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BSG 13.02.2013 - B 2 U 311/12 B
BSG 13.02.2013 - B 2 U 311/12 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Verletzung der Amtsermittlungspflicht - Übergehen eines Beweisantrags auf Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen - Zweck und Grund der medizinischen Behandlung - Feststellung von Gesundheitsschäden als mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalls
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 11 Abs 1 Nr 3 SGB 7
Vorinstanz
vorgehend SG Nürnberg, 20. Mai 2010, Az: S 2 U 201/06, Urteil
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 24. Juli 2012, Az: L 17 U 618/11, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juli 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Gesundheitsschäden als mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalls vom 5.7.2004.
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Am 5.7.2004 wollte der Kläger Schweine aus einem Stall treiben, dabei drückten diese das vor den Körper gehaltene Treibblech gegen das linke Knie des Klägers, das verdreht wurde. Er stellte sich am 12.7.2004 in der Praxis des Durchgangsarztes Dr. P. vor und ließ sich wegen unfallbedingter Kniebeschwerden behandeln. Der Arzt äußerte den Verdacht auf einen Meniskusschaden und veranlasste radiologische Untersuchungen. Weiter veranlasste er eine Arthroskopie, die Dr. R. am 22.7.2004 durchführte und über die Dr. P. den Operationsbericht verfasste. Schließlich stellte Dr. P, mit Schreiben vom 29.7.2004 fest, die weitere Behandlung habe über die Krankenkasse zu erfolgen, da keine frische Unfallverletzung vorliege. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen wegen des Ereignisses vom 5.7.2004 ab (Bescheid vom 13.10.2005, Widerspruchsbescheid vom 29.6.2006).
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Die hiergegen erhobene Klage ist beim SG Nürnberg ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 20.5.2010). Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische LSG die Anerkennung von mittelbaren Unfallfolgen geprüft und die Beklagte mit Urteil vom 24.7.2012 verpflichtet, eine Kniegelenksinfektion sowie daraus resultierende Knorpelschäden links als Unfallfolge anzuerkennen. Der Zustand nach Kniegelenksinfektion stelle eine mittelbare Unfallfolge dar, für die die Beklagte nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder 3 SGB VII aufzukommen habe. Der Kläger habe "aufgrund des Verhaltens des Durchgangsarztes Dr. P. bzw. seines Operateurs Dr. R. jedenfalls berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass die Behandlung/Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts und/oder zur Durchführung einer Heilbehandlung … durchgeführt wurde" Dies ergebe sich aus der Stellungnahme des Dr. R., der dem Kläger gegenüber als behandelnder Arzt aufgetreten sei. Deshalb sei der Senat "nicht gezwungen", dem hilfsweise gestellten Beweisantrag der Beklagten zu folgen und Dr. P. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, welche Erklärungen er dem Kläger gegenüber hinsichtlich des Zwecks oder der Gründe für die Arthroskopie gegeben hat, denn auf seine Sichtweise komme es nicht an.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte einen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sowie den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend. Das LSG habe ihren Beweisantrag auf Vernehmung des Dr. P. als Zeugen ohne hinreichende Begründung übergangen.
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II. Die Beschwerde ist zulässig (a) und begründet (b). Das angefochtene Urteil des Bayerischen LSG ist unter Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) ergangen und beruht auf dieser Verletzung.
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a) Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der gerügte Verfahrensmangel (Verletzung des § 103 SGG) ergibt. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, dass sie einen förmlichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt hat und das LSG sich von seiner Rechtsauffassung ausgehend zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Die Beklagte hat auch dargetan, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.
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b) Das LSG hat die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), dadurch verletzt, dass es dem Beweisantrag der Beklagten, Dr. P. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, was er dem Kläger gegenüber vor der Arthroskopie als deren Zweck angegeben hat, ohne hinreichende Gründe nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).
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"Ohne hinreichende Begründung" iSd § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen. Entscheidend ist, ob das LSG sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den Beweis zu erheben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9), weil trotz vorliegender Beweismittel Fragen zum Sachverhalt offengeblieben sind, zur weiteren Klärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestand und die zu ermittelnden Tatsachen auch nach Auffassung des LSG entscheidungserheblich sind (BSG vom 1.3.2006 - B 2 U 8/06 B - juris RdNr 7 mwN).
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Danach hätte das LSG von einer Vernehmung des Zeugen Dr. P. nicht absehen dürfen. Die Beklagte hat einen prozessordnungsgemäßen Hilfsbeweisantrag gestellt. Sie hat darin sowohl das Beweismittel (Vernehmung des Dr. P. als Zeugen) als auch das Beweisthema (Welche Erklärungen hat Dr. P. dem Kläger gegenüber hinsichtlich des Zwecks der Arthroskopie gegeben?) angegeben und begehrt, dass hierüber Beweis erhoben werden soll (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6).
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Die unter Beweis gestellte Tatsache war auch aus Sicht des LSG entscheidungserheblich. Bei der Zurechnung von Gesundheitsschäden - hier am Kniegelenk - als mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder 3 SGB VII kommt es darauf an, welche Erklärungen der Unfallversicherungsträger oder die für ihn eingeschalteten Ärzte gegenüber dem Versicherten abgegeben haben (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909). Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII) durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 43). Es kommt nicht nur auf die subjektive Wahrnehmung des Klägers zum Zeitpunkt der Erbringung der Maßnahme an, sondern auch auf die objektiven Gegebenheiten, insbesondere die Erklärungen, die die Beklagte oder die von ihr eingeschalteten Ärzte gegeben haben (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - juris RdNr 30).
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Das LSG hat diese Anforderung an die Zurechnung einer mittelbaren Unfallfolge zutreffend erkannt und selbst angenommen, dass es entscheidend darauf ankommt, ob sich die Arthroskopie nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Maßnahme zur Klärung des Sachverhalts oder als Heilbehandlung darstellte. Denn das LSG führte aus, der Kläger habe aufgrund des "Verhaltens des Durchgangsarztes Dr. P. bzw. seines Operateurs Dr. R." davon ausgehen dürfen, dass die Behandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Durchführung einer Heilbehandlung durchgeführt werde. Andererseits hat das LSG auch festgestellt, der benannte Zeuge Dr. P. sei nicht als behandelnder Arzt aufgetreten und könne zum Beweisthema also keine Angaben machen. Behandelnder Arzt sei vielmehr Dr. R. gewesen, wie der Kläger glaubhaft versichert habe. Dies widerspricht aber der weiteren Feststellung des LSG, dass der Kläger sich am 12.7.2004 bei Dr. P. vorstellte und dieser sowohl Röntgenuntersuchung und MRT (S 2 des Urteils) als auch die Arthroskopie vom 22.7.2004 "veranlasste" (S 11 des Urteils). Danach liegt die Annahme fern, dass Dr. P. keine Aussage darüber machen kann, welche Erläuterung, Erklärung oder Aufklärung er dem Kläger zu der Notwendigkeit einer Arthroskopie oder deren Zwecke gegeben hat.
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Das angefochtene Urteil kann auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das LSG ohne den Verfahrensfehler zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Angesichts des vorliegenden Verfahrensmangels kann dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten außerdem erhobene Rüge der Divergenz gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ebenfalls durchgreift.
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Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn die Zulassung der Revision könnte nicht zu einer abschließenden Entscheidung des Senats in der Sache führen, weil noch nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen festgestellt sind.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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