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BSG 13.07.2022 - B 7/14 AS 75/20 R
BSG 13.07.2022 - B 7/14 AS 75/20 R - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Trinkgelder - Nichtberücksichtigung als Zuwendungen Dritter
Normen
§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11a Abs 5 Nr 1 SGB 2, § 11a Abs 5 Nr 2 SGB 2, § 2 Abs 2 SGB 2, § 84 Abs 2 SGB 12
Vorinstanz
vorgehend SG Landshut, 27. September 2017, Az: S 11 AS 261/16, Urteil
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 12. Dezember 2019, Az: L 7 AS 755/17, Urteil
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2019 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 27. September 2017 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung der Bescheide vom 7. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2016 verpflichtet, den Bescheid vom 8. April 2015 betreffend Dezember 2014, Januar 2015 und März 2015, den Bescheid vom 26. Juni 2015 betreffend Februar 2015 und den Bescheid vom 5. Februar 2015 betreffend April 2015 zu ändern und der Klägerin höheres Alg II zu zahlen. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt ein Viertel der Kosten des Verfahrens vor dem Sozial- und Landessozialgericht und fünf Sechstel der Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Im Streit steht - im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens - höheres Alg II für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015.
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Die Klägerin ist 1977 geboren und war in einem Gasthaus im Service tätig. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie bis 31.12.2014 monatlich 50 Euro und ab 1.1.2015 bis 30.4.2015 monatlich 147,31 Euro, brutto gleich netto, das jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde. Von den Gästen erhielt sie Trinkgelder von 25 Euro monatlich. Die Klägerin bezog bis 10.5.2015 zudem Alg nach dem SGB III, bis April 2015 iHv monatlich 290,10 Euro und im Mai 2015 von 96,70 Euro. Die Fahrkosten zur Arbeit beliefen sich auf monatlich 33,48 Euro. Der monatliche Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung betrug 48,54 Euro. Daneben fielen Kosten für einen sog Riester-Vertrag von 5 Euro monatlich an.
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Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin zuletzt (neben im vorliegenden Verfahren nicht mehr streitbefangenen Kosten für Unterkunft und Heizung) Leistungen für den Lebensunterhalt jeweils unter Berücksichtigung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit, des Alg nach dem SGB III und der Trinkgelder als sonstiges Einkommen (letzte Bescheide vom 5.2.2015 für April und Mai 2015, vom 8.4.2015 für Dezember 2014, Januar und März 2015 sowie vom 26.6.2015 für Februar 2015).
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Auf den Überprüfungsantrag der Klägerin (vom 7.9.2015) änderte der Beklagte die genannten Bescheide ab (zwei Bescheide vom 7.12.2015; Widerspruchsbescheid vom 11.4.2016). Dabei stellte er in seine Berechnung als Erwerbseinkommen das Einkommen aus der Tätigkeit als Servicekraft sowie die Trinkgelder ein. Als weiteres Einkommen berücksichtigte der Beklagte das Alg nach dem SGB III. Das Alg nach dem SGB III bereinigte er um die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, den Riester-Vertrag und die Versicherungspauschale, soweit noch nicht als (rechnerischer) Bestandteil des Grundfreibetrags vom Erwerbseinkommen abgesetzt.
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Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, gerichtet auf höheres Alg II ua wegen der Nichtberücksichtigung der Trinkgelder als Einkommen, vor dem SG ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 27.9.2017). Das LSG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin wegen höherer anzuerkennender Kosten für die Unterkunft und Heizung sowie eines im Januar 2015 zu berücksichtigenden geringeren Erwerbseinkommens aus Dezember 2014 höheres Alg II für Dezember 2014 und Januar 2015 zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 12.12.2019). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, Trinkgeld sei Erwerbseinkommen, das nicht nach § 11a Abs 5 SGB II von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen sei. Insbesondere fehle es an der von § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II geforderten Nähebeziehung zwischen Gebendem und Nehmender. Trinkgelder seien als Einkommen aus abhängiger Beschäftigung zu qualifizieren und davon der nach § 11b SGB II vorgesehene Grundfreibetrag in Abzug zu bringen. Da der Klägerin im Dezember 2014 und im Januar 2015 nur 50 Euro Erwerbseinkommen aus dem jeweiligen Vormonat zugeflossen sei, übersteige in diesen Monaten das Erwerbseinkommen auch unter Einbeziehung der Trinkgelder von monatlich 25 Euro den Grundfreibetrag von 100 Euro nicht. Soweit der Beklagte in seine Berechnung für Januar 2015 ein Erwerbseinkommen iHv 147,31 Euro eingestellt habe, sei dies unzutreffend. Das Einkommen sei erst im Februar 2015 zugeflossen, im Januar 2015 hingegen das Einkommen iHv 50 Euro aus Dezember 2014. Für Mai 2015 sei abweichend von der Berechnung des Beklagten das erst in diesem Monat zugeflossene Einkommen aus April 2015 zu berücksichtigen und nicht allein das Alg nach dem SGB III iHv 96,70 Euro. Dies stehe einem höheren Anspruch der Klägerin in diesem Monat entgegen. Der vom Beklagten vorgenommene Abzug der nicht verbrauchten Versicherungspauschale beim Alg nach dem SGB III sei nicht zulässig.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 11a Abs 5 SGB II geltend. Für die Gabe von Trinkgeldern bestehe weder eine rechtliche noch sittliche Pflicht. Ihre Berücksichtigung als Einkommen wäre bereits iS des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II grob unbillig, da die mit der Gabe von Trinkgeldern verbundene Motivation und der Dank für die geleistete Tätigkeit ins Leere liefen, wenn es als Einkommen berücksichtigt würde. Im Übrigen verbesserten Trinkgelder die Lage der leistungsberechtigten Person iS des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Das vom LSG geforderte Näheverhältnis von Gebendem und Nehmendem sei weder nach dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der Norm erforderlich.
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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2019 und des Sozialgerichts Landshut vom 27. September 2017 zu ändern und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 7. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2016 zu verpflichten, den Bescheid vom 26. Juni 2015 betreffend Februar 2015, die Bescheide vom 8. April 2015 betreffend Dezember 2014, Januar 2015 und März 2015 und den Bescheid vom 5. Februar 2015 betreffend April und Mai 2015 zu ändern und ihr höheres Alg II zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist überwiegend begründet. Sie hat dem Grunde nach Anspruch auf höheres Alg II für Dezember 2014 bis April 2015; für Mai 2015 steht ihr ein höherer Anspruch nicht zu.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Bescheide vom 7.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.4.2016, mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom 5.2., 8.4. und 26.6.2015 auch insoweit zu ändern, als Trinkgeld nicht bedarfsmindernd als Einkommen berücksichtigt wird und der Klägerin deshalb höheres Alg II zu zahlen ist. Dabei sind die Bescheide vom 7.12.2015 bereits nach ihrem Wortlaut und vom objektiven Empfängerhorizont als rechtliche Einheit in Bezug auf den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X anzusehen, auch wenn nur ein Bescheid vom 7.12.2015 ("Zugunstenbescheid") erkennbar auf den Überprüfungsantrag vom 7.9.2015 Bezug nimmt. Allerdings verweist dieser (erste) Bescheid vom 7.12.2015 auf den beigefügten weiteren Bescheid ebenfalls vom 7.12.2015 ("Änderungsbescheid"). Darin hat der Beklagte die Änderungen umgesetzt, die im Ergebnis der Überprüfung nach § 44 SGB X aus seiner Sicht vorzunehmen waren. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens waren dabei jeweils die letzten Entscheidungen des Beklagten über die Leistungsansprüche der Klägerin für Dezember 2014 bis Mai 2015, die die zeitlich vorhergehenden Bescheide vollständig ersetzt haben (§ 39 Abs 2 SGB X).
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2. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Den geltend gemachten Anspruch, ihr im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens (§ 44 SGB X) höhere Leistungen zu gewähren, verfolgt die Klägerin zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG), gerichtet auf die teilweise Änderung der Bescheide vom 7.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.4.2016, auf die Erteilung entsprechender Änderungsbescheide und auf höhere existenzsichernde Leistungen. Dabei hat die Klägerin ihr Begehren im Revisionsverfahren zulässigerweise in der Sache auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beschränkt. Die als eigenständiger Streitgegenstand abtrennbaren Leistungen für Unterkunft und Heizung (vgl dazu nur BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13) stehen nicht mehr im Streit. Die Revision ist zudem zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN).
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3. Der leistungsberechtigten Klägerin (5.) steht dem Grunde nach für Dezember 2014 bis April 2015 höheres Alg II zu. Die Trinkgelder sind zwar Einkommen (6.), aber als Zuwendung (7.) nach § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen (8.). Für die Berechnung im Einzelnen, insbesondere die Ermittlung von Absetzpositionen vom Erwerbseinkommen und dem Einkommen aus Alg nach dem SGB III, ist das Vorgehen des Beklagten - anders als das LSG meint - im Übrigen nicht zu beanstanden; für Mai 2015 steht der Klägerin ein höherer Anspruch auf Alg II jedoch schon wegen des ihr tatsächlich zugeflossenen Erwerbseinkommens nicht zu (9.).
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4. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf höheres Alg II unter teilweiser Rücknahme der zur Überprüfung gestellten Bescheide sind § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X und §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II insoweit vor dem streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Achte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen vom 28.7.2014 (BGBl I 1306) erhalten hat (vgl zum Geltungszeitraumprinzip BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14).
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Auch nach Unanfechtbarkeit ist hiernach ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X). Diese Voraussetzungen sind hier (mit Ausnahme des Monats Mai 2015) gegeben.
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5. Die alleinlebende und erwerbsfähige Klägerin, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat, erfüllte die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf Alg II (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Sie war insbesondere hilfebedürftig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II), denn auch unter Berücksichtigung ihres Einkommens war sie nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt in jedem der streitbefangenen Monate vollständig aus eigenen Mitteln zu sichern; über einzusetzendes Vermögen verfügte die Klägerin nicht. Ausschlusstatbestände nach § 7 Abs 4, 4a oder 5 SGB II lagen nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht vor.
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6. Der Bedarf der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts mindert sich in den streitbefangenen Monaten um zu berücksichtigendes Einkommen. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld (oder Geldeswert). Das von der Klägerin bezogene Alg nach dem SGB III, das Entgelt aus ihrer Erwerbstätigkeit und das Trinkgeld sind jeweils im Monat des Zuflusses Einkommen in diesem Sinne.
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7. a) Gleichwohl ist das Trinkgeld im vorliegenden Fall nicht als Einkommen bei der Berechnung des Alg II zu berücksichtigen. § 11 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II nimmt Einnahmen iS des § 11a SGB II hiervon aus. Nach dessen Abs 5 bleibt Einkommen unter den dort benannten weiteren Voraussetzungen unberücksichtigt, soweit es als Zuwendung zu qualifizieren ist. Um eine Zuwendung handelt es sich, wenn ein anderer sie erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben. Damit ist bereits nach dem Wortlaut der Norm Kernelement einer Zuwendung die Freiwilligkeit ihrer Gabe.
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Umgekehrt lässt die rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von vornherein eine Qualifizierung dieser als mögliche berücksichtigungsfreie "Zuwendung" entfallen. Damit scheiden Geldleistungen als Zuwendung aus, die auf vertraglicher Grundlage erbracht werden, zB im Zusammenhang mit einem Austauschvertrag im Sinne einer synallagmatischen Verknüpfung gegenseitiger Verpflichtungen wie etwa aus einem Arbeitsvertrag (vgl BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 12/11 R - BSGE 113, 86 = SozR 4-3500 § 84 Nr 1, RdNr 17; vgl zu diesem Verständnis des Zuwendungsbegriffs im Rahmen des § 78 BSHG BVerwG vom 14.12.1972 - V C 65.72).
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Das Trinkgeld ist im vorliegenden Fall eine freiwillige und ohne Rechtspflicht erfolgte Zahlung. Sie ist kein Erwerbseinkommen. Denn sie resultiert nicht aus einem wirtschaftlichen Austauschverhältnis der Leistung von fremdnütziger Arbeit gegen Entgelt. Wenn das Trinkgeld - wie hier - von Gästen an die Servicekraft gezahlt wird, fehlt es bereits an dem Austausch als Grundlage synallagmatisch zueinander in Beziehung stehender Leistungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch kann nach den Feststellungen des LSG nicht angenommen werden, das Trinkgeld beruhe auf einer Verpflichtung durch einen Vertrag zwischen den Gästen und der Klägerin und/oder dem Arbeitgeber, etwa weil es als zusätzlicher Zahlungsposten zum Preis für die angebotenen Speisen und Getränke ausgewiesen wird oder insoweit eingepreist ist, als es den Arbeitgeber zumindest teilweise von der Entgeltzahlung freistellt. Der Umstand, dass Trinkgeld im Zusammenhang bzw aus Anlass der Verrichtung der Erwerbstätigkeit von Gästen gegeben wird, ersetzt das für die Qualifikation als Erwerbseinkommen bzw Arbeitsentgelt erforderliche synallagmatische Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht. Angesichts des fehlenden Vertragsverhältnisses als Grundlage für die Zahlung der Trinkgelder kommt es hier für die Qualifikation als Zuwendung nicht auf die Höhe der Geldleistung als ggf weiteren Gesichtspunkt der Abgrenzung einer Zuwendung von Erwerbseinkommen an (dazu BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 3/20 R - SozR 4-4200 § 11a Nr 5 RdNr 17).
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Dies bestätigt der Blick in die arbeits- und steuerrechtliche Rechtsprechung. Arbeitsrechtlich werden als Trinkgeld Leistungen verstanden, die ohne rechtliche Verpflichtung als persönliche Zuwendung aus einer bestimmten Motivationslage von Dritten freiwillig erbracht werden (BAG vom 28.6.1995 - 7 AZR 1001/94 - BAGE 80, 230, 232). Zwar könnte ggf im Einzelfall die Verschaffung einer Verdienstmöglichkeit - hier also der Möglichkeit, Trinkgelder in Empfang zu nehmen - als Naturalbezug eines Arbeitnehmers die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (teilweise) ersetzen und insoweit auch als Teil eines synallagmatischen Austauschverhältnisses angesehen werden (vgl dazu nur BAG vom 28.6.1995 - 7 AZR 1001/94 - aaO). Dies setzt aber zumindest eine entsprechende - zumindest konkludente - Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien voraus.
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Nach § 3 Nr 51 EStG in der seit 2002 maßgeblichen Normfassung handelt es sich bei Trinkgeldern, die lediglich anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist, um steuerfreie Einnahmen (zur Steuerfreiheit von Trinkgeld an Kellner vgl BFH vom 18.6.2015 - VI R 37/14 - BFHE 250, 159 = BStBl II 2016, 751, insbes RdNr 19, 22 ff auch zu Trinkgeldern, die in eine gemeinsame Kasse eingezahlt und anschließend aufgeteilt werden; zur fehlenden Trinkgeldqualität von aus dem Spielbanktronc finanzierten Aufwendungen an Arbeitnehmer BFH vom 18.12.2008 - VI R 49/06 - BFHE 224, 103 = BStBl II 2009, 820). Der BFH umschreibt in stRspr Trinkgeld iS von § 3 Nr 51 EStG als freiwillige und typischerweise persönliche Zuwendung an den Bedachten, als eine Art honorierende Anerkennung seiner dem Leistenden gegenüber erbrachten Leistung in Form eines kleineren Geldgeschenkes (stRspr; vgl nur BFH vom 18.6.2015 - VI R 37/14 - BFHE 250, 159 = BStBl II 2016, 751, RdNr 16 mwN).
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b) Auch besteht keine "sittliche Pflicht" für die Gabe von Trinkgeld. Eine sittliche Verpflichtung kann nur dann bejaht werden, wenn innerhalb der Beziehung des Zuwendenden zum Zuwendungsempfänger selbst besondere Umstände gegeben sind, die die Zuwendung oder Unterstützung als zwingend geboten erscheinen lassen (so zu § 194 Abs 3 Nr 3 SGB III aF bei der Alhi unter Berücksichtigung sozial- und zivilrechtlicher Wertungen BSG vom 17.3.2005 - B 7a/7 AL 4/04 R - SozR 4-4300 § 194 Nr 7 RdNr 7 ff mwN). Dies ist typisierend im Verhältnis eines Gastes zu einer Servicekraft auszuschließen. Allgemeine Gesichtspunkte der Sittlichkeit, also was zB von einem Gast in einem Wirtshaus "zu erwarten" ist, scheiden von vornherein als Anknüpfungspunkt für eine sittliche Pflicht iS des § 11a Abs 5 SGB II aus.
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c) Ob Trinkgelder sozialversicherungsrechtlich beitragspflichtige Einnahmen darstellen, ist für ihre rechtliche Bewertung als Zuwendung nicht von entscheidender Bedeutung. Nicht abschließend geklärt werden muss daher, ob die vom Gesetzgeber mit § 14 SGB IV gewollte Anknüpfung an das steuerrechtliche Begriffsverständnis der Einnahme (vgl BT-Drucks 7/4122 S 32 zu § 14) vor dem Hintergrund der zum 1.1.2002 erfolgten Herausnahme von Trinkgeldern aus dem Arbeitsentgeltbegriff nicht ohnehin eine Bewertung von Trinkgeldern als nicht beitragspflichtige Einnahme rechtfertigen würde (vgl dazu § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SvEV).
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8. Die weiteren Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung einer Zuwendung liegen vor. Zwar ist ihre Berücksichtigung nicht grob unbillig iS des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II, doch beeinflusst sie nach dessen Nr 2 die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
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a) Die grobe Unbilligkeit iS des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II verlangt, dass gegen die Berücksichtigung der Zuwendung als Einnahme bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Typischen abweichende Umstände bzw Zwecke der Zuwendung sprechen. Maßstab für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "groben Unbilligkeit" ist das oben bereits dargelegte Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen § 11 Abs 1 SGB II einerseits und § 11a SGB II. Grundsätzlich ist danach die Einnahme dem Bedarf gegenüberzustellen. Es besteht die Obliegenheit, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 SGB II jegliche Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verwenden (Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, § 11a RdNr 401, Stand Mai 2020). Diese Obliegenheit entfällt im Fall des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II - von hier nicht gegebenen, mit der Höhe der Zuwendung zusammenhängenden Besonderheiten abgesehen - bei Zweckverfehlung, wenn also die Zuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft ist, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde.
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aa) Dies entspricht auch dem in den Materialien zu § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II dokumentierten Verständnis (vgl Entwurf der Faktionen der CDU/CSU und FDP zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks 17/3404 S 94), wonach § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II solche Zuwendungen erfasst, bei denen eine Berücksichtigung des zugewendeten Betrages - ohne Rücksicht auf die Höhe der Zuwendung - nicht akzeptabel wäre und die Zuwendung erkennbar nicht auch zur Deckung des physischen Existenzminimums verwendet werden soll. Als Beispiele werden im Gesetzentwurf aufgeführt Soforthilfen bei Katastrophen, gesellschaftliche Preise zur Ehrung von Zivilcourage, Ehrengaben aus öffentlichen Mitteln, zB bei Alters- oder Ehejubiläum, Lebensrettung oder Spenden aus Tombolas für bedürftige Menschen, insbesondere in der Vorweihnachtszeit. Obergrenze für die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen seien die geltenden Vermögensfreibeträge, da die Zuwendung im Monat nach dem Zufluss Vermögen darstelle.
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bb) Bestätigt wird dieses Normverständnis systematisch durch die vom Gesetzgeber gewollte Anknüpfung des § 11 Abs 5 Nr 1 SGB II an § 84 Abs 2 SGB XII, der ebenfalls für die Nichtberücksichtigung auf der Einnahmenseite ("gesetzliche Härtefälle") an die Anlässe oder Zwecke einer Einnahme anknüpft. Insbesondere die Berücksichtigung von Zuwendungen, die denselben Zweck verfolgen wie die Sozialhilfe, bedeutet danach im Regelfall keine besondere Härte (vgl dazu zuletzt BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 27/18 R - BSGE 130, 250 = SozR 4-3500 § 84 Nr 2, RdNr 22 mwN), wäre demnach im System des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II nicht grob unbillig.
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cc) An einer solchen objektivierbaren Zweckbestimmung des Trinkgelds, die einer Verwendung zur Sicherung des Lebensunterhalts entgegensteht, fehlt es. Aus welchem Grund und zu welchen beim Empfänger zu verwirklichenden Zwecken Trinkgeld gegeben wird, entzieht sich einer Typisierung und Objektivierung. Es sind höchst unterschiedliche Motive und Vorstellungen des Gebenden denkbar, die zur Trinkgeldgabe führen. In diesem Zusammenhang ist auch nicht von Belang, ob Trinkgeld im Tatsächlichen eine "regelmäßig berufstypische Zusatzeinnahme" darstellt oder nicht (so Schwabe in Gagel, SGB II/SGB III, § 11a SGB II RdNr 34, Stand August 2021; Geiger in LPK SGB II, 7. Aufl 2021, § 11a RdNr 21). Denn diese Überlegung knüpft ebenfalls an die tatsächliche Verwendung des Trinkgelds und nicht an einen (objektivierbaren) Zweck der Trinkgeldzahlung an.
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b) § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II verlangt hingegen schon vom Wortlaut her keine derartige "Zweckbestimmung", sondern stellt maßgeblich für die Frage, ob die Zuwendung als Einnahme bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen ist, auf die Höhe der Zuwendung ab. Zu prüfen ist mithin, ob sich Zuwendung und Alg II gegenseitig - im Sinne einer Überkompensation der bestehenden Notlage - so verstärken, dass nach der Lebenssituation zumindest ein Teil des Alg II nicht mehr benötigt wird, Leistungen nach dem SGB II also neben der Zuwendung zumindest zum Teil "nicht gerechtfertigt sind".
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aa) Mit § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II soll gesichert werden, dass gelegentliche oder regelmäßige Zuwendungen Anderer, die üblich und auch gesellschaftlich akzeptiert sind, ohne Berücksichtigung bei der Feststellung des bedarfsmindernden Einkommens bleiben. Die Berücksichtigung soll danach bereits dann entfallen, wenn die Zuwendung die Lage der oder des Leistungsberechtigten nur unmaßgeblich beeinflusst. Als Beispiel ist in der Begründung des Gesetzentwurfs ein geringfügiges monatliches Taschengeld von Großeltern aufgeführt (vgl Entwurf der Faktionen der CDU/CSU und FDP zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks 17/3404 S 95). Erforderlich für die Beurteilung, ob eine Zuwendung die Lage des Berechtigten so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt sind, ist also eine wertende Entscheidung, ausgehend von der Höhe der Zuwendung und der für die Sicherung des Lebensunterhalts im Übrigen zur Verfügung stehenden bereiten Mittel. Diese hat sich daran zu orientieren, ob die Nichtberücksichtigung der Zuwendung angesichts ihrer Höhe dem Nachranggrundsatz der SGB II-Leistungen (§ 2 Abs 2 SGB II) zuwiderlaufen würde.
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Anders als vom LSG vorausgesetzt, ist damit weder nach dem Wortlaut des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II noch nach dem Sinn und Zweck der Regelung und der systematischen Abgrenzung zum Anwendungsbereich des § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II eine "besondere Nähebeziehung" zwischen Gebendem und Nehmendem erforderlich, um geringfügige Zuwendungen Dritter von der Berücksichtigung als Einkommen auszunehmen. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm scheidet insoweit aus. Das in der Gesetzesbegründung verwendete Beispiel des großelterlichen Taschengelds ist nur als solches und keineswegs als Beleg dafür zu verstehen, dass allein Zuwendungen, denen eine familiäre oder sonstige Nähebeziehung zugrunde liegt, von Nr 2 erfasst werden.
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bb) Das der Klägerin monatlich gezahlte Trinkgeld iHv 25 Euro beeinflusst ihre Lage nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Die gebotene wertende Entscheidung im Sinne einer Gerechtfertigkeitsprüfung, die vergleichbar § 11a Abs 4 SGB II zu erfolgen hat (zu Zuwendungen in Form von regelmäßigen, nicht unerheblichen monatlichen Geldbeträgen aus einem Zuverdienstprojekt der freien Wohlfahrtspflege BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 3/20 R - SozR 4-4200 § 11a Nr 5 RdNr 19), hat im Grundsatz unter Berücksichtigung der individuellen Umstände in jedem Einzelfall zu erfolgen (zu § 84 SGB XII Schmidt in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl 2020, § 84 RdNr 15 Stand 1.2.2020) und strukturell die drei im Gesetz bzw der Alg II-V enthaltenen Anknüpfungspunkte zu berücksichtigen, die deutlich machen, wann nach der Vorstellung des Gesetz- bzw Verordnungsgebers der Zufluss einer Einnahme die Lage der Leistungsberechtigten nicht derart günstig beeinflusst, dass daneben ungeminderte Leistungen zur Existenzsicherung nicht mehr gerechtfertigt sind.
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cc) Neben der Nichtberücksichtigung bestimmter Einkommensarten wegen des dem Einkommen jeweils zukommenden Zwecks bzw der damit verfolgten Ziele (vgl § 11a Abs 1 bis 3 SGB II; vgl zB zur Entschädigung nach § 198 GVG BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 15/20 R - für BSGE 133, 149 und SozR 4-4200 § 11a Nr 6 vorgesehen) hat der Gesetzgeber beim Erwerbseinkommen typisierend durch die Anerkennung eines Erwerbstätigengrundfreibetrags iHv 100 Euro nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II eine Freistellung von der Berücksichtigung als bedarfsminderndes Einkommen normiert. Nach § 1 Abs 1 Nr 1 Alg II-V werden Einnahmen, wenn sie innerhalb eines Monats 10 Euro nicht übersteigen, nicht als Einkommen berücksichtigt. Schließlich ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung zur Leistungsminderung durch die Tilgung eines Darlehens nach § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II, dass - umgekehrt - eine Einbuße des monatlichen Zahlbetrags iHv 10 % des maßgebenden Regelbedarfs als hinnehmbar angesehen wird.
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(1) Die "100-Euro-Grenze" der Freibetragsregelung des § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II scheidet als Maßstab für die Bestimmung der Höhe der fehlenden "Überkompensation" aus. Der Grundfreibetrag verfolgt insbesondere das in § 1 Abs 2 Satz 2 SGB II normierte Ziel der Integration erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den Arbeitsmarkt, indem er Arbeitsanreize auch in unteren Einkommensbereichen ("Mini-Jobs") verstärkt und dadurch den Boden bereitet für eine gestufte Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse (vgl BT-Drucks 15/5446 <neu>, S 1, 4; vgl BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 180/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 19; s auch BSG vom 25.4.2018 - B 8 SO 24/16 R - SozR 4-3500 § 82 Nr 12 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat damit den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum genutzt, Anreize zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Eine Übertragung dieser Überlegung auf die Berücksichtigung von Zuwendungen bei der Leistungsberechnung im Rahmen der §§ 11 ff SGB II kommt nicht in Betracht. Es handelt sich bei den Zuwendungen iS des § 11a Abs 5 SGB II - wie dargelegt - gerade nicht um Erwerbseinkommen, das zur Sicherung des Lebensunterhalts eingesetzt werden muss. Zuwendungen können vielfältiger Natur sein. Allein die Nähe der Zuwendung "Trinkgeld" zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im vorliegenden Fall rechtfertigt weder - wie oben dargelegt - eine Qualifizierung als Erwerbseinkommen, noch kann sie maßstabsbildend für die Höhe der Freistellung wirken. Anders als Erwerbseinkommen besteht zudem kein Anspruch auf die Zuwendung, denn ihre Gabe unterliegt gerade keiner rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung. Sie kann mithin nicht eingefordert werden und steht daher auch nicht berechenbar zur Lebensunterhaltssicherung zur Verfügung.
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(2) Die Bagatellgrenze des § 1 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ist gleichermaßen nicht als Höhenbegrenzung für die in § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II vorzunehmende Gerechtfertigkeitsprüfung geeignet. Es handelt sich dabei lediglich um eine aus verwaltungspraktischen Gründen eingeführte Bagatellgrenze für jede Art von Einkommen (vgl BT-Drucks 17/3404 S 136 zu Nr 1 Doppelbuchst bb). Für geringfügige Einnahmen soll insoweit Verwaltungsaufwand vermieden werden, der im Vergleich zur Höhe der zu berücksichtigenden Einnahme unwirtschaftlich wäre. Ziele der Verwaltungsökonomie werden von § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II aber nicht verfolgt. Würde man im Übrigen die Grenze von 10 Euro auf § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II übertragen, entfiele im Ergebnis der Anwendungsbereich dieser Vorschrift, was nicht gewollt sein kann (so auch Neumann in BeckOK-SGB II, § 11a RdNr 39, Stand 1.3.2022).
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(3) Bei einer Zuwendung, die 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigt, ist hingegen typisierend davon auszugehen, dass die Subsidiarität existenzsichernder SGB II-Leistungen gewahrt bleibt, eine Überkompensation mithin nicht eintritt. Mit diesem Ansatzpunkt wird zum einen der notwendige Abstand zu den Freibeträgen nach § 11b Abs 2 SGB II gewahrt und die damit verbundene Erwerbsanreizfunktion nicht unterlaufen; sie hält sich zudem in dem Rahmen, in dem (umgekehrt) belastende Minderungen des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten hinzunehmen sein können (vgl zB § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II). Eine solche Grenzziehung trägt auch der Vorstellung des Gesetzgebers vom Anwendungsbereich des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II Rechnung. Dieser hat - anders als in § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II - gerade die Höhe der Zuwendung als maßgeblichen Faktor für ihre (zumindest teilweise, vgl Schmidt in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 11a RdNr 39; Geiger in info also 2011, 106, 110; Neumann in BeckOK-SGB II, § 11a RdNr 36, Stand 1.3.2022; ebenso zu § 84 Abs 2 SGB XII Schmidt in jurisPK-SGB XII, § 84 RdNr 23; zweifelnd Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, § 11a RdNr 419, Stand Mai 2020) Nichtberücksichtigung aufgegriffen und, ausgehend vom gewählten Beispiel des Taschengelds von Großeltern, erkennbar eher der Höhe nach geringfügige Zuwendungen von der Berücksichtigung ausnehmen wollen, die aber regelmäßig die Grenze von monatlich 10 Euro (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 Alg II-V) übersteigen.
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(4) Systematisch lässt sich diese Grenze aus einem Vergleich mit anderen Leistungsberechtigten nach dem SGB II in ähnlicher Situation ableiten (zu diesem Gedanken bei einem Zuverdienstprojekt BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 3/20 R - SozR 4-4200 § 11a Nr 5 RdNr 20). Denn dem System pauschalierter Leistungen im SGB II ist es nicht fremd, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls Leistungen Dritter nicht bedarfsmindernd berücksichtigt werden, Leistungsberechtigte durch die Nichtberücksichtigung von Einkommen beim Alg II also wirtschaftlich besser stehen als andere Leistungsberechtigte. Insoweit wird mit der Freilassung von 10 % des Regelbedarfs gesichert, dass der Effekt der Zuwendung, den Begünstigten zumindest geringfügig wirtschaftlich besser zu stellen, nicht verloren geht. Angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Zuwendungen, die nicht § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II unterfallen, gilt die Grenze von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs allerdings nur, soweit nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Beurteilung erforderlich machen.
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Der monatliche Zufluss an Trinkgeld im vorliegenden Fall iHv 25 Euro übersteigt die Grenze von 10 % des für die Klägerin maßgebenden Regelbedarfs nicht. Besondere Umstände des Einzelfalls, die eine abweichende Bewertung erforderten, sind nach den Gesamtfeststellungen des LSG nicht erkennbar.
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9. a) Für die abschließende Berechnung der Ansprüche der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ist abweichend von der Rechtsauffassung des LSG auch die Versicherungspauschale als Absetzposition beim Alg nach dem SGB III zu berücksichtigen. Die konkreten Absetzpositionen übersteigen im vorliegenden Fall sowohl das tatsächlich erzielte Einkommen (im Dezember) als auch den Erwerbstätigengrundfreibetrag nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II (im Januar bis Mai) und daneben wird noch ein anderes Einkommen erzielt. Nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 und 4 SGB II zulässige Absetzungen können aber bei dem weiteren Einkommen berücksichtigt werden, Absetzungen nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nur bei dem, bei dessen Erzielung die Ausgaben angefallen sind (vgl auch Fachliche Weisungen der BA zu §§ 11 - 11b SGB II Nr 11.160, Stand 7.2.2020). Das gilt in Monaten, in denen das Erwerbseinkommen unter dem Grundfreibetrag von 100 Euro liegt in gleicher Weise wie in Monaten, in denen § 11b Abs 2 Satz 2 SGB II einer Bereinigung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit um mehr als 100 Euro entgegensteht, weil dieses den Betrag von 400 Euro nicht übersteigt.
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b) Die vom Beklagten folglich zutreffend vorgenommene Übertragung der jeweils übersteigenden Absetzbeträge vom Erwerbseinkommen auf das Alg nach dem SGB III steht nicht in Widerspruch zum gesetzgeberischen Konzept des § 11b Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II, das für Erwerbseinkommen bis 100 Euro von einer pauschalen Freistellung ausgeht und erst ab einem Einkommen von mehr als 400 Euro die Berücksichtigung konkreter, höherer Absetzbeträge erlaubt. Diese gesetzgeberische Entscheidung bezieht sich allein auf Absetzungen von Erwerbseinkommen und lässt keine Rückschlüsse auf das Zusammentreffen von geringem Erwerbseinkommen und Einkommen aus einer anderen Einkommensart zu. Die Vorgehensweise des Beklagten trägt vielmehr einerseits dem Umstand Rechnung, dass für Einkommen, das kein Erwerbseinkommen ist, in § 11b SGB II keine Beschränkung der Höhe der Absetzungen vorgesehen ist und verhindert andererseits eine doppelte Berücksichtigung von Absetzpositionen beim Zusammentreffen von Erwerbs- und sonstigem Einkommen (vgl dazu im Zusammenhang mit der Versicherungspauschale BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 66).
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Es kommt deshalb nicht auf die vom LSG aufgeworfene Rechtsfrage an, ob eine anteilige, beim Erwerbseinkommen nicht vollständig in Ansatz zu bringende Versicherungspauschale auf eine andere Einkommensart übertragen werden darf. Der Entscheidung im Verfahren B 4 AS 49/13 R (BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 66), die zu dem hier nicht gegebenen Fall eines seiner Höhe nach nicht mit - konkreten - Absetzbeträgen aus § 11b Abs 1 SGB II "hinterlegten" Grundfreibetrags nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II und der Frage der Übertragbarkeit des "Rests" dieses Freibetrags auf Einkommen aus Kindergeld ergangen ist, lässt sich auf die hier vorliegende Situation nicht übertragen.
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c) Für Mai 2015 kommt jedoch ein Anspruch auf höheres Alg II nicht in Betracht, weil der Beklagte von einem niedrigeren Einkommen ausgegangen ist (lediglich Alg nach dem SGB III iHv 96,70 Euro), als der Klägerin tatsächlich zugeflossen ist. Die Revision war insoweit zurückzuweisen.
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10. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Verfahrens.
S. Knickrehm Neumann Siefert
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