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BSG 10.10.2017 - B 12 KR 64/17 B
BSG 10.10.2017 - B 12 KR 64/17 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Bezeichnung des Verfahrensmangels - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Bescheidung eines Antrags auf Terminverlegung
Normen
§ 124 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, § 227 Abs 4 S 1 Halbs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG München, 10. Juli 2012, Az: S 44 KR 125/11
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 17. Januar 2017, Az: L 5 KR 544/16, Urteil
Tenor
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2017 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob ein früherer Rechtsstreit über die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum Teil wirksam für erledigt erklärt wurde.
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Die beklagte Krankenkasse hatte festgestellt, dass die Klägerin in den Zeiten vom 1.11.2008 bis 20.3.2009, 1.4. bis 15.9.2009, 1.10. bis 31.12.2009 sowie 1.1. bis 9.3.2010 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GKV unterlag. Ein hierzu geführter Rechtsstreit wurde durch das Bayerische LSG durch Urteil vom 11.11.2014 (Aktenzeichen L 5 KR 316/12) rechtskräftig entschieden. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beteiligten hätten in der mündlichen Verhandlung die Zeiträume vom 1.1. bis 9.3.2010 sowie ab 1.8.2011 für erledigt erklärt. Das BSG verwarf die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin durch Beschluss vom 27.7.2015 als unzulässig (Aktenzeichen B 12 KR 26/15 B).
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Die in H. lebende Klägerin macht ua eine Anfechtung der Erklärung geltend. Im vorliegenden Verfahren begehrt die vor dem LSG unvertretene Klägerin sinngemäß die Feststellung, dass der frühere Rechtsstreit nicht durch eine Teil-Erledigterklärung teilweise erledigt worden ist. Nach Weiterleitung eines - neben weiteren Verfahren - beim SG Hamburg anhängig gemachten Verfahrens an das Bayerische LSG bestimmte der Senatsvorsitzende des LSG durch Verfügung vom 12.12.2016 den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 17.1.2017, 11:00 Uhr. Das persönliche Erscheinen der Klägerin wurde nicht angeordnet. Die Ladung wurde der Klägerin am 14.12.2016 zugestellt.
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Die Klägerin beantragte bei der Geschäftsstelle des LSG am Mittwoch, dem 11.1.2017, telefonisch eine Terminsverlegung, weil sie mit hohem Fieber einhergehend erkrankt sei. Auf der Rückseite der Gesprächsnotiz vermerkte der Senatsvorsitzende des LSG am 12.1.2017 handschriftlich: "Dem Verlegungsantrag ist nicht zu entsprechen, der Rechtsstreit ist entscheidungsreif, das PE der Klägerin nicht angeordnet. Zudem bestünde (im handschriftlichen Original schwer lesbar) kein glaubhafter Verhinderungsgrund". Mit Telefax vom 12.1.2017 wiederholte die Klägerin ihren Verlegungsantrag wegen einer "Bronchitis mit sehr hohem Fieber". Ein Attest werde umgehend nachgesendet. Im Hinblick auf darin im letzten Absatz gemachte Ausführungen zu einer Forderungsniederschlagung verfügte der Senatsvorsitzende des LSG eine Weiterleitung an die Beklagte "zur sofortigen Stellungnahme". Am 13.1.2017 führte die Klägerin mit dem Senatsvorsitzenden des LSG ein Telefonat, in dem sie sich nach der "Terminabsetzung" erkundigte. In einer Gesprächsnotiz vermerkte der Vorsitzende als Antwort "Derzeit Abwarten Stellungnahme (im handschriftlichen Original schwer lesbar) DAK Hinweis auf Gegenstand". Mit Telefax von Montag, dem 16.1.2017, (Uhrzeit laut Kopfzeile 13:15 Uhr) legte die Klägerin ein ärztliches Attest vom 16.1.2017 vor. Darin wird ausgeführt: "Aufgrund einer akuten bakteriellen Bronchitis mit Antibiotikaindikation besteht z.zt. keine Reisefähigkeit und auch aus gesundheitlichen Gründen keine Verhandlungsfähigkeit." Auf der Rückseite des Attests verfügte der Senatsvorsitzende des LSG am 16.1.2017 "z.A.". Mit weiterem Telefax vom 16.1.2017 (Uhrzeit laut Kopfzeile 18:28 Uhr) trug die Klägerin zur Sache vor. Mit Telefax vom 17.1.2017 (Uhrzeit laut Kopfzeile 11:02 Uhr) beantragte die Klägerin, "falls es bei der Erledigungserklärung" bleibe, eine "Kostenfestsetzung in der Sache".
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Das LSG hat am 17.1.2017 von 11:20 Uhr bis 11:35 Uhr in Abwesenheit der unvertretenen Klägerin mündlich verhandelt. Durch Urteil vom 17.1.2017 hat es festgestellt, dass der frühere Rechtsstreit durch Teil-Erledigterklärung beendet worden ist. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Sie rügt ua die Verletzung von §§ 110, 202 SGG und § 227 ZPO (Terminsänderung).
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II. 1. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Ihre Begründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Insbesondere bezeichnet sie die Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Verfahrensmangel (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Weitergehender Ausführungen zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler bedarf es nicht, wenn - wie hier - ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - Juris RdNr 8 mwN).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das LSG-Urteil ist verfahrensfehlerhaft, weil das LSG die wiederholten Anträge der unvertretenen Klägerin auf Terminsaufhebung nicht ordnungsgemäß beschieden hat.
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Gemäß § 124 Abs 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten oder auf Vertagung eines bereits begonnenen Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG). Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 SGG). Über einen Aufhebungs- oder Verlegungsantrag hat der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 227 Abs 4 S 1 Halbs 1 ZPO iVm § 202 SGG). Ein Antrag auf Terminsaufhebung bzw -verlegung ist förmlich (kurz) zu bescheiden, sofern dies noch technisch durchführbar und zeitlich zumutbar ist (zB OLG Karlsruhe MDR 1991, 1195; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl 2017, § 227 RdNr 56 mwN). Über die Entscheidung sind die Beteiligten (formlos) in Kenntnis zu setzen (vgl § 329 Abs 2 S 1 ZPO iVm § 202 SGG). Kommt der Vorsitzende seiner Verpflichtung zur Bescheidung eines Terminsaufhebungs- bzw -verlegungsantrags bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung nicht nach, leidet das Verfahren wegen der Versagung rechtlichen Gehörs an einem wesentlichen Mangel (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - Juris RdNr 10 mwN). Dies ist hier anzunehmen.
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a) Die unvertretene Klägerin hat wiederholt telefonisch und schriftlich Anträge auf Terminsaufhebung beim LSG gestellt.
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b) Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Entscheidung über die Anträge auf Terminsaufhebung vor Durchführung der mündlichen Verhandlung und dem Versuch einer Kontaktaufnahme mit der Klägerin spätestens am Vortag der mündlichen Verhandlung entgegengestanden hätten. Eine entsprechende Entscheidung des Vorsitzenden war möglich und zumutbar. Sie war auch nicht entbehrlich: Die Klägerin hatte Anträge auf Terminsaufhebung ausdrücklich gestellt und hierfür gesundheitliche Gründe angegeben, die sie zuletzt mit einer ärztlichen Bescheinigung am 16.1.2017 belegt hat.
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c) Nach Aktenlage ist auf die wiederholten Terminsaufhebungsanträge der Klägerin vor Durchführung der mündlichen Verhandlung seitens des LSG nur hinsichtlich des ersten Antrags vom 11.1.2017 am 12.1.2017 durch den Senatsvorsitzenden des LSG eine Entscheidung ergangen, über die die Klägerin allerdings nach Aktenlage nicht informiert wurde. In einem Telefonat der Klägerin mit dem Senatsvorsitzenden des LSG am 13.1.2017 ist als Antwort lediglich "Derzeit Abwarten Stellungnahme (im handschriftlichen Original schwer lesbar) DAK (…)" vermerkt. Eine Reaktion auf die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung am 16.1.2017 erfolgte gegenüber der Klägerin nicht. Eine kurzfristige telefonische Kontaktaufnahme mit der Klägerin war zumutbar und möglich. In der Gesprächsnotiz vom 11.1.2017 sind eine Festnetz- und eine Mobilfunktelefonnummer der Klägerin vermerkt. Versuche, die Klägerin zB telefonisch darüber zu informieren, dass der Termin am 17.1.2017 trotz ihrer Terminsaufhebungsanträge stattfindet, sind in der Gerichtsakte nicht vermerkt.
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3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
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