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BVerfG 10.05.2023 - 2 BvR 2069/15
BVerfG 10.05.2023 - 2 BvR 2069/15 - Nichtannahmebeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend BFH, 2. September 2015, Az: V B 167/14, Beschluss
vorgehend FG Nürnberg, 20. November 2014, Az: 3 K 1533/13, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung für ihre Tochter (…).
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1. Die Beschwerdeführerin ist Mutter des im streitgegenständlichen Zeitraum (März 2013 bis Oktober 2013) minderjährigen Kindes (…). Sie war in diesem Zeitraum staatenlos. Ausweislich einer Bescheinigung der Stadt Nürnberg vom 21. Januar 2013 besitzt die Beschwerdeführerin seit dem 25. Mai 2012 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Laut dieser Bescheinigung war die Beschwerdeführerin am 17. April 1986 nach Deutschland eingereist. Die Beschwerdeführerin ist nicht erwerbstätig, sondern erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
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2. Die Familienkasse hob mit Bescheid vom 11. Februar 2013 eine zugunsten der Beschwerdeführerin erfolgte Kindergeldfestsetzung für das Kind ab Dezember 2012 auf. Der Aufhebungsbescheid wurde mit Änderungsbescheid vom 8. Oktober 2013 dahin korrigiert, dass die Aufhebung erst ab März 2013 greift.
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Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse durch entsprechende Einspruchsentscheidungen als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin müsse als nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin mit einem humanitären Aufenthaltstitel die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 erfüllen. Unabhängig von der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalte, seien die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin sei nicht erwerbstätig, beziehe keine Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und befinde sich auch nicht in Elternzeit.
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3. a) Die Beschwerdeführerin erhob Klage gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und stützte sich im Kern darauf, dass sie als staatenlose Roma wegen ihrer Herkunft aus Rumänien den freizügigkeitsberechtigten Roma gleichstehe.
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b) Das Finanzgericht wies die Klage mit verfahrensgegenständlichem Urteil vom 20. November 2014 ab. Die staatenlose Beschwerdeführerin könne aus der EG-Verordnung 1408/71 und 883/2004 keine Rechte auf Kindergeld ableiten, wenn sie aus einem Land nach Deutschland eingereist sei, das im Zeitpunkt der Ausreise aus diesem Land kein EU-Mitglied und damit ein Drittland gewesen sei. Das Klagebegehren lasse sich auch nicht auf die nationale kindergeldrechtliche Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG in der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassung stützen. Die Beschwerdeführerin erfülle - was von ihr auch nicht bestritten werde - nicht die Voraussetzungen von § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c, Nr. 3 EStG 2006. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 bestünden nicht. Es sei nicht zu beanstanden, dass Kindergeld nur solchen nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern gewährt werde, von denen ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland zu erwarten sei und dass dabei typisierend an einen mindestens dreijährigen Aufenthalt bei vorliegender Integration in den Arbeitsmarkt angeknüpft werde.
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4. Gegen die Nichtzulassung der Revision legte die Beschwerdeführerin Nichtzulassungsbeschwerde ein, die der Bundesfinanzhof mit ebenfalls verfahrensgegenständlichem Beschluss vom 2. September 2015 als unbegründet zurückwies.
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II.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG.
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Die Beschwerdeführerin steht auf dem Standpunkt, es verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn freizügigkeitsberechtigte Ausländer Anspruch auf Kindergeld hätten, staatenlose Ausländer aus EU-Ländern hingegen davon ausgeschlossen seien.
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Die Beschwerdeführerin begehrt eine Gleichbehandlung mit freizügigkeitsberechtigten Ausländern und eine Beurteilung des streitgegenständlichen Sachverhalts entsprechend den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG 2006.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.
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Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Substantiierungsanforderungen. Die Beschwerdeführerin zeigt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht schlüssig auf.
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1. Eine substantiierte Begründung erfordert, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte hinreichend deutlich aufzeigt (vgl. BVerfGE 20, 323 329 f.>; 28, 17 19>; 89, 155 171>; 98, 169 196>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidieren soll (vgl. BVerfGE 88, 40 45>; 99, 84 87>; 101, 331 345>; 105, 252 264>; 108, 370 386 f.>).
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Bei der Rüge eines Verstoßes gegen das allgemeine Gleichheitsgebot obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll, und sich mit naheliegenden Gründen für die Differenzierung auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGK 18, 328 332 f.>).
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2. Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
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a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Ungleichbehandlung von unter § 62 Abs. 1 EStG 2006 fallenden freizügigkeitsberechtigten Ausländern und staatenlosen Ausländern, die aus EU-Ländern stammen, aus dem Umstand ableiten will, dass Letztere im Vergleich zu Ersteren den strengeren Anforderungen des § 62 Abs. 2 EStG 2006 unterliegen, hätte sie sich jedenfalls mit der vom Finanzgericht und vom Bundesfinanzhof aufgegriffenen Argumentation auseinandersetzen müssen, dass der Gesetzgeber mit der Differenzierung das Ziel verfolge, Familienleistungen nur solchen Personen zu gewähren, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten, und dass daher bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern an eine zusätzliche Voraussetzung als Indikator für einen dauernden Verbleib in Deutschland anzuknüpfen sei. Zu der sich aufdrängenden Frage nach sachlichen Gründen für beziehungsweise gegen eine Differenzierung zwischen freizügigkeitsberechtigten und nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern ist der Beschwerdebegründung jedoch nichts zu entnehmen. Vielmehr erschöpft sich die Begründung in der bloßen Benennung des als verletzt gerügten Grundrechts.
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b) Es lag zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist im November 2015 auch nicht auf der Hand, dass die behauptete Grundrechtsverletzung gegeben ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Dezember 2016 - 2 BvR 1997/15 -, Rn. 13).
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Zwar wurde die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006, auf die die Fachgerichte ihre ablehnenden Entscheidungen gestützt haben, durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2022 (2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14 und 2 BvL 14/14) wegen Ungleichbehandlung zweier Teilgruppen nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die einen humanitären Aufenthaltstitel nach den § 23 Abs. 1, § 23a, § 24 oder § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG besitzen und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, und des damit verbundenen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt. Ungleich behandelt werden diejenigen der genannten Ausländer, die berechtigt erwerbstätig sind oder es nur vorübergehend nicht sind, weil sie laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (erste Teilgruppe), und diejenigen Ausländer, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen (zweite Teilgruppe). Zum Zeitpunkt des Ablaufs der einmonatigen Verfassungsbeschwerdefrist lagen aber lediglich die der genannten Senatsentscheidung zugrundeliegenden Vorlagebeschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. und 21. August 2013 über die Frage der Vereinbarkeit des § 62 Abs. 2 EStG in der hier maßgeblichen Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG vor. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist lag damit die Verfassungswidrigkeit nicht auf der Hand.
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c) Der Verfassungsbeschwerde kann nicht entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern rügt, die einen humanitären Aufenthaltstitel besitzen, sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen. Denn die Verfassungswidrigkeit des in den angegriffenen Entscheidungen angewendeten § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 wird weder ausdrücklich gerügt noch sonst erkennbar infrage gestellt. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich in der Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde auf einen Vergleich mit den freizügigkeitsberechtigten Ausländern nach § 62 Abs. 1 EStG.
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Insoweit mangelt es auch an einem Vortrag der Beschwerdeführerin dahingehend, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalte (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006), und dass sie damit unter die - entsprechend der vom Senat im Beschluss vom 28. Juni 2022 gebildete (vgl. 2 BvL 9/14 u.a., Rn. 82) - benachteiligte zweite Teilgruppe falle.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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