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BSG 17.04.2012 - B 13 R 61/12 B
BSG 17.04.2012 - B 13 R 61/12 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Gewährung rechtlichen Gehörs - Setzung einer Stellungnahmefrist - keine Beachtung durch das Gericht
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Kassel, 13. Mai 2011, Az: S 2 R 389/06, Urteil
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 3. Januar 2012, Az: L 5 R 285/11, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Januar 2012 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der im Jahre 1951 geborene Kläger war bis zum Jahre 2002 im erlernten Beruf tätig. Auf den im Oktober 2005 gestellten Rentenantrag bewilligte ihm die Beklagte ab 1.11.2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit; einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinte sie, weil der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden arbeitstäglich leichte Erwerbstätigkeit verrichten könne (Bescheid vom 17.3.2006). Der auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.8.2006). Das SG hat die Klage nach Durchführung von medizinischen Sachverhaltsermittlungen abgewiesen (Urteil vom 13.5.2011).
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Das LSG hat auf die in der Berufungsbegründung vorgetragenen Einwendungen gegen das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des Kardiologen Dr. M. dessen Stellungnahme (vom 7.11.2011) eingeholt. Mit deren Übersendung hat der Berichterstatter die Beteiligten unter dem 17.11.2011 darauf hingewiesen, dass eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts von Amts wegen nicht beabsichtigt sei, und hat zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG angehört. Er hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.1.2012 eingeräumt. Dem Kläger ist das Anhörungsschreiben am 21.11.2011 zugegangen.
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Das LSG hat mit Beschluss vom 3.1.2012, dem Kläger am 9.1.2012 zugestellt, die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger nicht voll erwerbsgemindert sei (§ 43 Abs 2 SGB VI). Er könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens noch sechs Stunden arbeitstäglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies stehe zur Überzeugung des Senats nach Überprüfung sämtlicher vorliegenden medizinischen Unterlagen fest.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Das LSG habe vor Ablauf der Anhörungsfrist (bis zum 15.1.2012) durch Beschluss am 3.1.2012 entschieden. Wäre fristgemäß rechtliches Gehör gewährt worden, hätte er den Antrag gestellt, Dr. C. zur mündlichen Verhandlung zu laden und ihn zu seiner Aussage im Zusatzgutachten vom 4.2.2010 zu befragen, wonach aus kardiologischer Sicht bei dem Kläger keine ausreichende Belastbarkeit mehr vorliege, die eine - auch nur eingeschränkte - Teilnahme am Berufsleben erlaube. Hätte das LSG diesen Vortrag beachtet, hätte es nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden und wäre nach Anhörung des Dr. C. zu einer anderen Entscheidung gekommen.
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II. Auf die Beschwerde des Klägers war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
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Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 S 2 SGG) gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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Das LSG hat § 153 Abs 4 S 2 SGG verletzt, wonach die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zu hören sind. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen diese Verfahrensvorschrift liegt darin begründet, dass es dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme (bis zum 15.1.2012) im Anhörungsschreiben vom 17.11.2011 eingeräumt und diese selbst nicht beachtet hat (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12 mwN).
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Die Entscheidung des LSG kann auch auf der Verletzung von § 153 Abs 4 S 2 SGG beruhen. Die nach dieser Vorschrift nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung ist in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung auch in anderen Fällen nicht ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl BSG aaO RdNr 19).
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Hierzu hat der Kläger in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (S 2) aber vorgetragen, dass er bei Ausschöpfung der Frist einen Antrag auf Befragung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. C. in der mündlichen Verhandlung zu der in seinem Zusatzgutachten vom 4.2.2010 getroffenen Aussage der unzureichenden Belastbarkeit des Klägers für eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestellt hätte. Dieser Vortrag ist ausreichend im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, wonach die Revision nur dann zuzulassen ist, wenn die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger noch innerhalb der bis zum Sonntag, 15.1.2012 (also nach § 64 Abs 3 SGG bis zum 16.1.2012) laufenden Frist den von ihm behaupteten Antrag ordnungsgemäß gestellt und das LSG daraufhin Dr. C. zu der aufgeworfenen Frage angehört hätte (§ 116 S 2 SGG).
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Der beantragten Anhörung des Sachverständigen im Berufungsverfahren steht auch nicht von vornherein entgegen, dass das Fragerecht (§ 116 S 2 SGG) grundsätzlich nur innerhalb desselben Rechtszugs besteht, in dem das Gutachten eingeholt worden ist. Eine Anhörung des Sachverständigen Dr. C. in der nächsten Instanz kann jedoch verlangt werden, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens nach § 411 Abs 3 ZPO vorliegen und die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch die nunmehr tätige Instanz ermessenswidrig ist (Senatsbeschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BSG vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - SGb 2000, 269 - Juris RdNr 6). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, wird das LSG zu prüfen haben.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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