entsprechend für die gerichtliche Befragung der Beteiligten (BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 11a/7a AL 14/07 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 7 RdNr 11 mwN).
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Das SG hat die Klägerin in einem gesonderten Erörterungstermin angehört und sein Urteil auch auf den dabei gewonnenen Eindruck gestützt. Welchen Sinn und Bedeutung die Aussage eines Zeugen oder die persönliche Anhörung eines Beteiligten hat, kann aber verlässlich nur der Richter beurteilen, der den Zeugen vernommen oder den Beteiligten persönlich gehört hat und daher die Möglichkeit hatte, durch Vorhalte und Rückfragen Unklarheiten und Zweifel zu beheben (zum Erfordernis des Vorhaltens widersprüchlicher Angaben vgl BVerwG Urteil vom 8.12.1988 - 3 C 87.87 - juris RdNr 18). Seine Würdigung kann gerade auf solchen Rückfragen und sonstigen unmittelbaren Eindrücken aus der Vernehmung oder Anhörung beruhen, die indes erfahrungsgemäß nicht immer vollständig in die Niederschrift aufgenommen worden sind (BVerfG Beschluss <Kammer> vom 1.8.2017 - 2 BvR 3068/14 - juris RdNr 56 mwN).
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Das LSG hat die Klägerin trotz einschlägiger psychischer Erkrankungen, darunter einer dissoziativen Identitätsstörung, sowie vergangenen Drogenkonsums ebenso wie das SG als aussagetüchtig angesehen und von der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens abgesehen (vgl hierzu BSG Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 41 mwN). Andererseits hat es ihr wegen der Entstehung und Entwicklung ihrer Aussage über die Zeit therapieinduzierte Pseudoerinnerungen unterstellt. Damit hat es Inhalt und Tragweite sowie die Überzeugungskraft ihrer Aussage allein auf der Grundlage des Akteninhalts in entscheidungserheblicher Weise anders gewürdigt als das SG und die dort gehörte sachverständige Zeugin und Sachverständige. Trotzdem hat es davon abgesehen, die Klägerin erneut anzuhören oder zumindest auf seine abweichende Einschätzung der Überzeugungskraft ihrer Aussage sowie des Sachverständigengutachtens und der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage hinzuweisen. Ebenso wenig hat das LSG den - trotz des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl § 117 iVm § 153 Abs 1 SGG) - beabsichtigten Verzicht auf eine erneute Anhörung der Klägerin begründet. Durch dieses vor dem Hintergrund des Verfahrensablaufs überraschende Vorgehen hat das Berufungsgericht der Klägerin eine sachdienliche prozessuale Reaktion abgeschnitten, wie insbesondere einen Antrag auf erneute Anhörung und Befragung als Beteiligte (vgl BSG Beschluss vom 10.11.2022 - B 3 KR 30/21 B - juris RdNr 6 f; BSG Beschluss vom 11.6.2021 - B 9 SB 64/20 B - juris RdNr 11, jeweils mwN). Damit hat es zugleich eine dem bisherigen Verlauf des Verfahrens widersprechende Beweiswürdigung vorgenommen, die dem Verfahren ohne vorherigen Hinweis eine unvorhersehbare Wende gegeben hat (vgl BSG Beschluss vom 5.6.2023 - B 5 R 26/23 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 15.12.2020 - B 9 V 46/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 26.3.2020 - B 3 P 14/19 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 22 RdNr 6 ff; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - juris RdNr 7; BSG Urteil vom 12.12.1990 - 11 RAr 137/89 - SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23 f = juris RdNr 14). Denn nach dem bisherigen Prozessverlauf drängte sich die vom LSG vorgenommene abweichende Beweiswürdigung nicht derart auf, dass die Klägerin auch ohne rechtlichen Hinweis und insbesondere ohne erneute Anhörung damit rechnen musste. Weder die im erstinstanzlichen Verfahren beauftragte Sachverständige und die im Berufungsverfahren schriftlich vernommene sachverständige Zeugin noch insbesondere das SG nach seinem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck von der Klägerin hatten deren Schilderungen in Zweifel gezogen. Nach dem Gesamtbild des Verfahrens brauchte die Klägerin daher ohne vorherigen Hinweis nicht mit der vollständig entgegengesetzten Würdigung der streitentscheidenden Beweise durch das LSG zu rechnen. Sie musste vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des fairen Verfahrens insbesondere nicht befürchten, das Berufungsgericht könnte ihre Angaben zu den damaligen Vorfällen ohne erneute Anhörung im Gegensatz zum SG und zur Einschätzung der gehörten Sachverständigen und Zeugin als therapieinduzierte Pseudoerinnerungen ansehen. Die Klägerin braucht sich deshalb auch nicht entgegenhalten zu lassen, durch ihren Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 SGG nicht alles Erforderliche unternommen zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
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c) Das angefochtene Urteil kann auch auf dem Gehörsverstoß beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin bei einem rechtzeitig erfolgten Hinweis des Gerichts auf Zweifel an ihrer Aussage zur Glaubhaftmachung eines erfolgten sexuellen Missbrauchs weiter vorgetragen, weiteren Beweis angeboten oder ihre erneute Vernehmung als Beteiligte beantragt hätte und das LSG daraufhin zu einer für sie günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
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d) Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung macht der Senat von der Möglichkeit des § 160a Abs 5 SGG Gebrauch und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
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3. Da die Klägerin mit der gerügten Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör bereits durchdringt, kann dahinstehen, ob die weiteren von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel ordnungsgemäß bezeichnet worden sind und tatsächlich vorlagen.
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4. Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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Othmer
Röhl
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