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BVerfG 17.07.2024 - 1 BvR 3156/15
BVerfG 17.07.2024 - 1 BvR 3156/15 - Kammerbeschluss: Anordnung der Auslagenerstattung nach Erledigterklärung im Verfassungsbeschwerdeverfahren bzgl der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung
Normen
§ 34a Abs 3 BVerfGG, VerkdHSpFruSpPflEG
Vorinstanz
vorgehend BVerfG, 26. März 2017, Az: 1 BvR 3156/15, Ablehnung einstweilige Anordnung
Tenor
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Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführenden ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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1. Über die Verfassungsbeschwerde ist nicht mehr zu entscheiden, weil die Beschwerdeführenden das Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 10. Mai 2024 für erledigt erklärt haben (vgl. BVerfGE 85, 109 113>).
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2. a) Nach der Erledigungserklärung der Beschwerdeführenden ist über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeit zu entscheiden. Bei der hier vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 - 1 BvR 309/11 -, Rn. 2) kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen (BVerfGE 85, 109 114 f.>; 87, 394 397>; 133, 37 38 Rn. 2>).
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So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall – falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 133, 37 38 Rn. 2> m.w.N.). In diesem Fall entspricht die Auslagenerstattung durch die zuständige Gebietskörperschaft der Billigkeit, ohne dass es auf die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde ankommt (vgl. BVerfGE 33, 247 264 f.>; 85, 109 115>; 87, 394 397>; 91, 146 147>; BVerfGK 5, 316 327 f.>; stRspr). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet allerdings eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde, bei der das Bundesverfassungsgericht zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung nehmen müsste, im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung grundsätzlich nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 264 f.>; 85, 109 115 f.>; 133, 37 38 Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. August 2015 - 2 BvR 1690/14 -, Rn. 4).
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b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, eine Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts zu machen und gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG die Auslagenerstattung anzuordnen. Die Regelungen zur sogenannten anlasslosen Vorratsdatenspeicherung sind für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt worden (aa). Folgerichtig haben die Beschwerdeführenden einen Entfall ihrer Beschwer angenommen und ihre Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt (bb). Gründe, warum ihnen diese Begünstigung nicht auch kostenrechtlich zugutekommen sollte, sind nicht ersichtlich (cc).
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aa) Die Vorschriften der deutschen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung sind für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt worden.
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(1) Mit Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - setzte das Bundesverwaltungsgericht ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus, in dem sich Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste gegen ihre in § 113a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 113b des Telekommunikationsgesetzes (TKG) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBl I S. 2218, im Folgenden: TKG a.F.) geregelte Pflicht gewandt hatten, im Einzelnen bezeichnete Verkehrs- und Standortdaten anlasslos für eine Dauer von zehn beziehungsweise vier Wochen auf Vorrat zu speichern.
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(2) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 20. September 2022, SpaceNet AG u.a., C-793/19, C-794/19, EU:C:2022:702 unter Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung im Wesentlichen entschieden, dass die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation - ABl L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl L 337, S. 11) geänderten Fassung im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsähen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 131; zum Ganzen BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 141/16 -, Rn. 12 ff.; sowie vom 14. Februar 2023 - 1 BvR 2683/16 - und - 1 BvR 2845/16 -, jeweils Rn. 13 ff.).
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(3) Mit Urteil vom 14. August 2023 - 6 C 6.22 - hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 176 TKG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung) und zur Modernisierung des Telekommunikationsrechts vom 23. Juni 2021 (BGBl I S. 1858, vormals: § 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung der dort genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG und daher nicht anwendbar sei, weil eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vorgeschrieben werde und – soweit das Unionsrecht einer eingeschränkten Vorratsdatenspeicherung nicht von vornherein entgegenstehe – die Voraussetzungen hinsichtlich der Bestimmtheit und Normenklarheit der Regelung, der zulässigen Zwecke sowie der weiteren inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen nicht vorlägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 2023 - 6 C 6.22 -, 1. Leitsatz, Rn. 38 ff.). Soweit sich die in § 175 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 176 Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG (vormals § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG a. F.) geregelte Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf die Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und in diesem Rahmen unter anderem auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse beziehe, fehle es jedenfalls an der unionsrechtlich gebotenen Beschränkung der Speicherungszwecke auf den Schutz der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung schwerer Kriminalität oder der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 2023 - 6 C 6.22 -, 2. Leitsatz, Rn. 42 ff.).
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bb) Grundsätzlich gibt es für eine Überprüfung einer nationalen Norm im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde kein Bedürfnis, wenn schon feststeht, dass die Norm dem Unionsrecht widerspricht und deshalb innerstaatlich nicht angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 110, 141 155>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 141/16 -, Rn. 9; sowie vom 14. Februar 2023 - 1 BvR 2683/16 - und - 1 BvR 2845/16 –, jeweils Rn. 10). Folgerichtig haben die Beschwerdeführenden einen Entfall ihrer Beschwer durch das Regelungskonzept der deutschen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 141/16 -, sowie vom 14. Februar 2023 - 1 BvR 2683/16 - und - 1 BvR 2845/16 -, jeweils Rn. 1) angenommen und ihre Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt.
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cc) Durch die festgestellte Unanwendbarkeit der Vorschriften sind die Beschwerdeführenden begünstigt worden. Gründe, warum ihnen dies nicht auch in kostenrechtlicher Hinsicht zugutekommen sollte, sind nicht ersichtlich (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juli 2016 - 1 BvR 2584/14 -, Rn. 21). Insbesondere folgt die Unanwendbarkeit der Vorschriften aus deren Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht, die die Beschwerdeführenden in ihrer Beschwerdeschrift gerügt hatten. Dass es infolgedessen nicht zu einer Prüfung der Verfassungskonformität der angegriffenen Vorschriften gekommen ist, ist für die Frage der Auslagenerstattung vorliegend nicht maßgeblich.
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3. Zur Erstattung der Auslagen verpflichtet ist der Träger, dem der angegriffene Hoheitsakt zuzurechnen ist (vgl. nur BVerfGE 78, 350 364>), vorliegend die Bundesrepublik Deutschland.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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